Dienstag, 31. Januar 2012

Mach dich nicht fertig mit dem, was noch kommen wird oder nicht.

Es gibt eine kleine grüne Insel
auf der eine weiße Kuh alleine lebt,
eine Matte von einer Insel.
Die Kuh grast, bis die Sonne untergeht, voll und fett,
aber nachts gerät sie in Panik
und wir so dünn wie ein Haar. „Was soll ich
morgen essen? Es ist nichts übrig geblieben!“


Bis zum Morgen ist das Gras nachgewachsen, hüfthoch.
Die Kuh beginnt zu fressen, und wenn es dunkel wird,
ist die Matte wieder kurzgeschoren.
Sie ist voller Kraft und Energie, doch
im Dunkeln ist sie wieder in Panik, und
wird wieder abnormal dünn über Nacht.
Die Kuh tut dies immer und immer wieder,
und das ist alles, was sie tut.
Sie denkt nie: „Die Matte ist ja noch nie nicht nachgewachsen.
Weshalb soll ich da Angst haben, dass sie dies nicht mehr täte?“
Die Kuh ist die Seele im Körper drin.
Die Insel-Wiese ist die Welt,
die die Angst mager und den Segen fett macht
mager und fett.
Weiße Kuh, mach dich selber nicht erbärmlich
mit dem, was noch kommen oder nicht kommen wird.
(Rumi, Aus: Sufi-Geschichten von Rumi: Sag ich bin du. Korbflechten mit einer Hand. Petama Verlag 2008)

Samstag, 21. Januar 2012

Durchschnitt und Individualität

Markus Hengstschläger, Genetiker an der Uni Wien, hat ein Buch mit dem Titel „Die Durchschnittsfalle“ (Ecowin-Verlag) verfasst. Die These darin lautet, dass es die Gesellschaft darauf abgesehen hat, alle auf einen Durchschnitt hin zu trimmen, und dass sich die Menschen auch dahinein fügen. Als Beispiel nennt er einen Schüler, der in der Schule in einem Fach sehr gut ist, aber in vier Fächern hängt. Alle sagen zu ihm, dass er darauf schauen muss, in den vier Fächern besser zu werden. So wird er das eine Fach, in dem er Spitze ist, vernachlässigen, und schließlich in allen Fächern nur Durchschnitt sein. Hengstschläger meint nun, dass es im Gegenteil besser wäre, sich noch mehr auf das Fach zu konzentieren, in dem die Begabung liegt und in den anderen Fächern nur das Notwendige zu machen. Dann könne in diesem Fach eine Spitzenleistung entstehen. Wenn alle sich an das Prinzip hielten, gäbe es viel mehr kreative herausragende Beiträge zur Gesellschaft. Alle dagegen, die sich am Durchschnitt orientieren, übersehen, dass sie etwas ganz Individuelles besteuern können und stagnieren in ihrem Mittelmaß. Auch die Gesellschaft zielt darauf ab, alle auf ein Durchschnittsniveau zu bringen.

Dahinter steckt die aus der historischen Erfahrung gewonnene Einsicht, dass die Evolution dort Fortschritte macht, wo etwas unerwartet Neues geschieht. Menschen, die ein Risiko eingehen, die über Konventionen hinweggehen, bringen die Menschheit weiter. Und dass es solche Menschen schwer haben, weil sie zumeist von ihren Zeitgenossen belächelt, bekämpft oder sogar umgebracht werden.

Hengstschläger votiert aber nicht für ein Elitesystem, wie das häufig von konservativer Seite vertreten wird, die von Begabtenförderung reden und eigentlich wollen, dass die traditionellen Oberschichten unter sich bleiben, dass also die höhere Ausbildung und damit die besseren Verdienstmöglichkeiten und Machtpositionen den Angehörigen der eigenen Sozialschicht vorbehalten bleiben.

Solche Konzepte funktionieren nicht. Denn da entsteht wieder nur ein Durchschnitt innerhalb der Elite, und die, die kreative Impulse beisteuern könnten, aber nicht in die maßgebliche Schicht hineinkommen können, bleiben auf der Strecke und ebenso die Gesellschaft, die auf diese Ideen verzichten muss.

Predigt Hegstschläger einen neuen Elitebegriff der Individualisten, derjenigen, die es schaffen, aus dem Durchschnittsmaß auszusteigen? Gerät er in die Falle des personalistischen Weltbildes, das schließlich jeder individuell herausragenden Leistung ein Denkmal setzt und die Genies verehrt, die idealisiert werden? Es ist die besondere Zugabe zur Evolution, die wir aus dieser Entwicklungsstufe übernehmen können, die von Hengstschläger nochmals betont wird. Die Schöpfung oder die Evolution bringt lauter Individualisten hervor, nicht einmal ein Ei gleicht dem anderen, geschweigedenn ein Mensch. Selbst eineiige Zwillinge unterscheiden sich voneinander. Und die besondere Kraft, die in dieser Vielfalt liegt, wird erstmals auf der Stufe des personalistischen Bewusstseins in seiner Bandbreite erkannt und wertgeschätzt.

Frühere Gesellschaftsformationen, vor allem diejenigen in der hierarchischen Bewusstseinsstufe, deren soziale Steuerungen und technische Produktionsmittel schwach entwickelt waren, konnten sich die Entfaltung der Individualität nur in eingeschränktem Maß leisten. Deshalb wurden Minderheiten brutal unterdrückt, abweichende medizinische, sexuelle, philosophische und spirituelle Orientierungen grausam verfolgt und die Behinderten und Schwachen sich selbst überlassen. Alles, was nicht in den Durchschnitt passte, wurde beseitigt. Menschen sind leichter beherrschbar, wenn sie möglichst gleich sind. Deshalb haben die Nazis die Wiener Schlurfe verfolgt, die sich die Haare länger wachsen ließen, und deshalb sollten sich die Chinesen unter Mao nicht einmal in der Kleidung voneinander unterscheiden.

Das materialistische Bewusstsein hat zwar einen enormen ökonomischen und technischen Fortschritt angekurbelt. Es ist jedoch nicht in der Lage, einen Qualitätsbegriff zu formulieren, der das Individuelle einer bestimmten Leistung herausheben wprde. Nachdem es vom Prinzip der Zahl dominiert ist, zielt es immer auf berechenbare Durchschnitte. Der statistische Mittelwert verbürgt den größten und sichersten Erfolg.

In diesem Klima entsteht das darwinistische Prinzip des „survival of the fittest“, das ja vor allem in Deutschland mit dem „Überlebenskampf der Starken“ übersetzt wurde. Damit ist gemeint, dass sich die Gene so verteilen, dass es überlebensfähigere Individuen einer Gattung gibt und weniger überlebensfähige. Daraus haben Rechtsextreme (bis zu manchen der bestverkauftesten Anwandlungen des deutschen Publizisten Thilo Sarrazin) den Fehlschluss gezogen, dass die Gene vorgeben, ob jemand tauglich ist für das Leben oder nicht. Folglich sollte nach genetischen Gesichtspunkten ausgesiebt werden: lebenswertes Leben gehört gefördert und lebensunwertes Leben ausgemerzt.

Nun bietet uns die Genetik keinen Selbstbedienungsladen, wo auf jedem DNS-Segment ein Etikett mit allen Informationen drauf steht – Preis, Inhaltsstoffe, Haltbarkeit usw. Bekanntlich können die genetischen Ähnlichkeiten zwischen einem blonden blauäugigen „nordischen“ Menschen und einem Schwarzafrikaner größer sein als zwischen ihm und seinem ebenso blonden blauäugigen Nachbarn. Und wir können nicht wissen, welche genetische Ausstattung für Probleme der Zukunft, die wir noch gar nicht kennen, optimal wäre. Vielleicht brauchen die Gesellschaften Mitteleuropas gerade jene Gen-Cocktails, die die vielgeschmähten Zuwanderer aus Mittelanatolien mitbringen. Jedenfalls ist nicht gesagt, dass der Fundus, den Mitteleuropa genetisch und kulturell bereitstellen kann, dafür ausreicht, die Herausforderungen, die die Zukunft bringen wird, zu meistern.

Aus den Argumenten, die Hengstschläger vorbringt, folgt jedenfalls, dass wir am besten für diese Zukunft aufgestellt sind, wenn wir möglichst viel an Variabilität und Individualität zulassen und fördern. Das heißt, dass der Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft, auf dem wir uns offenbar befinden, die besten Zukunftschancen bietet, während alle „Österreich den Österreichern“ und „Ausländer raus“-Parolenschreier nicht nur das Klima in der Gegenwart vergiften, sondern auch der Weiterentwicklung in die Zukunft das Wasser abgraben. Jeder, dem ein kreativer Fortschritt wichtig ist, müsste die Zuwanderung unterstützen (nicht nur jene, die an die Absicherung der eigenen Pension denken). Und wir liegen auch falsch, wenn wir von „qualifizierter Zuwanderung“ sprechen, also nur jene in unser Land hereinlassen wollen, die eine besondere Ausbildung oder Begabung vorweisen können. Denn wir können nicht wissen, welche Qualifikationen wir für die Zukunft brauchen. Das wird sie uns erst mitteilen, wenn sie da ist. 

Nebenbei: Das ehrwürdige England erschüttert gerade eine Debatte über Elitebildung: Eine 19-jährige Apirantin hat der Universität Oxford nach dem Aufnahmegespräch, noch bevor sie das Ergebnis erfuhr, mitgeteilt, die Uni habe „leider nicht den Standards entsprochen“, die Nowell an Unis anlege, solle deshalb aber „nicht enttäuscht“ sein. Die Uni könne gerne noch einmal bei ihr antreten, ihre Chancen stünden jedoch schlecht, wenn Oxford es nicht schaffe, zu einer fortschrittlicheren Uni zu werden.

Montag, 16. Januar 2012

Wo bleiben die Frauen in der Evolution des Bewusstseins?

Diese wichtige Frage hat eine Leserin meines Buches "Vom Mut zu wachsen" gestellt. Ich versuche eine Antwort darauf zu geben und freue mich über Kommentare.

Die Entwicklung der Menschheitsgeschichte ist bis in jüngste Zeit vordergründig von den Männern dominiert. Das nennen wir bekanntlich das Patriarchat. Seit der Stufe des emanzipatorischen Bewusstseins, also seit der jungsteinzeitlichen Revolution  haben die Männer das Heft in die Hand genommen und die zentralen Machtpositionen besetzt. Erst in unseren Tagen werden die Einseitigkeiten, die daraus resultieren, systematisch in Frage gestellt und korrigiert.

Diese Entwicklung habe ich in meinem Buch dargestellt. Ist die Bewusstseinsevolution in der Form, in der ich sie dargestellt habe, eine männliche, von der sich die Evolution der Frauen unterscheidet? Vollzieht sich die Entwicklung bei Frauen über die gleichen Stufen wie bei den Männer?

Der Versuch der Darstellung in meinem Buch bezieht sich auf Kulturmuster, die die gesellschaftlichen Spannungsmuster, wie das zwischen Männern und Frauen, übergreifen. Allen Stufen und ihrer Dynamik sind also die Männer wie die Frauen unterworfen, wobei über lange Strecken der Geschichte die Männer als die aktiv gestaltenden Elemente erscheinen. Ich möchte hier kursorisch nachprüfen, ob oder inwieweit eine weibliche Perspektive zu wichtigen Ergänzungen oder Korrekturen führen sollte.

Mit dem Eintritt in das emanzipatorische Bewusstsein wird also die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen als Über- und Unterordnung neu festgelegt und zunächst mit der Überlegenheit der Körperkraft begründet. Diese wird dann auch auf die geistige Leistungsfähigkeit übertragen, und damit geraten die Frauen vollends an den Rand der gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Auf der hierarchischen Bewusstseinsstufe werden diese Rollenzuschreibungen zusätzlich fixiert, z.B. durch die Festlegung von unterschiedlichen Rechtsnormen und unterschiedlichen Rechten für Männer und Frauen.

Die emanzipatorischen Bestrebungen der Frauen wurden einfach unterbunden, ihre Bindung an das Kinderkriegen und –erziehen, die vorwiegend häusliche Arbeit sowie die allgemein knappen Lebensbedingungen ließen auch keinen kreativen Spielraum dafür offen. Frauen, die wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung liefern konnten, blieben die Ausnahme, wie z.B. Frauen, die im Kloster Karriere machen konnten, oder wurden gewaltsam unterdrückt, wie das Beispiel der Hexenverfolgung zeigt.

Die Arbeits- und Rollenverteilung funktionierte insoferne, als die Arbeitskraft der Frauen in dieses System eingebunden werden konnte (als Bäuerinnen oder Handwerkerinnen), ohne ihnen dafür adäquate Rechte oder Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen zu müssen. Vielmehr blieben in den expansiven Bereichen (z.B. Entdeckungsreisen, Banken- und Geldwesen, Wissenschaften, Künste) weiterhin nahezu ausschließlich die Männer tätig.
Hier kam es erst durch die Industrialisierung zu einer maßgeblichen Änderung. Die Dynamik des Kapitalismus im Zeichen des materialistischen Bewusstseins forderte die Heranziehung aller Humanressourcen für den Produktionsprozess. Die Frauen wurden in die außerhäusliche Arbeit eingegliedert und dadurch auch Subjekte der Wirtschaft mit eigenem Einkommen. Bald wurde deshalb die Aus- und Weiterbildung für Frauen notwendig. Damit enstand die Basis für die feministische Emanzipationsbewegung, in der seit dem 19. Jahrhundert die Frauen das Potenzial und die progressive und zum Teil aggressive Dynamik des emanzipatorischen Bewusstseins nachholen. Zunehmend fließen die Impulse dieser Bewegung in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft ein, die immer noch nach den Prinzipien der zweiten und dritten Bewusstseinsstufe organisiert sind, um überall den patriarchalen Strukturen den Garaus zu machen.

Zu erwähnen ist auch die Rolle der fünften, der personalistischen Bewusstseinsstufe, die mit der Unterscheidung von Person und Rolle jedem prinzipiellen Überlegenheitsanspruch der Männer die Grundlage entzog. Statt dessen öffneten sich die Räume für den kreativen Ausdruck der Frauen als Individuen und als Angehörige ihres Geschlechts. Es treten Komponistinnen, Malerinnen und Schriftstellerinnen auf und finden breite Anerkennung. Damit ist der Bann gebrochen, und eine Bastion des Männlichen in der Berufswelt, in Politik und Kultur fällt nach der anderen. Die Kräfte der Evolution rufen alles zu Hilfe, was es an schöpferischen Ressourcen gibt.

Dies wird auf der sechsten Stufe, der systemischen, deutlich. Die Globalisierung der Probleme und der Krisen erfordert die Mobilisierung der Ideen und Impulse von allen Seiten und das synergetische Zusammenfließen des Männlichen und des Weiblichen, zwei Begriffe, die außerhalb der sexuellen Bereiche zunehmend von den Personen gelöst werden und zu Metaphern für archetypische Orientierungen werden. Die Menschen der zukünftigen, der holistischen Bewusstseinsstufe haben Kenntnis vom Männlichen wie vom Weiblichen und bringen diese Energien dort ein, wo sie am dienlichsten für den Fortschritt des Ganzen sind.

Freitag, 13. Januar 2012

Zum Jahresbeginn 2012 – eine Anprangerung

Für manche hat das Jahr 2012 eine besondere Bedeutung, nachdem in diesem Jahr angeblich der Maya-Kalender sein Ende erreicht. Dazu wurde von esoterischen Spekulanten gleich das Ende der Welt prophezeit. Hollywood hat sich gleich mit einem Blockbuster angehängt, um die Megakatastrophe  kinowirksam aufzubereiten (das Internationale Filmlexikon urteilt über den Film: „Billigfilm mit erbärmlichen Effekten, der einen ebenso fundamentalistischen wie frei interpretierten christlichen Glauben zur Rettung der Welt anführt.“)  Manche der wohlmeinenderen Spekulanten haben dann diese düstere Vorhersage abgemildert, sodass dort nur mehr von einem Bewusstseinssprung die Rede ist, der gegen Ende des Jahres die „Auserwählten“ in Exstase versetzen und die Nichterwählten in die Verdammnis schicken wird.
Es ist klar und unbestreitbar, dass der Maya-Kalender, eines von vielen Kalendersystemen, die im Lauf der Menschheitsgeschichte entwickelt wurde, zwar für 2012 das Ende eines Berechnungszyklus (die sogenannte lange Zählung) vorsieht, jedoch nicht das Ende der Welt, da auch über diesen Zeitpunkt hinaus von den Mayas Berechnungen vorgenommen wurden. Es gibt keine Hinweise aus Quellen, dass die Mayas diesen Zeitpunkt mit einem Untergang verbunden hätten, auch heute noch lebende Angehörige des Maya-Volkes wehren sich gegen diese Interpretation.
Andere Interpretationen beziehen sich auf astronomische Ereignisse, die in diesem Jahr auftreten sollen und eine besonders mächtige Kraft ausüben sollen. Abgesehen von immer wiederkehrenden Konstellationen gibt es jedoch keine besonderen Ereignisse im Weltall, vor denen wir uns fürchten sollten.
Schließlich ist wieder einmal vom Polsprung die Rede, der seit Jahren angekündigt wird und gravierende Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben soll. Der Wissenschaft ist die Abnahme des Magnetfeldes bekannt, dieses geht sehr langsam vonstatten und könnte in 1000 bis 2000 Jahren zu einem Polsprung führen, der selber dann etwa 10 000 Jahre dauert. Also ist noch etwas Zeit, die Vorkehrungen für diesen Fall zu treffen, der möglichweise 50 Generationen nach uns stattfinden wird.
Die Katastrophen-Theorie für das Jahr 2012 entspringt also der Phantasie und steht in der Reihe von Untergangsszenarien, die immer wieder in der Menschheitsgeschichte aufgetreten sind. Die Welt und die Menschheit haben diese Szenarien bisher alle überlebt und es finden sich in den diversen Phantasiegeschichten auch keine nachvollziehbaren Begründungen dafür, warum das nicht auch dieses Mal so sein wird – wir werden Ende 2012 wie jedes Jahr Sylvester feiern und auf ein Jahr zurückblicken, das Gutes und Schlechtes gebracht hat.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich die Menschen gerne fürchten. Sonst würden sie nicht entsprechende Nachrichten aufgreifen und weiterverbreiten. Sonst würden sie auch sich nicht entprechende Filme anschauen und Bücher lesen, also Geld dafür ausgeben, dass sie sich fürchten können.
Allerdings gibt es die Unterhaltungsfurcht, der wir uns aussetzen, wenn wir gerade nichts Besseres zu tun haben. Wir gehen ins Kino und hoffen, dass uns nicht fad wird, indem ein Schrecken den anderen jagt, bis wir dann nach zwei Stunden erleichtert den Saal verlassen. Oder wir lesen einen Horrorroman, der uns auch Kurzweil verschafft und uns nachher das Gefühl gibt, dass wir froh sein können, in einer besseren Welt zu leben als der, die im Roman beschrieben wird.
Und es gibt die esoterische Furcht, die auf einem Pseudowissen gründet, das „esoterisch“, also verborgen oder geheim ist. Dahinter steckt die Auffassung, dass es zwei Arten von Menschen gibt, die Alltagsmenschen, die von nichts eine Ahnung haben, weil sie von ihren Tagesgeschäften in Anspruch genommen sind, und die „bewussten“ Menschen, die hinter die Dinge schauen und mehr über das Leben wissen. Sie nehmen deshalb Botschaften für wichtig, die aus nicht-alltäglichen Quellen stammen – Informationen, die über Medien von aufgestiegenen Meistern, von den Bewohnern ferner Sterne, von Verstorbenen oder von UFOs übermittelt werden. Sie haben damit den Eindruck, über einen Bewusstseins-Vorsprung gegenüber den Normalos zu verfügen. Der Preis dieser Überlegenheit ist die Furcht, die damit eingehandelt wird.
Diese esoterische Furcht ist deshalb besonders hartnäckig, weil das Pseudowissen, z.B. diverse Prophezeiungen, kritikresistent ist. Da es aus einer esoterischen, d.h. nicht allgemein überprüfbaren Quelle stammt, ist es gegen Einwände, die z.B. aus dem Alltagsverstand (common sense) oder aus der Wissenschaft stammen, immun. Im Gegenteil, solche Kritikpunkte werden gerne mit dem Hinweis darauf entkräftet, dass sie der Verschleierung der „Wahrheit“, die aus der höherwertigen Quelle sprudelt, dienen und deshalb von den Kräften des Bösen gesteuert werden. So hört man dann, dass etwa so mächtige Organisationen wie der CIA oder die NASA bestimmte Erkenntnisse unterdrückt hätten, um das Volk zu täuschen. Tatsächlich sind dann diese Erkenntnisse, die angeblich unterdrückt wurden, entweder überall abrufbar oder reine Fantasie. Aber innerhalb des esoterischen Denkens spielen solche Überprüfungen keine Rolle, es genügt sich selbst und pflegt seine Ängste.
Nun soll jede/r glauben, was er/sie will. Jedem seine Angst, jeder ihre Hoffnung.
Mag auch jeder sein Brot verdienen mit dem, was er gut kann. Aber wichtig bei jederTätigkeit ist auch die Frage, ob sie ehrlich Gutes für andere will bzw. ob sie ihnen zumindest nicht schadet. Aus meiner Sicht wird überall dort, wo mit unlauteren Mitteln Ängste geschürt und gepflegt werden, diese ethische Grenze überschritten: Mit der Verbreitung und Vertiefung von esoterischen Ängsten wird Menschen Schaden zugefügt.
Sicher ist jeder Mensch dafür verantwortlich, was er/sie liest, hört, ernst nimmt. Aber wir sind nicht immer und überall in der Lage, alles und jedes, das uns begegnet, zu überprüfen. Deshalb kann es uns immer wieder passieren, dass wir Betrügern auf den Leim gehen, ob diese nun arglistig oder naiv vorgehen. Sie brauchen nur eine unserer Schwachstellen erwischen. Diese Stellen sind unsere Traumatisierungen, die uns nicht bewusst sind. Sie sind der Grund, warum wir glauben, dass wir uns fürchten müssen.
Mit den Traumatisierungen der Menschen Geschäfte zu treiben und Rebbach zu machen, ist nach meiner Ansicht verantwortungslos und gehört angeprangert, damit die Menschen davor gewarnt werden. Statt uns von selbsternannten Propheten, deren einzige Legitimation in der Fähigkeit zu reden oder zu schreiben besteht, ins Bockshorn jagen zu lassen, haben wir den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen und unsere Traumatisierungen aufzuarbeiten, bis uns keiner und nichts mehr Angst machen kann.

Freitag, 6. Januar 2012

Lotterie und Leistung


Kleiner Nachschlag: Was ist der Unterschied zwischen unserem Wirtschaftssystem und dem Lotteriespiel? In beiden werden die Gewinn- und Verliererchancen nach dem Zufallsprinzip verteilt. Der Unterschied liegt darin, dass beim Lotteriespiel die Gewinner von den Verlierern freiwillig finanziert werden (niemand ist zum Lotteriespielen gezwungen), während im anderen Fall alle Marktteilnehmer die Gewinner finanzieren – und aus dem Markt kann nur aussteigen, wer sich vollständig selber versorgen kann, was gerade durch unser Wirtschaftssystem unmöglich gemacht wird. 

Ein anderer Unterschied liegt darin, dass das Wirtschaftssystem von allen jede Menge Leistung verlangt und diese auch zu honorieren bereit ist, damit auch wieder Geld zum Konsumieren da ist.  Wer aber die großen Treffer macht, bestimmt der Zufall. Welche Leistungen also mit Reichtum und nicht bloß mit Einkommen belohnt werden, hängt von den unvorhersehbaren Entwicklungen des Marktes ab.

Noch ein kleines Detail zu den Lotteriespielern, denen wir alle wiederum auch dankbar sein können – sie spenden ja durch ihren freiwilligen Einsatz auch einen Teil in die Steuerkasse, was uns allen zugute kommt... (Lukas Resetarits hat das einmal als Deppensteuer bezeichnet.)

Mittwoch, 4. Januar 2012

Das Leben als Quiz: Über den Zufall

„Ich habe heute zufällig XY getroffen…“ – „Nein, nein, Zufälle gibt es nicht.“
So verläuft die Konversation vorhersehbar, wenn wir es mit esoterisch vorgebildeten Menschen zu tun haben. Was hat es also mit diesem Zufall auf sich, den es gar nicht geben soll?

Als zufällig bezeichnen wir Ereignisse, die wir nicht vorhergesehen und erwartet haben, die nicht einer Folgerichtigkeit oder, was häufig als Gegenbegriff zum Zufall gilt, einer Notwendigkeit entspringen. Wenn mir ein Teller aus der Hand gleitet, kann ich mich schlecht auf den Zufall ausreden, wenn dieser dann tatsächlich am Boden zerschellt. Wenn ich das Geld in den Automaten werfe und der Fahrschein herauskommt, glaube ich auch nicht an den Zufall, ebenso wenig, wenn sich jemand bedankt, dem ich einen Gefallen getan habe.

Zufall ist es dann, wenn ich die Regel nicht erkenne, nach der etwas abläuft und eine überraschende Wendung dadurch eintritt. Zufällig habe ich XY getroffen, den ich etwas fragen wollte, noch bevor ich ihn anrufen konnte. Zufällig schreibt die Zeitung über ein Thema, das mich gerade beschäftigt. Zufällig fällt irgendjemandem der Lottogewinn zu und nicht mir.

Manchmal spielt der Zufall gut mit mir, manchmal nicht, d.h. manchmal bin ich zufrieden mit dem, was auf diese Art passiert, manchmal nicht. Der Zufall liegt jedenfalls jenseits meiner Verantwortung. Niemand kann mich zur Rechenschaft ziehen oder belangen, wenn etwas aus Zufall geschieht, wenn z.B. der Bus verspätet war oder der Computer abgestürzt ist.

Soweit unser Alltagsleben und der Zufall. Welche Rolle spiegelt der Zufall in größeren Zusammenhängen, z.B. in der Wirtschaft? Verläuft sie nach Gesetzmäßigkeiten, die vorausberechnet werden können, oder sind die wirtschaftlichen Vorgänge regellos und ohne Folgerichtigkeit? Jeder Produzent, der sich mit einer Ware auf den Markt begibt, möchte damit Erfolg haben und einen guten Gewinn mit nach Hause nehmen. Er wird dazu die Strategie auswählen, die ihm den größten Erfolg verspricht. Es kann jedoch sein, dass die Kunden, die an seinem Produkt interessiert sind, gerade an dem Tag, an dem er es feilbietet, keine Zeit haben und erst am nächsten Tag vorbeikommen. Jedoch könnte der Produzent schon nach dem ersten Tag wegen des Misserfolgs frustriert das Handtuch werfen und meinen, dass sich niemand für sein Produkt interessiert. Woher soll er auch wissen, dass gerade am nächsten Tag tolle Geschäfte winken? Die Zukunft ist nicht vorhersehbar.

Wir könnten unserem Produzenten raten, auf seine Intuition zu hören. Sie verspricht uns ja, die Unvorhersehbarkeit der Zukunft auszutricksen. Doch vielleicht ist es gerade seine Intuition, die ihm sagt, dass er am nächsten Tag zuhause bleiben soll, statt den ganzen Tag am Marktplatz zu verbringen? Woher soll die Intuition wissen, was am nächsten Tag passieren wird? Vielleicht finden die potenziellen Kunden erst nach fünf Tagen auf den Markt?

Natürlich versuchen die Marketing-Experten, die Abläufe am Markt überschaubar zu halten. Bevor ein Produkt eingeführt wird, finden umfangreiche Tests statt, ob es die Kunden annehmen. Doch gibt es keine Garantie gegen einen Flop. Zuerst sind alle begeistert und wollen das neue Produkt, doch bald rennen sie zur Konkurrenz, und die Ware muss verramscht werden. Schlechtes Marketing oder einfach Pech? Notwendigkeit oder Zufall? Das zeigt sich bei den wirtschaftlichen Entscheidungen immer erst im Nachhinein. Kein Marketing-Manager plant eine schlechte Kampagne. Nur erkennt er manchmal erst dann, was falsch läuft, wenn es zu spät ist. Also macht er es beim nächsten Mal anders, berücksichtigt den Fehler, aber kann diesmal aus ganz anderen, wieder unvorhersehbaren Gründen, scheitern. Und dann steht der Firmenchef vor der Frage, den Marketing-Leiter zu feuern oder darauf zu hoffen, dass die nächste Kampagne endlich den Durchbruch bringt. Was denkt der Chef, wenn er den Mann verabschiedet und erfährt, dass dieser bei der neuen Firma als Genie gefeiert wird?

Ist also der, der in der Wirtschaft erfolgreich ist, einfach jemand, der Glück hat, dem die Zufälle zufallen? Natürlich muss die Basis stimmen, das, was wir die Leistung nennen, das Wissen, die Arbeit, der unermüdliche Einsatz. Aber ob das alles zum großen Durchbruch führt, zum Supergewinn, steht auf einem anderen Blatt. So viele Menschen bringen ihre Leistung, und so wenige kommen nach oben, und ganz nach oben fast keiner.

Vielleicht schauen wir deshalb so gerne Quiz-Sendungen im Fernsehen an: Die Kandidaten müssen etwas leisten, sie müssen im Schweiß ihres Angesichts Antworten auf die belanglosesten Fragen finden, die sie sich in ihrem Leben sonst nie stellen würden. Die Aufgaben sind unvorhersehbar und tauchen zufällig aus einer Kiste oder aus einem Computer auf. Die Kandidaten können sich auf vieles vorbereiten, aber nie auf alles. Und wenn dann der klügste und wissendste Kopf an einer Frage scheitert, wer wann gegen wen welches Tor geschossen hat oder wer wann in wen verschossen war, spüren wir Bedauern und gleichzeitig Erleichterung – niemand ist gegen den Zufall gefeit. Er ist mächtiger als alle unsere Leistungen. Wenn wir in unserem Leben gewinnen oder wenn wir verlieren, verdanken wir es nicht unseren Fähigkeiten, sondern den Wechselfällen des Glücks oder Unglücks, dem, was wir Zufall nennen. Der Zufall entschuldigt uns vor unserem inneren Kritiker, dem verinnerlichten Wirtschaftssystem.

Also spiegelt die Quiz-Sendung dieses Wirtschaftssystem und seine Gegebenheiten. Der Tüchtige bringt es weiter als der Untüchtige und scheitert doch irgendwann selber an den Undurchschaubarkeiten des Marktes. Dazu kommt: Wo der Tüchtige nicht mehr weiter kommt, gibt es einen objektiven Grund, eine schicksalshafte Notwendigkeit: Es gibt nur den einen höchsten Berg von Patagonien und den einen Erfinder der Schaumrolle, und wer das nicht weiß, ist nicht für die höchsten Weihen ausersehen. Deshalb empfinden wir auch eine Befriedigung des Gerechtigkeitssinns, wenn der Tüchtige scheitert. Unser eigenes Scheitern ist dann nicht mehr so schlimm. Und: Tüchtig ist, wer den Erfordernissen des Systems am besten entsprechen kann. Sobald sich diese ändern, und der Tüchtige diese Änderung nicht mitmachen kann, geht auch er unter. Das System ist immer mächtiger, dagegen haben wir nie eine Chance.

Ähnlich bei den Talenteshows, bei denen die Kandidaten nacheinander rausfliegen: die Kriterien sind „objektiv“, eine allmächtige Jury oder ein anonymes Publikum entscheiden, die Talente bringen ihre Leistung, mag sie noch so toll sein, irgendwann ist dann Schluss, und das alles entzieht sich ihrer Macht und Kontrolle.