Dienstag, 27. August 2013

Geduld: Sich dem Leben anvertrauen

Verlange nicht, dass die Dinge gehen, wie du es wünschst, sondern wünsche sie so, wie sie gehen, und dein Leben wird ruhig dahin fließen. (Epiktet, Enchiridion 8)

Quelle
Dieses Zitat des Stoikers will uns sagen, dass wir auf den Fluss des Lebens vertrauen können. Das Leben führt uns, und wir passen uns diesem Strom an. 

Die Wünsche, die in uns auftauchen, können wir dem Fluss anvertrauen, ohne fixiert und stur auf ihnen zu beharren. Lassen wir die Wünsche wie kleine Schiffchen mit Lichtern
auf dem dahinfließenden Wasser treiben.

Die Wünsche, die uns das Leben erfüllt, sind die stimmigen; die es uns verweigert, sind nicht stimmig oder brauchen noch Zeit. Johann Wolfgang von Goethe schrieb: „Man säe nur, man erntet mit der Zeit.“ (Und meinte damit wohl auch die Frauen).  Wir geben den Impuls, und vertrauen darauf, dass das geschieht, was sein soll.

Wenn wir auf unseren Wünschen beharren, üben wir Druck aus auf das Leben. Wenn die Erfüllung nicht eintritt, werden wir angespannt, so überträgt sich dieser Druck auf uns, und wir leiden daran. Wir müssen dem Leben die Zeit lassen, die es braucht. Wenn Menschen eine belastende Erfahrung erleben, die sie unter Druck und Schock versetzt, brauchen sie Zeit, um das zu verarbeiten. Wird ihnen diese nicht gewährt, weil der Druck weitergeht oder neue belastende Erfahrungen dazu kommen, wird das Ereignis als Trauma abgespeichert und nimmt dem Leben Energie weg für seine Verbannung ins Unterbewusste. 

Dort liegen die Quellen von Ungeduld. Und Ungeduld ist eine der wichtigsten Quellen von Unzufriedenheit. Dazu noch ein Zitat: "Alle menschlichen Fehler sind Ungeduld." (Franz Kafka)

Wollen wir also zufriedener in und mit unserem Leben sein: Wann immer wir ungeduldig sind, können wir uns darauf besinnen: Es ist das Leben, das bestimmt, was passiert und was nicht. Wir müssen das nicht mit unserem kleinen Verstand kontrollieren und überwachen. Wir müssen uns nicht über alles kümmern, wir haben genug zu tun mit unseren kleinen Dingen. Das Zeitmanagement im Großen können wir dem Größeren überantworten.

Samstag, 24. August 2013

Über die Pflicht zum Optimismus

Wir sind Teil eines offenbar unendlichen Universums, das offenbar expandiert. Wir sind ein Entwicklungsglied in der Evolution des Lebens auf diesem Planeten. Wir sind Angehörige einer Kulturstufe in der Entwicklung der Menschheit. Und wir sind in der Lage, diese großen Zusammenhänge und Tendenzen in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Wie wir das tun, macht uns entweder zu Optimisten oder zu Pessimisten.

Shakespeare ließ Hamlet sagen: There is nothing either good or bad, but thinking makes it so. (Hamlet 2,2) - An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.
Die Wirklichkeit ist also weder gut noch schlecht, sondern unsere Wahrnehmung ist es, die das Etikett darauf klebt. Was mir gut tut, stimmt mich gut, was mir schlecht tut, trübt meine Stimmung. Der Regen ist dem einen Segen und dem anderen Fluch, dem einen bringt er Glück, dem anderen Verderben. Für sich selbst ist der Regen einfach Regen.
Wie ist der Mensch - gut oder schlecht, verbesserbar oder aussichtslos? Der anthropologische Pessimismus behauptet, dass die Entwicklung der Welt, die Menschen eingeschlossen, schlecht oder böse sind (alle oder einige, manchmal ist die eigene Person ausgenommen), und dass das immer so war und immer so sein wird. Deshalb kann es auch keinen wirklichen Fortschritt zum Besseren gegeben, es ändern sich nur die Formen der Verschlechterung.

Es gibt jede Menge Argumente, die diese Sichtweise unterstützen: die endlose Blutspur von Gräueltaten, die sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, die giergetriebene Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, die tagtäglichen Respekts- und Lieblosigkeiten usw. Eine andere Unendlichkeit von Argumenten unterstützt ihr Gegenteil, den anthropologischen Optimismus. Er behauptet, dass es einen Fortschritt gibt, der das Leben und die Lebensbedingungen der Menschen immer mehr verbessert und es damit den Menschen erlaubt, immer besser zu werden: In vielen Ländern ist die Angst vor dem Verhungern und vor Seuchen gebannt, Jahrtausende verfeindete Nationen haben zu einem friedlichen Zusammensein gefunden, viele Menschen setzen sich selbstlos für Notleidende ein usw.

Man kann endlos Argumente bringen für das Gute oder das Böse, für das Edle oder das Verkommene im Menschen. Ich behaupte hier, dass es keine Frage ist, die empirisch oder statistisch bewiesen werden könnte. Es gibt keine Waagschale, die groß genug wäre, alle Ansichten und Meinungen zu sammeln, die für das eine oder das andere sprechen. Es gibt auch keinen Maßstab, der die Motive und Handlungen der Milliarden von Menschen, die auf diesem Planeten leben und gelebt haben, vergleichen und gegeneinander abwägen könnte.

Sei optimistisch!


Vielmehr meine ich, dass es sich um einen ethischen Appell handelt: Wir mögen, sollen, müssen optimistisch sein! Das ist ein Appell, der nicht unserer Willkür unterliegt, sondern behauptet, Gutes zu befördern und Schlechtes hintanzuhalten, für die Einzelnen und für die Gemeinschaft.

Was soll das? Wer will mir anschaffen, dass ich die Welt schwarz oder weiß zu sehen hätte? - Missverständnis: Natürlich geht es nicht um einen allgemeinen autoritativ verkündeter Imperativ, um eine Norm, die eingefordert oder erzwungen werden könnte. Sondern es geht um eine Selbstverpflichtung, die wir in uns finden können, wenn wir erkennen, dass sie für uns und für andere von größerem Nutzen ist als die Orientierung am Gegenteil. Dabei kann uns die Einsicht helfen, dass der Optimismus auf der Verbindung mit unserem inneren Leben, unserer Natur und ihren Vollzügen beruht, dass also ein recht verstandener Optimismus mehr unserem Wesen als Menschen entspricht als der Pessimismus.

Der Pessimist ist ein Egoist


Zunächst zur Kritik am Pessimismus: Meist verwenden wir ihn als Ausrede, häufig selbstkokettierend. Ich male mir was besonders Übles aus für die Zukunft, um dann erleichtert zu sein, dass es doch nicht so schlimm gekommen ist. Auch die Weltuntergangspropheten und ihre Anhänger spekulieren mit dem relativen Gewinn, den der präventive Pessimismus verspricht: Tritt die Katastrophe ein, haben sie zumindest kurzfristig Recht. Tritt sie nicht ein, können sie erleichtert sein, dass wenigstens diesmal nichts passiert ist. Relativ ist der Gewinn, weil er einen Selbstbetrug enthält: Der Gewinn liegt bestenfalls im Nichtstattfinden eines imaginierten Unheils.

Pessimisten kultivieren ihre Ängstlichkeit. Statt sich ihrer Ängste anzunehmen, manchen sie daraus Theorien und Gedankengebäude, mit denen sie diese Ängste verstärken und verewigen.  Alle Argumente, die sie für ihre Position in Anspruch nehmen, sind von solchen Ängsten aneinandergereiht.

Dabei taugt der Pessimismus nicht einmal zur Begründung der eigenen Lebenspraxis. Er rechtfertigt alleine einen nichtsnutzigen Fatalismus: Wenn alles schon schlecht ist und nur noch schlechter wird, hat es keinen Sinn, etwas dagegen zu tun. Der Einsatz für das Gute oder das Bessere wird verächtlich abgewertet, weil er, wie jedes Engagement, aus der Sicht des Pessimismus dumm und sinnlos ist.

Damit fördert und propagiert der Pessimist nichts als seine Weltanschauung, die sich durch sein Denken und Tun fortwährend selbst bestätigt. Er nutzt die Mechanismen der selektiven Wahrnehmung, mit deren Hilfe alles weggefiltert oder weginterpretiert wird, was der negativen Weltsicht und Zukunftserwartung widersprechen könnte und sorgfältig alles gesammelt wird, was belebt, wie schlecht die Menschen und ihre Umstände sind.

Ignoriert oder verraten wird die Kraft des Lebens, die über unsere Zwecksetzungen hinaus das individuelle Leben, die Gemeinschaften und die Kulturen weiterentwickelt. Und damit verknüpft ist ein Schaden für uns und für unsere Umgebung.

Der Pessimist ist ein Egoist. Er mutet seiner Umwelt seine Missstimmung, seine Ängstlichkeit und sein Jammern zu und sorgt dafür, dass die Stimmung der anderen hinuntergezogen wird.

Weshalb sind Pessimisten unehrlich zu sich selber? Indem sie verleugnen, was die Kraft des Lebens in ihnen bewirkt, verleugnen sie, wer und was sie sind. Sie verdrängen oder vergessen, dass sie die ganze Zeit, während sie ihrem Pessimismus huldigen, leben und dass sie dieses Leben nicht sich selber, sondern einem größeren Ganzen zu verdanken haben. Ohne das Wirken dieses Lebens in ihnen wären sie nicht bis dorthin gekommen, wo sie jetzt sind, ohne dieses Wirken würden sie es nicht um die nächste Ecke schaffen. Nicht einen einzigen pessimistischen Gedanken könnten sie fassen, wenn es das Leben in ihnen nicht zulassen würde.

Wir haben die Wahl, diese Bewegung des Lebens, und im größeren Rahmen der Bewusstseinsevolution zu unterstützen und ihr unseren kleinen Beitrag hinzuzufügen oder sie zu bremsen und zu blockieren, weil wir nicht ihrer Weisheit vertrauen, sondern unseren engstirnigen, mit Angst versetzten Konditionierungen.

Natürlich ist niemand ohne Grund pessimistisch. Wir können und sollen immer wieder versuchen, die Gründe zu verstehen, wenn unsere Mitmenschen in ihren negativen Lebenserwartungen gefangen sind. Aber wir müssen uns nicht auf das Spiel der Pessimisten einlassen und sollten uns von ihren Ängsten nicht anstecken lassen.

Optimisten verringern dagegen das Ausmaß der Angst in der Welt. Deshalb sollten wir zu ihnen gehören. Denn wenn wir die Angst vermehren, arbeiten wir aktiv an der Verschlechterung der Welt mit. Mehr Angst bewirkt mehr Gier und Gewalt, mehr Leid und Not. Deshalb sollten wir uns dem Vertrauen auf das Gute verpflichten.

Manche Pessimisten verstecken ihren Selbstbetrug hinter einem eingeschränkten Realismus - sie setzen sich eine Brille auf, die alles Gute wegfiltert und behaupten dann, dass der Blick auf die Realität lehre, dass das Schlechte das Gute überwiege. Doch, wie wir von Hamlet gelernt haben, ist es nicht die Realität, die gut oder schlecht ist, sondern der Blick auf sie, womit der Pessimist nichts Neues verkündet als: Ich will, dass die Welt schlecht ist und immer schlechter wird, und bestätige mir das durch meine selektive Wahrnehmung. Ich erkenne, was ich erkennen will, erkenne also nichts als meine eigene Erwartung. Ich sperre mich in das Gefängnis der permanenten Selbstverweise, von dem Hamlet spricht, und das letztlich in den Wahnsinn treibt.

Für einen realistischen Optimismus


Der optimistische Realismus dagegen bedeutet, die Realität als Gegenüber für die eigenen Wünsche und Ideale zu akzeptieren. Die eigenen Fantasien sind nicht immer das, was das Gute ist, weil sie aus unseren vergangenen Erfahrungen gespeist sind, die wiederum die Spuren alter Ängste beinhalten. Da kann uns die Begegnung mit der Realität lehren, dass alles immer auch anders sein kann, als es unserer Vorstellung entspricht. Damit werden unsere Ideen daran gehindert, sich zu verfestigen und realitätsverzerrend in unsere Wahrnehmungsfilter einzudringen.

Der optimistische Realismus ist nicht blind. Er versucht, die ganze Bandbreite der Geschehnisse zur Kenntnis zu nehmen: Von den übelsten Unmenschlichkeiten, Kurzsichtigkeiten und Engstirnigkeiten bis zu den erhabensten Leistungen. Er beschönigt nicht, was hässlich ist, und vermindert nicht, was gut gelungen ist. Er sucht das nichtgelebte Potenzial im Misslungenen und übertreibt keine Erfolge. Er weiß um den langen Atem der Geschichte, die oft erst nach vielen Mühen die Lektionen, die aus den Fehlschlägen erwachsen, erlernt. Er vertraut aber darauf, dass dieses Lernen einmal stattfinden muss und dass sich dadurch etwas zum Besseren wenden wird.

Optimistischer Realismus heißt darüber hinaus, den Sinn in der jeweils erfahrenen Realität zu entdecken: Was könnte uns das Leben mit dem, was gerade passiert, erzählen und mitteilen wollen? Ich suche also keine Bestätigung meiner Erwartungen in den Geschehnissen, sondern das Neue darin, das, was ich nicht vorausberechnen oder vorhersehen kann. Denn jede sich erfüllende Prophezeiung beweist nur, dass ich die Wirklichkeit dazu missbrauche, um meine vorgefertigten Konzepte zu bestätigen. Der realistische Optimist befindet sich vor allem in der Gegenwart und versucht immer wieder, in sie zurückzukommen. Der Pessimist lebt in der Vergangenheit, die ihm vorschreibt, wie er die Wirklichkeit zu sehen hat.

Die Selbstverpflichtung zum Optimismus beinhaltet also auch die uneingeschränkte und bedingungslose Gesprächsbereitschaft mit der Wirklichkeit. Sie enthält die Offenheit, sich immer wieder belehren und überraschen zu lassen, und daraus erwächst die Fähigkeit, kreativ und innovativ auf die Wirklichkeit zu reagieren, was auch immer sie gerade als Herausforderung anbietet.