Mittwoch, 31. Januar 2018

Am Anfang brauchen wir ein Willkommen

Wenn wir Menschen einladen und willkommen heißen, sehen wir es als unsere Aufgabe als Gastgeber, die Menschen, die da kommen, so anzunehmen, wie sie sind und uns daran zu erfreuen. Wenn Kinder auf die Welt kommen, fühlen wir uns (wenn wir ganz bei uns sind) hingerissen und begeistert von den neuen Erdenbürgern. Wir denken gar nicht daran, dass dieses winzige Wesen anders sein könnte als es ist, so vollkommen ist sein Charme.

Wann immer wir etwas Neues anfangen, braucht es dieses Willkommen. Wir brauchen das Gefühl, dass wir einen Platz bekommen, an dem wir uns sicher fühlen und von dem aus wir in das Neue hinein expandieren können. Wir brauchen die Ermutigung und Bestätigung, dass das Neue für uns gut und sinnvoll ist und dass wir am richtigen Platz angekommen sind.

Erst recht gilt dieses Bedürfnis für unseren ganz ersten Anfang, für den Moment der Empfängnis oder Befruchtung. Neues Leben entsteht, und wie die Forscher herausgefunden haben sollen, „feiert“ die befruchtete Eizelle, indem sie durch die Freisetzung von Milliarden Zinkatomen hell zu strahlen beginnt, gewissermaßen so als ob die Natur ein Feuerwerk veranstaltet, um der Welt diesen grandiosen Neuanfang kundzutun.

Doch sind nicht alle werdenden Eltern begeistert über das neue Leben, aus verschiedensten Gründen. Dadurch wird das Willkommenheißen gestört. Wie wir aus der Pränataltherapie wissen, bekommen die winzigen Lebewesen mit, wie ihre engste Umgebung auf ihre Entstehung reagiert – voll Freude und Begeisterung oder voll Sorgen oder gar Erschrecken. Die Ablehnung der Schwangerschaft, so sehr sie aus der aktuellen Lebenssituation der Eltern verständlich erscheinen mag, wirft einen Schatten auf das werdende Leben, das es in seiner Seele mitträgt und das weitere Leben belasten kann.

Das junge Leben ist auf eine sichere und zuverlässige Umgebung angewiesen, um überleben zu können. Doch ist das Überleben in Frage gestellt, wenn bei den Eltern Zweifel oder Ängste bezüglich eines Kindes bestehen, gleich ob bei Vater, Mutter oder bei beiden. Selbst die Ablehnung durch die Eltern der Eltern oder andere nahestehende Personen kann beim Kind Existenzängste auslösen. Denn es ist völlig von Wohlwollen und Gewolltsein durch seine Umgebung abhängig. Es hat keine Macht über sein Schicksal, keine Möglichkeit sich mitzuteilen und kann auch nichts gegen die eigenen Ängste vor dem Ausgelöschtwerden tun.

Nach den Forschungen der Pränatalpsychologie gibt es vor allem zwei Momente, in denen eine solche Traumatisierung erfolgen kann: Gleich bei der Empfängnis, wenn bei den Eltern die Angst vor einer Schwangerschaft in der Sexualität mitspielt, und ein paar Wochen später, wenn die Mutter die Schwangerschaft bemerkt. Natürlich wirken darauf folgende Abtreibungsversuche zusätzlich massiv belastend auf das werdende Leben.

Die für das Kind essentielle Bindung zu Mutter und Vater ist durch eine Infragestellung der Schwangerschaft, also seiner Existenz, von Anfang überschattet und verunsichert. Diese Bindungsunsicherheit kann alle weiteren Beziehungen im späteren Leben erschweren und verkomplizieren. Es kann ein grundlegendes Lebensgefühl angelegt werden, nicht auf diese Welt zu gehören, keinen Platz zu haben, verbunden mit der Sehnsucht, an irgendeinen wunderbaren Ort in der Fantasie weit weit weg ein imaginäres Glück zu finden. Die Ängste, Zweifel und Sehnsüchte werden auf Eltern, Beziehungspartner und Freunde projiziert, die für die Abdeckung der enormen Sicherheitsbedürfnisse für zuständig erklärt werden und von dieser Aufgabe meist überfordert sind. Jedes kurze Zuspätkommen bei einem Termin, jedes unerfüllte Bedürfnis kann dann schon Dramen auslösen.


Die vermeintlichen Wunschkinder


Manchmal erzählen Eltern ihren Kindern, wie sehr sie erwünscht und willkommen waren. Das kann den Kindern guttun und ihre Lebenssicherheit stärken. Doch was bedeutet es, wenn Kinder die Mitteilung am Grund ihrer Seele nicht annehmen können und sich trotzdem unsicher in der Welt zu fühlen? Die wohlmeinenden Eltern sind, wie jeder Mensch, vom eigenen Unbewussten beeinflusst, meist ohne es zu merken. Kinder haben für diese Ebene ein Sensorium, ohne allerdings verstehen zu können, was da abläuft. Es kann sein, dass die Ängste der Eltern vor den Pflichten der Elternschaft verdrängt sind. Es kann auch sein, dass die Kinder mit unbewussten Erwartungen überhäuft werden, ohne dass es den Eltern bewusst wäre. Das Unbewusste der Eltern hat starke Neigungen, das neue Leben den eigenen Zwecken unterzuordnen. Ungelöste innere Konflikte, ungelebte Bestrebungen, unerreichte Ziele und Ideale werden an das Kind delegiert. Das winzige Lebewesen ist ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, das sich als Projektionsfläche für das Unbewusste der Eltern anbietet. Es saugt auf, was ihm eingeflößt wird.

Vielleicht auch wollen die Eltern mit ihrem ostentativen Willkommenheißen des Babys die eigene vorgeburtliche Bindungsunsicherheit kompensieren, sodass dieses dann die Sicherheit geben soll, die ihnen selber in ihrem frühen Leben gefehlt hat. Vielleicht wollen sie dem Kind mitteilen, dass sie es voll und ganz akzeptieren, wie sie es sich selber von ihren Eltern gewünscht haben. Vielleicht wollen sie besonders gute Eltern sein, weil sie aus der eigenen Kindheit so wenig davon mitnehmen konnten. Unzählige Varianten gibt es, die Kinder in den eigenen unbewusst agierenden Lebensplan einzubauen und sie damit für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.


Bedingungsloses Dienen


Was Kinder am Anfang ihres Lebens brauchen, um gut gedeihen zu können und von einem gesunden Fundament aus wachsen zu können, ist die bedingungslose Liebe und Akzeptanz der Eltern: Wir heißen dich genau so, wie du bist, willkommen, und wir wünschen uns, dass du so wachsen und dich entwickeln kannst, wie es deinen Anlagen und deinem Wesen entspricht, und wir versprechen, dich dabei zu unterstützen, so gut wir vermögen. Das ist die Botschaft, die Vertrauen und Sicherheit gibt, die Basis für jede weitere gute Entwicklung.

Frei von eigenen Ambitionen, Erwartungen, Projektionen sollte das Willkommen für ein neues Menschenwesen sein – ein hoher Anspruch. Denn es bedeutet, dass die Eltern, so weit es nur geht, von ihrem eigenen Ego Abschied nehmen müssen, damit dieser Anfang gelingt. Sie sollten über ihre Ansprüche Bescheid wissen. Alles, was sie aus ihrem unbewussten Inneren dem Kind auflasten wollen, sollten sie sich bewusst machen und verabschieden. Denn im Tiefsten will jeder Elternteil, dass sich das eigene Kind frei von Lasten aus sich selbst heraus frei entfalten kann.

Diese Haltung beinhaltet das weitere Programm der Kindererziehung, oder besser: der Förderung und Unterstützung der Kinder bei ihrem Aufwachsen (denn das Wort „Erziehung“ beinhaltet eine vorgegebene Richtung, in die der „Zögling“ gezogen werden soll). Dieses Programm besteht im bedingungslosen Dienen, im Geben ohne Rückversicherung, im Dasein mit und für die Kleinen. Kinder erweisen sich für alles erkenntlich, was sie bekommen, aber oft nicht in der Form, wie es die Eltern erwarten. Im Ganzen gesehen, gleich sich immer alles aus, aber nur, wenn die Haltung, die die Eltern in sich erarbeiten müssen, stimmt.

Der eigentliche Lohn des Elternseins liegt darin, die unvergleichliche Freude, die das neue einzigartige Wesen durch sein Sein als Geschenk anbietet, voll nehmen zu können.

Das meint Khalil Gibran in seinem berühmten Gedicht:


Eure Kinder sind nicht eure Kinder. sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit,
und Er spannt euch mit Seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;
Denn so wie Er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.

(Khalil Gibran, arabischer Dichter, 1883-1931)


Lit.: Helga Levend, Ludwig Janus (Hg.): Bindung beginnt vor der Geburt. Mattes Verlag 2011

Zum Weiterlesen:
Der Raub des Selbst

Montag, 29. Januar 2018

Leistung statt Freude?

Eine Komponente der „schwarzen“ Pädagogik, der dominanten Erziehungsform, der unsere Eltern-, Groß- und Urgroßelterngenerationen ausgesetzt waren und die deshalb bis heute in uns und unserer Kultur wirkt, stellt die Unterdrückung von positiven Gefühlen dar. Kinder, die sich zu viel freuen, werden den Ernst des Lebens nicht verstehen und nicht die Anstrengungen aufbringen, die notwendig sind, um später diese Herausforderungen zu bewältigen. Deshalb wäre es wichtig, die Freudenausbrüche der Kinder zu unterbrechen und sie konsequent auf den „Ernst des Lebens“ vorzubereiten.

Eltern, die aus dieser Erziehungstradition handeln, sind der (unbewussten) Auffassung, dass ihre Kinder auf eine feindliche Welt vorbereitet werden müssen, in der man sich jede Belohnung mühsam verdienen muss. Eine Position in dieser Welt kann man nur erwerben, wenn man die geforderten Leistungen erbringt. Die Gefühle von Freude und Leichtigkeit stehen dieser Haltung im Weg und müssen deshalb unterbunden werden. Nur so wären die Kinder für eine Welt gewappnet, in der einem nichts geschenkt wird.


Freudlose Religionen


Gespeist wurde dieser Aspekt der Pädagogik zusätzlich noch von der Tradition der Leibfeindlichkeit und Leidenspflege in der katholischen Kirche. Die Gläubigen sollten sich von übermäßiger Freude fernhalten, weil damit vergessen würde, dass sich Jesus durch sein Leiden bis zum Tod für die Erlösung der Menschen eingesetzt hat. Die Selbstaufgabe und der hingebungsvolle Einsatz für andere müsse deshalb im Vordergrund stehen, und alles, was unbeschwerten Genuss und einfache Freude bereitet, müsse mit Misstrauen betrachtet werden, weil die dahinterstehende Haltung der verderblichen Selbstsucht Vorschub leiste.  Außerdem sollten sich die Menschen immer bewusst halten, dass ihr eigenes Leben begrenzt ist und dass dieses dem guten Tun zu widmen sei, um sich damit ein ewiges Leben im Himmel zu verdienen, wo dann erst die Freude, allerdings in ewiger Dauer, zuteil wird. Die Erde als Jammertal und Ort von Mühen und Qualen hat das Weltbild vieler Menschen bis in die Pädagogik hinein geprägt und tiefe Spuren in den Motivationsgefügen der Menschen hinterlassen.

Denn es wird über die Jahrhunderte ein Muster etabliert und eingeprägt: Du bekommst erst ein Recht auf Freude, wenn du vorher Entbehrungen durchlitten hast. Die Freude ist kein natürliches spontanes Gefühl und sie ist auch kein Geburtsrecht der Menschen, sondern etwas, das durch das Durchleiden von Mühsal verdient werden muss.

Der Protestantismus hat dieser Verzerrung der Natur (die sich von sich aus einfach freuen will, wenn es einen Anlass gibt) noch eins draufgesetzt, indem einige der Reformatoren die Auffassung vertreten haben, dass nicht einmal genügt, sich durch Leistung den Zugang zur Freude zu verdienen, sondern dass diese ein unverdientes Geschenk darstelle, das der Gnade Gottes verdankt ist und von einem Menschen nicht eingefordert werden kann. Als Lebensaufgabe bleibt nur, sich permanent anzustrengen, um sich der Gnade für würdig zu erweisen.


Anpassung zum Überleben


Diese freudlosen Botschaften, die in den westlichen Religionen verankert sind, spiegeln die Lebensrealität über weite Strecken der Menschheitsgeschichte wieder. Über Jahrtausende konnten weitaus die meisten Menschen nur überleben, wenn sie sich den harten Außenbedingungen vorbehaltslos anpassten: Karge Ressourcen und starre Unterordnung unter hierarchische Zwänge. Die Kinder mussten von Anfang an dazu gebracht werden, dass sie in diese Korsette passen. Deshalb schien es konsequent, nicht mit der Rute zu sparen, denn es musste von früh an gelernt werden, Strafen durch Anpassung und Unterwerfung zu vermeiden. Auf diese Weise wurde die Selbstbestimmung und Selbstmotivation eingeschränkt, die in der Gesellschaft ohnehin keinen Platz hatte. Besser war es, das eigene Leben nach den Mechanismen von Belohnung und Bestrafung zu fristen.

Die Dynamik der Industrialisierung bis zur Digitalisierung hat dazu geführt, dass dieses Gesellschafts- und Kulturmodell mehr und mehr überflüssig wurde. Zunächst erforderte zwar die Fabriksarbeit Menschen, die zuverlässig und fehlerfrei einfache Vorgänge ausführen konnten, die also über ausgeprägte Selbsthemmungs- und Selbstkontrollmechanismen verfügen mussten. Aber die zunehmende Automatisierung führte zum Verschwinden gerade der einfachen und routinierten Arbeitsabläufe, die eben von Maschinen übernommen werden können.

Die komplexeren Aufgaben, die in der postindustrialisierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft anfallen, erfordern dagegen keine gehemmten und dressierten Individuen, sondern Menschen, die über Eigenmotivation und Kreativität verfügen. Und diese inneren Kräfte werden nur frei, wenn wir in Übereinstimmung mit uns selbst sind, wenn wir die spontanen Gefühle und Impulse in uns selber spüren und zulassen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir dauernd neue Fertigkeiten erlernen müssen, und nach Meinung vieler Psychologen ist Lernen nur dann effektiv, wenn es von Begeisterung angetrieben ist.


Arbeit gegen Freizeit


Die Folge ist eine zweigespaltene Gesellschaft, in der auf der einen Seite freudlos Leistungen erbracht werden, und auf der anderen Seite die Freuden in der Freizeit maximiert werden müssen. Funktionieren und Enthemmen, Anpassen und im Genuss Versinken, wie ein englischer Snob, der vor seinem Bentley und seiner Villa steht und meint: „Hier sage ich nur ‚Morgen‘, ein guter Morgen ist es erst auf der Jacht vor St. Tropez.“ Oft besteht allerdings der vermeintliche Genuss nur mehr darin, die Last der Entbehrungen möglichst effektiv loszuwerden – oder, wie im Fall des Snobs, die allgegenwärtige Langeweile zu bekämpfen. Für ein entspanntes Genießen und für die stillen Freuden, für ein Verweilen im Zauber des Moments  ist in diesem Lebensmodell kein Platz.


Zur Psychologie der Freudlosigkeit


Was passiert, wenn Kinder entmutigt werden, Freude und andere positive Gefühle zu genießen, sei es durch das unbewusst wirksame Beispiel, durch Abwertungen oder Androhen von Strafen? Sie sollen gezwungen werden, ein bestimmtes, von außen festgelegtes Verhalten zu zeigen. Die Drohung löst Angst aus, und dadurch wird der Selbstbezug gehemmt. Die Kinder verlernen, sich selber, die eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Motivationen zu spüren. Selbstbestimmtes Handeln wird gehemmt. Vorsätze, die den eigenen Wünschen entsprechend, können schwerer umgesetzt werden.

Wo es die Möglichkeit gibt, positive Gefühle selbst zum Ausdruck zu bringen und dadurch Selbstmotivation entsteht, kann der Selbstzugang wachsen: Die Selbstmotivation kommt aus dem Selbst, und dadurch wird selbstkongruentes Verhalten möglich. Das Freudeverbot verhindert diesen Weg in das selbstbestimmtes Handeln. Allerdings erleichtert es das Umsetzen von automatisierten und routinierten Verhaltensabläufen, ist also für das Funktionieren in einer einfachen Industriegesellschaft geeignet.

„Hemmt man positive Gefühle, so kann man sogar besonders gut über schwierige, ja sogar völlig unrealistische Ziele und Ideale nachdenken (weil das Intentionsgedächtnis und das Denken durch Hemmung der Freude intensiviert wird) und man kann Aufträge und Instruktionen ausführen, besonders wenn diese keine besondere Planung brauchen, also direkt ausführbare Handlungsroutinen ansprechen. ... Wenn Frustrationstoleranz und Opferbereitschaft mehr eingeübt werden als Freude und Genussfähigkeit, besteht die Gefahr, dass Menschen sich in ihren Idealen und guten Vorsätzen verfangen, bis sie kaum noch etwas von ihren anspruchsvollen Idealen umsetzen können und immer mehr auf Fremdsteuerung durch Routinen, Regeln und Geboten angewiesen sind, die auch ohne positive Gefühle umgesetzt werden können.“ (Aus: Julius Kuhl: Spirituelle Intelligenz, S. 119f)


Neid auf die Lebendigkeit


Warum kommen die Eltern mit der spontanen Begeisterung und Freude der Kinder nicht zurecht? Kinder drücken über ihre Gefühle ihre Lebendigkeit aus, von Anfang an, also sobald sie auf der Welt sind und schon davor. Das erinnert die Eltern an die eigene nicht gelebte Lebendigkeit, und diese Erinnerung löst Sehnsüchte und Ängste aus: Der Wunsch nach dieser Lebendigkeit und die Ängste, die mit den Versagungen und Bestrafungen verbunden waren, die in der eigenen Kindheit auf Gefühls- und Lebendigkeitsausdruck gefolgt sind. Da sie gelernt haben, ihre Wünsche zu verleugnen und mit Anpassung die Angst vor Bestrafung zu bewältigen, geben sie diese Botschaft ans Kind weiter: Lebendigkeit ist bedrohlich, für dich und für andere. Freude und Überschwang führen zu Leid. Zügle deine Lebendigkeit, dämme deine Begeisterung ein, dämpfe deine Freude. Dann kommst du besser zurecht mit einer Wirklichkeit, in der es um Anpassung, Verzicht und Selbstbeschränkung geht.


Leistungsentlastung und die Räume der Freude


Es könnte sein, dass sich unsere Gesellschaft in die Richtung entwickelt, dass nur noch eine Minderheit einer Erwerbsarbeit nachgehen kann, weil ansonsten ein Großteil der notwendigen Tätigkeiten von Maschinen erledigt wird. Wer keinen Platz in der Arbeitswelt findet, kann die Selbstdefinition über Leistung aus Anpassung und Verzicht hinter sich lassen. Sie wird nicht mehr benötigt. Der biblische Fluch, das Brot im Schweiß der Mühsal zu essen, verliert seine Macht, wie alle anderen Formeln und Rituale der schwarzen Pädagogik.

In jedem Fall sollten beginnen, die Relikte der freud- und lustfeindlichen Pädagogik abzuarbeiten, alle daraus stammenden Konditionierung zu überwinden und unsere natürlichen Anlagen zu allen positiven Gefühlen völlig freizulegen. So können alle Gefühle spontan fließen und unseren Selbstausdruck stärken. Wir pflegen und stärken die Fähigkeit, uns an den großen und kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen und aus diesen Freuden die Kreativität zu entwickeln, um unser Selbst zum Ausdruck zu bringen, zur Freude für die anderen Menschen.  In Übereinstimmung mit dem, was sich in uns zeigt, entfalten wir uns am leichtesten und halten mit unserer inneren Harmonie auch unsere Gesundheit aufrecht. Wir können die Räume, die frei werden, mit Freude und Lebensgenuss füllen, sie warten schon drauf.


Zum Weiterlesen: 
In der Mangel des Erfolgsstrebens
Das soziale Gewissen und die Verachtung des Schwachen
Der Verlust und die Wiedergewinnung der Lebendigkeit

Samstag, 20. Januar 2018

Die Jagd nach der Erfahrung

Unser Leben ist die Summe unserer Erfahrungen, entlang der Zeitleiste, die uns zugemessen ist. Wir haben den Drang, diese Zeit bestmöglich zu füllen. Sonst könnte es passieren, dass dieses unser Leben seinen Sinn und seine Bedeutung verliert, was soviel heißt wie, dass wir selber unseren Sinn und unsere Bedeutung verlieren, und diese Vorstellung verursacht ungute bis grauenvolle Gefühle.

Wir müssen also herausfinden, wie wir diese Zeit optimal nutzen. Im Grund können wir unser Leben als die Suche nach diesem Optimum beschreiben, als eine Reise, die weniger ein fix definiertes Ziel hat, wie Schruns-Tschagguns oder Paris, als vielmehr einem Herumirren zwischen Versuchen und Irrtümern gleicht. Denn auch wenn wir in Paris als unserem Reiseziel angelangt sind, müssen wir erst die Zeit, die wir dort verbringen, auf eine optimale Weise mit Erfahrungen füllen. Es erschiene ja seltsam, in diese Stadt zu reisen und die Zeit dort nur mit Fernsehen oder Kreuzworträtsellösen im Hotel zu verbringen. Wer würde von einer solchen Erfahrung seinen Freunden erzählen? Vielmehr wollen wir uns möglichst vollsaugen mit dem Neuen, was sich uns zeigt: Die Sehenswürdigkeiten, die Schönheiten, die Besonderheiten. Davon können wir, so hoffen wir zumindest, in der Zukunft zehren, wenn es uns an Neuem in unserem Leben mangelt. Wir speichern die spezielle Erfahrungsqualität eines Pariser Frühstückcroissants oder des Lächelns der Mona Lisa herein, und unser zukünftiges Leben ist vor Leere und Langeweile gefeit, so hoffen wir. Jederzeit können wir uns die Erinnerung zurückholen, wenn wir nur die Erfahrung möglichst intensiv gemacht haben.

Spitzenerfahrungen als Versicherung gegen das Unglück


Wir wollen all diese besonderen, herausragenden Erfahrungen sicher und dauerhaft abspeichern, damit sie uns die Gefühle, die mit den Erfahrungen verbunden waren, möglichst zuverlässig und dauerhaft abrufbar machen. Dieser einzigartige Sonnenuntergang bekommt einen prominenten Platz in unserem Erinnerungsspeicher, wir haben viel darin investiert, ihn zu finden, nun soll er in aller Zukunft von Nutzen sein. Deshalb bilden wir ihn ab, und deshalb schicken wir die Abbildung an all die Menschen um uns herum. Indem sie wissen, was wir erlebt haben, können sie uns daran erinnern, sollten wir die Erinnerung und ihren Erfahrungsgehalt vergessen.

„Der Versuch, unser Leben nicht zu einer Vergeudung zu machen, indem wir ein paar besonders bemerkenswerte Ereignisse suchen, macht den Rest unseres Lebens zur Vergeudung.“ (Mark Greif: Against Everything. On Dishonest Times, Verso 2016, S. 94) Der Versuch also, unser Leben besonders optimal anzufüllen, kann darin münden, dass wenigen Spitzenerfahrungen eine beängstigend große Menge an belanglosen Zeiten gegenübersteht. Mehr noch, im Kontrast zur Grandiosität einzelner Erfahrungsmomente kann der Rest, der Großteil des Lebens, umso mehr in die Bedeutungslosigkeit absinken.

Um das zu verhindern, wollen wir an den hervor-ragenden Ereignissen festhalten, wir wollen die Zeit um sie herum in die Länge ziehen, damit wir nie wieder ins öde Umland zurückkehren müssen. „Das Konzept der Erfahrung macht uns zu Siedlern in einem Dorf am Plateau, die an einem Mythos von einer glücklicheren Menschenrasse festhalten, die auf den Gipfeln leben. Manchmal klettern wir hinauf, aber nur mit Vorbereitung, für kurze Expeditionen. Wir können dort nicht bleiben, und alle sind dann unruhig und unzufrieden zuhause.“ (ebd.)

Das Rezept zur Unzufriedenheit liegt in der Hochstilisierung des Herausragenden, wodurch eine starre Spannung zum Normalen, Alltäglichen, Unspektakulären erzeugt wird. Je intensiver wir die spezielle Erfahrung in uns verankern, desto weiter fallen die vielen anderen weniger extravaganten Ereignisse unseres Lebens dagegen ab. Und sie müssen auch abfallen, denn die Intensiverfahrung lebt aus dem Kontrast zum ausgebreiteten Flachland, das vor allem mit Bedeutungslosigkeiten angefüllt ist. Je mehr wir in den Zeiten des eingeebneten Lebens an der Leere und am Nichtvorhandensein von Sondererfahrungen leiden, desto erfüllter offenbart sich das Leben, wenn es uns Gipfelerfahrungen zuschanzt. In der westlichen Lebensweise ist diese Spannung abgebildet als das  Pendeln zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen Job und Urlaub. Die Hoffnung auf die Erlösung aus dem Müssen in der öden Ebene dient als Quelle zum Aushalten der langen Durststrecken zwischen den kurzen Phasen des Hochgefühls. Dazu hoffen wir auf einen Lottogewinn oder eine gut dotierte Frühpension, um endlich den Urlaubszustand zum Dauerzustand machen zu können.

Bewertungskriterien


Was ist optimal? Hier leben sich emotionale Muster aus, die sich aus erlittenen Frustrationen und deren Bewältigungsstrategien ableiten. Die ganz besondere Erfahrung, nach der wir jagen, soll uns alles vergessen lassen, was wir je an Widrigkeiten überstehen mussten. Es muss etwas ganz Neues, Überraschendes, Noch-nie-Dagewesenes sein, damit keine alte schlechte Erinnerung etwas davon anpatzen kann. Diese exquisite Speise liefert deshalb eine so besondere Erfahrung, weil sie mit nichts assoziiert ist, was in der Kindheit Essprobleme bereitet hat. Sie ist absolut unschuldig und lässt uns unser Leiden vergessen.

Erfahrungsabstinenz?


Wie können wir uns aus der Spannung befreien? Offensichtlich bringt es nichts, wenn wir den Erfahrungshunger und die Erfahrungsgier durch ihr Gegenteil, die Erfahrungsabstinenz ersetzen und die Spannung dadurch wegkürzen, dass wir das Besondere der Erfahrung verkleinern, indem wir z.B. die Unvollkommenheiten von intensiven Erfahrungen in den Vordergrund rücken: Den unangenehmen Geruch einer Abfallhalde in der Nähe des Punktes, von dem der Sonnenuntergang am schönsten beobachtet werden kann, der Autolärm beim Genuss eines Pariser Frühstücks oder die Touristenschwärme um den Eiffelturm. Es macht uns auch nicht glücklicher, wenn wir das Besondere zum Alltäglichen machen, indem wir z.B. den Urlaub dort verbringen, wo es dem Zuhause am ähnlichsten ist und wir all unseren Alltagsgewohnheiten weiter frönen können.

Wenn wir uns resignativ im Gewohnten verschanzen, weil alles andere mit Risiken und Unwägbarkeiten behaftet ist und uns mit Ängsten konfrontiert, richten wir uns bloß bequem in der Komfortzone ein und bauen einen Zaun mit Sichtschutz um sie herum auf. Wir ebnen das Unebene ein, damit nichts den seichten Strom des Immergleichen irritieren kann. Es regt nur mehr das auf, was außerhalb der eigenen Einflusszone steht, im Inneren wird die ewige Ruhe ausgerufen.

Die Radikalität der Erfahrung


Der wirkliche Ausweg ist radikaler. Er liegt darin, dass wir das Konzept von Ebene und Gipfel, von Alltag und Extravaganz, vom Belanglosen und Besonderen überwinden und hinter uns lassen. All diese Entgegenstellungen verzerren die Realität. Auf ihrer Grundlage basteln wir ein Lebensmodell, mit dem wir die Wirklichkeit polarisierend auseinanderreißen und uns dann wundern, wenn unsere Unzufriedenheit nicht weniger wird.

Wir müssen aufhören, die Möglichkeit einer optimalen Erfahrung irgendwo in die Zukunft oder an einen möglichst weit entfernten Ort zu verbannen, sodass wir sie immer wieder mühsam suchen müssen. Alles, was es braucht, ist,  sie im jetzigen Moment zu aufzufinden, denn nur dort gibt es sie. Wenn wir in diesen Moment eintauchen, ist diese Erfahrung weder eben oder öd noch herausragend, sondern sie ist da in ihrer Unvergleichlichkeit, weder toll noch fad, weder schön noch hässlich, weder pointiert noch flach. 

Wir müssen nur das Vergleichen rausnehmen, das die Gewohnheit hat, sich wie ein Zerrschleier über das Erleben breitet, indem es jedem Inhalt eine Bewertungsmarke von einem anderen Inhalt anhängt. Nichts darf so sein, wie es ist, vielmehr wird alles in Bezug zu etwas anderem gesetzt, und aus diesem Bezug wird der Wert abgeleitet. Die Erfahrung A ist gut, weil sie besser ist als B, aber nicht so gut wie C usw. Das Vergleichen nimmt der Erfahrung ihren Eigenwert, ihre eigene ganz besondere Bedeutung, die wir im Moment des Erlebens aufnehmen können, wenn wir eben nicht ins vergleichende Bewerten gehen.

Die Qualität des Optimalen, die wir in der Spitzenerfahrung suchen, die Intensität des Erlebens, hängt nicht vom Äußeren ab, sondern bildet sich durch unsere innere Einstellung. Wir können davon ausgehen, dass jede Erfahrung auf einer Skala soundso weit vom Optimalen entfernt ist, oder dass diese Erfahrung in diesem Moment das Optimale ist, das wir haben. Mit dieser Einstellung können wir überall und jederzeit den unvergleichlichen Sonnenuntergang, die traumhaft schöne Natur und das wunderschöne Kunstwerk erleben. Das Leben zeigt sich uns in jedem Moment in all diesen Qualitäten, und es liegt an uns, sie wahrzunehmen oder zu ignorieren. Wählen wir den vorurteilslosen Blick, die un-befangene Wahrnehmung, statt die Verschleierung durch Vergleichen und Bewerten! Das gibt uns auch in unangenehmen Situationen, also solchen, die nicht unseren Präferenzen und Erwartungen entsprechen, einen Anlass zum Staunen.

Die Erfahrung als Erfahrung akzeptieren


Der erste Schritt, damit wir uns mit dem Optimalen der jeweils aktuellen Erfahrung verbinden können, liegt im Akzeptieren der Erfahrung als Erfahrung. Die Erfahrung ist das, was uns der Moment gibt, nicht mehr und nicht weniger. Wir haben die Wahl, uns darauf einzulassen, d.h. dass wir keine Konzepte und Vergleiche, keine Interpretationen und Einordnungen über das Erlebte drüberstülpen, sondern es als das, was es ist, da sein lassen. Es mag angenehm oder unangenehm, schön oder hässlich, gut oder böse sein – es ist, was es ist, und im Akzeptieren nehmen wir es an.

Was ist, macht sowieso im nächsten Moment Platz für das nächste, was ist. Die Angst, die uns am Akzeptieren hindert, ist oft, dass wir glauben, was jetzt ist, bleibt und wird sich nie verändern (wenn es unangenehm ist), oder verschwindet und kommt nie wieder (wenn es angenehm ist). Sobald wir annehmen, was unsere Erfahrung ist, merken wir, dass es sich von Moment zu Moment ändert. Wir erkennen, dass es wieder nur unsere Vorstellungen und Denkkonzept sind, die uns suggerieren, wir müssten etwas an unseren Erfahrungen loswerden oder festhalten. Das ist die zentrale Botschaft des Buddha: Alles Leiden entspringt aus dem Loswerdenwollen oder Festhaltenwollen. Die Heilung liegt immer im Sein-Mit, im annehmenden Umfangen dessen, was sich gerade als unsere Erfahrung zeigt. Da gibt es nichts mehr zu suchen oder zu finden, da ist einfach, was ist. 


Zum Weiterlesen:
Halbwahrheiten - schlimmer als Unwahrheiten

Mittwoch, 3. Januar 2018

2017 - das beste Jahr der Menschheit?

Wird die Welt schlechter oder besser? Wie sollen wir das entscheiden? Aus den Medien erfahren wir vieles, was auf eine Verschlimmerung hinweist. Doch gibt es auch Fakten, die wir bei der Beurteilung der Richtung, in der sich die Menschheit entwickelt, zur Kenntnis nehmen sollten.

Der New-York-Times-Journalist Nicholas Kristof behauptet, dass 2016 das beste Jahr in der Menschheitsgeschichte war und 2017 noch besser werden könnte. Was spricht trotz all der Kriege, politischen Ereignisse und Umweltkatastrophen dafür?

Jeden Tag nimmt die Zahl an armen Menschen auf der Welt um 250 000 ab, d.h. alle vier Tage entkommt nach Berechnungen der Weltbank eine Million Menschen der ärgsten Armut. Umfragen in den USA haben übrigens ergeben, dass 90 % der Amerikaner glauben, dass die Armut auf der Welt steigt oder gleichbleibt, darunter offensichtlich auch der Präsident. So ist es nicht verwunderlich, dass die US-Regierung darüber nachdenkt, die Mithilfe bei der Armutsbekämpfung auf der Welt einzustellen, weil es ja ohnehin keinen Unterschied mache. Und wieder ein Beispiel, wo wir hinkommen, wenn wir unsere Meinungen mit Fakten verwechseln.

Die Einkommensunterschiede zwischen arm und reich sinken weltweit, das vor allem wegen des Rückgangs der Armut in Indien und China. Seit 1990 konnten durch Impfungen, Durchfallbehandlung, Stillpropagierung und andere Bemühungen 100 Millionen Kindern das Leben gerettet werden, auf jeden Tag umgerechnet sind das 18 000 Kinder. Bis in die 1960er Jahre waren mehr als die Hälfte der Menschen Analphabeten. Trotz der stetig wachsenden Weltbevölkerung sind heutzutage 85 % der Erwachsenen alphabetisiert, Tendenz weiter steigend. Jeden Tag steigt die Zahl der Menschen, die Zugang zu Elektrizität haben, um etwa 300 000 Menschen, und das bedeutet nicht nur, dass sich der Lebensstandard verbessern kann, sondern dass über die Internet-Nutzung auch die Bildungschancen steigen.

Zugang zur Elektrizität


Ein Schlüssel zur Messung des Wirtschaftswachstums, Lebensstandards und der Armutsbekämpfung liegt im Zugang zur Elektrizität. Die Preise von Strom aus der Windenergie gehen zurück, was Zahlen aus UK und USA belegen. Was vielleicht noch wichtiger ist, dass die Kosten für Solarelektrizität weiter sinken und in Indien nur mehr 0,65 $ pro Watt betragen. Dieser Preisverfall geht auf Kostenreduktionen in allen Bereichen der Solarstromerzeugung zurück. Ebenso sinkt die geographische Varianz, d.h. der Markt regelt zunehmend den Preis. Somit wird Solarstrom noch günstiger und der Zugang zu ihm demokratischer. Nachhaltige Energie wird zunehmend auf der ganzen Welt zugänglich und leistbar.

Wassergewinnung


Auf dem Gebiet der Wasseraufbereitung gibt es aufregende Neuigkeiten. Ein Wissenschaftlerteam des Massachusetts Institute of Technology hat kürzlich ein solar-betriebenes Gerät entwickelt, das mit Hilfe eines metall-organischen Gerüsts trockener Luft Feuchtigkeit entziehen kann. Wenn das Sonnenlicht auf das Gerät auftrifft, wird das Gerüst aufgeheizt, wodurch Wasserdampf zu einem Verflüssiger geleitet wird, in dem es zu fließendem Wasser wird. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 20 – 30 % konnte der Prototyp der Luft in zwölf Stunden 2,8 Liter Wasser entziehen. Dafür wird nur ein Kilo des Gerüsts benötigt, und auf diese Weise kann Wasser viel effizienter bei geringer Luftfeuchtigkeit aus der Luft geerntet werden als mit bisher bekannten Technologien. Stellen wir uns nur vor, dass alle Familien, die  in wasserarmen Regionen leben, ein solches Gerät bekommen!

Eine andere Erfindung von Wissenschaftlern der University of Manchester erlaubt das Filtern des Salzes aus dem Meerwasser durch ein graphen-basiertes Sieb. Die Herstellung von Graphen, einem Kohlenstoff, dessen Atome künstlich angeordnet sind, galt bisher als sehr schwierig. Doch die Produktion konnte wesentlich vereinfacht werden, sodass hoffentlich bald eine weitere Hilfe für Menschen in wasserarmen Gebieten bereitgestellt werden kann. Graphene haben dazu noch weitere interessante Anwendungsmöglichkeiten in der Elektronik, die hier zu neuen Durchbrüchen führen können.

Die Zurückdrängung des Hungers


Es gibt auch steten Fortschritt in der Bekämpfung von Nahrungsmangel und Hunger. Es gibt sogar die Möglichkeit, Leder und Fleisch im Laboratorium herzustellen, ohne dass Tiere leiden müssen. Das Verfahren heißt Bioprinting. Nun ist es finnischen Forschern gelungen, ein Gerät zu entwickeln, das mit erneuerbarer Energie nahrhafte einzellige Proteine erzeugen kann. Das System kann unter verschiedenen Umweltbedingungen eingesetzt werden, die für die traditionelle Landwirtschaft nutzlos sind. So scheint es möglich zu werden, in Zukunft in Wüstengebieten Nahrung zu produzieren.

Im Nachbarland Schweden ist es gelungen, CO2-Abgase einer Wodka-Firma für die Produktion von Algen zu nutzen. Diese Algen können dann Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA herstellen, die typischerweise in Fischen gefunden werden.  Mehr und mehr Wege werden entdeckt, damit sich eine wachsende Zahl von Menschen ernähren können, ohne dass die knappen Ressourcen der Erde belastet werden.

Drohnen und die Umwelt


Früher wurden Tiere von den Forschern vom Hubschrauber aus oder mit feststehenden Kameras manuell gezählt. Jetzt machen Drohnen die Aufnahmen, das maschinelle Lernsystem zählt verschiedene Typen von Tieren und menschliche Freiwillige helfen beim Training des Algorithmus, indem sie die Entdeckungen verifizieren. Es geht schneller, billiger, einfacher und genauer.

In Bengaluru bekämpfen Forscher des indischen Wissenschaftsinstituts die Entwaldung mit Drohen, die Samen in Gebieten ausstreuen, die sonst nicht erkundet werden können. Das Ziel ist es, 4000 Hektar in der Gegend zu bepflanzen.

Hier zur Quelle, die noch viele andere Berichte bietet.

Die Menschheit entwickelt sich weiter. Auf der einen Seite stehen die kreativen und sozialen Initiativen, die versuchen, das Leben der Menschen zu erleichtern und zu demokratisieren. Dazu braucht es ein systemisches Denken, die Rücksichtnahme auf die Komplexität und das Absehen von kurzfristigen Eigeninteressen. Auf der anderen Seite stehen Angst und Gier, die ebendiese Interessen in den Vordergrund drängen wollen. Unser Beitrag, dass die Entwicklung der Menschheit zum Besseren gelingt, kann nur darin, mit unseren Mitteln ersteres zu stärken und zweiteres zu schwächen, damit 2018 2017 in möglichst vielen essentiellen Belangen übertrifft.

Zum Weiterlesen:
2016 - Anlass für Optimismus