Dienstag, 23. September 2025

Die Empörung – Motivierung oder Polarisierung

Die Empörung ist ein Gefühl, das vor allem auf Ungerechtigkeiten bezogen ist, die einem selbst widerfahren sind, aber auch und vor allem solche, von denen andere betroffen sind, bis zur Gesellschaft, in der wir leben, und bis hin zur Menschheit als ganzer oder sogar bis zur Natur. Sie ist eine kurzfristig wirksame Emotion, die aber politisch immer wieder für langfristige Strategien genutzt wird.

Die Empörung ist an und für sich ein Motivator für Engagement. Sie hat dazu geführt, dass die Frauenrechte und die Bürgerrechte in den USA, die jetzt dort wieder von rechten Demagogen in Frage gestellt werden, eingeführt werden konnten. Wenn Menschen sich zusammenschließen, organisierte Gruppen bilden, können sie ihre Empörung in effektive Handlungen überführen, die zu sozialen Verbesserungen führen. Verbunden mit kritischer Reflexion, theoretischen Begründungen und ethischer Vernunft treibt die Energie der Empörung (der „heiligen Wut“)  den gesellschaftlichen Fortschritt voran.

Findet die Empörung aber keine konstruktiven Wege, so kann sie in Resignation umschlagen oder dazu verleiten, dass autoritäre Führer gesucht werden, von denen die Durchsetzung der Gerechtigkeit erwartet wird. Demagogen nutzen deshalb die Empörung, um Anhänger um sich zu scharen. Sie schüren die Wut unter ihren Anhängern, damit ihnen diese zur Macht verhelfen. 

Das Empören versetzt den Körper in einen Sympathikuszustand. Es kommt zu einer Handlungsbereitschaft aus einer Mischung aus Angst und Erfolgserwartung (Adrenalin und Dopamin). Sind es aber nur Stresshormone, die die Empörung am Kochen halten, so tritt die Aktivierung auf der Stelle, weil die konstruktive Zielorientierung fehlt. Die Menschen befinden sich dann in einem Zustand, in dem sie leichter lenk- und manipulierbar sind. Die Vernunft und das kritische Denken ebenso wie ethische Motive treten in den Hintergrund. Es werden keine Argumente abgewogen; stattdessen soll sofort etwas getan werden. 

Empörung und Manipulation

Vor allem die Rechtsparteien schöpfen aus dem Reservoir von enttäuschten empörten Menschen. Um sie bei der Stange zu halten, muss die Empörung immer wieder aufgefrischt werden. Deshalb werden in der Rechtspropaganda kontinuierlich Informationen hinausgeschleudert, die die Menschen aufregen sollen. Damit wird die Empörung, die eigentlich eine kurzfristig wirksame Emotion darstellt, chronifiziert, und es wird ein Trigger aufgebaut, der auf Reizworte trainiert wird und automatisch anspringt, sobald das Schlagwort fällt. Suchtartig werden dann diese Reize gesucht,      wie der Rezeptor einer Nervenzelle im Gehirn, der seinen gewohnten Botenstoff einfordert. Damit entsteht die Empörungssucht. Es geht nicht mehr um eine konstruktive Veränderung, sondern 

Deshalb sind konstruktive Ideen für die Zukunft rar in der Propaganda und Programmatik der Rechten. Es geht nur darum, die Quellen der Empörung zu beseitigen: Die Ausländer, die „Eliten“, die Linken, die geschlechtlich nicht Einordenbaren, die „Klimahysteriker“, die Vegetarier und Radfahrer, die „woken“ Kulturschaffenden, die schwerfällige Demokratie, die EU – und schließlich die Juden. Wenn das Böse einmal ausgerottet ist, ist automatisch alles gut. Alle können ihren Schweinsbraten genießen, nach Lust und Laune Auto fahren, die eigene Nationalität zelebrieren und müssen keine fremden Sprachen mehr hören. Für diese Form von Lebensqualität unter Ausschluss all dieser Störquellen treten die Rechtsparteien ein. 

Der Ruf nach „Männern der Tat“ oder nach „starken Männern“, der häufig am Gipfelpunkt von Empörungswellen erschallt, hat in der blinden Handlungswut, mit der die Angst- und Aggressionsenergie der Empörung abgebaut werden soll, seinen Ursprung. Weil man selbst schwer den Mut aufbringt, riskante Handlungen zu setzen, sucht man nach jemandem, der das für einen erledigt. Am rechten Rand des politischen Spektrums bieten sich schambefreite Gestalten an, die bereit sind, das „schmutzige Geschäft“ zu erledigen.

Hier unterscheiden sich die Empörungszusammenballungen auf der linken und auf der rechten Seite. Zur linken Ideologie gehört die Entpersonalisierung gesellschaftlicher Konflikte (z.B. ist der Kapitalismus schuld an sozialer Ungerechtigkeit und nicht einzelne Kapitalisten). Die rechten Ideologien personalisieren gerne Konflikte, indem sie Schuldige oder Sündenböcke für sie benennen. Sie haben den Vorteil, dass klar ist, wer bekämpft werden muss: Einzelne Bösewichter oder verschworene oder dekadente Gruppen.

Die Linken wollen den Staat, der Ungerechtigkeiten unterstützt, stürzen oder das Wirtschaftssystem, das Ungleichheiten produziert, abschaffen und durch ein besseres ersetzen. Sie sind wohl deshalb seit Jahrzehnten auf dem Rückzug, weil klar geworden ist, dass der Kapitalismus politisch nicht in die Knie gezwungen werden konnte und vielleicht auch in Zukunft nicht entmachtet werden kann. 

Die Empörung der Coronaleugner

Ein besonderes Empörungsszenario pflegen die Maßnahmen- und Impfgegner der Corona-Pandemie. Obwohl die Pandemie seit einigen Jahren abgeklungen ist, pflegen sie ihre Empörung weiter.  Immer wieder finden sich Leute, die angebliche massive Impfschäden „wissenschaftlich“ bestätigen oder scheinbare Verschwörungen der Mächtigen um die Coronamaßnahmen aufdecken. Das Bewusstsein der Ungerechtigkeiten, die viele in dieser Zeit erlebt haben, wird mit dem Schüren der Empörung aufrechterhalten. Und wieder sind es die rechten und rechtsextremen Parteien, die sich dieser Anliegen annehmen und sie in ihre Empörungskreisläufe einbauen.

Die Empörungsökonomie

Die Aufmerksamkeit gilt im digitalen Kapitalismus als eine der wichtigsten Geldquellen. Wer möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird zum Multiplikator für Themen, mit denen Empörungswellen ausgelöst werden. Und jede solche Welle ist Goldes wert, denn sie löst starke Gefühle aus, motiviert die Empörten zu schnellen Reaktionen (Wutpostings) und zum leichten Weiterverbreiten, um die „Freunde“ im Netzwerk mit der Empörung anzustecken. Klicks und wellenartige Ausbreitungen im digitalen Feld lassen die Kassen klingeln. Da die Rechtsparteien die Orgel der Empörungsentfesselung am besten beherrschen, ist es verständlich, dass jene, die im digitalen Mediengeschäft absahnen, diese Parteien wort- und tatkräftig unterstützen. In der Folge werden die digitalen Plattformen zu Propagandaschleudern für die rechten und rechtextremen Ansichten – die Erfolge der demokratiefeindlichen Parteien zeugen von diesem Trend.

Zum Weiterlesen: 
Die Zumutung der Wahrheit
Demokratie und Gefühle


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