Donnerstag, 22. Oktober 2015

Ein kleines Modell des Schmerzes

Wenn wir Schmerzen empfinden, bedeutet das, dass der Körper signalisiert, mit einem Problem nicht fertig zu werden. Unser Organismus verfügt über die unterschiedlichsten Formen von Selbstregulation. Diese verläuft zum größten Teil unbewusst. Unsere inneren Systeme steuern sich selber, von der Zellebene angefangen bis zum Blutkreislauf oder Lymphnetzwerk. Auch im Gehirn laufen die meisten Prozesse unbewusst. Etwas bewusst abzuwickeln, erfordert viel Energie (Sauerstoff und Glukose), und wird deshalb aus ökonomischen Gründen auf ein Minimum reduziert.

Das Bewusstsein wird hinzugezogen, wenn es anders nicht mehr geht, und das ist die Funktion des Schmerzes: Ein Notsignal, ein Hilferuf: „Wir schaffen es alleine nicht mehr“. Das Bewusstsein kann Schmerzen nicht ignorieren, die melden sich so vehement, dass wir auf sie achten müssen. Manchmal sind sie so stark, dass wir zusammenknicken, z.B. bei einem intensiven Magenschmerz. Wir können sie jedoch missachten, indem wir sie nicht ernst nehmen, sondern einfach weitertun, bis die Schmerzen von selber abebben. Manchmal denken wir, wir müssen die Zähne zusammenbeißen und trotz Schmerzen weitermachen. Es kann sein, dass wir mit dieser Taktik unseren Körper dazu zwingen, seine letzten Reserven zu mobilisieren, bis es dann zu einem größeren Zusammenbruch kommt.

Denn der Hilferuf, den ein betroffenes Körpergebiet mittels Schmerzen ausschickt, heißt nicht nur, dass die Schadensbehebung von dem Bereich nicht mehr selber erledigt werden kann, sondern auch, dass die Reserven, die für die Reparatur in Anspruch genommen werden, zur Neige gehen. 

Schmerzen sind deshalb immer auch ein Anlass, dass wir uns bewusst machen können, wie wir mit unseren Energien umgehen. Wenn wir uns irgendwo im Körper verspannen, wird Energie konsumiert, um diese Spannung aufrecht zu erhalten, und es fehlt der Wiederaufbau der Energie, der in der Entspannung möglich ist. Das System Spannung-Entspannung-Spannung usw. erhält sein Gleichgewicht; bleibt die Spannung mit zu wenig an Entspannung, entsteht ein Ungleichgewicht, es wird zu viel verbraucht und zu wenig hergestellt.

Was kann das Bewusstsein nun tun, wenn ein Organismus-System im Ungleichgewicht ist? Es kann, wie oben gesagt, die Botschaft hören, aber ansonsten ignorieren und so weitermachen, wie bisher, mit riskanten Aussichten. Es kann die Botschaft ernst nehmen und etwas am Leben ändern, was zur Wiederherstellung des Gleichgewichts führt. Es kann sein, dass wir zum Arzt gehen und uns eine Therapie verschreiben lassen. Es kann auch sein, dass wir beschließen, z.B. uns ausdauernd zu bewegen oder anders zu ernähren oder bestimmte Aktionen, die uns zuviel Stress bereiten, beenden.

Wir können zudem noch einen Schritt weitergehen und uns auf die Ebene der inneren Kommunikation einlassen. Schmerzen drücken nämlich auch eine Kommunikationsstörung aus, wie wenn Kinder zum Schreien anfangen, weil sie sonst nicht gehört werden. Lange genug haben wir überhört, was uns unser Körper mitteilen wollte, weil wir andere Aspekte unseres Lebens wichtiger genommen haben, z.B. das, was andere von uns erwarten oder das, was wir von uns selber erwarten usw. Wenn wir auf die innere Kommunikation einsteigen, heißt das, dass wir Verständnis für das Symptom aufbringen, das sich melden, auch wenn es uns lästig oder beschwerlich erscheint. Es will verstanden werden und spüren, dass es wichtig genommen wird. Dann kann es schon ein Stück entspannen. 


Untersuchungen haben festgestellt, dass Schmerzreize, die mit innerer Aufmerksamkeit statt mit Abwehr wahrgenommen werden, abnehmen. Interessanterweise gehen die Schmerzreaktionen in den Nervenzellen nicht nur im Gehirn zurück, sondern auch an der Stelle, wo sie entstehen, z.B. im Zahnkanal oder in der Magenschleimhaut. Die Zellen in diesem Bereich entspannen sich offensichtlich, wenn sie die Zuwendung und Aufmerksamkeit des Bewusstseins bekommen.

Wir sollten deshalb den Aufbau und Ausbau unserer Innenkompetenz wichtig nehmen, neben all den anderen Kompetenzen, die wir in unseren Lebenswelten brauchen. Innenkompetenz nenne ich die Fähigkeit, unser Inneres bewusst wahrnehmen und verstehen zu können. Es ist die Fähigkeit der inneren Kommunikation, die im Zuhören und zugewendeten Sprechen besteht, beruhend auf einer gleichberechtigen Grundlage. Unser Symptom, das mit uns reden will, hat genauso recht wie „wir“, also unser bewusster Aspekt, der die ganze restliche Lebenswelt mit ins Gespräch bringt. Es darf kein Machtgefälle geben in diesem Dialog. „Wir“ müssen uns also auch von den Botschaften unseres Körpers belehren lassen.

So können wir die Eigenverantwortung für unsere Gesundheit stärken, die zuallererst in unseren eigenen Händen ruht und von der wir selber am meisten wissen, kennen und spüren. Der bewusste und achtsame Umgang mit Schmerzsignalen aus unserem Körper ist ein wichtiger Zugang zu dieser Kompetenz: Statt die Schmerzen nur als unangenehm, hinderlich und feindlich zu verurteilen, sie als Hinweise zu sehen, wie wir unser Leben verbessern können. Das hilft uns, das Leid, das Schmerzen verursachen, besser zu ertragen, und den Schmerzen, sich schneller zu beruhigen.

Die Eigenverantwortung für unsere Gesundheit können wir nur selber in die Hand nehmen. Das Gesundheitssystem hat kein eigenes Interesse daran, auch viele Ärzte sehen sich wichtiger als die Eigenkompetenz ihrer Patienten. Deshalb müssen wir es zu einem wichtigen Interesse machen.


Vgl. Das Modell der organischen Kommunikation
Selbstheilung durch innere Kommunikation
Das innere Wissen und eine neue Methodologie

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Wann ist das Boot voll?

Szene aus dem Film "Das Boot ist voll"
von Markus Imhoof (1981)
Wie viele Flüchtlinge haben Platz in unserem Land, und wann ist es genug, oder ist es schon längst genug, und das Boot droht zu sinken?

Diese Frage stellen sich viele in diesen Tagen, und die Antworten darauf bestimmen die Wahlergebnisse: das Flüchtlingsthema gilt für die meisten Wähler der Wiener Gemeinderatswahl vom 11.10.2015 (55%) als wesentliche Aufgabe der Politik; 45 % der Wähler waren der Meinung, dass das Land noch mehr Flüchtlinge aufnehmen könne; 50% finden, dass unsere Kapazitäten bereits erschöpft sind. Die Meinungen sind also polarisiert, sie teilen sich auch ziemlich genau auf Grüne-Wähler (die meinen, dass noch mehr Flüchtlinge aufgenommen werden können) und FPÖ-Wähler (die meinen, dass die Grenzen dicht gemacht werden sollten) auf.

Wer oder was entscheidet darüber, wann es genug ist mit der Zuwanderung? Es ist offensichtlich, dass es kein objektives Kriterium gibt, doch wird das kaum irgendwo erwähnt. Wo auch sollte man das ansetzen? Wir sind ein reiches Land, in dem allein mit den Lebensmitteln, die laufend weggeworfen werden, Tausende Menschen ernährt werden können. Wir haben leerstehenden Wohnraum und können auch behelfsmäßige Unterkünfte errichten. Viele Menschen sind bereit, Geld und Güter zu spenden. Der Staat kann seine Gelder locker machen usw. Wenn ein armes und bürgerkriegsgezeichnetes Land wie der Libanon 1-2 Millionen Flüchtlinge aufnehmen kann und nicht untergeht, ist bei uns die Kapazitätsgrenze noch lange nicht absehbar.(Libanon: Einwohnerzahl: 30 % weniger als Österreich, Fläche: 87% weniger als Österreich)

Wo es keine objektiven Kriterien gibt, bestimmen die subjektiven die Meinungen und Diskussionen. Subjektive Kriterien sind von Gefühlen erzeugt, und da machen sich vor allem unterschiedliche Ängste breit, die eben den einen das „Gefühl geben“, dass es eng wird im Land und dass das Boot zu sinken droht oder, wie eine FPÖ-Metapher besagt, dass die Gesellschaft „kippt“ (als wäre die Gesellschaft ein Biotop), während andere „das Gefühl haben“, dass den armen Menschen geholfen werden muss. Bei den einen verstärkt das die Angst, dass sie selber nichts mehr kriegen und „die Fremden“ alles, was wieder bei den anderen die Angst auslöst, dass Notleidende im Stich gelassen werden sollen und sich Feindlichkeit statt Menschlichkeit ausbreitet.

Es scheint offensichtlich, dass in diese Gemengelage der polarisierten Gefühle viele transgenerationale Themen aufgewirbelt werden und mitmischen. Fast jeder Mensch in diesem Land hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt, zumindest in den genetischen und epigenetischen Prägungen, die von Eltern, Groß- und Urgroßeltern übertragen werden. Viele haben eine Familiengeschichte von Flucht, Aus- Ein- und Zuwanderung, viele haben auf diese Weise direkt oder indirekt Formen von  Fremdenfeindlichkeit und Menschlichkeit erlebt, am eigenen Leib oder in der Generationenübertragung.

In dieser Situation, in der die Gesellschaft durch den Zustrom und Durchstrom von Tausenden Menschen, die nichts oder fast nichts haben, aufgemischt wird, kommen all diese Themen hoch und beeinflussen die eigene Gefühlslandschaft. Da uns jedoch diese Themen und ihre Herkunft kaum bewusst sind, geraten wir in Verwirrung. Diese Verwirrung hat sich inzwischen weit ausgebreitet und treibt die unterschiedlichsten Blüten. Die einen erwarten den entscheidungs- und durchsetzungsmächtigen Politiker, der wieder Klarheit und Sicherheit herstellen wird (wie viele unserer Vorfahren in unserem Land 1938 den Österreicher, der in Deutschland zum starken Mann geworden war, hoffnungsvoll begrüßt haben), die anderen eine offene und hilfsbereite Gesellschaft (wie viele unserer Vorfahren erhofft, vermisst oder erfahren haben) usw.

Es ist klar, dass auf der Grundlage von verwirrten Gefühlen keine sinnvollen Entscheidungen getroffen werden können. Verwirrung führt zu Willkür und Panikreaktionen. Andererseits verfügen wir über keine rationalen Gründe zu sagen: Jetzt, genau jetzt, ist der Punkt erreicht, an dem wir es nicht mehr schaffen. Du darfst noch rein, und du nicht mehr.

Soll sich die gesellschaftliche Gefühlsverwirrung auflösen, bedarf es der inneren und kommunikativen Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen und ihren Hintergründen in den eigenen Lebensgeschichten und denen unserer Vorfahren. Erst wenn sich die Gefühle in den Menschen und die Menschen in den Gefühlen verstanden fühlen, können wir der Vernunft wieder mehr Raum geben und menschengerechte Entscheidungen fällen.

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Über den Wahnsinn der Waffenproduktion

Quelle: fox59.com
 „Warum werden Waffen an jene verkauft, die planen, einzelnen Menschen und der Gesellschaft unbeschreibliches Leid zuzufügen?” Pause. „Leider ist die Antwort, wie wir wissen: Einfach wegen des Geldes – Geld, das getränkt ist in Blut, oft unschuldigem Blut.“

Dies sagte Papst Franziskus am 24.9.2015 vor dem amerikanischen Kongress, vor den Abgeordneten, unter denen vermutlich nicht wenige durch das Waffengeschäft zu ihrem Reichtum, Amt und Würden gelangt sind. 


Ich weiß nicht, ob die republikanischen Abgeordneten bei diesem Abschnitt der Rede in Zustimmung aufgestanden sind oder nicht. Vielleicht haben sich manche gedacht: Ach, was für ein naives Denken kann sich ein Papst erlauben, wir hingegen tragen die Verantwortung für die Sicherheit der Nation und der Welt usw.
 

“Britannien sollte akzeptieren, dass solche Waffen unmöglich mit einer Sicherheitsgarantie verwendet werden können und wir sollten die Pläne für die Erneuerung des Trident-Atom-Verteidigungssystems aufgeben, was 100 Mrd. Pfund für unseren nationalen Wohlstand freigibt.“ Das sagte Jeremy Corbyn, seit kurzem Führer der britischen Labour-Party.
 

Es mag tatsächlich naiv klingen, auf die exorbitante Unsinnigkeit der Anhäufung von Zerstörungsmaterial hinzuweisen. Aber ich finde, dass es immer wieder gesagt werden muss, bis es so tief in den Seelen der Menschen angekommen ist, dass im Außen etwas passiert: Ohne Waffen gibt es keinen Krieg. Waffen zerstören: Menschenleben und Güter. Was an Zerstörungen angerichtet wurde, muss wieder aufgebaut werden, bis ein menschenwürdiges Leben in den Kriegsgebieten möglich wird.
 

Illusionäre Tagträumerei, tönt es gleich von allen Seiten. Die "Vernünftigen" wissen es besser:  Wer abrüstet, zahlt drauf. Wer aufrüstet, ist auf der sicheren Seite. So geht die herrschende Logik, basierend auf einem sogenannten Hausverstand. Wir leben in einer Welt des Misstrauens, und wer sich schwach zeigt, wird vom Stärkeren untergebuttert. Der Mensch ist des Menschen Feind, so war es immer schon und so wird es immer bleiben. Also sei auf der Hut und halte stets deine Waffen griffbereit.

Nun hat nicht die Hochrüstung und Abschreckung Frieden gebracht, dort, wo Frieden herrscht, sondern wirtschaftlicher Wohlstand und innerer sozialer Ausgleich. Die Rüstung dient weder dem Wohlstand aller noch dem sozialen Ausgleich. Vielmehr werden durch die Rüstungsindustrie öffentliche Gelder auf private Konten geleitet für die Produktion von Gütern, die im besten Fall verrotten, im schlimmsten Fall Menschenleben und Güter zerstören.

Kriege gehen meistens nicht durch den überlegenen Waffeneinsatz zu Ende, sondern durch das Erschöpfen der Waffenvorräte auf einer Seite. Deshalb müssen, solange der Glaube an die Notwendigkeit von Kriegen weiterbesteht, die Waffenarsenale bis an den Rand gefüllt bleiben.
 

Wir sind Gefangene von Glaubenssystemen, die Sachzwänge hervorgebracht haben. Diese Glaubenssysteme wurzeln in primitiven Vorstellungen von menschlichen Zusammenhängen. Und gründen auf der Annahme, dass Gewalt Konflikte lösen könnte. Wir müssen uns nicht der Logik des Misstrauens unterordnen, die uns vorgebetet wird. Misstrauisch sind wir nicht von Natur aus, sondern erst, wenn uns Angst gemacht wird. Wie leicht das geht, können die Kriegstreiber immer wieder beobachten: Menschen leben friedlich mit- und nebeneinander. Dann mischt sich die Propaganda dazwischen, und aus Freunden werden Feinde, die einander nur mehr mit Misstrauen beäugen, bis sie bereit sind, einander umzubringen. Das war in unserem Land ab 1938 und „vor unserer Haustür“ vor zwanzig Jahren am Balkan zu beobachten, das sehen wir in der Ostukraine und in den failed states, den zugrunde gerichteten Staaten im Nahen und Mittleren Osten.
 

Solange wir die Logik des Misstrauens in uns wachhalten und nähren, spielen wir mit im System der Aufrüstung und Vernichtungsbereitschaft. Indem wir dieses Denken teilen, sind wir mitverantwortlich für das, was wir vielleicht auf der anderen Seite als Wahnsinn erkennen. Machen wir uns jedoch unsere Verantwortung für den Frieden auf der Welt bewusst, dann müssen wir auch der scheinbaren Ausweglosigkeit der Waffenproduzenten widerstehen und überall in unseren Beziehungen Misstrauen durch Vertrauen ersetzen. (Damit ist kein blindes, sondern ein sehendes Vertrauen gemeint.)
 

Unsere Mitverantwortung können wir dadurch leben, dass wir die Tatsache der Sinnlosigkeit und Gefährlichkeit der Waffenproduktion und Waffenhortung immer wieder an den Pranger stellen. Sie einfach hinzunehmen und jede kritische Stimme als naiv zu belächeln, stärkt nur die Selbstverständlichkeit, mit der so große Teile der Menschheit und so viele politische Verantwortungsträger eine waffenstrotzende Welt hinnehmen und unterstützen.

Und aktuell heißt der Zusammenhang auch: Wenn es keine Waffen gibt, gibt es keinen Krieg. Wenn es keinen Krieg gibt, gibt es keine Flüchtlinge. Menschen flüchten nicht vor anderen Menschen, sondern vor Fassbomben, Phosphorgranaten und Raketen. Da wir in unseren Landen einen Teil unseres Wohlstandes der Waffenproduktion verdanken, die so viel Unheil in der Welt verursacht, haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung für die Geschädigten, die jetzt bei uns Unterschlupf suchen.