Die Aufgabe der Sprache liegt im Wesentlichen darin, dass sich die Menschen untereinander abstimmen – über ihre Befindlichkeiten und über die Wirklichkeit. Menschen suchen immer nach der Übereinstimmung mit ihren Mitmenschen, um sich sicher zu fühlen. Für dieses Sicherheitsgefühl ist es auch notwendig, dass es eine Übereinstimmung über die Welt im Außen gibt. Mit Hilfe der Sprache teilen wir unsere Gemütszustände und unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit. Wenn zwischen den beiden Bereichen Widersprüche aufklaffen, entstehen Unsicherheit und Verwirrung als Reaktion.
Damit wir einander vertrauen können, brauchen wir zumindest ähnliche Einschätzungen über die Wirklichkeit. Mit jemandem, der ganz konträre Ansichten über die Welt hat als wir selber, tun wir uns schwer, Vertrauen aufzubauen. Für das Vertrauen benötigen wir auch die Verlässlichkeit, dass die Menschen um uns herum eine gewisse Beständigkeit aufweisen, dass sie also nicht jeden Tag andere Meinungen vertreten.
Auf diese Weise regeln die Menschen den Umgang miteinander. Missverständnisse werden nach Möglichkeit ausgeräumt. Die Übereinstimmung immer wieder herzustellen, ist ein wichtiges Anliegen, weil dadurch Vertrauen und soziale Sicherheit geschaffen werden.
Machtgesteuerte Kommunikation
Systematische Verzerrungen entstehen vor allem dann, wenn sich die politische Macht in die kommunikativen Netzwerke einmischt. Macht hat von sich aus die Tendenz, sich auszuweiten, bis ihr eine andere Macht entgegentritt. In Demokratien, sorgt die Gewaltenteilung dafür, dass es zu jeder Form der Machtausübung eine institutionalisierte Kontrolle und Grenze gibt. Damit wird die Verschmutzung der kommunikativen Kanäle möglichst gering gehalten. Sobald die demokratischen Institutionen aufgeweicht oder ausgeschaltet sind, können die machtgesteuerten Kommunikationsinhalte und –formen umso leichter die Kommunikationsräume fluten. Die Folge ist die Verkrüppelung und Verzerrung der Sprache. Denn sie dient dann nicht mehr der Verständigung und der Übereinstimmung über die Realität, sondern der Durchsetzung von Sichtweisen ohne Realitätsbezug. Abweichende Sichtweisen werden unter Strafe gestellt oder anderswie aus den Kommunikationsräumen verbannt. Die Funktion der Sprache, nach der Wahrheit zu suchen, um eine sichere Basis der Verständigung aufzubauen, verschwindet. Stattdessen wird der Unterschied zwischen Realität und Fantasie oder Ideologie eingeebnet. Die vorherrschende Macht legt fest, was für wahr gehalten werden muss.
Die Nazisprache und die Folgen
Die langfristigen Folgen konnten wir schon beobachten: Der deutsche Sprachraum war auf Jahrzehnte hinaus verseucht durch die Nazisprache. Da sie weiter von rechten Kreisen gepflogen wird, ist die Verzerrung der Sprache nach wie vor nicht überwunden. Erst vor kurzem verwendete ein Rechtsabgeordneter im österreichischen Parlament den Ausdruck „Umvolkung“, einen NS-Terminus mit seinem gesamten rassistischen und gewaltbesetzen Gehalt, der ohne Ordnungsruf vom ebenso rechten Nationalratspräsidenten hingenommen wurde. Auf diese Art pflegen die Rechten und Rechtsextremen das „Niemals vergessen“: Die Sprachzerstörung immer wieder wachzurufen, um die Tür zur Diktatur offen zu lassen. Sprachzerstörung ist Gesellschaftszerstörung und damit direkt auch Menschenzerstörung.
Sprachzerstörung in den USA
In den USA können wir gewissermaßen in Echtzeit verfolgen, wie die Unterwerfung des sozialen Diskurses, in dem die Sprache der Verständigung und der Herstellung von geteilten Realitäten dienen sollte, durch gewaltsame Eingriffe dem Machtapparat unterworfen wird. Das geschieht durch Bücherverbote, Zensierung von Lehrinhalten auf Schulen und Universitäten, existenzbedrohlichen Druck auf Staatsangestellte und öffentlich Bedienstete, durch das Verbreiten von Angst bei ausländischen Studenten und Immigranten, durch das Biegen des Rechts und durch ein Trommelfeuer an Propaganda und durch offensichtliches und schamloses Lügen. Sprache wird zum Instrument einer aggressiven und autoritären Politik, die ihre Macht ausbreiten und vertiefen möchte, um niemals mehr in die zweite Reihe zurücktreten zu müssen. Hitlers wahnwitziger Plan vom „Tausendjährigen Reich“ soll hier Auferstehung feiern, zunächst darin, dass Trump eine dritte Amtszeit entgegen der Verfassung anstrebt und in dieser Zeit die Weichen stellen wird, dass die Republikaner, die auf seinen Kurs getrimmt sind, in Hinkunft jedes Mal die manipulierten Wahlen gewinnen werden.
Die Erosion der Sprache und damit des gesellschaftlichen Diskurses geschieht schleichend. Die Sprache wird sukzessive mit Gewaltvokabeln angereichert, bis diese Aufladung als normal empfunden und von immer mehr Menschen angewendet wird. Begriffe werden ihren bisherigen Kontexten entrissen und mit ideologischen Inhalten besetzt. Die Grenzen zwischen Realität und frei erfundenen Fantasiewelten werden aufgeweicht und durchlässig, sodass jede Sicherheit in der Unterscheidung zwischen diesen beiden Bereichen schwindet. Die politische Macht, die sich zur alleinigen Deutungsmacht aufschwingen will, bestimmt über das, was wirklich und unwirklich ist. Es ist eine Willkür ohne einen realen Außenpol, der korrigierend eingreifen könnte.
Die epistemische Willkür hält sich auf Dauer allerdings nur als Wahnsinn oder mit Hilfe brutaler Macht. Irgendwann zerschellt das Fantasiegebäude an der unerbittlichen Wirklichkeit, und die Machtkonstruktionen brechen zusammen. Es dauert aber noch lange, bis die Schädigungen an der Sprache repariert sind und die Gewalt- und Machteinflüsse identifiziert und entfernt werden können.
Zum Weiterlesen:
Der Hass in der politischen Fixierung
Der Propagandatrick der Umkehrung
Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts