tag:blogger.com,1999:blog-69300082199390281922024-03-15T21:21:55.655+01:00wilfried ehrmannGedanken, Ideen und Satiren von
Wilfried Ehrmann, Psychotherapeut und Buchautor in WienWilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.comBlogger735125tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-76926783561230618252024-03-15T21:21:00.001+01:002024-03-15T21:21:07.557+01:00Das Kämpfen in Beziehungen<p><span style="font-family: georgia;">Im vorigen Blogartikel bin ich der Frage nachgegangen, welche Rolle der Satz, dass das Kämpfen den Kampf nährt, bei kollektiven Themen spielt. Hier möchte ich näher beleuchten, was er in Hinblick auf die zwischenmenschlichen Belange bedeuten könnte. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wenn wir in Beziehungen streiten, kämpfen in der Regel zwei Kinder miteinander, die beide ein Grundbedürfnis nicht erfüllt bekommen haben und nun hoffen, vom Beziehungspartner zu kriegen, was damals gefehlt hat. Der innere Mangel ist noch immer spürbar und soll jetzt endlich aufgefüllt werden. Die Gefühle von Verzweiflung und Wut, die oft in solchen Streitigkeiten zum Ausdruck kommen, stehen meist in keiner Relation zu dem Thema, um das es geht. Aber Erwachsene kämpfen oft mit der Energie von Kleinkindern, denen es scheinbar ums Überleben geht, um die eigenen Bedürfnisse durchzubringen. Obwohl wir immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass wir umso weniger das kriegen, was wir wollen, je mehr wir darum kämpfen, lassen wir uns immer wieder auf Streitigkeiten ein, oder, anders gesagt, finden wir uns in einen Streit verwickelt, ohne zu wissen, wie wir hineingeraten sind. Es handelt sich also um Stellvertreterkriege, die wir da miteinander ausfechten.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Solche Streitereien ziehen sich oft in die Länge, weil „ein Wort das andere gibt.“ Der Stress steigt und die sozialen Kompetenzen schwinden. Die Kommunikation vereinfacht sich und wird aggressiv aufgeladen. Je mehr Streitenergie die eine Seite einbringt, desto mehr muss die andere mobilisieren. Die Eskalation folgt einer festgelegten Mechanik und ist oft bei Paaren gut eingespielt. Eine Unstimmigkeit, ein Missverständnis, schon meldet sich die Kampfbereitschaft. Kleine Ursachen gebären große Wirkungen. Die Distanz wächst und die Verzweiflung ebenso. Jede Investition in den Streit verstärkt den Streit. Je mehr emotionale Energie, desto heftiger und desto regressiver, desto mehr Persönlichkeitsanteile rutschen in die Kindheit zurück. Hilflosigkeit breitet sich aus, die oft zu gegenläufigen Notprogrammen führt: Ein Partner geht auf den anderen zu, um ihn zu erreichen oder von ihm wahrgenommen zu werden (lat. <i>aggredere</i>: auf jemanden zugehen), der andere zieht sich zurück, um sich vor dem Angriff zu schützen. Die vorgegebene Dynamik funktioniert bei vielen Paaren wie ein eingeübter Tanz: Je mehr der eine zugeht (räumlich und/oder in der Lautstärke), desto mehr zieht sich der andere zurück und umgekehrt. Beide können nicht anders, weil ihre Kreativität durch den Stress und die Verzweiflung stillgelegt wurde. Sie sind im Kindheitsmuster gefangen und haben daher nur mehr kindliche Ressourcen zur Verfügung. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Dem Aufblähen der Streitenergie kann nur Einhalt geboten werden, wenn sich das Nervensystem beruhigt. Im angespannten Zustand sind wir einfach nicht in der Lage, konstruktiv miteinander zu kommunizieren. Wir verfügen nicht über die sozialen Fähigkeiten, die uns im Normalfall zu Diensten sind. Das Bemühen, einen gemeinsamen Ausweg aus der angespannten Situation zu finden, gelingt nur, wenn der Organismus genügend Zeit bekommt, um aus der Übererregung herauszufinden. Es wird sinnvoll sein, auf Abstand zu gehen, z.B. eine räumliche Distanz aufzunehmen, sodass jeder wieder zu sich selber finden kann. Dazu braucht der Partner, der meint, durch die Herstellung von mehr Nähe zu einer Konfliktlösung zu kommen, die Zusicherung vom anderen, nach einer bestimmten Zeit wieder zurückzukommen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Kampf nährt den Kampf, solange wir uns im Notzustand befinden. Wir glauben, nur durch das Kämpfen zu dem zu kommen, von dem wir meinen, dass wir es unbedingt brauchen. Es ist ein Glaube wider jede Erfahrung, denn wir haben genügend Erfahrungen gesammelt, dass durch das Streiten der Streit heftiger wird und dass wir miteinander erst dann weiterkommen, wenn er abgebbt ist. Da die Wurzeln der Streitenergie in der Verzweiflung des Kindes liegen, muss die Zeit abgewartet werden, bis sich das innere Kind beruhigt hat. Dann erst ist es möglich, für die Aktivierung der Ebene des zwischenmenschlichen Verstehens die Erwachsenenpersönlichkeit als die bestimmende Instanz wiederherzustellen. Oder, im Modell der Polyvagaltheorie: Wir müssen in einen Smart-Vagus-Zustand gelangen, um uns konstruktiv und empathisch verständigen zu können. Solange das sympathische Nervensystem die Dominanz im Inneren ausübt, ist es illusorisch, auf ein tieferes Verstehen und Verstandenwerden zu hoffen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wir können außerdem aus der Polyvagaltheorie verstehen, dass wir zunächst nichts machen können, wenn in der Kommunikation Stress ausgelöst wird. Unser Unbewusstes registriert die Gefahr und setzt die Stressachse zwischen Hypophyse, Hypothalamus und Nebennierenrinden in Gang. Wenn uns bewusst wird, dass wir uns ärgern oder verletzt sind, sind wir schon längst im Stresszustand und reagieren aus ihm heraus. Dieser Vorgang wird als Neurozeption bezeichnet, also die Eigenschaft des vegetativen Nervensystems, Gefahrenreize ohne Zutun des Bewusstseins zu prüfen und sogleich die Alarmreaktion auszulösen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Theorie gibt uns aber auch Hinweise, wie wir wieder aus der Anspannung herausfinden. Je besser unsere „vagale Bremse“, also unsere Fähigkeit, mit dem Parasympathikus unseren Sympathikus zu drosseln, trainiert ist, desto schneller kommen wir vom Erregungszustand in den sozialen Kompetenzzustand zurück. Das ist der Grund, warum jede Form der Stärkung des </span><span style="font-family: georgia;">Vagus-Nerves </span><span style="font-family: georgia;">(z.B. durch das kohärente Atmen) unsere kommunikativen Fähigkeiten verbessert und uns ermöglicht, aus den Verstrickungen in Konflikten rascher wieder herauszufinden. Wir können uns leichter wieder mit uns selbst verbinden und zu unseren Erwachsenenfähigkeiten zurückfinden.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2024/03/das-kampfen-nahrt-den-kampf.html#comment-form" target="_blank">Das Kämpfen nährt den Kampf</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2017/02/der-vagus-nerv-und-die-selbstheilkraft.html" target="_blank">Der Vagusnerv und die Selbstheilungskraft</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2016/05/koharentes-atmen-mein-neues-buch.html" target="_blank">Kohärentes Atmen</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-5092481260756007662024-03-07T22:58:00.000+01:002024-03-07T22:58:01.903+01:00Das Kämpfen nährt den Kampf<p><span style="font-family: georgia;">Wenn wir gegen jemanden kämpfen, wollen wir diesen Gegner schwächen, bis er besiegt ist und wir gewonnen haben. Das ist das Ziel jedes Kampfes. Sobald wir mit einem Kampf beginnen, wehrt sich aber der Gegner und sammelt seine Kräfte. Um zu bestehen, muss er über sich hinauswachsen und Energien mobilisieren, die ihm sonst nicht zur Verfügung stehen. Er wird durch unseren Angriff stärker. Es entsteht also ein Paradoxon: Wir wollen den Gegner schwächen und erreichen gerade dadurch, dass er stärker wird. Ähnliches geschieht in uns selber: Wir haben ein Feindbild in uns, mit dem wir unseren Angriff rechtfertigen. Sobald wir erkennen, dass sich der Gegner wehrt, wird dieses Feindbild in uns mächtiger. Das Feindbild wächst mit jedem Schlag, zu dem wir ausholen oder den wir einstecken, und damit ergreifen auch unsere Feindschaft und unser Hass mehr Besitz von uns selber. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">In einem Krieg z.B. wird der Gegner gezwungen, aufzurüsten, wenn er angegriffen wird. Je stärker der Angriff abläuft, desto stärker wird die Gegenwehr und desto zerstörerischer werden die Kämpfe. Gleichzeitig werden die Feindbilder auf beiden Seiten aggressiver und verzerrter. Wir können diese Dynamik bei allen großen und kleinen Konflikten beobachten. Ähnlich manchen Boxkämpfen enden viele Kriege erst, wenn die Kräfte emotional oder physisch erschöpft sind. Dann setzt sich entweder die Seite durch, die den längeren Atem hat, oder der Konflikt endet wie beim Schach mit einem Remis oder Patt.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Kampfdynamik wirkt weit, selbst wenn der Gegner besiegt wurde. Die unterlegene Partei muss dafür sorgen, ihre verlorene Würde wiederherzustellen. Sie will wieder zu Kräften kommen und die verlorene Macht neu errichten. In diesem Prozess wird der Drang nach Rache aufwachen und irgendwann in Aktion treten. Die Scham, die die Niederlage bereitet hat, soll durch einen Racheakt ausgeglichen werden, der andere beschämt, indem er sie in die Opferposition bringt. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Kampf um des Kämpfens willen</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Im Kampf geht es nur scheinbar um den Sieg und in Wirklichkeit um das Kämpfen selbst. Wir kennen diese Dynamik von Wettkämpfen oder Konkurrenzspielen. Wir wollen, dass unser Handballteam das gegnerische besiegt; aber die eigentliche Befriedigung liegt im Spielen. Auch wenn wir unterliegen, wollen wir weiterspielen. Das Spannende und Lohnende ist der Wettkampf selbst, nicht das Ergebnis. Hobbyfußballer, die sich auf dem Feld nichts schenken, gehen nachher gemeinsam Bier trinken. Im geselligen Beisammensein wird das Gefälle zwischen den stolzen Siegern und den beschämten Unterlegenen wieder ausgeglichen.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Sportliches Kräftemessen</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Sportliches Kräftemessen unterscheidet sich allerdings prinzipiell von anderen Formen des Kampfes, die auf Feindschaft und Hass beruhen. Aktivitäten, die wir aus freien Stücken verfolgen, erleben wir ganz anders als solche, die wir als aufgezwungen erleben und aus denen wir nicht einfach aussteigen können, wenn wir wollen. Der Unterschied liegt also darin, ob die Kontrolle über das Geschehen bei uns liegt oder nicht. In einem Fall sprechen wir von einem guten Stress (Eustress), im anderen vom Distress. Bei Eustress gerät der Körper zwar in einen Anstrengungszustand mit der Aufbietung von Reserven und schüttet dazu das Stresshormon Adrenalin aus, aber mobilisiert zugleich Dopamin, das für Glücksgefühle zuständig ist. Beim Distress folgt auf die Adrenalinausschüttung das Cortisol, das langfristig wirksame Stresshormon, aber kein Dopamin. Hier stehen wir also unter einer Angstspannung ohne jeden Lustfaktor, denn es geht um Leben oder Tod. Die Spannung wirkt außerdem noch über die Kampfsituation hinaus und enthält die Tendenz zur Chronifizierung.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Corona-Debatten</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">In der Corona-Debatte konnten wir beobachten, dass die hitzigen Debatten über das Corona-Management oder das Impfen immer schärfer wurden, je länger sie dauerten. Viele Diskussionen führten nicht dazu, dass sich die Standpunkte nicht annäherten, sondern dass sie sich, aufgeladen durch die aufgeheizten Auseinandersetzungen, immer weiter voneinander entfernten, während der Hass in den unterschiedlichen Lagern wuchs. Je mehr Kampfenergie in die Debatten gepumpte wurde, desto ausdauernd wurde der Kampf. Erst als sich die Pandemie beruhigte und die Erkrankungen weniger und milder wurden, ebbten die Diskussionen ab. Aber auch Jahre danach wirken die Folgen weiter, manche aufgerissenen Gräben in Familien oder Freundesgruppen sind noch immer nicht zugeschüttet.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Festhalten am Kämpfen hat viel damit zu tun, die Schmach der Niederlage nicht tragen zu wollen und deshalb bis „zur letzten Kugel“ weiterzukämpfen. Es ist also die vorweggenommene Scham, im Fall des Unterliegens als Schwächling und Versager dazustehen. Diese Dynamik kennen wir von Debatten über scheinbar harmlose Themen ebenso wie von Bürgerkriegen und zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten, die über Jahre und Jahrzehnte brennen und schwelen. Eine verdeckte Form der Schamvermeidung stellt das Wettrüsten zwischen den Großmächten dar.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Erkenntnis, dass der Kampf das Kämpfen nährt, liefert keinen zureichenden Grund, gänzlich auf das Kämpfen zu verzichten. Wenn einer Aggression von außen keine Gegenaggression entgegengestellt wird, hat sie die natürliche Tendenz, sich weiter auszubreiten und sich noch mehr Raum einzuverleiben. Aber wir brauchen auch die Bewusstheit über diese Dynamik, weil sie uns darauf hinweist, wann es notwendig ist, auf das Kämpfen zu verzichten. Irgendwann wachsen die Schäden und damit die vielen Formen des Leidens ins Unermessliche, die durch das Zerstörerische am Kämpfen ausgelöst werden. Als Großmut gilt, wenn der Stärkere im Kampf dem unterlegenen Gegner die Hand reicht und ihm auf Augenhöhe begegnet. Der Kampf ist zu Ende, die Menschen können wieder wahrnehmen, dass sie keine Feinde, sondern Brüder und Schwestern sind. Der Zyklus der Rache ist durchbrochen. Nur mit der hohen Tugend des Machtverzichts kann es gelingen, dort einen dauerhaft haltbaren Frieden zu schaffen, wo Feindschaft geherrscht hat. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Der Nahostkonflikt als Beispiel</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Der Gaza-Krieg, der zurzeit wütet, dient aus israelischer Sichtweise dem Ziel, die Hamas zu vernichten. Es handelt sich um einen Racheakt gegen den blutigen und blutrünstigen Überfall der Hamas auf Israel, mit dem solche Überfälle in Zukunft verhindert werden sollten. Eine der modernsten und bestausgebildetsten Armeen der Welt kämpft gegen eine Terrororganisation oder gegen die gewählte Verwaltungsmacht im Gaza-Streifen, je nach Sichtweise. Dieser Krieg dauert nun schon 6 Monate und hat bisher ca. 30 000 Tote und 70 000 Verletzte verursacht, darunter ca. 1200 israelische Tote und 5000 Verletzte. Er spielt sich im Gaza-Streifen ab und hat dort zu massiven Zerstörungen der Wohnanlagen und der Infrastruktur geführt. 70 Prozent der Gebäude liegen in Trümmern.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Ein neues Kapitel im nun schon über hundert Jahre alten Nahostkonflikt, ohne jede Aussicht auf eine Lösung, ohne Aussicht auf einen Frieden. Spätestens seit der Staatsgründung von Israel 1948 war der Landstrich am Ostufer des Mittelmeers der Schauplatz von vielen Kriegen und spannungsgeladenen Zwischenzeiten. Die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden mit einer Zweistaatenlösung hat sich in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts zerschlagen. Jeder Krieg hinterließ auf beiden Seiten tiefe Spuren, jeder Krieg trug zur Vermehrung und Vertiefung des Hasses und damit zur Steigerung der Gewaltbereitschaft bei. Bei den Palästinensern, die in jedem Krieg die Verlierer waren und die durch vielfache Vertreibungen gedemütigt wurden, ist die Last der Scham über mehrere Generationen angewachsen. Bei den Israelis ist parallel dazu die Angst angewachsen. Denn bewusst oder unbewusst stellt es eine enorme Belastung dar, mit Nachbarn zu leben, die voll von Hass und Scham sind. Es ist nur die Frage, wann es zur nächsten aggressiven Explosion kommt. Auch wenn es auf beiden Seiten Menschen gibt, die über diese Gefühlsbelastungen hinausgewachsen sind und sich im offenen Dialog verständigen können, steckt die große Mehrheit in der Geschichte von Verletzungen und Gewalthandlungen fest. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es besteht in dieser Gegend seit vielen Jahrzehnten ein Dauerkampf, der manchmal offen ausbricht und ansonsten unterschwellig besteht; es gibt die offenen Aggressionen der Palästinenser und die strukturelle Gewalt der Israelis, die sich gegenseitig befeuern (es gibt dazu noch offene Aggressionen der Israelis mit der Ermordung von über 400 Palästinensern im Westjordanland seit dem 7.10.23). Als scheinbar unvermeidliche Folge der Dauerspannung wächst beständig die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Immer mehr Israels wählen rechte Parteien, die die ihre Feindschaft gegen die Palästinenser offen zur Schau stellen, während auf palästinensischer Seite die radikalen politischen Organisationen immer mehr Zulauf bekommen. Die Dauerspannung wächst also weiter und weiter.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der israelische Staat kann sich auf eine moderne Wirtschaft und auf die Unterstützung der USA und anderer westlicher Staaten stützen, die seine Existenz garantieren. Die Palästinenser haben große Teile der arabischen Welt auf ihrer Seite, die ihr Überleben auch unter den prekärsten Bedingungen absichern, so gut es geht. Auf diese Weise sind mächtige Staaten und damit viele Volkswirtschaften und Gesellschaften in den Konflikt eingebunden. Wegen der nationalstaatlichen Souveränitäten haben die Außenstehenden aber nicht die Einflussmöglichkeiten, um den Krieg zu beenden und Friedensregeln einzuführen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Da die Lebenschancen im Gazastreifen durch die Abriegelung nach außen minimal sind, gibt es für viele, vor allem junge Menschen keine Perspektiven für eine kreative Selbstverwirklichung. Deshalb wird es immer wieder Jugendliche geben, die zur Gewalt tendieren und zu den Waffen greifen wollen, um wenigsten ein kleines Machtgefühl zu erlangen. Jeder Tag, den der Krieg andauert, erzeugt neben all dem Leid neue Kampfbereitschaft, die sich irgendwann in der Zukunft ihre Bahn brechen wird.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Kampf nährt den Kampf und bringt immer wieder neuen Kampf hervor, solange versucht wird, die Spannungen mit Gewaltanwendung zu lösen. Der gewaltsam niedergerungene Gegner wird irgendwann wieder aufstehen und die angetane Gewalt heimzahlen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2015/11/braucht-es-einen-krieg-wer-braucht.html" target="_blank">Braucht es einen Krieg? Wer braucht einen Krieg?</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2020/01/krieg-und-scham.html" target="_blank">Krieg und Scham</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-69461086170639933232024-03-03T10:16:00.004+01:002024-03-05T21:50:24.297+01:00Das kohärente Atmen und die Wissenschaft<p><span style="font-family: georgia;">In einer wissenschaftlichen <a href="https://www.nature.com/articles/s41598-023-49279-8" target="_blank">Studie</a>, die mit 400 Teilnehmern in England durchgeführt wurde, ging es um einen Vergleich zwischen langsamem und schnellem Atmen. Die Versuchsteilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Beide sollten über vier Wochen jeden Tag 10 Minuten Atemübungen machen, die eine Gruppe mit 5,5 Atemzügen/Minute (eine Atemfrequenz, die beim kohärenten Atmen angewendet wird), die andere mit 12 Atemzügen/Minute (diese Atemfrequenz stellt die Untergrenze der Atemgeschwindigkeit bei der Durchschnittsbevölkerung dar). Die Ergebnisse zeigten, dass sich das subjektive Stressempfinden und Depressionen bei beiden Gruppen verringerten, während die Werte für das Wohlbefinden anstiegen. Allerdings gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Langsam- und den Schnellatmern.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Nachdem die langsame Atemmethode in der Studie als kohärentes Atmen benannt wurde, würde die Studie beweisen, dass das kohärente Atmen, bei dem man ja zwischen 3 und 6 Atemzüge/Minute machen soll, genauso wirksam ist wie ein mehr als doppelt so schnelles Atmen. Es gibt inzwischen eine Reihe von anderen <a href="https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0149763422000653?via%3Dihub" target="_blank">Studien </a>sowie <a href="https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnhum.2018.00353/full" target="_blank">Literaturzusammenfassungen</a>, die belegen, dass das langsame Atmen das Wohlbefinden verbessert und die Stresserregung reduziert. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Was ist also von der englischen Studie zu halten? Ich behaupte, dass im Titel und Text der Studie zu Unrecht vom kohärenten Atmen die Rede ist. Kohärentes Atmen heißt ja nicht nur, langsam und regelmäßig zu atmen, sondern auch die Ausatmung zu entspannen und die Atemtiefe so zu regulieren, dass die Atmung vor allem über das Zwerchfell gesteuert wird. Aus der Praxis wissen wir, dass einigen Anfängern in der Methode diese Elemente des kohärenten Atmens leicht fallen, während viele anfangs mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben: Es gelingt die entspannte Ausatmung nicht, das Einatmen dauert zu lang, die Bauchatmung ist ungewohnt, die Atemfrequenz ist zu langsam, sodass durch die notwendige Dehnung der Atmung ein Stress entsteht usw. Für all diese Anfangsprobleme gibt es auch Abhilfen, die von einem kompetenten Instrukteur vermittelt werden. Nach einigen Übungsdurchgängen werden diese Schwierigkeiten durch die Interventionen und Übungsvorschläge in fast allen Fällen überwunden.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">In der Studie bekamen die Teilnehmer anfangs eine Information zur Methode, es gab aber keine Möglichkeit für Rückfragen bei Schwierigkeiten. Deshalb können wir davon ausgehen, dass einige der Übungsteilnehmer Probleme mit der Entspannung der Atmung hatten und deshalb auch keine tieferen Erholungswerte erleben konnten. So einfach die Methode des kohärenten Atmens erscheint, weil bei ihr nur drei oder vier Grundelemente beachtet werden müssen, so viele Tücken zeigen sich in der Praxis. Jeder bringt seine eigenen Atemgewohnheiten mit, die sich über Jahre und Jahrzehnte eingeprägt haben. Es braucht deshalb auch Zeit, Motivation und konsequentes Üben, um sie in eine günstige Richtung zu verändern. In der Diskussion der Studienergebnisse in der Publikation wird auch auf diesen Umstand eingegangen und es werden Studien zitiert, bei denen das kohärente Atmen unter individueller Anleitung praktiziert wurde, mit deutlich positiven Wirkungen. Während in der Studie die zu wenig „robuste“ Konstruktion dieser Experimente kritisiert wurde, liefern auch die anderen Studien wichtige Erkenntnisse.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Einen weiteren Kritikpunkt an der Studie beziehe ich (ebenso wie die Studienautoren) auf den Umstand, dass die durchschnittliche Übungspraxis 20 Sitzungen betragen hat, d.h. dass nicht von einer konsequenten Übungsdisziplin gesprochen werden kann, was vor allem anfangs entscheidend ist, um die fest verankerten Atemgewohnheiten nachhaltig zu verändern. Außerdem weiß niemand, ob die Methode überhaupt richtig geübt wurde oder nur irgendwie. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Teilnehmer waren auch nicht darüber informiert, warum sie ausgerechnet 5,5 Atemzüge/Minute nehmen sollten. Gerade beim kohärenten Atmen ist es für viele Anfänger wichtig, dass sie verstehen, warum gerade so und nicht anders geatmet werden soll, damit sie sich für das Üben des kohärenten Atmens motivieren können. Bei manchen Menschen läuft die Motivation über die Erfahrung: Sie mögen eine Übung, weil sie die positiven Wirkungen spüren. Für andere läuft sie über das mentale Verständnis: Sie erkennen, dass die Übung wertvoll sein könnte und praktizieren sie dann. Es gibt immer wieder Anfänger, die sich weigern, eine strikte Vorgabe, wie sie beim kohärenten Atmen erforderlich ist, einzuhalten. Erst wenn sie verstehen, was der Sinn dahinter ist, sind sie bereit, sich darauf einzulassen. Solche Widerstände, die wir aus der Vermittlungspraxis kennen, wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Auch die Studienautoren vermuten, dass eine entsprechende „Psychoedukation“ zu besseren Resultaten beim kohärenten Atmen geführt hätten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Studienautoren weisen auch darauf hin, dass es eine <a href="(https://doi.org/10.1016/j.ijcard.2013.08.121)" target="_blank">Untersuchung</a> gibt, die belegt, dass eine Atemfrequenz von 8 Atemzügen/Minute bessere Resultate für die vagale Aktivierung, also für die Anregung des Parasympathikus bringt als 12 Atemzügen/Minute und diese wiederum besser abschneiden als 16 Atemzügen/Minute. Sie belegt also, dass die entspannende und blutdrucksenkende Wirkung umso größer wird, je langsamer geatmet wird. In der hier besprochenen Studie können die positiven Ergebnisse für die „Placebo“-Gruppe, die eben mit 12 Atemzügen/Minute atmeten, darauf zurückgeführt werden, dass viele schon eine Reduktion ihrer sonst noch höheren gewohnten Atemgeschwindigkeit als entspannend und stimmungsaufhellend erleben konnten. Beide Untersuchungsgruppen profitierten offensichtlich von der Atemachtsamkeit, der Regelmäßigkeit und der Vertiefung beim Atmen. Beide Gruppen waren auch instruiert, durch die Nase zu atmen, was vielfältige gesundheitliche Auswirkungen hat, u.a. wird die Sauerstoffaufnahme verbessert sowie das Angst- und Stressmanagement im Gehirn reguliert. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der nächste Kritikpunkt bezieht sich auf das Fehlen von physiologischen Auswertungen der Atemübungen. Die Studienergebnisse stammen aus Fragebögen, die die Teilnehmer ausfüllten. Es handelt sich also um subjektive Stimmungsberichte, und es gibt keine Daten über die Herzrate, die Herzratenvariabilität oder Messungen zur Schlafqualität.</span></p><p><span style="font-family: georgia;"><b>Zusammengefasst</b>: Die besprochene Studie wirft mehr Fragezeichen auf als sie Antworten gibt – und das sind Anregungen für mehr und genauere Forschungen. Wer in diesem Feld arbeitet, kann aus dieser Studie den vielfältigen Nutzen der Arbeit mit dem bewussten Atmen ableiten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: georgia;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjb8LYkh6icGufueCF3T4XbjCv0FTzCYEuHc5eticV_1ZyLwApbtXKIfNjZdWcUiq5CzehwEGdvOgkX8SkoHK9Xx1ZR79NAsuI0mfHCpAXjQGCPbkzP3MSUkt6hBtFfLh3Iub_IcPdqW4xgctIEJ0oC2lOxHF_8_d6e6ts2ysSEN18ozr3tYfpMa3Oos578/s1600/Kurier%20Artikel%20Koh%C3%A4rentes%20Atmen.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="720" data-original-width="1600" height="144" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjb8LYkh6icGufueCF3T4XbjCv0FTzCYEuHc5eticV_1ZyLwApbtXKIfNjZdWcUiq5CzehwEGdvOgkX8SkoHK9Xx1ZR79NAsuI0mfHCpAXjQGCPbkzP3MSUkt6hBtFfLh3Iub_IcPdqW4xgctIEJ0oC2lOxHF_8_d6e6ts2ysSEN18ozr3tYfpMa3Oos578/s320/Kurier%20Artikel%20Koh%C3%A4rentes%20Atmen.jpg" width="320" /></a></span></div><span style="font-family: georgia;"><br />Die Studie wurde auch in einem kurzen Artikel der Tageszeitung „Kurier“ vorgestellt, unter dem Titel: „Atemtechniken gegen Stress und Angst: Kaum wirksamer als ein Placebo.“ Die Überschrift ist irreführend, weil sie suggeriert, dass Atemübungen nichts bringen; das Placebo in der Studie war aber auch eine Atemtechnik. Außerdem wird zunächst ausgeführt, dass das kohärente Atmen nicht mehr bringt als ein schnelleres Atmen, am Schluss heißt es aber: „Die Forschenden sehen in den Ergebnissen keinen Beweis dafür, dass kohärentes Atmen nicht hilfreich ist.“ Nachdem viele Leute nur die Überschrift lesen, ist es schade, wenn hängen bleibt, dass Atemtechniken nichts gegen Stress und Angst bewirken. Das Gegenteil stimmt, bestätigt von zahlreichen Studien mit eindeutigen Resultaten.</span><p></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2017/02/der-vagus-nerv-und-die-selbstheilkraft.html" target="_blank">Der Vagus-Nerv und die Selbstheilungskraft</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2016/05/koharentes-atmen-mein-neues-buch.html" target="_blank">Kohärentes Atmen</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-83366760570122387592024-02-25T10:34:00.001+01:002024-02-25T10:34:11.654+01:00Das Glück im Hirn<p><span style="font-family: georgia;">Was macht uns glücklich? Ich werfe hier einen Blick auf die Glücksentstehung im menschlichen Gehirn. Die Neurowissenschaften haben die grundlegenden Mechanismen entschlüsselt, unter welchen Umständen wir zu Glückserfahrungen gelangen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wir leben mit unserer reichhaltigen Innenwelt von Erwartungen bezüglich unserer Zukunft: Was wird als nächstes, übernächstes und überübernächstes passieren? Wir wollen den Überblick über unsere Zukunft haben, damit wir uns sicher im Jetzt fühlen können. Das Gefühl der Sicherheit reicht nicht aus, um uns glücklich zu fühlen. Es kommt zwar vor, dass wir Glücksgefühle spüren, wenn wir einer Gefahr entronnen sind und uns sicher fühlen. Aber daran gewöhnen wir uns schnell wieder, und die Sicherheit, die wir genießen, zählt zu den Selbstverständlichkeiten.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass wir Glücksgefühle erleben, wenn unser Gehirn Dopamin ausschüttet. Allerdings geht es dabei nicht um die Menge dieses Botenstoffes, sondern um die Änderung zum vorigen Niveau. Bei einem starken Dopaminanstieg meldet sich das Glücksgefühl. War die Menge vorher schon recht hoch, dann bringt ein weiterer Anstieg nicht sehr viel. Wenn wir „Glück haben“, wie wir sagen, dann hat uns gerade die Wirklichkeit positiv überrascht. Sofort wird Dopamin freigesetzt und wir fühlen uns besonders gut. Unsere pessimistische oder neutrale Zukunftserwartung trifft nicht zu, stattdessen widerfährt uns etwas Gutes.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das sind die Erfahrungen, nach denen wir auf der Suche nach dem Glück streben. Erwartbare Erfolge wirken viel weniger erhebend als ein plötzlicher Glückstreffer. Das Glück ist also überhaupt nicht in unserer Hand, sondern „ein Vogerl“, wie es im Wienerlied heißt. Es speist sich aus der Ungewissheit und Unvorhersagbarkeit der Zukunft. Die meiste Zeit hadern wir mit dieser Unsicherheit, und das Nichtwissen bereitet uns Unbehagen. Gewissermaßen als Ausgleich hat uns die Natur mit einem Belohnungsmechanismus ausgestattet, der aktiviert wird, wenn etwas unvorhersehbar Tolles passiert. Glück findet also im Moment der Überraschung statt und verflüchtigt sich durch die Gewöhnung an das Neue. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die schnelle Abnutzung des Glücks hat auch seine Vorzüge – sie motiviert die Menschen zur Produktivität und Kreativität. Im Grund wissen wir, dass wir etwas tun müssen, um die Bedingungen fürs Glücklichsein zu schaffen; im Grund wollen wir auch tätig sein und etwas in der Welt weiterbringen. Es treibt uns dabei die Erwartung auf eine Belohnung an, die Hoffnung auf das Glück. So wechseln wir zwischen Phasen der Anstrengung und des Verzichts auf einen sofortigen Lohn mit Phasen, wo wir uns über das Geschaffene freuen; da sich Freude und Glück schnell abnutzen, verbringen wir wohl mehr Zeit mit der Glückssuche, und das ist auch gut so. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Süchtige leiden darunter, dass ihnen diese Motivation abhandengekommen ist und sie nicht mehr zu ihr zurückfinden. Ihr Glücksstreben ist auf eine Substanz oder eine Verhaltensweise fixiert und von ihr abhängig. Genauer gesagt, kann ihr Gehirn nur mehr Dopamin freisetzen, wenn die entsprechende Reizzufuhr kommt, sei es von einer Droge oder von einem zwanghaften Verhalten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Suchtdynamik stellt eine extreme Form der kreisförmigen Abläufe im Dopaminhaushalt dar. Diese Abläufe sind ansonsten allgegenwärtig in unseren kulturellen Mustern eingeprägt. Wir passen uns schnell an ein neues Niveau an Wohlstand oder Wohlgefühl an und brauchen bald mehr an positiven Überraschungen, um wieder in ein High zu kommen. Wir wollen das Glücksgefühl, das wir schon kennen, zurückhaben, müssen aber immer mehr aufwenden, um zu ihm zu kommen. Das Anspruchsniveau steigt mit jeder Glückserfahrung, und wir brauchen eine gesteigerte Zufuhr von außen, um wieder in den bekannten Glückszustand zu kommen, und diese Zustände werden immer kürzer, während sie immer schwieriger erreicht werden können.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das neue Auto, mit dem wir unsere Nachbarn beeindrucken können, das neue Smartphone, das unsere Freunde beeindruckt – ein Strohfeuer an Befriedigung und Glück, das schnell verbrennt. Also muss ein neuer Kick her, vielleicht ein neuer Film oder ein neuer Song. Unsere Kultur bietet jede Menge an Glücksversprechen, jeder Werbeclip verspricht einen Dopaminschub.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Diese Dynamik besteht auch auf der kollektiven Ebene, was den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Lebenszufriedenheit anbetrifft. Nach statistischen Erhebungen braucht es ein bestimmtes Niveau des Lebensstandards, dass sich die Menschen glücklich fühlen können. Steigt der Wohlstand über dieses Niveau hinaus, stagniert die Lebenszufriedenheit. Superreiche sind also im Schnitt nicht glücklicher als Otto-Normalverdiener. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wie entkommen wir der Abhängigkeit von Außenreizen und Glückstriggern? Wir wollen ja diese Momente der Erfüllung nicht missen. Sie machen uns das Leben immer wieder lebenswert und geben uns ein Sinngefühl. Hier treffen wir auf die Bestrebungen der jahrtausendealten östlichen Weisheitslehren, die sich auch in manchen westlichen Philosophien wiederfinden. Es geht darum, die Illusionsmaschinerie der kurzfristig wirksamen Glücksversprechen zu überwinden und zu distanzieren. Jeder, der sich länger mit Meditation befasst hat, kennt die Erfahrung, dass es genügen kann, die Augen zu schließen, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten, die Atmung zu entspannen, und schon stellen sich Glückserlebnisse ein. Es ist nicht immer so, aber geschieht immer wieder und umso öfter, je mehr wir uns der Meditationspraxis widmen und ihr Zeit geben. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es ist ein Glück, das sich in solchen Zusammenhängen einstellt, das nicht mit Erwartungen verbunden ist. Es wird nicht durch eine positive Überraschung ausgelöst, sondern steigt aus einer tieferen inneren Quelle aufsteigt. Wir wissen, dass das regelmäßige Meditieren den Dopaminspiegel erhöht (<a href="https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11958969/" target="_blank">hier zur Quelle</a>), aber das ist nur ein Nebeneffekt. Insbesondere geht es beim Meditieren um die Innenwendung und damit um die Befreiung von äußeren Glücksverlockungen. Wenn wir uns regelmäßig in der Meditation in uns selbst verankern, können wir aus den suchterzeugenden Mechanismen der Konsumwelt aussteigen. Wir erkennen, dass wir alles in uns haben, das wir brauchen, um glücklich zu sein.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Zusammenhänge zwischen Dopamin und Glückserfahrungen habe ich diesem Buch entnommen: <br /></span><span style="font-family: georgia;">Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit. Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen in der Politik und bei uns allen verhindern. Ullstein 2023, S. 156 - 162</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/06/das-geheimnis-der-lebensfreude.html" target="_blank">Das Geheimnis der Lebensfreude</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/10/das-individuelle-gluck-und-die.html" target="_blank">Das individuelle Glück und die Ungeheuerlichkeit des Leids</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/12/konsumscham-und-schamkonsum.html" target="_blank">Konsumscham und Schamkonsum</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2022/09/der-mythos-vom-verlorenen-gluck.html" target="_blank">Der Mythos vom verlorenen Glück</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/05/der-trugerische-zauber-der-illusion.html" target="_blank">Der trügerische Zauber der Illusion</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-72299294552002869002024-02-15T09:58:00.000+01:002024-02-15T09:58:19.304+01:00Die Notwendigkeit der universalen Ethik<p><span style="font-family: georgia;">Die globalen Probleme der Menschheit können nur mit gemeinsamen Anstrengungen gelöst werden. Die weltweite Zusammenarbeit wiederum benötigt ein ethisches Fundament, um die notwendigen Motivationen und eine breite Basis des Verständnisses für die erforderlichen politischen Beschlüsse bereitzustellen. Es muss also eine genügend große Zahl von Menschen einsehen und unterstützen, dass alle Gesellschaften ihren Beitrag leisten müssen, entsprechend der jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die universale Ethik wird diesen Anliegen gerecht. Sie dehnt den Rahmen für die Subjekte des ethischen Handelns auf alle Menschen und darüber hinaus auf alle Lebewesen und die gesamte Natur aus. Die Begrenzung der Ethik auf privilegierte Gruppen oder der Ausschluss von nichtmenschlichen Lebewesen verhindert die Problemlösungen, die notwendig sind, um das Leben der künftigen Generationen auf der Erde zu gewährleisten. Wir können uns also den Luxus einer begrenzten Ethik nicht mehr leisten.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Ausweitung der Ethik ist von Mystikern schon lange eingefordert worden. Sie haben erkannt, dass es nicht genügt, die Überwindung von individuellen Egoismen durch ethische Grundsätze zu fordern, sondern dass Gruppen- und Gesellschaftsegoismen ebenso hinter sich gelassen werden müssen, wenn es um ein gutes Handeln geht. Die Verantwortung bei jeder Entscheidung kann nicht auf das eigene Leben oder auf die Menschen in der engeren Umgebung beschränkt bleiben; jede unserer Handlungen hat globale Auswirkungen, für die wir die Verantwortung tragen und in unsere zukünftigen Handlungsmotivationen einbauen müssen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der persische Dichter Saadi hat im 13. Jahrhundert dazu die folgenden Zeilen geschrieben, die hier in einer Nachdichtung wiedergegeben werden:</span></p><p><span style="font-family: georgia;"><i>„Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht, <br /></i></span><i style="font-family: georgia;">als Glieder eines Leibs von Gott, dem Schöpfer erdacht.<br /></i><i style="font-family: georgia;">Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder,<br /></i><i style="font-family: georgia;">dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider.<br /></i><i style="font-family: georgia;">Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt,<br /></i><i style="font-family: georgia;">verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.“</i></p><p><span style="font-family: georgia;">Dieses Gedicht ist der Überlieferung nach übrigens entstanden, als der König den Dichter befragte, wie er sich vor einem übermächtigen Feind schützen könne. Es geht also um einen Gewaltzusammenhang, den der Dichter auf eine höhere ethische Ebene hebt, indem er die Universalität des Leidens und des Mitgefühls anspricht. Er verdeutlicht damit indirekt, mit wieviel Scham jeder Akt der Gewaltanwendung verbunden ist, weil dadurch die Geschichte des Leidens fortgesetzt wird, aber auch, wie durch das Einnehmen der geweiteten Perspektive jede Schambelastung aufgehoben wird und ein freier Raum der Menschlichkeit entsteht.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Von der Pflichtethik zur universalen Ethik</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Pflichtethik geht von einem Unterschied zwischen Sein und Sollen aus. Was „ist“, sind die egoistischen Antriebe, die das Handeln der Menschen lenken, wenn sie von Überlebensängsten geleitet sind. Die Ethik fordert dazu auf, diese Antriebe zu überwinden und im Sinn der Gemeinschaft zu handeln. Sie formuliert das, was getan werden „soll“. Die Annahme dabei ist, dass das menschliche Sein erst durch das Sollen, das gegen die eigenen Impulse gerichtet ist, zur Ethik gelangt. Die Ethik wird nur durch eine kognitive Reflexion erreicht, mit der einsichtig wird, dass dem, was das Sollen verlangt, gefolgt werden muss. Ein Beispiel für diese systematische Überlegung stellt der kategorische Imperativ von Immanuel Kant dar: Handle so, dass die Maxime deines Handelns zugleich als allgemeines Gesetz geeignet ist.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">In dem von mir beschriebenen Modell der Bewusstseinsevolution habe ich die holistische oder universalistische Stufe eingeführt. Sie umfasst die mystische Sichtweise auf die Welt, mit der auch jedes Handeln von bedingungsloser Liebe bestimmt ist. Frei von Ängsten und toxischen Schamgefühlen fließt das Tun aus einem Bewusstsein der Allverbundenheit. Das Eigene ist das Ganze, und das Ganze ist das Eigene. Anderen Menschen Gutes zu tun, ist nichts Besonderes, weil der Schmerz und die Scham unmittelbar gespürt würden, wenn anderen Schaden oder Leid zugefügt wird. Jedes Leid, das es auf der Welt gibt, ist zugleich eigenes Leid, und jede Vermehrung des Leidens der Welt steigert das eigene Leid. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es braucht deshalb nicht einmal einen Unterschied zwischen Sein und Sollen: Was zu tun ist, erwächst aus dem Sein, aus dem Wesenskern der eigenen Persönlichkeit, und nicht aus einem Prinzip oder aus einer moralischen Reflexion. Es geht nicht um eine Pflicht, sondern, in den Begriffen von Kant formuliert, wird das moralische Handeln zur Neigung, zu etwas, das die eigenen Bedürfnisse genauso berücksichtigt und abdeckt wie die der anderen Menschen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es wird auf dieser Ebene deutlich, dass ethisches Handeln aus der Übereinstimmung der handelnden Person mit sich selbst erfließt, und dass diese Übereinstimmung mit sich zugleich eine Übereinstimmung mit allen anderen einschließt. Es ist zugleich ein Tun und ein Geschehenlassen. Es geht also nicht um die Befolgung einer Pflicht, die im Gegensatz zu den Neigungen und egoistischen Antrieben steht, sondern darum, das zu tun, was einem entspricht, was aus dem eigenen Inneren kommt. Ethisch zu handeln, ist auf dieser Bewusstseinsstufe die einzige Option, die zur Verfügung steht. Alles andere wäre eine Form der Selbstverleugnung, die als schmerzhaft und schambeladen erlebt wird.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Möglich wird diese Haltung, wenn die inneren Ängste und Schamgefühle so tief bearbeitet sind, dass sie sich nicht mehr in die Handlungsmotivation einmischen. Die Überlebensimpulse, die jedes egoistische Handeln motivieren, müssen erkannt und integriert sein, sodass sie keine Rolle bei der Ausrichtung des Entscheidens und Handelns sind.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Erwachtes ethisches Bewusstsein</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Mittlerweile ist das hohe ethische Bewusstsein nicht mehr nur Sache von wenigen Auserwählten aus der Menschheitsgeschichte, die gerne als Beispiele zitiert werden: Jesus, Buddha, Mahatma Gandhi. Es treten immer mehr Menschen auf, die von sich sagen, dass sie sich im erwachten oder erleuchteten Zustand befinden, und immer mehr Menschen suchen bei diesen Personen Inspiration und Hilfe für ihren inneren Weg. Der deutsche Philosoph Thomas Metzinger sieht in einer vertieften „Bewusstseinskultur“ (2023), die Zugang zu der universalistischen Bewusstseinsstufe hat und sich besonders auf die Meditation stützt, die wichtigste Ressource für die Änderungen in der Lebensweise, die durch die Klimaveränderungen auf uns zukommen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Auch die Wissenschaft nimmt sich dieser Phänomene an. Die US-amerikanische Neurowissenschaftlerin Lisa Hiller hat in einem Buch („Das erwachte Gehirn“, 2022) die Neurobiologie von spirituellen Bewusstseinszuständen erforscht und festgestellt, dass diese Zustände prinzipiell allen Menschen offenstehen. Es handelt sich also nicht um geistige „Spitzenleistungen“, die nur wenigen außergewöhnlich begabten oder begnadeten Personen zugänglich sind, sondern um ein Potenzial, das in allen Menschen steckt und durch geeignete Zugänge, Erfahrungen und Methoden erschlossen werden kann.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Welt steht vor großen Herausforderungen, die nur gemeistert werden können, wenn genügend Menschen mit den oberen Stufen der Ethik vertraut sind und in ihre Einstellungen und Werte aufnehmen können, sodass sie die praktischen Handlungen bestimmen. Wir haben viele Gründe zur Annahme, dass der Raubbau an der Natur massive Auswirkungen auf die sozialen Systeme haben wird. Die drohende Zerstörung von Klima und Atmosphäre, deren Stabilität für das Leben der Menschheit unerlässlich ist, führt zu immensen Herausforderungen für das Leben aller Menschen und für den sozialen Zusammenhalt. Dass die Menschen in Zeiten von knapper werdenden Ressourcen zusammenarbeiten statt zu kämpfen, erfordert eine starke Fundierung in einer erweiterten Form der Ethik. Ohne diese Rückbesinnung auf unser gemeinsames Schicksal auf diesem Planeten ist zu befürchten, dass die Verteilungskonflikte in den Staaten, in den Staatengemeinschaften und global an Schärfe und Heftigkeit zulegen werden. Die Probleme in der Eindämmung der CO2-Emissionen und vieler anderer Aspekte der Naturzerstörung, die ohnehin schon sehr groß sind, könnten dann nicht angegangen werden. Wir leben schon lange in einer Welt mit starken sozialen Unterschieden innerhalb der Weltbevölkerung, und diese eklatanten Unterscheide werden durch die Klimakrise fortlaufend vertieft. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Universale Verantwortung</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die universalistische Ethik macht uns klar, dass Hunger und Armut nicht irgendwo fern in der Welt Leid verursacht, sondern dass das unser Problem ist, das wir gemeinsam lösen müssen. In dieser Perspektive leiden wir in den hochentwickelnden Ländern nicht nur an den Folgen der Klimaveränderungen und an der fortschreitenden Inflation, sondern auch am Hunger der Menschen in anderen Ländern. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gibt eine Alternative, die allerdings keine wirkliche Alternative darstellt: Eine winzige Minderheit sichert sich ein komfortables Überleben (auf der Erde oder auf einem anderen Planeten), während die anderen mehr oder weniger darben oder zugrunde gehen, oder es arbeitet die Menschheit zusammen und findet Wege, die Lasten gleichmäßig zu verteilen und darauf zu achten, dass niemand unter die Räder kommt. Die erste Möglichkeit benötigt eine massive und kontinuierliche Schamverdrängung, sodass nur Zyniker überleben werden und sich dann untereinander das Leben schwer machen. Schon die Vorstellung einer solchen Möglichkeit ist in sich menschenverachtend und kann nur von Personen vertreten werden, die es nach Saadi „nicht verdienen, eines Menschen Namen zu führen.“ </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die zweite Möglichkeit erfordert das innere Wachsen der ethischen Kompetenz bei möglichst vielen Menschen, und das geht nur über die Verarbeitung von Ängsten und die Entwicklung einer reifen Schamkompetenz. Wir alle müssen also an der Horizonterweiterung unserer moralischen Einstellung arbeiten und die dafür erforderlichen emotionalen Grundlagen festigen; diese Aufgabe ist mindestens so zentral wie die der Weiterentwicklung von Technologien und von sozialen Regulationen zur Abfederung der ärgsten Folgen der klimatischen Veränderungen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2021/07/keine-nachhaltigkeit-ohne-soziale.html" target="_blank">Keine Nachhaltigkeit ohne soziale Konfliktlösung</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2020/03/von-der-angst-zur-ethik.html" target="_blank">Von der Angst zur Ethik</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/04/vom-gruppenegoismus-zur-globalen-ethik.html">Vom Gruppenegoismus zur globalen Ethik</a></span></p><p><br /></p>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-21692064871086964442024-01-07T17:57:00.002+01:002024-01-09T11:04:07.870+01:00Die Frage nach dem Jenseits und die Scham<p><span style="font-family: georgia;">Viele Religionen beschäftigen sich mit der Frage über das Weiterleben
nach dem Tod und bieten dazu ihre Glaubenswahrheiten an. Die gängigsten Antworten
sind die Wiedergeburtslehre und die Lehre von Himmel und Hölle. Nach
Religionszugehörigkeit betrachtet, könnte man sagen, dass ungefähr eine Hälfte
der Menschheit mehr der einen und die andere mehr der anderen Richtung des
Jenseitsglaubens anhängt.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, welche Rolle
die Scham bei der Beantwortung dieser Frage spielt. Wir kennen den Zusammenhang
von Frage und Antwort. Fragen kommen aus einem Spannungszustand, der durch die
Antwort entspannt werden soll. Wir wissen etwas nicht, und das bereitet uns ein
unangenehmes Gefühl. Wir suchen die Antwort, um das lästige Gefühl zu
beseitigen. Jede Unwissenheit trägt ein kleines Element der Scham in sich, und
das Wissen, das wir erlangen, löst die Scham auf. Wenn wir aber keine Antwort
auf unsere Frage bekommen, bleibt die Schamspannung bestehen. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Dieser Zusammenhang zeigt sich bei den kleinen und kleinsten
Unwissenheiten im Alltag in Form von kleinen und kleinsten Scham-Lösungszyklen.
Bei den großen, letzten Fragen, die unser gesamtes Sein anbetreffen, sind diese
Zyklen umso größer. Die Frage nach dem Jenseits unserer Lebenslaufbahn betrifft
uns auf einer existenziellen Ebene. Unser Denken ist in der Lage, über unseren
Tod hinaus zu fragen: Was ist mit der Seele, wenn der Körper stirbt? Die
Vorstellung der radikalen Endlichkeit („Mit dem Tod ist alles aus“) hat etwas
Schockierendes an sich. Alles, worauf wir in diesem Leben bauen, und alles, was
wir in diesem Leben aufgebaut haben, soll mit einem Schlag beendet und
verschwunden sein. Um uns vor dieser Radikalität der Endlichkeit zu schützen,
glauben wir lieber an eine der Formen des Weiterlebens, entweder mit einer
Chance, die dann eine Ewigkeit anhält, oder mit einer endlichen oder
unendlichen Serie von Wiedergeburten. Diese Denkmöglichkeiten geben uns einen
Trost und eine Beruhigung angesichts der drohenden Endlichkeit. Zugleich
befrieden sie das Schamgefühl, das entsteht, wenn wir mit einer Frage ohne
Antwort dastehen, so als wären wir wären keiner Antwort würdig.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Die Antworten auf Fragen geben uns ein Gefühl der Kontrolle.
Wir sind nicht mehr einem ungewissen Schicksal ausgeliefert, auch dann nicht, wenn
der Tod anklopft, sondern wir können darauf vertrauen, dass es irgendwie weitergeht
und wir nicht völlig ausgelöscht werden. Wir verfügen über ein Stück Sicherheit,
ein Stück Kontrolle in Hinblick auf den Tod. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Wir können uns dabei zwar nicht auf Wissen berufen, weil es
aus der Jenseitswelt kein sicheres Wissen geben kann, aber wir können uns auf
unsere Fähigkeit zum Glauben stützen. Durch das Glauben schützen wir uns vor der
unheimlichen und existenziell bedrohlichen Vorstellung, im Moment des Todes in
ein Nichts zu fallen. Wir müssen die Scham nicht mehr spüren, die uns bei
dieser Vorstellung befällt. <span style="mso-spacerun: yes;"> </span><o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Der Umkehrschluss lautet allerdings, dass all die
Scheinsicherheiten, die durch Erklärungsmodelle und Sinnangebote jenseits des
Wissbaren vorgeschlagen werden, der Angst- und der Schamabwehr dienen. Sie
vermitteln die Illusion von Kontrolle und befriedigen das Bedürfnis nach
Sicherheit in einem Bereich, in dem es keine Sicherheit geben kann. Es wäre
blamabel und bedrohlich zugleich, zugeben zu müssen, das eigene Leben über den
Tod hinaus nicht kontrollieren zu können.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Wissen und Kontrolle</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Verlässliches Wissen suchen wir deshalb, weil es uns
Sicherheit gibt und uns erlaubt, die Wirklichkeit zu kontrollieren. Wenn wir
herausgefunden haben, was Blitze sind, können wir Techniken entwickeln, die
unsere Häuser vor Blitzschlägen schützen. Wir sind der Naturgewalt in dieser
Hinsicht nicht mehr ausgesetzt, sondern halten sie unter Kontrolle. Wenn wir
verstehen, dass Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt ausgesetzt waren, später
als Erwachsene mit höherer Wahrscheinlichkeit selber gewalttätig werden, wissen
wir, wie wir die Gewalttätigkeit unter Menschen verringern können. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Wo wir über kein Wissen verfügen, das uns Sicherheit geben
könnte, strengen wir uns an, dieses Wissen zu erzeugen. Wir forschen nach den Ursachen
und Zusammenhängen, bis wir wissen, wie die Dinge funktionieren und wie wir sie
lenken und kontrollieren können, sodass sie uns nutzen oder zumindest nicht
mehr schaden.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Mit jedem Wissen gewinnen wir also ein Gefühl der Macht über
Vorgänge und Menschen und fühlen uns geschützt vor Risiken. Das Gefühl, die
Kontrolle zu haben, erfüllt uns mit Stolz. Mit Mitleid betrachten wir frühere
Zeiten, in denen z.B. die Risiken, an einer Bakterieninfektion zu sterben, viel
höher waren als heute. Denn wir verfügen gegen diese Gefahr über wirksame
Mittel, die wir durch Wissen gefunden haben. Wo dieses Wissen noch nicht vorhanden
ist, z.B. bei noch immer unheilbaren Krankheiten, spüren wir einen Mangel, der
uns Scham bereitet, und eine Bedrohung, die uns Angst macht. Und wir freuen uns
und sind stolz, wenn den medizinischen Wissenschaften ein Erfolg in der
Krankheitsbekämpfung gelungen ist.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Gerade deshalb sind uns Bereiche, in denen wir kein sicheres
Wissen erlangen können, besonders suspekt. Sie bereiten uns ein mulmiges
Gefühl. Wir wollen uns auch hier vor Gefahren schützen und schämen uns, wenn es
uns nicht gelingt. Um diese Scham zu überwinden, hat die Menschheit Vorstellungen
erfunden, die uns auch hier eine Sicherheit geben sollen. Wir sind zwar nie
sicher, ob es sich nicht doch um Illusionen handelt. Dennoch wollen viele auf
diese Einbildungen nicht verzichten. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Die Alternative wäre es, das Nichtwissen und
Nichtwissenkönnen auszuhalten. Die absolute Grenze, die der Tod in jedes
Menschenleben einführt, löst Widerstände und Unwillen aus, die aus unserem Ego
kommen. Unsere Selbstsucht hält es nicht aus, wenn wir irgendwo über keine
Kontrolle verfügen und in der Schwebe der Unsicherheit hängen bleiben. Insbesondere
unser eigenes Ende ist mit der größten Angst behaftet, und eine der
Hauptfunktionen des Egos besteht darin, uns vor der Vorstellung eines absoluten
Endes zu schützen. Es will über den Tod hinaus die Kontrolle behalten.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Denn es ist für unser überzogenes Selbstbewusstsein ein
Skandal, das eigene Ende und damit die zukünftige Nichtigkeit dessen, was wir
jetzt sind, mitdenken zu müssen. Der Narzissmus, der in jede
Ego-Selbstbestätigung enthalten ist, will diese Grenze um jeden Preis relativieren,
indem er sich an die Hoffnung auf ein jenseitiges Leben anklammert. Mit einer
Form des Jenseitsglaubens kann er und damit die gesamte Ego-Agenda bestehen
bleiben, zumindest so lange der Körper die Denkvorgänge aufrechterhält. <o:p></o:p></span></p><h3 style="text-align: left;">Der Stolz der Nichtgläubigen</h3><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><!--StartFragment-->
<!--EndFragment--></span></p><p class="MsoNormal">Aber auch die skeptische Haltung zu den Jenseitsfragen
enthält emotionale Fixierungen, wenn sie mit Stolz vertreten wird. Die naiven
Jenseitsgläubigen werden belächelt oder verachtet, während die eigene
Überlegenheit im Nichtglauben genossen wird. Festgehaltener Stolz stellt eine
Form der Schamabwehr dar. Die Scham, keine befriedigende Antwort auf die Frage
nach der eigenen Endlichkeit finden zu können, wird in den Stolz umgemünzt, im
eigenen Bewusstsein weiter entwickelt zu sein als jene, die am Glauben hängen.
Das Ego findet seine Befriedigung in dieser Form der Überheblichkeit.<o:p></o:p></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Aushalten der Endlichkeit</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Was wäre, wenn wir uns nicht unserem Ego unterordnen und den
Narzissmus der Selbstüberschätzung überwinden? Dazu müssen wir uns den Gefühlen
der Scham und der Angst stellen, die mit der Akzeptanz einer absoluten Grenze
unseres Kontrollstrebens auftauchen. Wenn wir uns diese Gefühle bewusst machen,
können wir ihre Macht über uns und über unsere Jenseitsvorstellungen brechen. Es
fällt uns dann leichter, uns einzugestehen, dass unsere Kontrolle an der Grenze
des Diesseits endet. Das Jenseits entzieht sich unserem Einfluss und unserer
Macht, also auch der , die wir durch das Wissen erlangen wollen. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Die Akzeptanz der absoluten Grenze für das Wissen und die
Kontrolle führt uns zu einer Haltung der Bescheidenheit und Demut. Wir fügen
uns in unsere Begrenztheit und Unvollkommenheit und erkennen darin besondere
Qualitäten des Menschseins. Wir beschränken unsere Fähigkeit, die Wirklichkeit
durch Wissen zu kontrollieren, auf das diesseitige Leben, auf das Meistern der
aktuellen Probleme und Fragestellungen. Wir erkennen und nehmen die besondere
Würde, die darin liegt, unsere Kräfte der Bewältigung unseres uns gegebenen
Lebens zu widmen, gleich ob es nach dem Tod irgendwie weitergeht oder nicht.
Wir gründen das Vertrauen in uns und in die Beziehungen zu den Menschen um uns
herum, denen wir liebevoll begegnen.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Wir nutzen die Räume, die uns zur Verfügung stehen, um unser
Wissen zu erweitern und zu vertiefen. Als Menschen haben wir aufgrund unserer
ins Jenseits und ins Unendliche reichenden Intelligenz eine Sonderstellung in
der Natur inne. Wir können dieser Sonderstellung aber nur dann gerecht werden
und aus ihr sinnvollen Nutzen ziehen, wenn wir uns selbst überall dort beschränken,
wo die Kontrolle durch das Wissen nur illusionär ist. Jede Überdehnung der
Grenzen führt uns in eine Versuchung, mehr Macht auszuüben als uns zusteht. Und
das tut weder uns gut noch allem anderen, worauf sich diese Macht auswirkt.</span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Ähnlich wie wir als Menschheit unser Verhältnis zur Natur
nur dadurch ausgleichen können, dass wir unsere überschießenden Kontrollimpulse
kontrollieren und einschränken, kommen wir dem Sinn unseres Lebens nur näher,
wenn wir die absolute Grenze, die uns der Tod nun einmal setzt, in ihrer
Absolutheit respektieren und der Versuchung widerstehen, die uns die
verschiedenen Glaubensmodelle anbieten. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Auf die Frage nach dem Weiterleben nach dem Tod haben wir die
Wahl, an eines der Angebote aus den Religionen zu glauben oder auf jeden
Glauben zu verzichten. In jedem Fall ist es sinnvoll und hilft bei der inneren
Klärung, wenn wir nachprüfen, welche Ängste und vor allem welche Schamgefühle bei
unserer Wahl mitspielen.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><o:p><span style="font-family: georgia;"> Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2014/11/das-ego-und-die-idee-der-unsterblichkeit.html" target="_blank">Das Ego und die Idee der Unsterblichkeit</a><br /><span style="font-family: Georgia,"Times New Roman",serif;"><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.co.at/2014/11/theologie-und-mystik-zur-frage-nach-dem.html" target="_blank">Theologie und Mystik zur Frage des Weiterlebens</a></span><br style="font-family: "Times New Roman";" /><span style="font-family: Georgia,"Times New Roman",serif;"><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.co.at/2013/10/die-zwei-wahrheiten-und-die-religionen.html" target="_blank">Die zwei Wahrheiten und die Religionen</a></span><br style="font-family: "Times New Roman";" /><span style="font-family: Georgia,"Times New Roman",serif;"><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.co.at/2014/11/wissen-fantasie-und-glaube-was-kommt.html" target="_blank">Wissen, Phantasie und Glaube</a></span><br style="font-family: "Times New Roman";" /><span style="font-family: Georgia,"Times New Roman",serif;"><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.co.at/2014/10/dissoziative-weltbilder-und-die.html" target="_blank">Dissoziative Weltbilder und die Trennung von Leib und Seele</a></span></span></o:p></p>
<!--EndFragment-->Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-31574684952820960442023-12-23T10:45:00.001+01:002023-12-23T10:45:29.535+01:00Die pubertären Wurzeln der Ideologien<p><span style="font-family: georgia;">Die Zwischenzeit der Adoleszenz besteht darin, eine Antithese zur Kindheit zu bilden. Adoleszente wollen keine Kinder mehr sein und lehnen deshalb alles Kindliche ab. Sie orientieren sich an Werten, die sie absolut setzen. Sie fordern die Erwachsenen und ihre Ansichten heraus. Sie treten mit neuen Ideen und neuen Programmen auf, die die Gesellschaft verändern und vorantreiben sollen. Sie kritisieren die Widersprüche der von den Erwachsenen eingerichteten Welt und fordern die Widerspruchsfreiheit ein. Sie vertreten ihre Ideale bedingungslos, und sie können das auch, weil sie noch keine Handlungen setzen können und noch keine Verantwortung tragen müssen. Oft werden sie deshalb von den Erwachsenen als Träumer oder als weltfremde Idealisten belächelt. Die Jugendlichen wiederum sehen in den Erwachsenen in ihren Haltungen festgefahren und stur im Festhalten an alten Strukturen und an ihrer Macht. Sie betrachten das Bestehende als Hemmschuh für ihr Fortkommen und bekämpfen es, um Freiräume für eine Neugestaltung zu gewinnen. Die Adoleszenten treten mit vielen Forderungen auf, die sie leicht stellen können, weil sie nicht die Verantwortung für deren Verwirklichung tragen können.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Offenbar dient es dem gesellschaftlichen Fortschritt, dass jede junge Generation mit einem Elan zur Erneuerung und zur Überwindung von alten Verkrustungen antritt. Sie zeigt die Widersprüche zwischen Moral und Praxis, zwischen Idealen und Realität auf und fordert oft radikal eine Kehrwende ein, zurück zu mehr Gerechtigkeit und Offenheit. Denn die Jugend braucht eine offene Welt, in der es viele Chancen gibt, nicht nur für wenige Privilegierte, sondern für alle. Sie wissen noch zu wenig über sich selbst und sind unsicher, ob sie ihren Platz in der Welt finden können. Deshalb neigen sie zu radikaleren Vorstellungen über die notwendigen Veränderungen als viele Erwachsene, die sich eine pragmatischere Sicht auf die Wirklichkeit erworben haben. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Widersprüchliche Realität</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Realität ist geprägt von Gegensätzen und Widersprüchen, und das Erwachsenenleben gelingt in dem Maß, in dem diese Widersprüchlichkeit sein darf, ausgehalten wird und den Rahmen für das Handeln bildet. Viele Vorkommnisse sind weder gut noch böse, oder beides, keinesfalls aber eindeutig zuordenbar. Wir täten uns leichter mit der Wirklichkeit, wenn es immer die Täter (die Bösen) auf der einen und die Opfer (die Guten) auf der anderen Seite gäbe. Aber Vereinfachungen haben immer ihren Preis, während die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten bestehen lassen zu können, die Handlungsfähigkeit erweitert. Wir können besser auf die Wirklichkeit und ihre Erfordernisse eingehen, wenn wir sie in ihrer Ambiguität tolerieren. Je mehr Sichtweisen wir entwickeln, desto mehr Optionen haben wir. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Ideologien sind pubertäre Erlösungsfantasien </span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Jede Ideologie stellt einen Versuch dar, Widersprüche auf Kosten der Realität zu harmonisieren. Das scheinbar eindeutige Benennen von einfachen Ursachen für Missstände begeistert viele Anhänger und Parteigänger. Vereinfachungen vermitteln Illusionen der Handlungsfähigkeit, weil sie vorgaukeln, dass mit der Beseitigung des so-genannten Bösen die Probleme gelöst werden und sang- und klanglos verschwinden. Die gesellschaftlichen Probleme sind allerdings immer komplex und können nicht durch ein einfaches Dreinhauen gelöst werden. Meist verstärken einfache Lösungsansätze die Probleme zusätzlich. Ein Beispiel bilden die ökonomischen Maßnahmen, die von vielen rechtspopulistischen Regierungen durchgeführt werden. Sie geben aus dem gesellschaftlichen Füllhorn gern Geschenke für ihre Klientel, die den Staatshaushalt belasten; und den kleinen Leuten wird dann auf andere Weise wieder das Geld aus der Tasche gezogen. Oft reduzieren diese Politiker die Steuern für die Reichen, was den Schlechterverdienern mehr Lasten aufbürdet, aber Geld von den Reicheren in die Parteikassen der Rechtsparteien spült, die damit ihre Propagandamaschinen betreiben können. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wir können erkennen, dass die Neigung zu Ideologien pubertäre Wurzeln hat. Jugendliche neigen zu radikalen Sichtweisen und einfachen Lösungswegen, wie sie von Ideologien angeboten werden. Z.B. wird gefordert, riesige Zäune zu bauen, um das Flüchtlingsproblem für das eigene Land zu lösen. Das Problem wird damit in andere Länder exportiert und im eigenen Land kann man sich selbstzufrieden abputzen. Das Problem wurde also nur von den eigenen Leuten und Anhängern weggeschoben, aber nicht gelöst. Echte Lösungsschritte müssen in den Herkunftsländern ansetzen, damit die Bedingungen dort so verbessert werden, dass niemand mehr flüchten will. Aber das sind langwierige und komplexe Bemühungen, die zwar nachhaltig wirken, aber in den Zielländern der Fluchtbewegungen nicht populär sind, weil sie keine unmittelbare Entlastung von den Ängsten bewirken, die durch die Migrationen ausgelöst werden. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Ideologen und Ideologieanhänger sind in ihrer Weltsicht nicht erwachsen geworden. Sie befinden sich in einer Fundamentalopposition zur Realität, die die objektive Entsprechung der Erwachsenenwelt darstellt. Sie wollen eine Gegenwelt, nicht die Weiterentwicklung der bestehenden. Sie erhoffen sich schnelle Lösungen und übersehen die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit, indem sie die Komplexitäten auf Einfachheit reduzieren und damit alle Details und Zusammenhänge, die dem eigenen Weltbild widersprechen, ausblenden. Deshalb bringen sie im besten Fall Scheinlösungen oder nur kurzfristig wirksame Verbesserungen zustande. Der Verantwortungshorizont reicht nicht aus, um nachhaltige oder langfristig haltbare Maßnahmen zu verwirklichen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Verantwortungsbewusstes politisches Handeln trägt der Komplexität Rechnung und versucht, verschiedene Interessenslagen zu bedienen. Im 21. Jahrhundert bedeutet das immer auch, dass die Perspektive des gesellschaftlichen Handelns immer auch die Bedürfnisse der Natur und der künftigen Generation mit einschließt – Bereichen, denen sonst nachhaltiger Schaden zugefügt wird. Viele rechtsextreme Politiker vermeiden diese wichtige Sicht, indem sie den Klimawandel leugnen und damit Raubbau an den Ressourcen des Planeten fördern, die auch die Lebensmöglichkeiten künftiger Generationen einschränken. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Reifes Erwachsensein</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Das reife Erwachsensein besteht nicht in der Negation der Adoleszenz, sondern in einer Integration von Kindheit, Jugend und Erwachsenem. Im Sinn von Georg Wilhelm Friedrich Hegel geht es beim Fortschritt immer um eine Synthese aus These und Antithese, aber nicht um eine reine Negation der Negation. Die Pubertierenden neigen zwar zur Negation von Kindheit und Erwachsenenwelt, aber die Weiterentwicklung führt zur Synthese, zur Verbindung der Kräfte und Energien.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Erwachsene dürfen immer wieder mal kindlich und pubertär sein. Es sind Aspekte der Lebendigkeit, die unterschiedliche kreative Impulse enthalten, die in jedem Erwachsenenleben mitwirken sollten. Das Erwachsensein, das sich nur als Abkehr und Überwindung von Kindheit und Jugendzeit versteht, neigt zur emotionalen Trockenheit und schöpferischen Farblosigkeit. Die Hauptausrichtung der Erwachsenen ist der produktive Umgang mit der Realität und ihren Herausforderungen mit den Mitteln der Rationalität und Pragmatik. „Reine“ Erwachsene sind nur Verwalter der Realität und keine Gestalter. Die Impulse zur Gestaltung kommen aus der Kreativität des Kindes und des Jugendlichen. Sie erfordern die Fähigkeit, die Welt immer wieder ganz anders sehen zu können, als sie ist. </span></p><p><span style="font-family: georgia;"><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2022/08/die-fruhkindlichen-wurzeln-der.html" target="_blank">Die frühkindlichen Wurzeln der Ideologien</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2022/01/verschworungstheorien-und.html" target="_blank">Verschwörungstheorien und Normalitätsscham</a></span></p>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-39703408213471059712023-12-21T16:48:00.000+01:002023-12-21T16:48:44.990+01:00Über das Leben mit Ungewissheiten<p><span style="font-family: georgia;">Eine Klientin hat endlich einen Abnehmer für ihr Geschäft, das sie schon lange verkaufen will, weil es ihr viel Anstrengung abverlangt und sie neue Perspektiven für ihr Leben sucht. Der neue Übernehmer ist sehr interessiert, aber die legalen Prozesse brauchen noch Zeit, und erst dann ist der Verkauf sicher. Da immer wieder Interessenten aufgetaucht sind, die dann nach einiger Zeit der Überlegung abgesprungen sind, bleibt sie auch jetzt in einer dauernden Anspannung, solange der Vertrag nicht unterschrieben ist.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Eine andere Klientin sucht schon länger einen Nachmieter für sich und denkt, dass sie niemanden finden wird. Das Problem beschäftigt sie und lässt ihr keine Ruhe. Auch wenn es nicht wirklich dringend ist, braucht sie doch das Geld und fürchtet, dass es viel zu lange dauern wird, bis jemand, der auch passen muss, auftaucht.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Ungewissheit ist ein Zustand, den Menschen schlecht aushalten können. Sie wollen die Zukunft unter Kontrolle haben, um sich in der Gegenwart sicher zu fühlen. Diesem Bedürfnis nach Kontrolle steht die Einsicht gegenüber, dass wir prinzipiell nichts über die Zukunft wissen können. Wir verfügen einzig über Wahrscheinlichkeiten, die uns erlauben, die Zukunft zu planen. Der sprichwörtliche Ziegel fällt vom Dach, während wir gerade vorbeikommen, und alle unsere Planungen sind über den Haufen geworfen. Mit vielem können wir rechnen, eben mit dem, was sich im Wahrscheinlichkeitsspektrum aufhält, aber jenseits dieser Bereiche gibt es immer Räume für Ungewissheiten und Überraschungen. Ungewisses führt zu Unsicherheit, und Unsicherheit löst Angst aus. Diese Angst entsteht schon, wenn unsere Fantasie in die Zukunft schweift und dort eine verschwommene Leerstelle vorfindet. Sobald die Aufmerksamkeit in die Gegenwart zurückkehrt, schwindet diese Angst. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Aber unsere Gewohnheiten halten oft die Aufmerksamkeit gerade auf dem, was Angst macht, denn da könnte ja eine Gefahr drohen, auf die wir uns einstellen müssen. Lieber mit dem Schlimmsten rechnen, ist die Devise vieler Leute, mit dem Vorteil, dass es meistens doch nicht so arg kommt und damit eine positive Überraschung geschieht, aber mit dem Nachteil, dass die Zukunft mit Sorgen und Ängsten überladen wird und damit die Gegenwart andauernd überschattet und belastet ist. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Schwierigkeiten, mit Ungewissheiten umgehen zu können, stammen oft aus einem mangelhaften Vertrauen ins Leben. Im Moment scheint alles ja ganz gut zu sein, aber es könnte sich schnell verschlechtern. Um die nächste Ecke schon könnte eine Unannehmlichkeit lauern. Also gehe ich lieber vorsichtig um die Ecke, eingestellt auf jedwede unliebsame Überraschung. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Wurzel dafür liegt oft darin, dass die eigenen Eltern eine Unsicherheit in sich getragen haben, die sie auf das Kind übertragen haben. Sie konnten dem neuen Leben nicht vertrauen, das ihnen geschenkt wurde. Ein Kind, das mit dieser Unsicherheit empfangen wird, ist ebenfalls in seinem Lebensvertrauen erschüttert und trägt diese Ängstlichkeit weiter mit sich herum. Sie passt sich an die jeweiligen Umstände an, aber befürchtet leicht, dass leicht etwas Unerwartetes passieren könnte. Es reagiert klammernd und ängstlich, wenn die Mutter weggehen will oder gerät in Panik, wenn sie nicht gleich wieder kommt. Es ist im Kindergarten und in der Schule eher schüchtern und zurückhaltend. Auch im späteren Leben werden oft Gefahren gesehen, wo gar keine sind.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Ungewissheiten des Lebens annehmen zu können, weil sie zum Leben gehören, ist eine wichtige Lernaufgabe für jeden Menschen. Sie beinhaltet das Aushalten von Ängsten, verbunden mit der Herausforderung, die eigenen angsterfüllten Fantasien mit der Realität abzugleichen und die Handlungsspielräume auszuloten, die in jeder Situation liegen. Es ist ein kindlicher Anteil, der Ungewissheiten mit Angst verbindet, während der erwachsene Persönlichkeitsteil für die Realitätsprüfung zuständig ist. Kindliche Anteile melden sich oft mit starker emotionaler Ladung, um die ganze Aufmerksamkeit zu bekommen. Erwachsen werden heißt, sich der Macht der Gefühle nicht zu unterwerfen, sondern, ohne sie zu unterdrücken und zu übergehen, den Bezug zur Wirklichkeit aufrechtzuerhalten und aus ihm die innere Sicherheit zu gewinnen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Leben ist ein beständiger Änderungsprozess. Über die Verläufe in der Zukunft können wir nur Vermutungen anstellen. Wir rechnen mit gewissen Wahrscheinlichkeiten, haben aber keine Gewissheit über ihr Eintreten. Wenn wir die Gelassenheit des Erwachsenseins mehr und mehr zulassen können, werden die Ungewissheiten zu Überraschungen und zu Aspekten des Abenteuers, das jedes Leben von Anfang bis Ende ist.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2020/10/von-der-ungewissheit-zur-mystik.html">Von der Ungewissheit zur Mystik</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2021/01/ungewissheit-als-chance.html" target="_blank">Ungewissheit als Chance</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-35275643772090381142023-12-16T09:27:00.000+01:002023-12-16T09:27:50.454+01:00 Die individuelle Mobilität und die Klimakrise<p><span style="font-family: georgia;">Der Motive zum Reisen gibt es viele, und es zählt zu den grundlegenden Sehnsüchten der Menschen, sich von zuhause wegzubewegen und fremde Orte kennenzulernen. Die Reiselust ist eng mit der Abenteuerlust verbunden. Das Reisen führt zur Konfrontation mit anderen Welten, Kulturen und Lebensformen. Es bietet ein Entkommen aus den gewohnten Umständen. Es führt zum Sammeln von Erfahrungen, die mit anderen geteilt werden können. Interessantes aus der Ferne berichten zu können, macht zu einem beliebten Gesellschaftsmenschen. Dazu kommen die Stressmuster aus dem Arbeitsleben, die es schwer machen, die Erholung zuhause zu finden. Die Anforderungen werden nach der Logik des Kapitalismus immer schärfer angezogen, und umso dringender zeigt sich der Wunsch nach einem Kontrastprogramm, das möglichst weit weg gefunden werden soll. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die moderne Zeit hat einen enormen Zugewinn an Mobilität erlaubt. Der Erfahrungs- und Lebenshorizont der Menschen in vormodernen Gesellschaften war auf ca. 30 Kilometer im Umkreis beschränkt (die Wegstrecke, die man in einem Tag zu Fuß hin- und retour bewältigen kann). Wer über ein Reitpferd verfügte, kam schon weiter, aber das war das Privileg einer winzigen Minderheit. Und auch diese Reiseform hatte ihre Grenzen. Die grenzenlose Freiheit des Reisens ist also eine Errungenschaft der neuesten Zeit und hat in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Massen in den reichsten Ländern erreicht. Im Maß des Wachstums des Wohlstandes in immer mehr Ländern entwickelt sich auch die Reiselust und Reisegier. So leicht und beschwerdefrei wie in unserer Zeit war das Reisen noch nie, die Abenteuer werden immer billiger und uniformer; die Urlaubsdomizilien ähneln sich immer mehr. Mit fortschreitender Vergünstigung des Reisens schwindet der Charakter des Abenteuers kontinuierlich. Die Suche nach der „einzigartigen Erfahrung“ in der Fremde wird deshalb immer aufwändiger.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Reisen und Energie</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die modernen Formen des Reisens beginnen mit den Dampfzügen, betrieben mit Steinkohle aus den Tiefen der Erde. Dann kamen die Autos, und das Erdöl wurde zum flüssigen Gold überall dort, wo es gefördert werden konnte. Später dann wurde mit den Flugreisen die bis dahin ressourcenintensivste Form des individuellen Reisens eingeführt. Heute können sich die Superprivilegierten eine Mondreise leisten, mit der man neue Rekorde im Ressourcenverbrauch und in der klimaschädlichen Gasfreisetzung aufstellen kann. Modernes Reisen ist also ressourcenintensiv und benötigt bislang vor allem fossile Brennstoffe. Reisen zu Pferd oder Segelschiff sind heutzutage nicht mehr als Hobbies von denen, die es sich leisten können. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gab die naiven goldenen Jahren des Schwelgens im grenzenlosen Wachstum, als die Warnungen vor der Begrenztheit der Rohstoffe noch als Spinnereien abgetan werden konnten und der Klimawandel nur einigen Wissenschaftlern aufgefallen war. In diesen Zeiten war das Reisen nur eine Frage des Geldes und nicht auch des Gewissens. Heute wissen wir viel mehr und tun uns immer schwerer damit, dieses Wissen wegzudrücken und so zu tun, als könnten wir weiter unbeschwert tun und lassen, was wir wollen. Wir reden uns gerne ein, dass alles nicht so schlimm ist und dass wir deshalb an unseren Lieblingsgewohnheiten festhalten können. Wir gebärden uns so, als wäre es unser Recht und nicht unser Privileg, in der Art zu reisen, wie wir gerade wollen, solange wir es uns leisten können.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wir wissen, dass die Ressourcen dieser Erde endlich sind und dass die Verbrennung der fossilen Bodenschätze die Hauptursache für den Klimawandel mit seinen unabsehbaren Folgen ist. Wir wissen, dass wir uns daran beteiligen, wenn wir ressourcenaufwändig reisen. Aber im Zweifelsfall vergessen wir auf unsere moralische Verantwortung und rechtfertigen unsere Reisetätigkeit mit fadenscheinigen Argumenten vor uns selbst und vor anderen. Es gibt keine äußeren Ankläger, die die Verantwortung, die wir der Umwelt und den künftigen Generationen gegenüber haben, einfordern würden. Denn weder die Natur noch zukünftige Erdenbürger gelten als Rechtssubjekte. Unser Rechtsverständnis und unsere Rechtsprechung haben sich noch nicht auf die Gegebenheiten eingestellt, mit denen wir schon seit geraumer Zeit konfrontiert sind. Damit kommen wir ungestraft davon, auch wenn wir anderen Schaden zufügen.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die moralische Spannung beim Reisen</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Es ist deshalb nur ein Anspruch, den wir an uns selber stellen können und müssen, weil wir ja über das Wissen zu den Folgen unseres Handelns verfügen. Jede Reise mit belastender Ökobilanz erzeugt eine moralische Spannung, ob wir das wollen oder nicht, mit der wir umgehen müssen. Die verbreitetste, weil scheinbar einfachste Form, mit der Spannung zurechtzukommen, besteht darin, sie abzuschwächen oder ganz zu leugnen. Aber auch die Bagatellisierung und Verdrängung der Spannung ist belastend erfordert Energie, die oft als Aggression auf jene abgelassen wird, die an die Auswirkungen der Klimakrise erinnern. Es werden diejenigen geprügelt, die einen an das schlechte Gewissen erinnern. Sie sollen zum Schweigen gebracht werden, in der Hoffnung, dass sich dadurch auch das eigene Gewissen beruhigt. Die Überbringer von schlechten Nachrichten hatten nie ein leichtes Los, aber die drastischen Veränderungen des Klimas kümmern sich nicht darum, ob die Menschen Verantwortung übernehmen oder nicht. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gibt trotz der überwältigenden wissenschaftlichen Evidenz leider noch immer viele Leugner des menschengemachten Klimawandels, die zum Teil von Firmen finanziert werden, die an der bisherigen Ressourcenverschwendung profitieren und jede Änderung unterminieren wollen, um ihre Gewinne weiterhin zu sichern. Sie halten sich ein Publikum bei denen, die zwar nichts mit der fossilen Industrie zu tun haben und auch nicht an deren Gewinnen mitnaschen, die aber deren Argumente aufgreifen und verbreiten, um mit ihnen die eigene Gewissensspannung zu beruhigen und über jene richten zu können, die immer wieder an die sich anbahnende Katastrophe erinnern. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Reisen in der Zukunft</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Es ist historisch gesehen ein kleines Zeitfenster, in dem das Reisen zum Massenphänomen wurde und unbeschwert genossen werden konnte. Im Lauf der letzten Jahrzehnte wurde klar, dass wir die Verantwortung für diese Erde gemeinsam schultern und als Folge Einschränkungen im Lebensstil und in den Konsumfreiheiten in Kauf nehmen müssen. Sie betreffen auch das Reisen, das seine Selbstverständlichkeit verliert und als komplexes Problem gesehen werden muss.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Reisen wird auch in Zukunft nicht verschwinden, aber es wird seinen reinen Konsumcharakter verlieren müssen und wieder auf die ursprünglichen Bedürfnisse und Motive zurückgreifen, die allesamt auch ohne den Verbrauch von fossilen Brennstoffen erfüllt werden können. Das Erleben des Neuen und das Heraussteigen aus dem Alltag geschieht durch das Wegbewegen von den Gewohnheiten, und dafür, dass es gelingt, ist nicht die Anzahl der Kilometer maßgeblich, die bei Reisen zurückgelegt werden, noch die Geschwindigkeit, mit der die Distanzen überwunden werden.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2018/01/die-jagd-nach-der-erfahrung.html" target="_blank">Die Jagd nach Erfahrung</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-46530092621720483682023-12-03T17:37:00.000+01:002023-12-03T17:37:44.761+01:00Das Ego in der Meditation<p><span style="font-family: georgia;">Das Ego mischt sich in alle Themen und Aktivitäten unseres Lebens ein, so natürlich auch ins Meditieren. Es äußert sich schon von Beginn an: Was soll das bringen? Wie mühsam ist es doch, nur dazusitzen und nichts zu tun, so viele Ideen hätte ich, aber jetzt soll ich nur still sitzen bleiben ... </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Aber auch, wenn die ersten Hürden überwunden sind und der Entschluss zum Meditieren zu einer Routine geführt hat, melden sich Widerstände, die unser Ego produziert: Ich komme nicht weiter, es ist nur langweilig, ich bin ja sowieso immer nur in Gedanken etc. Manche resignieren wegen dieser hartnäckigen Widerstände und hören irgendwann mit dem Meditieren auf. Oder sie schaffen es nur, dranzubleiben, wenn sie in einer Gruppe sind. Das Aussteigen aus der Meditationspraxis tut dem Ego einen Gefallen, das sich zufrieden zurücklehnen kann und nicht mehr fürchten muss, die Macht im Inneren zu verlieren. So kann alles beim Alten bleiben, die Muster ändern sich nicht und die Gewohnheiten bestimmen weiterhin das Leben mit seinen vielfältigen Ablenkungen. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Ego und der spirituelle Fortschritt</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Das Ego meldet sich aber auch dann, wenn eine Meditation eine herausragend positive Erfahrung war. Hurtig brüstet es sich mit dem Fortschritt einer „gelungenen” Meditation, wenn sie z.B. zu tiefer Entspannung geführt, spezielle innere Räume geöffnet und egofreie Zustände ermöglicht hat. Kaum öffnen wir die Augen, drängt sich das Ego in den Vordergrund und reklamiert den „Erfolg“ für sich: Wie weit bin ich doch schon auf meinem inneren Weg fortgeschritten, das Ziel kann nicht mehr weit sein. Vielleicht präsentiert das Ego auch Vergleiche wie: Früher habe ich noch mit so vielen Widerständen kämpfen müssen, gestern konnte ich mich gar nicht konzentrieren, aber heute habe ich einen tollen Schritt vorwärts geschafft. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Selbstzufrieden schauen wir auf die Errungenschaft zurück, stolz erzählen wir Freunden davon, um ihre Bewunderung zu ernten. Heimlich reibt sich das Ego seine Hände und freut sich, dass ihm die Meditation nichts anhaben konnte. Denn es sonnt sich in dem Stolz. Plötzlich steht es voll hinter der Meditation, die es als seine Leistung präsentieren kann. Dieses Momentum, wo der Drang nach innerem Vertiefen und das stolzgeprägte Ego zusammenwirken, kann die Meditiererin für sich nutzen und die Konsequenz im Weitermachen stärken. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Dem Ego geht es zwar nicht um die innere Entwicklung, die tendenziell von seiner Macht wegführt, sondern darum, im sozialen Feld für einen stabilen Stand zu sorgen, an dem die Anerkennung sichergestellt ist. Da es aber erkennt, dass es in seiner Aufgabe, für Sicherheit zu sorgen, durch die Meditation unterstützt wird, verringert es seinen Widerstand dagegen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Im Überschwang der „ Fürsorglichkeit” hebt es uns gerne auf ein Podest: Ach, die anderen unbewussten Menschen, die auf den Straßen im Halbschlaf herumlaufen, während ich Bewusstseinsräume kenne und in Sphären unterwegs bin, die sie nicht einmal in den kühnsten Träumen kennenlernen konnten. Sie sind voll in ihren dunklen Prägungen verhaftet und kennen die Freiheit und Glückseligkeit nicht, all die erlesenen Qualitäten, von denen ich schon gekostet habe. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wenn allerdings die Meditation nicht „gelungen“ erscheint, wenn zu viele Gedanken oder unangenehme Gefühle den Ablauf bestimmt haben, ist das Ego erst recht in seinem Element. Es sorgt sofort für Kritik und Selbstvorwürfe. Es vergleicht mit früheren besseren Erfahrungen oder mit anderen Zeitgenossen, die auf diesem Weg viel schneller viel weiter gekommen sind. Statt den Stolz zu füttern, führt es hier zur Scham. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Stolz und Scham, die Polarität des Egos</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Das Ego sucht also in jeder Erfahrung, also auch in jeder meditativen Erfahrung, Anlässe für Stolz, wenn es die Erfahrung positiv bewertet, oder für Scham, wenn es sie negativ eingestuft. Das Ego richtet beständig jede Erfahrung nach seinen gewohnten Maßstäben. Damit verführt es in seine Gefilde, weg von der lebendigen Erfahrung, die in ein lebloses Objekt der Bewertung und Einordnung verwandelt wird. Es überlagert die aktuelle Wirklichkeitswahrnehmung mit seinen konstruierten und rekonstruierten Inhalten aus der Vergangenheit. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Lebenselixier des Egos ist die Angst. Es ist aus Ängsten entstanden und hütet sie im Wunsch, vor ihnen zu bewahren. Es versucht, alle Erfahrungen, die wir machen, mit Angst zu verbinden und aufzuladen. Selbst wenn es sagt: Du brauchst keine Angst zu haben, weil du z.B. so gut meditierst, zeigt es sich als Agent der Ängste: Ich sage dir, wann du Angst haben sollst und wann nicht. Ich mache dich stolz und selbstsicher, aber ich kann dir deine Sicherheit jederzeit wegnehmen. Du verdankst deine Angstfreiheit meiner Umsicht und Wachsamkeit. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Im Sinn des angstgetriebenen Vermeidens von Ängsten verkauft das Ego jeden Erfolg als eigene Leistung und jeden Misserfolg als persönliches Versagen. Erfolg heißt, dass eine Schonfrist vor der nächsten Angst gewonnen wurde. Misserfolg heißt, dass die Angst vorherrscht. Das demütige Annehmen dessen, was das Leben schenkt, ob es nun angenehm ist oder nicht, ist sein größter Feind oder das, was es am wenigsten verstehen kann. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Erlernen der Distanz von Ego und Wirklichkeit</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Meditieren bedeutet, dem Ego und seinen Spielchen zu begegnen und mehr und mehr Erfahrungen darüber zu sammeln, was es alles anstellt. Manchmal wird es ganz ruhig und zieht sich zurück, manchmal taucht es unvermutet hinter jedem Winkel auf: Eine Klientin meinte: „Ich habe mein Ego schon so satt!“ Und gleich drauf: „Sagt mein Ego.“ </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Bei jeder Diskrepanz zwischen dem Selbst und der Realität ist das Ego aktiv. Es kritisiert und bejammert das, was gerade ist und sich nicht den eigenen Vorstellungen fügt. Beim Meditieren versuchen wir, anzunehmen, was gerade ist, ohne etwas daran zu bekritteln. Das Ego sperrt sich gegen diese Versuche und will immer wieder seine Agenda durchbringen: Die Realität soll sich gefälligst danach richten, was wir für richtig halten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Mit einiger Meditationspraxis und mit fortgeschrittener Fähigkeit im Durchschauen des Egos wird klar, dass es keine guten oder schlechten Meditationen, keine gelungenen oder misslungenen gibt, sondern nur verschiedenartige Erfahrungen. Jede Meditation, auf die wir uns einlassen, ist anders. Manchmal fällt es uns leichter, uns auf den Moment zu konzentrieren, manchmal geht es schwerer. Beide Erfahrungen sind gleich wertvoll. Es geht ja in der Meditation nicht darum, bestimmte Bewusstseinszustände zu erreichen, sondern eine Zeit darauf zu verwenden, die Aufmerksamkeit nur nach innen zu richten und dort alle, was auftaucht, anzunehmen. Es ist also eine Übung im Akzeptieren dessen, was ist. Sind viele Gedanken da, so ist es das, was zu akzeptieren ist. Sind viele Gefühle da, so werden diese angenommen. Gelingt es leichter, das, was auftaucht, anzunehmen, ist das zu akzeptieren, ebenso, wenn das schwerer fällt. Was immer ist, sollte angenommen werden. Das ist der Königsweg zur Entmachtung des Egos. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Denn das Ego will nichts in seinem Sosein annehmen, sondern an allem, was auftaucht, seinen Stempel aufdrücken, der es in etwas anderes verändert. Es ist konsequent im Kritisieren dessen, was ist, und reißt deshalb permanent aus dem Fließen von Erfahrung zu Erfahrung: Es kommt eine Erfahrung und dann eine Unterbrechung, ein Riss, in dem sich das Ego breit macht. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Haltung beim Meditieren ist die gelassene Beobachtung, das Seinlassen dessen, was ist. Es kann der Atem beobachtet werden, aber auch Körperempfindungen, Energiephänomene oder die Atmosphäre in der Umgebung. Dabei ist immer auch und vor allem das eigene Ego Gegenstand des Beobachtens, des Wahrnehmens und Erkennens. Denn es bewirkt, ob die Aufmerksamkeit auf dem aktuellen Moment sein kann, auf der Erfahrung, die ins Bewusstsein tritt, oder auf Phänomenen, die vom Ego präsentiert werden, wie Gedanken und Bilder. Je mehr es gelingt, das Treiben des Egos zu identifizieren und dann die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zurücklenken, desto mehr bleiben wir mit der aktuellen Wirklichkeit verbunden und nicht mit jener synthetischen, die das Ego aufdrängt. Denn was aus dem Ego kommt, ist immer ein Stück Wirklichkeit fast ununterscheidbar mit einem Stück Fantasie kombiniert. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Meditation ist demnach die Übung, der Wirklichkeit, die im momentanen Erleben zu finden ist, immer näher zu kommen, und dazu ist das Erlernen der Unterscheidung des Erlebens und der Ego-Produktionen notwendig. Fast immer dominiert das Ego die Erfahrung, vor allem in unserem Alltag; manchmal besteht eine Distanz zwischen ihm und der Instanz, die es beobachtet, und in der Meditation bemühen wir uns methodisch, diese Distanz zu stärken. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2013/04/storungen-in-der-meditation.html" target="_blank">Störungen in der Meditation</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2015/12/selbst-und-auenbeziehung-in-meditation.html" target="_blank">Selbst- und Außenbeziehung in Therapie und Meditation</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2012/08/meditation-und-langeweile.html" target="_blank">Meditation und Langeweile</a></span></p>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-16982595938539143142023-11-22T18:18:00.001+01:002023-11-22T18:18:05.051+01:00Scham und Krankheit<p><span style="font-family: georgia;">Scham spielt bei Krankheiten eine große Rolle. Krankheiten bringen uns in besorgniserregende Zustände und reißen uns aus der Alltagsroutine heraus. Neben den Beschwernissen, die mit den Symptomen verbunden sind, z.B. Fieber und Schmerzen, kommen auch Lebensumstellungen und psychische Belastungen. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den eigenen Zustand, während die Mitmenschen als Helfer gebraucht werden. Es ist meist nicht möglich, mehr zu geben außer Dankbarkeit, und es ist notwendig, im Zustand der Hilflosigkeit die Unterstützung anzunehmen. Das ist für Menschen, die von der Bedürfnisscham geprägt sind, eine unangenehme Herausforderung. Sie fühlen sich schnell wertlos, wenn sie nicht für sich selber sorgen können und wollen möglichst alles verhindern, um in sie hineingezwungen zu werden. Oft leugnen und verharmlosen sie ihre Erkrankungen, bis es so schlimm ist, dass sie nicht mehr alleine damit zurechtkommen. Wenn sie einmal in die bedürftige Rolle geraten sind, wollen sie wieder herauskommen, so rasch es nur geht.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Im kranken Zustand ist die eigene Leistungsfähigkeit reduziert oder nicht mehr vorhanden. Menschen, die sich über Arbeit und Leistung definieren, reagieren mit Schamgefühlen, sobald sie aus dem Leistungsgefüge herausfallen. Sie leiden darunter, dass sie die Erwartungen der anderen nicht erfüllen und fühlen sich unwert und nutzlos. Der Anspruch an sich selbst, durch Leistung die Zugehörigkeit zur Gesellschaft zu verdienen, kann nicht eingelöst werden – eine Schande.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die individuellen Schamreaktionen unterscheiden sich nach Krankheitsart und sind von den vorherrschenden gesellschaftlichen Bewertungen beeinflusst. Es gibt Krankheiten, die als “normal” gelten, weil sie fast alle zu bestimmten Zeiten bekommen, wie Erkältungserkrankungen und grippale Infekte. Bei ihnen ist die Schambelastung gering. Dauern Krankheiten länger als gemeinhin angenommen wird, dann steigen die Schamgefühle. Jemand, der eine Covid-Erkrankung mit geringen Symptomen hatte, wird sich weniger schämen als jemand, der an Long-Covid leidet.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Niemand will kränker oder krankheitsanfälliger als alle anderen sein; jeder mit solchen Dispositionen fühlt sich schnell im Eck der Scham gefangen. Manche brüsten sich mit ihrem scheinbar unüberwindlichen Immunsystem, leiden dann aber doppelt, wenn sie doch eine schlimme Infektion erwischt. Neben der Krankheit müssen sie unter Umständen mit der Häme ihrer Mitmenschen leben und auch schamvoll von ihrer Selbstüberschätzung Abschied nehmen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gibt Krankheiten, die mit sehr viel Angst verbunden sind, z.B. Krebs. Krebsdiagnosen lösen meist starken Stress und Überlebensängste aus. Obwohl es bei vielen Krebsarten inzwischen gute Heilungsaussichten gibt, ist das Wort Krebs nach wie vor von vielen Ängsten besetzt. Wo die Angst herrscht, ist die Scham nicht weit. Es fällt nicht leicht, über diese Krankheit zu reden, denn es ist ein schambesetztes Tabuthema, gerade weil es um eine so gefürchtete Krankheit geht. Das Stigma der Todesdrohung ist schon im Wort enthalten. Krebsdiagnosen konfrontieren mit der Endlichkeit, ob wir es wollen oder nicht. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gibt Krankheiten, die mit einem starken Verlust an Selbstkontrolle verbunden sind, z.B. Parkinson, Demenz oder Inkontinenz. Die Scham steht gewissermaßen im Zentrum dieser Störungen. Denn sie werden von einem selber und von den Mitmenschen erkannt, und die Betroffenen merken, dass den anderen die Störung unangenehm auffällt. Sie fühlen sich in ihrer Inkompetenz bloßgestellt. Sie sind unfähig, die Symptome willentlich abzustellen, die Hilflosigkeit und der Kontrollverlust sind auffällig und peinlich. Auf den Körper ist kein Verlass mehr, er verweigert den Gehorsam und tut, was er will. Die Muskeln und das Gehirn sind mächtiger als das Selbst, das beschämt und ohnmächtig daneben steht. Es ist eine Hilflosigkeit sich selbst gegenüber, die neben dem Angewiesensein auf Hilfe die Schambelastung bewirkt. Die aktuelle Unfähigkeit wird mit der früheren Fähigkeit verglichen, und der Vergleich endet immer in einer Beschämung. Was doch früher alles so selbstverständlich gut gelaufen ist und funktioniert hat, geht jetzt überhaupt nicht mehr.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Schwere und chronische Krankheiten erfordern eine Änderung der eigenen Identität, die in ihrer Fragilität, und manchmal sogar in ihrer Endlichkeit anerkannt werden muss. Die Identität als gesunde Person muss ersetzt werden durch die Identität einer kranken oder behinderten Person. Es sind wiederum Schamgefühle, die die Anpassung des eigenen Selbstempfindens an die Krankheitssituation erschweren. Wie soll ich weiterleben, wenn ich bisher ein funktionstüchtiges Mitglied der Gesellschaft war und mich über meine Leistungsfähigkeit und zuverlässige Pflichterfüllung definiert habe? Bin ich noch wer, wenn ich hauptsächlich ein kranker Mensch bin? </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Chronisch kranken Menschen bleibt nichts anderes übrig, als sich in ihr missliches Schicksal zu fügen. Häufig gehen sie durch verschiedene Gefühlsstadien. Von Frustration, Ärger und Angst über Verzweiflung und Resignation gelangen sie manchmal zu einer gleichmütigen Annahme der Lage und finden vielleicht sogar zurück zum Humor. Wenn dieser Schritt gelingt, steht ein wirksames Mittel gegen die Scham zur Verfügung, das das schwere Los erleichtert.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Ein anderes Beispiel für die Aktivierung von Scham bei Krankheiten bieten äußerlich sichtbare Krankheiten, wie Hautkrankheiten. Sie können bei den Betroffenen unangenehme Gefühle auslösen, von den anderen scheel oder abfällig betrachtet zu werden und sich wie ein Außenseiter zu fühlen. Mit solchen Krankheiten sind fast automatisch Ekelgefühle verbunden, die das Gefühl des Ausgegrenztseins verstärken. Zur Krankheitsscham kommt noch eine Körperscham, eine abwertende Reaktion auf den eigenen Körper. In früheren Zeiten wurden bekanntlich die Aussätzigen wegen der Ansteckungsgefahr streng abgesondert und auch sozial stigmatisiert. Deshalb melden sich auch heute noch uralte kollektive Ängste, an etwas zu leiden, das zu sozialer Ausgrenzung führt. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Psychisches Leiden</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Jede Krankheit verändert den Körper und das Selbsterleben. Es gehen Möglichkeiten der Lebensgestaltung verloren. Die reduzierte Leistungsfähigkeit ist häufig von Schamgefühlen begleitet. Besonders psychische Leiden sind schambesetzt. Sie gelten als ein persönlicher Makel, den die betroffene Person zu verantworten hat. Körperliche Leiden gelten bei vielen als Schicksal, während psychisches Leid häufig als selbstverursacht angesehen wird. Psychisch Kranke wären unfähig oder unwillig, „sich am Riemen zu reißen“. Sie seien nicht von einem unwägbaren Schicksal betroffen, sondern von einem Mangel an Willenskraft, für den sie selber verantwortlich sind, so eine noch immer wirksame Auffassung. Deshalb tun sich viele Menschen schwer, über ihre psychische Krankheit zu reden, weil sie sich dafür schämen und weil sie befürchten, dafür beschämt zu werden.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Scham, einem psychischen Leiden ausgesetzt zu sein, wird durch die Übernahme solcher Vorurteile zum Teil der Krankheit. Die Unfähigkeit, Verhaltensweisen oder Stimmungen in den Griff zu bekommen, was anderen scheinbar so leicht fällt, verstärkt die Scham und verschlimmert die Krankheit. Die Hilflosigkeit, trotz besseren Wissens und trotz Einsicht die eigene Innenwelt nicht zu beherrschen, sondern von ihr beherrscht zu werden, legt die nächste Schicht der Scham über das jeweilige Symptom und macht es noch mächtiger. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Ausdruck „Geisteskrankheit“ trägt die Scham schon begrifflich in sich. Es ist nicht die Rede von Störungen des Gehirnstoffwechsels oder der hormonellen Abläufe, die die psychischen Störungen bewirken, sondern von einer Erkrankung des Geistes. Da gemeinhin unter dem Geist das Höchste und Wertvollste im Menschen verstanden wird, bedeutet eine Krankheit dieser Instanz die Gefährdung und Einschränkung dessen, was den Menschen zum Menschen macht. Die Bezeichnung „geisteskrank“ enthält einen Würdeverlust, und die Integrität der Person wird in Frage gestellt. Niemand würde annehmen, dass jemand, der an einer Blinddarmentzündung erkrankt, deshalb in seiner Würde geschmälert wäre; ist aber jemand in einem „geistig“ abnormen Zustand, so wird er von vielen nur mehr in einem eingeschränkten Sinn als Mensch geachtet. Das ist auch ein Grund, warum sich die Nationalsozialisten angemaßt haben, Menschen mit psychischen Störungen als „lebensunwertes Leben“ zu brandmarken und sie deshalb in den Tod zu schicken. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Psychologisiertes Krankwerden</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Ein moderner Zusammenhang zwischen Scham und Krankheit eröffnet sich durch die Psychologisierung von Krankheiten, also durch die Zuschreibungen von psychischen Ursachen und Charakterschwächen für jede Form von Leiden, körperlichen wie seelischen. Es gibt alle möglichen populären Ratgeber, die jede erdenkliche Krankheit mit bestimmten psychologischen Schwächen in Verbindung bringen. Sie wollen den Menschen helfen, die seelischen Hintergründe ihrer Krankheiten zu verstehen und verbreiten den Glauben, dass durch die Auflösung der psychischen Konflikte die Krankheit geheilt werden kann. Das Wissen um die Psychosomatik, also um die Zusammenhänge zwischen körperlichen und seelischen Störungen, ist in die Alltagspsychologie eingedrungen und hat dort nicht nur Gutes bewirkt, sondern auch in mancherlei Hinsicht zu mehr Schambelastung geführt. Denn die Auffassung von Krankheit als Los wurde ergänzt oder ersetzt durch die Eigenverantwortung für die Gesundheit und deren Versagen im Fall von Krankheit. Wer krank ist, hat versagt, so die Kurzformel. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Im Zug dieser Entwicklung hat sich das Gewicht vom Schicksal auf die Verantwortung verschoben: Gesundheit ist keine Gnade und Krankheit kein Schicksal, gesund sind wir als Ergebnis von Bemühungen und Einsatz; wer krank ist, hat in dieser Hinsicht versagt und trägt dafür die Verantwortung. Er kann sich nicht mehr ausreden – auf einen ungnädigen Gott, auf die Gene oder die stressigen Lebensumstände. Eine Flut von Ratgebern füllt die Buchläden, die Zeitschriften bersten von unterschiedlichen Gesundheitstipps, der Markt an alternativen Heilmethoden boomt. So viele Möglichkeiten gibt es, für die Gesundheit vorzusorgen, und wer dennoch krank wird, muss etwas falsch gemacht haben und muss mit dem Vorwurf rechnen, sich nicht genügend um sich selbst gekümmert zu haben. Er entkommt der Scham nicht, die mit der mangelnden Verantwortungsübernahme verbunden ist.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Häufig versteckt sich hinter den scheinbar fürsorglichen psychologischen Erklärungen für die Krankheitsursachen die Angst vor der Ungewissheit des Schicksals, das jeden einmal treffen kann. Wenn eine Erklärung für das Unerklärliche gefunden wird, mindert das die Angst und holt ein Stück Macht über das Schicksal zurück. Zugleich erspart das Psychologisieren die Empathie mit dem Leiden und das Eingehen auf die leidende Person. Sie wird zum Fall für eine Diagnose.</span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-33064972452111147432023-11-03T10:19:00.005+01:002023-11-03T10:19:46.276+01:00Die zweigeteilte Welt und der Nahostkonflikt<p><span style="font-family: georgia;">Die unterschiedlichen, quer durch die Welt und die Gesellschaften gehenden Parteinahmen in der aktuellen Phase des Israel-Palästina-Konflikts spiegeln die Teilung der Menschheit in zwei Welten wieder. In der einen Welt leben die Menschen in ziemlichem Wohlstand und Luxus, in der anderen Welt am Subsistenzminimum, in einer Spannbreite zwischen Elend und Hunger einerseits und prekärem Wohlstand andererseits. Die eine Welt, geografisch ungenau, der Westen, die andere, ebenso ungenau, der Süden. Diese Ungenauigkeit stammt aus einer nach wie vor dominanten eurozentrischen Sichtweise, so, als gäbe es einen archimedischen Punkt, von dem aus die Sicht auf die Welt erfolgt und von dem aus die Regionen eingeteilt werden, und dieser Angelpunkt befindet sich in der Mitte des angehäuften materiellen Reichtums.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">In dem Konflikt identifizieren sich die einen mit der Wohlstandsnation Israel, der sie ihre Solidarität gegen Überfälle und Terror zusichern. Sie geben ihre Hilfe, damit die Grenzen der Wohlstandsoasen an der vordersten Front gegen Grenzüberschreitungen verteidigt werden. Aggressionen von außen müssen mit massiver Gegenaggressivität bekämpft werden, damit sie nie wieder zu einer Gefährdung der Privilegien, die sich im Lauf der Zeit angehäuft haben, werden können.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die anderen fühlen sich solidarisch mit den Armen und Unterdrückten, weil sie ihre eigene missliche Lage darin wiedererkennen und weil ihre Wut auf die Reichen und Satten ein Objekt bekommt, an dem sie sich entladen kann. Sie soll die Ohnmacht und Aussichtslosigkeit kompensieren, die die Lebenssituation auf dieser Seite der Welt prägt. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Auch in den wohlhabenden Ländern gibt es Menschen, die sich in Ohnmachtspositionen befinden, und deshalb kommt es auch dort zu aggressiven Demonstrationen gegen Israel. Das Land wird gewissermaßen als Repräsentant der Ungleichverteilung von Chancen und Ressourcen angesehen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Außerdem wird Israel in vielen Ländern des armen Weltteils als Apartheid-Regime angesehen, das wie eine Kolonialmacht die autochthone Bevölkerung unterdrückt, deklassiert und verachtet. Aus dieser Sicht erscheint die Hamas wie eine Befreiungsbewegung gegen eine ungerechtfertigte Herrschaft. Das Konzept des Genozids ergibt sich aus dieser Betrachtungsweise, unterstützt von der Rhetorik radikaler Siedlerparteien in Israel, die eine Ausrottung der Araber fordern – und die jetzt in der israelischen Regierung sitzen. Andererseits enthält das Programm der Hamas die Auslöschung des jüdischen Staates.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Nebenrolle des Antisemitismus</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Der Antisemitismus spielt in dieser Perspektive nur eine Nebenrolle, allerdings eine ziemlich einflussreiche, weil diese perfide Ideologie zusätzlich Emotionen mobilisiert und mit Hass auflädt. Ebenso aber lenkt die Antisemitismuskritik von der globalen Bruchlinie ab, durch die sich die Lebenschancen der Menschen grundlegend unterscheiden. Wenn die Kritik oder das Entsetzen über die israelischen Aggressions- und Zerstörungsaktionen schon als antisemitisch bezeichnet werden, wird der Grundkonflikt zwischen arm und reich ausgeblendet und damit gerechtfertigt. Diese Haltung ist genauso ideologiegetränkt wie die Einmischung des Antisemitismus in Solidaritätskundgebungen mit den palästinensischen Opfern.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Für die einen wirkt der Angriff auf die Wohlstandsinseln traumatisierend – eine Rave-Party wird brutal überfallen –, die anderen schockieren die Bilder von zerbombten Häusern und Babyleichen in den Elendsvierteln von Gaza. Die Angst auf der einen Seite, dass das Böse und Unmenschliche von außen in die Sicherheitszonen eindringen kann, kontrastiert mit der Angst auf der anderen Seite, selber Opfer der Übermacht einer Unterdrückungsmaschinerie zu werden oder für immer bleiben zu müssen.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die zweigeteilte Welt</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Es handelt sich um eine reale Zweiteilung der Welt, die jetzt überdeutlich als Spaltung sichtbar wird. Es gibt allerdings keine messerscharfe Trennlinie zwischen Armut und Reichtum, sondern viele Übergangsfelder. Maßgeblich sind die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen, aus denen die jeweilige Mentalität entsteht (Subjektive Befindlichkeiten, die von kollektiven Bewusstseinsfeldern bestimmt sind). Armut ist also nicht nur die Folge von niedrigem Einkommen, sondern auch von unsicheren und zerbrechlichen Strukturen ringsum, oft verbunden mit repressiven politischen Systemen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Skandalon ist die massive soziale Ungerechtigkeit in der Menschheit. Es ist eine Trennlinie, die irgendwo zwischen Tel Aviv und Gaza City verläuft. Es ist ein Gebiet, in dem die zwei Welten hart aneinander aufeinander prallen, der Reichtum auf der israelischen Seite und die Armut auf der palästinensischen. Jeder Gewaltausbruch seitens der Palästinenser enthält auch einen Schrei nach mehr ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gibt verschiedene Narrative, die das Wohlstandsgefälle rechtfertigen. Die meisten kommen aus der liberalen und neoliberalen Richtung und gehen von der (empirisch nicht haltbaren) zynischen Annahme aus, dass Reichtum durch Leistung geschaffen wird und Armut durch zu wenig Leistung entsteht. Wird dieses Konzept auf den Nahostkrieg angelegt, so werden die Araber als rückständig und arbeitsscheu beschrieben, die sich deshalb ihr Los selber zuzuschreiben hätten. Solche Stereotypisierungen sind immer ideologisch aufgeladen und weisen das gleiche Strickmuster auf wie die antisemitistischen Vorurteile. Sie dienen nicht nur der Entlastung von der kollektiven Scham als Folge der skandalösen Armut, sondern auch der Rechtfertigung von Aggressivität und Zerstörungswut, die sich bei Gelegenheit destruktiv entlädt, z.B. bei gewaltsamen Übergriffen israelischer Siedler auf Palästinenser. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Logik der Gewalt</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Logik der Gewalt ist aus archaischen menschlichen Antrieben, die aus massiven Ängsten stammen, zu verstehen: Zahn um Zahn, Auge um Auge. Wenn ich keine Rache übe, stehe ich als Schwächling da und das Böse wird nur noch stärker. Vielmehr muss meine Rache massiver und zerstörerischer ausfallen, damit das Böse nie wieder auftaucht.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Diese Logik und damit ihre Akteure zu verstehen heißt nicht, sie gutzuheißen, im Gegenteil: Das Verständnis zeigt auf, dass die Eskalationsspirale nur durchbrochen werden kann, wenn eine Seite aussteigt – und das kann in diesem Fall nur die mächtigere Partei tun. Denn die schwächere ist immer wieder aus der Gewaltlogik ausgestiegen und hat versucht, gewaltfreie Wege zu gehen, z.B. beim „Marsch für die Rückkehr“ 2018, und hatte hunderte Tote und tausende Verletzte als Folge der israelischen Gewalt zu beklagen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Verständnis für die Logik der Gewalt befreit vom Impuls der Parteinahme. Neben der Parteilichkeit für die Opfer brauchen wir die Parteilichkeit für den Ausstieg aus der Gewalteskalation und aus den Rachezyklen. Als Menschheit sollten wir im 21. Jahrhundert schon weiter sein, und es ist kollektiv beschämend, dass wir es nicht sind.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/10/uber-die-notwendigkeit-und-die-grenzen.html" target="_blank">Über die Notwendigkeit und die Grenzen der Parteinahme</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/10/parteilichkeit-verstarkt-die-gewalt.html" target="_blank">Parteilichkeit verstärkt die Gewalt</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-31622807844680295282023-10-31T10:41:00.001+01:002023-10-31T10:41:05.769+01:00Über die Notwendigkeit und die Grenzen der Parteinahme<p><span style="font-family: georgia;">Wie <a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/10/parteilichkeit-verstarkt-die-gewalt.html" target="_blank">im letzten Blogartikel</a> beschrieben, sollte in einem
Konfliktfall die Parteilichkeit mit den Opfern die oberste Leitlinie sein. Es
gibt Konflikte, in denen die Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern
eindeutig ist, z.B. zwischen Eltern und kleinen Kindern, und solche, in denen
die Rollen von vornherein uneindeutig verteilt sind und von Situation zu
Situation unterschieden werden muss, was gerade gilt, z.B. zwischen
Geschwistern. Wenn in einer
patriarchalen Struktur Konflikte zwischen Männern und Frauen ausbrechen, sind
die Männer die Täter, weil sie durch die Struktur eine mächtigere Position
innehaben, und die Frauen Opfer. Wo sich die patriarchalen Rollen auflösen,
verschwimmen die Grenzen zwischen Opfern und Tätern, die Rollen werden
austauschbar.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Übertragen auf Konflikte in Organisationen: Bei hierarchischen
Strukturen sind die Täter in der Regel oben auf der Ordnungsleiter und die
Opfer befinden sich weiter unten. Bei Konflikten zwischen Mitarbeitern auf der
gleichen Hierarchieebene gibt es wiederum keine klare Unterscheidung. Bei
zwischenstaatlichen Konflikten ist der Staat, der einen anderen angreift, der
Täter. Beispiele für solche zwischenstaatliche Angriffskriege sind: Der Angriff
Österreich-Ungarns auf Serbien 1914, der Angriff Hitler-Deutschlands auf Polen
1939 und auf die Sowjetunion 1941, der Angriff der USA auf den Irak 2003 und
der Angriff Russlands auf die Ukraine 2022. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Bürgerkriege in einem Staat sind meist weniger eindeutig,
während Aufstände und Befreiungskonflikte klare Machtverteilungen aufweisen: Es
wehren sich die Opfer von Unterdrückung gegen die vorherrschende Macht. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Es gilt also die Regel: Wo die Macht ungleich verteilt ist, werden
im Konfliktfall diejenigen mit mehr Macht zu den Tätern und diejenigen mit
weniger zu den Opfern. In solchen Fällen ist die Parteinahme mit den Opfern
angebracht und wichtig, um ungerechte Strukturen in gerechtere überzuführen. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Jede Parteinahme in einem Konflikt fördert das
Gewaltpotenzial, wie im letzten Blogbeitrag argumentiert wurde. Wenn die Lage
eindeutig ist, wenn also klar ist, wer der Täter und wer das Opfer ist, gilt
die Parteilichkeit den Opfern und steigert damit das Gewaltpotenzial, aber auf
der Seite der Schwächeren. Die Gewalt, die durch die Parteinahme mobilisiert
wird, kommt den Opfern zugute. Als die Schwächeren brauchen sie Unterstützung
und Beistand. Die Täter, die Gewalt ausüben, müssen durch Gegengewalt in die
Schranken gewiesen werden; freiwillig werden sie ihre Machtpositionen nicht
hergeben. Die Parteinahme zielt auf einen Ausgleich der Kräfte und auf die
Verringerung ungleicher Machtverhältnisse, die immer zur Benachteiligung der
Schwächeren führt. Gerechtere Formen der Machtverteilung sind zugleich
menschlicher, weil sie dem menschlichen Bedürfnis nach Fairness entsprechen und
einer größeren Zahl von Menschen mehr Möglichkeiten verschaffen.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Der Nahostkonflikt und die Parteilichkeit</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Der schwere Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
liefert ein Beispiel für die Austauschbarkeit der Rollen. In der langen,
mindestens hundert Jahre dauernden Konfliktgeschichte sind beide Seiten unzählige
Male zu Opfern und Tätern geworden. Gewaltakte folgen auf Gewaltakte,<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>und es gibt keinen Maßstab, nach dem eine
Eindeutigkeit in der Rollenverteilung gefunden werden könnte. Es ist nicht
auszumachen, wer gut und wer böse ist,<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>und
deshalb ist jede Parteilichkeit willkürlich und anmaßend und pumpt mehr Gewalt
in eine Seite des Konflikts. In der jüngsten Entwicklung ist die
palästinensische Hamas zunächst zum Täter geworden, und die Parteinahme gilt
den Opfer dieser Aggressionen. In der Logik dieses Konflikts haben sich dann
die Rollen vertauscht, und die Palästinenser wurden zu den Opfern der
israelischen Aggressionen, die Anteilnahme und Unterstützung verdienen. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Viele Solidarisierungen mit einer Konfliktpartei sind von tiefgehenden
und oft unbewussten historischen und psychologischen Wurzeln gesteuert. In den
Konflikt untrennbar hineinverwoben ist aus europäischer Sicht die unheilvolle
Geschichte des Antisemitismus bis zum Holocaust. Die systematische ideologische
Judenfeindschaft ist eine Erfindung Europas, zunächst als religiöser
Antisemitismus im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, und ab dem 19.
Jahrhundert der rassische Antisemitismus, der den Juden rassische Merkmale
andichtete, die sie zu bösen Menschen machten.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Ausgrenzungen und Abwertungen von Teilen der eigenen
Gesellschaft lösen immer starke Scham- und Schuldgefühle aus, erst recht, wenn
sie zu gewaltsamen Ausbrüchen bis zur physischen Vernichtung führen. In den
Träger- und Täterländern der nationalsozialistischen Judenvernichtung,
Deutschland und Österreich, besteht deshalb eine massive Scham- und
Schuldbelastung, die mehr oder weniger erfolgreich in den letzten Jahrzehnten
aufgearbeitet wurde, aber immer noch einen unparteilichen Blick auf die
Konfliktlage erschwert. Für die Geschichte Österreichs ist es übrigens
bezeichnend, dass einzig der Jude Bruno Kreisky als Bundeskanzler in den
siebziger Jahren eine diplomatische Brücke zu den Palästinensern schlagen
konnte. Von dort aus öffnete sich in weiterer Folge der Weg zu den hoffnungsvollen
Projekten für eine Zwei-Staaten-Lösung in Palästina zwanzig Jahre später, denen
aber leider kein Erfolg beschieden war.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Gibt es Aussichten?</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Was ist die Perspektive? Erst wenn die Parteilichkeit mit
den Opfern globale Ausmaße annimmt, die überwiegenden Mehrheiten in den
Konfliktgebieten bildet und die Parteilichkeiten für eine der Konfliktseiten
übertrifft und in den Schatten stellt, besteht die Hoffnung, die
Konfliktparteien zu einem Einlenken zu bringen. Es ist die überwältigende Macht
der Menschlichkeit, die es verbietet, dass es in irgendeiner Form zu
Menschenrechtsverletzungen und Opfern an Leib und Gesundheit kommt. Sie muss
jede Form der Gewaltanwendung wirksam und nachhaltig unterbinden. Es sind die
Kräfte des Friedens, die über die Parteinahme mit den Opfern die Fahne der
Menschlichkeit so lange hochhalten, bis genügend Menschen verstanden haben, dass
es sinnlos ist, weitere Menschenleben zu opfern und dass der Konflikt so
beigelegt wird, dass beide Seiten einen Gewinn daraus ziehen.</span><o:p></o:p></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/10/parteilichkeit-verstarkt-die-gewalt.html">Parteilichkeit verstärkt die Gewalt</a><br /><br /></span></p>
<!--EndFragment-->Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-78830813513833509772023-10-20T14:46:00.001+02:002023-10-20T14:46:22.505+02:00Parteilichkeit verstärkt die Gewalt<p><span style="font-family: georgia;">Der aktuelle Nahostkonflikt berührt und verunsichert viele Menschen und bringt viele Fragen in den Vordergrund, die eigentlich schon lange unbeantwortet sind, aber immer wieder in den Hintergrund treten und schnell in Vergessenheit geraten. Bevor ich auf die Frage der Parteilichkeit angesichts der gegenwärtigen Situation eingehe, versuche ich darzustellen, worin die Grundregeln im menschlichen Zusammensein bei Gewaltereignissen bestehen. Unter Grundregeln verstehe ich Übereinkünfte, die für das Weiterbestehen der Gruppe oder Gemeinschaft notwendig sind, wenn es zu Regelüberschreitungen durch Gewalt geht. Diese Regeln bestehen seit Urzeiten und gelten für alle Formen von menschlichen Sozialformen. Sie hängen mit der sozialen Verfasstheit des menschlichen Seins zusammen.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Grundregeln im Umgang mit Gewalt</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Wenn Mitglieder einer Gruppe Gewalttaten begehen, reagieren die anderen mit Entsetzen und Betroffenheit. Sie fühlen mit den Opfern mit und unterstützen sie. Sie verurteilen die Taten und fordern Konsequenzen für die Täter, denn Verbrechen sollen nicht ungesühnt bleiben. Die menschliche Gemeinschaft muss auch nach Akten der Barbarei weiterbestehen, und das geht nur, wenn die Taten verurteilt und die Täter bestraft werden. Die Opfer verdienen Solidarität, Trost und Wiedergutmachung. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Bei jeder Bestrafung muss klar zwischen der Person des Täters und der Tat unterschieden werden. Es darf kein Täter entmenschlicht werden, auch wenn seine Tat unmenschlich war. Denn eine Gemeinschaft, die einem ihrer Mitglieder das Menschsein abspricht, wird selber unmenschlich. Entmenschlichung erzeugt Verunsicherung und Angst bei allen Mitgliedern, und das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl wird brüchig. Die Zugehörigkeit muss bedingungslos garantiert bleiben, selbst wenn jemand grob gegen alle Regeln verstößt. Sonst drohen der Gemeinschaft Zerfall und Anarchie. Gemeinschaftliche Gewalt ist nur zur Eindämmung von individueller Gewalt erlaubt. Z.B. darf die Polizei nur dann Gewalt ausüben, um Gewalttaten zu verhindern oder zu beenden. Eine willkürliche Gewaltausübung durch Organe der Gemeinschaft ist noch schlimmer als individuelle Gewalttaten, denn die Folgen sind Angst und Gegengewalt und die Destabilisierung der Gemeinschaft. Gewalt, die eine Gemeinschaft gegen ihre Mitglieder anwendet, muss regelkonform bleiben, sonst dient sie der Unterdrückung.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Parteilichkeit mit den Opfern</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Soweit ein paar Überlegungen zum generellen Umgang mit Gewalt und ein Versuch, die Bedingungen zu beschreiben, wie menschliche Gemeinschaften mit Gewalt umgehen können, ohne die Grundlagen ihrer Gemeinschaft zu untergraben. Die aktuelle Gewalteskalation zwischen Palästinensern und Israel enthält natürlich vielfältige und komplexe Komponenten aus der Geschichte und aus den internationalen Zusammenhängen, die hier nicht erörtert werden. Ich möchte darauf eingehen, wie wir als unbeteiligt Beteiligte mit der emotionalen Belastung umgehen können, die mit jeder Gewaltausübung, die in der Menschenfamilie auftaucht, verbunden ist. Wir sind nach dem persischen Dichter Saadi Shirazi wie ein Körper, in dem jedes Glied den Schmerz spürt, wenn ein anderes Glied leidet.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die nobelste Haltung, die wir entsprechend dieser Einsicht einnehmen können, besteht im Mitgefühl mit jedem Leid, das durch die Gewalt entsteht, ohne jeden Unterschied und ohne jede Bewertung. Die Parteilichkeit gilt den Opfern, auf welcher Seite sie auch entstehen. Zu dieser Haltung gehört die Forderung nach ausgleichender Gerechtigkeit, die die Ahndung der Gewalttaten und die Wiedergutmachung für die Gewaltopfer beinhaltet. Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden, und damit setzt die Menschengemeinschaft ein klares Signal, dass Gewalt nicht geduldet wird, sondern dass andere, gewaltfreie Formen der Konfliktbewältigung gesucht werden müssen.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Freund-Feind-Schema</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">In Konfliktfällen, bei denen wir nicht unmittelbar beteiligt sind, gibt es immer die Versuchung, eine Seite sympathischer oder rechtschaffener zu empfinden als die andere, woraus sich der Impuls ergibt, für diese Seite Partei zu ergreifen. Wer sich in einem Konflikt auf eine Seite schlägt, sollte sich allerdings bewusst sein, dass er oder sie mit diesem Schritt eine friedliche Lösung des Konflikts behindert und erschwert. Denn durch die Parteinahme wird die eigene Gewalttendenz verstärkt. Sie besteht darin, dass eine Seite als Freund und die andere als Feind gesehen wird. Der Freund ist der Gute, der Feind der Böse. Jemanden als Feind zu sehen, rechtfertigt Aggressionen, denn das Böse muss bekämpft werden. Die Gewaltbereitschaft im Inneren wird auf diese Weise genährt und gerechtfertigt. Anhänger einer Seite fordern Aggressionen und Zerstörungen, die der anderen Seite zugefügt werden sollten, und sind zufrieden, wenn diese erfolgen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das verinnerlichte Feindbild billigt und unterstützt das stellvertretende Ausüben von Rache, nach dem Motto: Recht so, den Feinden muss Leid zugefügt werden, sie sind so böse. Gewalt muss mit Gewalt beantwortet werden. Was die Bösen angerichtet haben, muss solche Konsequenzen haben, dass sie niemals wieder auf die Idee kommen, Böses zu tun. Der nächste Schritt wäre, aktiv auf einer Seite mitzuwirken und so die eigene Gewaltbereitschaft mit dem Gefühl der Rechtschaffenheit ausleben zu können.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das Freund-Feind-Denken entwirft eine binäre Struktur. Jedes binäre Schema enthält eine Polarität und erzeugt damit eine Polarisierung, die eine angstgeladene Spannung enthält. Solche Spannungen sind mit einer Gewaltbereitschaft verbunden, die jederzeit explodieren kann. Weltpolitische Konflikte sind immer Auswuchs aus historischen Verwicklungen und ungelösten Spannungen, die sich dann immer wieder entladen, solange es zu keiner nachhaltigen Friedenslösung kommt. Die Frage, wer den Konflikt begonnen hat und damit die Hauptschuld trägt, ist in solchen Fällen sinnlos. Deshalb dient ein Freund-Feind-Schema, das über die komplizierte Situation gebreitet wird, nur den eigenen unbewussten Rache- und Hassimpulsen. Schwarz-Weiß-Muster sind bequemer und verhelfen zu einer einfachen Orientierung, während die Auseinandersetzung mit der Komplexität immer wieder zu Ungewissheiten und Uneindeutigkeiten führt. Wir wollen ein klares und eindeutiges Bild, und wenn es ein solches nicht gibt, basteln wir es uns selbst, damit wir uns leichter tun und die Unklarheit nicht aushalten zu müssen. Wir blenden alles aus, was nicht in das Schema passt, und sammeln all das, was unser Schema bestätigt. Eindeutige Orientierungen geben uns Sicherheit, allerdings um den Preis der Realitätsverzerrung.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Wurzeln der Gewaltbereitschaft</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Psychodynamisch betrachtet gilt eine latente Gewaltbereitschaft immer anderen Personen, denen gegenüber wir uns früher ohnmächtig gefühlt haben. Die Racheimpulse stammen aus Erfahrungen, einer ungerechten und willkürlichen Macht ausgeliefert zu sein, ohne Chance, sich zu wehren. Das Gefühl, Opfer einer übermächtigen Gewalt zu sein, führt dann zur Identifikation mit einer Konfliktpartei, deren Schicksal an das eigene erinnert. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Als wir klein waren, konnten wir uns nicht für Demütigungen rächen, sondern mussten sie ertragen und die Verletzungen uns begraben. Solche Erfahrungen melden sich, wenn wir im Außen Geschichten von Tätern und Opfern hören. Dann finden wir schnell heraus, wer die Guten und wer die Bösen sind, und ergreifen für die Guten Partei, um sie zu ermutigen, den Bösen Leid zuzufügen und freuen uns, wenn das gelingt. Wir merken dabei nicht, dass die aggressiven Gewaltimpulse eigentlich Personen in unserer Geschichte gelten und offene Rechnungen aus unserer Kindheit begleichen sollen. Der Bündnispartner im Außen, die Konfliktpartei, mit der wir uns identifizieren, soll dafür sorgen, dass die Rache durchgeführt wird.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Mit der Parteinahme wird also der Konflikt weiter befeuert. Aus dieser Sicht gibt es nur einen Lösungsweg, nämlich die gewaltsame Zerstörung oder Unterwerfung des Gegners. Im langen Atem der Geschichte kommt irgendwann der Moment, wo diese Gewalt wiederum ihre Rächer findet. Gewalt gebiert Gewalt, ist aber selber nicht in der Lage, der Gewalt ein Ende zu setzen. Darum ist der Schritt aus der Parteilichkeit in eine Haltung des Mitgefühls für alle Leidenden ein Beitrag zur Entschärfung des Konflikts.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">P.S. Was bedeuten diese Überlegungen für den Ukraine-Russland-Krieg? <br />Natürlich ist es wichtig, für die Opfer auf beiden Seiten Mitgefühl zu haben. Aber die Gewalt ist klar von Russland ausgegangen als Überfall auf ein freies Land, das damit zum Opfer einer ungerechtfertigten Aggression wurde. Die Haupttäter und Hauptverantwortlichen sitzen in der russischen Regierung und sollten zur Rechenschaft gezogen werden, was aber leider nicht möglich ist. Denn es gibt keine übergeordnete Instanz, die die Täter vor Gericht stellen kann. Parteinahme für die Ukraine heißt, sie gegen die fortlaufende Gewalt zu stärken. Natürlich braucht die massive Gewalt des Angreifers Gegengewalt, um sie in die Schranken zu weisen und die gesamte Bevölkerung der Ukraine nicht der Willkür der Angreifer auszuliefern. Deshalb ist hier eine Parteinahme für das Opfer des Angriffs und für den schwächeren Teil des Konflikts notwendig und sinnvoll. Täter sollen nicht ermutigt werden, mit ihrem aggressiven Potenzial weiteren Schaden anzurichten. Es gibt in diesem Fall und bei ähnlich gelagerten Beispielen keine andere Möglichkeit, als Gewalt durch Gegengewalt einzudämmen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2020/01/krieg-und-scham.html" target="_blank">Krieg und Scham</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-54547024271163927532023-10-08T09:44:00.006+02:002023-10-08T23:23:06.925+02:00Der allgegenwärtige Narzissmus<p><span style="font-family: georgia;">Jede Gemeinschaft, in der es Narzissten gibt, ist von narzisstischen Strukturen durchzogen und durchtränkt. So wie die Narzisse vertrocknet, wenn sie zu wenig Wasser bekommt, so würde die Narzisstin verzweifeln und nach Hilfe suchen, wenn sie nicht Menschen hätte, die ihr Muster bestätigen und auf ihre Manipulationen hereinfallen. Die verbreitete Blindheit gegenüber narzisstischen Verhaltensweisen und Persönlichkeitszügen führt dazu, dass Narzissten immer wieder Bewunderer und Verehrer finden, sowie Leute, die sie in Führungspositionen hieven, auf Rednertribünen bringen und in Machtpositionen wählen. Menschen, deren narzisstischen Anteile versteckt sind, bestätigen die narzisstischen Muster der offenen Narzissten und verstärken damit die Verblendung in der Gesellschaft. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es erstaunt immer wieder, wie narzisstische Menschen mit Täuschungen und Verwirrtaktiken Medien und Gerichte an der Nase herumführen können und mit ihren Schamlosigkeiten ungestraft durchkommen. Sie haben ihre Helfer und Helfeshelfer überall im Publikum, die heimlich oder offen Beifall klatschen, wenn ein Narzisst seine Gegner und Kritiker fertigmacht oder die Gerichte beschimpft, die ihn zur Rechenschaft ziehen wollen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Narzissmus ist allgegenwärtig und kommt gewissermaßen in den besten Kreisen vor. Deshalb ist er allen in irgendeiner Weise bekannt und vertraut. Da wir alle über narzisstische Anteile verfügen, haben wir Affinitäten und Resonanzen zu den narzisstischen Phänomenen, sobald sie irgendwo auftauchen. Jede Unbewusstheit, die uns unterläuft, füttert diesen Narzissmus in uns selber und in der ganzen Gesellschaft. Das Gestörte wird zum Normalen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Offensichtlich narzisstisch gestörten Personen wird besonderes Vertrauen entgegengebracht, weil sie ins eigene unbewusste Erwartungsbild passen. Im Witz sagt der Mann zur Frau, während im Fernsehen jemand redet: „Sicher ist er der Satan, der Fürst der Dunkelheit, der König der Hölle, der Meister der Lügen, der Verblender und Überbringer von Übel und Verführung, aber er fürchtet sich nicht, auszusprechen, was die Leute denken.“ Der offene Narzisst bedient die unbewussten Fantasien der verdeckten Narzissten. Sie haben ihre Gefühle unter Kontrolle und würden nie in Hassreden verfallen. Das erledigt die Identifikationsfigur für sie. Deshalb verehren sie diese Person und hassen alle ihre Gegner. Sie fühlen sich erkannt und verstanden, ohne dass sie sich selber zu ihrem Hass und zu ihrer Bosheit bekennen müssen. Sie können in der Deckung bleiben, während die narzisstische Identifikationsfigur ihre Aggressivität stellvertretend in der Öffentlichkeit auslebt. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Diesen Identifikationen ist auch geschuldet, dass gerade mutige Aufdecker von narzisstischen Übergriffen und Machenschaften besonderen Hass von jenen ernten, die weder mit den Tätern etwas zu tun haben noch von deren Manipulationen profitieren. Dieser Hass dient dem Schutz vor der eigenen Scham, die sich zeigen würde, wenn offenbar wird, dass die eigene Bewunderung und Verehrung einer gestörten Persönlichkeit gegolten hat.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die innere Leere</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Ein Kennzeichen des Narzissmus besteht in der Ausblendung und Ausleerung der eigenen Innerlichkeit. Er erzeugt immer eine Wirklichkeitsverzerrung, denn die Wirklichkeit kann nur dann adäquat erfahren werden, wenn das Innere mit dem Äußeren in einer fließenden Wechselbeziehung steht. Beim Narzissmus ist die Verbindung zum Inneren unterbrochen, wodurch das Innere zur Leerstelle wird.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Damit gibt es erstens keine klare Unterscheidung zwischen Innen und Außen und zweitens erlebt die Narzisstin das Außen als das Innen, während in Wirklichkeit es das Innere ist, das im Außen auftaucht. Da aber das Innen für die Innenwahrnehmung leer ist, wird diese Verwechselung nicht bemerkt. Es entsteht eine verschwommene Zone zwischen Innen und Außen, in die dann ungeprüft einfließen kann, was immer das narzisstische Muster bekräftigt.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Da das Innere als leer erlebt wird, indem es eben nicht erlebt wird, gibt es keinen Zugang zu einer Wahrheit mehr, die über die Subjektivität hinausginge. Für den Narzissten bemisst sich der Wahrheitsgehalt von Informationen daran, wieweit sie nützlich sind, um die anderen Menschen zu kontrollieren. Sie müssen in Schach gehalten werden, damit sie nicht auf die Idee kommen, die innere Leere zu erkennen.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die narzisstische Wirklichkeitsproduktion</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Narzissten neigen besonders zu Informationsquellen, die keine klare Unterscheidung zwischen Subjektivität und Objektivität aufweisen. Umgekehrt gilt, dass Menschen, die solchen Informationsquellen den Vorzug geben, einer narzisstischen Störung unterliegen. Die vor allem in deutschsprechenden Gebieten verbreitete Wissenschaftsskepsis hat genau dort ihre psychologischen Wurzeln. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Narzissten suchen Informationen, die zwischen Subjektivität und Objektivität schwanken, die also ihre Quellen nicht benennen oder auf unseriöse Quellen zurückgreifen. Die Verschleierung der Herkunft des Wissens soll die Überprüfbarkeit der behaupteten Wahrheit erschweren und damit das schummrige Halbdunkel, in dem die narzisstische Selbstbestätigung am besten gedeiht, aufrechterhalten. Für diese Ausrichtung eignen sich die sogenannten sozialen Medien ganz besonders. Sie sind geradezu dadurch gekennzeichnet, dass Fantasien und Fakten wild durcheinandergewirbelt werden und alle Unterschiede zwischen Meinung und Wahrheit eingeebnet sind. Jeder kann dort jedes behaupten. Die Überprüfung der Wahrheitsansprüche erfordert Mühe und wird dann wieder als subjektive Behauptung klassifiziert, die einem gefallen mag oder nicht. Diese Form der Medienkommunikation hat den narzisstischen Wahrnehmungsmustern einen riesigen Aufschwung beschert. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Inhalte, um die es bei den diversen Debatten geht, kennen in der narzisstischen Sphäre ebenfalls keine klare Grenze zwischen Innen und Außen, also zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven. Subjektive, gefühlserzeugte Fantasien werden zu Fakten, ohne dass die Umwandlung bemerkt wird. Da das narzisstische Muster durch die Vermischung von Innen und Außen gekennzeichnet ist, werden solche Verwirrungen von allen, die eine narzisstisch geprägte Wahrnehmung aufweisen, als normal und sinnhaft empfunden. Wer dem nicht beipflichten kann, kann nicht normal sein. Und wer diese aus dem Narzissmus erzeugten Einsichten nicht teilt oder durchschaut, bedroht das fragile Selbstverständnis der narzisstischen Persönlichkeit und muss deshalb bekämpft werden.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/02/grandioser-und-verdeckter-narzissmus.html">Grandioser und verdeckter Narzissmus</a><br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/01/der-elterliche-narzissmus-und-die.html" target="_blank">Der elterliche Narzissmus und die Selbstfindung</a><br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/01/der-elterliche-narzissmus-und-die.html" target="_blank">Rollen von Kindern narzisstischer Eltern</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-19583902731667419192023-10-06T20:54:00.005+02:002023-10-06T20:54:46.832+02:00Gesellschaftskritik und Familienmuster<p><span style="font-family: georgia;">Immer wieder sagen oder schreiben Leute, dass sie die Gesellschaft, so wie sie ist, nicht aushalten, schlecht finden, aussteigen wollen etc. Da es keine vollkommene Gesellschaft gibt, hat jede Gesellschaft ihre Schwächen und Mängel. Es ist gut und wichtig, an Missständen Kritik zu üben und an Verbesserungen mitzuarbeiten. Denn jede Gesellschaft enthält Kräfte, die sie weiterentwickeln wollen. Diese Sichtweise enthält die Annahme, dass die jeweilige Gesellschaft weder gut noch böse, weder vollkommen noch verkommen ist, sondern viele Bereiche enthält, die annehmbar sind, und viele, die Verbesserungsbedarf aufweisen. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">In den verbesserbaren Bereichen können wir partielle und strukturelle Mängel unterscheiden. Mängel in Teilen der Gesellschaft, wie z.B. im Bildungswesen oder im Gesundheitssystem sind ein Dauerbrenner, weil sich diese Bereiche dauernd an die Weiterentwicklung der Gesellschaft anpassen müssen und dadurch zwangsläufig immer wieder in eine Schieflage geraten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Unter strukturelle Mängel fallen z.B. die Dynamiken des kapitalistischen Wirtschaftssystems, das auf permanenter Ressourcenausbeutung beruht und damit eine Hauptursache für den Klimawandel darstellt. Eine andere Dynamik ist der Patriarchalismus, der langsam zurückweicht, aber noch immer Elemente der Benachteiligung der Frauen aufrechterhält. Dann gibt es den Nationalismus, der die Nationen gegeneinander ausspielt und bis zu Kriegen führen kann. Das sind einige Beispiele für die strukturellen Mängel, die die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften einschränken und unter denen viele Menschen leiden. Eine Bewusstseinsentwicklung in Richtung systemisches Denken und Handeln kann solche strukturelle Mängel einer Besserung zuführen. Das gelingt, wenn diese Bewusstseinsform eine genügend große Zahl von Menschen erreicht hat.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Leiden an der Gesellschaft mit seinen frühen Wurzeln </span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Wenn Menschen die gesamte Gesellschaft schlecht machen und angreifen, ohne sich bewusst zu sein, dass es Defizite nur in Teilbereichen und darunterliegenden Strukturen gibt, dann können sie Projektionen unterliegen. Sie sind ja selbst Teil dieser Gesellschaft und merken nicht, dass sie sich selbst dabei abwerten. Woher kommen diese Impulse, die gerne von Politikern und Demagogen aufgegriffen werden? Warum kommen Brandreden gegen die gesamte Gesellschaft, in der wir alle leben und zu derem Sosein wir alle beitragen, bei so vielen Menschen an? Warum fühlen sich viele verstanden, wenn auf die Gesellschaft oder auf das System hingehackt wird?</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wenden wir den Blick auf die Herkunftsfamilie. Sie ist die erste kleine Gesellschaft, die wir kennenlernen und durch die wir die frühesten und prägenden Eindrücke über das menschliche Zusammenleben erwerben. Wie Menschen miteinander umgehen und aufeinander reagieren, erleben und beobachten die Kinder und ziehen daraus ihre Schlüsse. Später wenden sie ihre Erfahrungen auf die anonyme Gesellschaft an, die in der projektiven Fantasie zu einem Einzelwesen wird, das bewertet, bekämpft oder verlassen werden kann.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wenn also die Rede von „der Gesellschaft“ oder von „dem System“ ist, dann handelt es sich dabei mit viel Wahrscheinlichkeit um Projektionen aus frühen Erfahrungen. Die Einstellungen zum System im Kleinen werden später einfach auf das System im Großen übertragen. Das Leiden, das einem als Kind widerfahren ist, wird ihm angelastet.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Wunsch, aus der Gesellschaft auszusteigen, zeigt sich als Impuls, aus der Familie auszubrechen, die als unerträglich erlebt wird. Als Kind ist das nicht möglich; als Erwachsener richtet sich die Phantasie mit der Wut des Kindes auf die unerträgliche Gesellschaft. Der Wunsch, die Gesellschaft umzustürzen, nährt sich aus der Wut auf ein ungerechtes, ausbeuterisches, heuchlerisches oder missbräuchliches Familiensystem.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Familie ist nicht nur „die Keimzelle der Gesellschaft“, wie das gerne konservative Politiker in ihr Programm schreiben und auf ihren Reden verkünden, sondern auch die Keimzelle für die Einstellungen zur Gesellschaft als ganzer. Eine wertschätzende Atmosphäre in der Familie legt den Grundstein für eine differenzierte positive Einstellung zur Gesellschaft, während schlechte Erfahrungen mit der eigenen Familie ein Misstrauen und eine Abneigung gegen die Gesellschaft bewirken. Herrschte in der Familie Distanz und Kontaktarmut, so wird die Gesellschaft leicht als kalt und herzlos erlebt. Haben sich in der Familie traumatisierende Ereignisse abgespielt, so erscheint die Gesellschaft als bedrohlich und gefährlich. War die Familie einengend und kontrollierend, so kommt es zu besonders heiklen Reaktionen gegen jede Freiheitseinschränkung durch die Gesellschaft.</span></p>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-18601856274400593702023-09-23T14:59:00.000+02:002023-09-23T14:59:22.226+02:00Der Nationalismus und die Scham<p><i style="font-family: georgia;">„Beim Nationalismus handelt es sich um die schlechte Ausdünstung von Leuten, die nichts anderes als ihre Herden-Eigenschaften haben, um darauf stolz zu sein.“</i><span style="font-family: georgia;"> (Friedrich Nietzsche)</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Nationalismus ist ein Kind des Stolzes. Stolz hat die Aufgabe, schambetroffene Teile der Selbstbeziehung auszugleichen und zu kompensieren. Nationale Gefühle haben wir, wenn wir uns anderen Nationen überlegen fühlen, z.B. bei einem sportlichen Ereignis, bei dem Angehörige der eigenen Nation besser waren als die anderer. Im umgekehrten Fall schämen wir uns für unsere eigene Nation.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Begriff der Nation ist eine historische Spätgeburt und fällt ins 18. Jahrhundert. In der französischen Revolution wurde bekanntlich das Königtum gestürzt und die Republik eingeführt. Der König hatte lange Zeit als die Identifikationsfigur für alle Mitglieder eines Staates gegolten. Nun gab es ihn nicht mehr, und es brauchte einen anderen Anker für das Gemeinschaftsgefühl, für den die Nation herhalten musste. Fortan war es die Zugehörigkeit zu einer Nation, die den Einzelnen definieren sollte. Bis heute gibt es keine klare Begriffsbestimmung zur Nation. Manchmal ist von der Gemeinsamkeit der Sprache die Rede, doch da gibt es gleich die Schwierigkeit mit Staaten, die mehrere Sprachgruppen aufweisen. Oder es wird die Kultur als Kitt der Nation festgelegt, ein Begriff, der noch schwammiger ist, weil es in vielen Staaten unterschiedliche Volkskulturen gibt und alles, was über die lokalen Kulturen hinausgeht, wiederum nur schwerlich einer Nationalkultur zugerechnet werden kann. Oder man beruft sich auf eine gemeinsame Geschichte, die nur dort beginnen darf, wo sie sich mit der Vorstellung der Nation deckt und alles ausblenden muss, was mit der Einmischung von anderen Nationen zu tun hat oder auf Wurzeln verweisen, die gar nichts mit der aktuellen Nationalität zu tun haben. Daraus wird klar, dass wir es bei einer „Nation“ nicht mit einem objektiv existierenden Tatbestand zu tun haben, sondern mit einem Konstrukt, das viele Menschen teilen, ohne genau zu wissen, was es beinhaltet. Es ist also ein Konstrukt mit einem hohen Anteil an Fantasie und Fiktionalität, das seine Wirklichkeit dadurch erhält, dass es immer wieder und wieder erzählt wird, so lange, bis alle daran glauben. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Erfolg des Nationsbegriffs hat damit zu tun, dass er eine einheitsstiftende Funktion im Prozess der Modernisierung ausübte. In diesen vom Kapitalismus geprägten Entwicklungen kam es zu vielfältigen Umgestaltungen und Zerfallsvorgängen von sozialen Einheiten, die eine hohe soziale Unsicherheit hervorriefen. Für diese Leerstelle kam der Begriff der Nation wie gerufen. Wenn die Menschen schon der Anonymität und Unbarmherzigkeit der Wirtschaftsprozesse ausgeliefert waren, wurde ihnen zumindest als Mitglieder einer Nation eine bestimmte Sicherheit gewährt. In Kriegen versuchten sich die Staaten voneinander als Nationen abzugrenzen und die Bevölkerungen hinter sich zu scharen. Selbst der russische Angriff auf die Ukraine hat zu einem starken Schub der nationalen Geschlossenheit geführt, der selbst die russisch-sprachigen und vor dem Krieg russlandfreundlichen Bevölkerungsgruppen und Gegenden erreicht hat und einer der vielen Effekte dieses Krieges ist, der von den Angreifern nicht vorausbedacht wurde.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es war und ist bis heute ein riskantes Unterfangen, den Nationsbegriff durch Kriege zu untermauern. Die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts z.B. wurden genau mit dieser Absicht begonnen und endeten in beiden Fällen mit Katastrophen, auch für den Nationsbegriff. Im Ersten Weltkrieg zerfiel das österreichisch-ungarische Konstrukt, im Zweiten wurde der Nationsbegriff in Deutschland nachhaltig ramponiert. Eine wichtige Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg war die Begründung der europäischen Zusammenarbeit, die zur EU geführt hat, einem übernationalen Zusammenschluss. Denn verantwortungsbewusste und weiterblickende Politiker hatten erkannt, dass das ewige, vom Nationengedanken angestachelte Kriegführen ein Ende haben müsse und dass die Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Kriege in Hinkunft erschweren wurde, womit sie Recht behielten. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Nationalismus und Stolz</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Angehörigen einer Nation sollen stolz sein, dass sie dazugehören. Sie sollen auch stolz sein, dass sie nicht zu den anderen gehören. Es ist ein Stolz, der auf der Verherrlichung des Eigenen und der Abwertung und Verachtung des Anderen beruht. Nationalismus besteht nie nur in der Bekräftigung der eigenen Nation, sondern immer auch in der Abwertung anderer Nationalitäten. Es ist also ein Stolz, der sich nicht nur aus den eigenen Errungenschaften nährt, sondern zu seiner Vollständigkeit noch die Überlegenheit über andere benötigt. Die eigenen Leistungen sind so viel wert wie sie die der anderen übertreffen. Es läuft wie bei einer Konkurrenzsportart wie z.B. dem Schirennlauf. Es geht nicht darum, die Abfahrt in einer tollen Zeit hinzulegen, sondern schneller zu sein als alle anderen. Es genügt, dass die anderen schlechter sind, dann hat man schon gewonnen und kann stolz sein.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Der Nationalismus lebt von der Konkurrenz. Seine Vertreter behaupten gerne von ihm, dass es um den Erhalt der nationalen Eigentümer und Eigenheiten ginge, gewissermaßen, was die Österreicher anbetrifft, um das Schnitzel (das Wiener Schnitzel kommt bekanntlich aus Mailand) und das Schmähführen (der Wiener Humor bezieht seine wichtigsten Quellen aus dem Jüdischen und dem Böhmischen). Die Eigentümlichkeiten müssen überzeichnet werden, damit sie bei der emotionalen Nationenbildung helfen können, die der eigenen und die der fremden Gruppe. Mit dieser Kontrastierung werden die Unterschiede verstärkt und es entstehen Grenzen, wo vorher Übergangsfelder bestanden: Die dialektischen Färbungen einer Sprache verändern sich graduell von Landstrich zu Landstrich. Wird nun eine Grenze inmitten eines Sprachfeldes eingeführt, dann driften längerfristig die Dialekte auseinander. Zum Beispiel war das Innviertel bis 1779 bei Bayern und es wurde dort der bayrische Dialekt gesprochen. Dann kam das Gebiet zu Österreich und nahm nach und nach das Oberösterreichische an, mit einem bayrischen Einschlag. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Aus Übergangsfeldern werden unter dem Einfluss des Nationalismus Spannungsfelder. Die Grenzen, die die Gebiete trennten, wurden mit der Zeit immer stärker kontrolliert und aufgerüstet. Die Hiesigen unterschieden sich damit zunehmend von den Diesigen. Solche Grenzen sind immer Stolz- und Schamgrenzen: Der Stolz soll im Hüben sein, die Scham im Drüben.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Jeder Stolz, der auf Überheblichkeit ruht, ist nicht mehr als eine kompensierte Scham. Der Drang nach der Überlegenheit kommt aus der Minderwertigkeit, die schambesetzt ist: Ich muss besser sein als die anderen, um von ihnen nicht unterdrückt zu werden. Ich muss sie abwerten, damit ich mich sicher fühle und mir besser vorkomme. Mein Sicherheits- und Wohlgefühl ist davon abhängig, dass andere schlechter dastehen und weniger wert sind.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Aus diesem psychologischen Mechanismus können wir verstehen, dass der Nationalismus als Ausgleich für Schamgefühle entstanden ist. Er bezieht seine suggestive Macht aus dem Kompensieren von kollektiven Minderwertigkeitsgefühlen. Er schafft es immer wieder, die Menschen hinter sich zu scharen, weil er ihnen die Entlastung von der Scham der Minderwertigkeit verheißt. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die paradoxe Geschichte des Nationalismus, in ihrer Gänze erzählt, lautet also: Zunächst werden die Nationen eingeführt, um den Menschen eine Erleichterung der Scham und des Schmerzes der Vereinzelung als Folge der ökonomischen Modernisierung zu verschaffen. Einmal etabliert, wirkt der Nationalismus wie eine Ersatzdroge und führt eine neue Schambelastung ein. Sie ist mit dem Ringen verbunden, die nationale Schwäche auf Kosten anderer Nationen zu überwinden. Es ist das kapitalistische Konkurrenzmodell, das für das Verhältnis der Nationen Anwendungen gefunden hat und das dann für alle Kriege verantwortlich ist, die im Zeichen dieser Ideologie begonnen werden. Eine weitere Spielwiese für den Nationalismus bot der Kolonialismus, der in dem Streben besteht, Länder, die sich noch zu wenig als Nationen etablieren konnten, der eigenen nationalen Sphäre einzuverleiben, um diese zu bereichern.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Nationalismus im Zeitfenster</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Der Nationalismus hat seinen Referenzpunkt in einem relativ schmalen Zeitfenster zwischen einer Vergangenheit, der der Begriff der Nation fremd war, weil er nicht benötigt wurde, und einer Zukunft, die ihn als Relikt aus einer barbarischen Zeit abtun wird. Wir stammen aus vielfältigen Ahnenlinien ab, die sich nicht an irgendwelche politisch definierte Grenzen halten, und wir gehen in eine globalisierte Zukunft, in der die Menschen über die Kontinente, Religions- und Rassengrenzen hinweg mobil sind und ihre Zugehörigkeiten und ihre Identität laufend neu definieren müssen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Dieses Zeitfenster hat die Ideologie des Nationalismus weidlich genutzt – einerseits zum Schutz von Traditionen, Sprachgruppen und Kulturräumen, andererseits zur Aggression gegen andere Nationen. Vom 19. über das 20. Jahrhundert bis in unsere Tage können wir die Auswüchse und Verwirrungen des Nationalismus beobachten. Während sich die Wirtschaft längst über alle Grenzen hinwegsetzt, greift erst langsam das Bewusstsein, dass wir in erster Linie Weltbürger sind und irgendwann nachgeordnet Angehörige einer bestimmten Nation oder Volksgruppe.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Erkenntnis macht frei</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Erkenntnis der historischen Relativität und Ideologiegebundenheit des Nationalismus entkoppelt uns von seiner suggestiven Macht, und diese Entkoppelung macht uns frei, auch von den Ängsten und Schambelastungen, die die Konzepte der Nationalität enthalten. Vorgeprägte und ungeprüfte Identitäten, an denen wir festhalten, schränken uns ein, weil wir deren Gefühlskonglomorat in uns tragen. Der Vorgang der Entidentifizierung erlaubt uns, eine Beziehung zu den Prägungen aufzubauen, die wir vorher als selbstverständlichen Teil von uns angesehen haben und gar nicht von uns selbst unterscheiden konnten. Die Distanz erlaubt uns, die Beziehung zu gestalten. Wir sind nicht mehr von ihr beherrscht, sondern können ihre Bedeutung für uns selbst festlegen. Wir können also für uns festlegen, was wir unter der Zugehörigkeit zu einer Nation verstehen und wir tun uns dann leichter, das Gemeinsame im Fremden zu erkennen und über das Trennende zu stellen. Wo wir Gemeinsamkeiten erkennen, finden wir den Weg vom Misstrauen zum Vertrauen, von der Angst zur Entspannung, vom Hass zur Liebe.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Hereinnahme statt Ausgrenzung</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Demokratische Reife besteht dagegen darin, die Andersheit der anderen anerkennen und gelten lassen zu können. Die Diversität der Ansichten, Meinungen, Lebensorientierungen, kulturellen Prägungen usw. hat in einer Demokratie einen Platz und eine wichtige Bedeutung, die dazu führt, dass schwache Positionen gefördert werden. Pluralität und gegenseitige Akzeptanz sind der Nährboden für die Kreativität und Resilienz von Gesellschaften; Ausgrenzungen und Aggressionen gegen Minderheiten oder Schwächere destabilisieren den gesellschaftlichen Zusammenhalt und steigern die allgemeine Unsicherheit und Angst. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zur Demokratie gehört die Inklusion, zum Nationalismus die Exklusion, das Ausschließen alles dessen, was bestimmten vordefinierten Kriterien nicht entspricht. Jede Ausschließung enthält eine Beschämung der Betroffenen. Der Nationalismus ist rückwärtsgewandt, weil die Identifikation mit einer Nation kein Lösungspotenzial für irgendeine der aktuellen Krisen liefern kann. Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zusammenarbeit über die Grenzen von Nationalstaaten hinaus. Sie kann nur dann in eine gute Richtung führen, wenn diese Kooperation auf demokratischen Grundsätzen beruht, also inklusiv und nicht exklusiv ist. Es sollte uns langsam deutlich werden, dass wir die Zukunft mit ihren Herausforderungen nur meistern, wenn wir alle mit anpacken und uns gemeinsam anstrengen, über alle urtümlichen Grenzen hinweg und jenseits aller Hoffnungen auf irgendwelche starken Männer als Erlöser. Jede der Krisen, unter denen wir leiden, ist eine Menschheitskrise; lösen kann sie nur die Menschheit in Gemeinsamkeit, auf das Basis einer fundamentalen Gleichheit.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle Möglichkeiten des Zusammenwirkens stärken und all den Bestrebungen, die die Lösungen in veralteten Modellen und rückwärtsgewandten Ideologien suchen, entgegenzutreten und sie an der Machtübernahme zu hindern. Die Demokratie muss streitbar sein, wenn sie weiterbestehen will, und dazu gehört, dass sie ihre Gegner benennt und in die Schranken weist. Die Demokratie ist niemand anderer als wir selber, die Summe unserer politischen Einstellungen und Handlungen, soweit wir uns zu ihr bekennen und ihre Wichtigkeit für eine breite Basis der Menschlichkeit erkannt haben. Im Prinzip der Inklusion ist die Garantie enthalten, Menschen vor jeder strukturbedingten Beschämung zu bewahren.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2016/06/sportlicher-nationalismus-und-die.html" target="_blank">Sportlicher Nationalismus und Globalisierung</a><br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2016/06/das-kleine-fenster-des-nationalismus.html" target="_blank">Das kleine Fenster des Nationalismus</a><br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2021/06/opfermentalitat-und-opferstolz.html" target="_blank">Nationalismus und Opferstolz</a></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-8978766215115085462023-08-10T08:31:00.000+02:002023-08-10T08:31:01.711+02:00Über die Heilkraft der universellen Liebe<p><span style="font-family: georgia;">Die Liebe ist ein zentrales Wort im menschlichen
Sprachschatz, weil es etwas ganz Wesentliches bezeichnet. Wir sind eine
zutiefst sozial ausgerichtete Spezies, für die das Zusammensein und der
Austausch mit unseren Artgenossen (neben der Sicherung des individuellen Wohlseins)
überlebensnotwendig ist. Wenn die Liebe zwischen den Menschen herrscht, ist das
soziale Leben gesichert, fehlt sie, steht es in Gefahr. Ist der Zusammenhalt
mit den Mitmenschen bedroht, so ist auch das individuelle Überleben bedroht. Das
Ausmaß an sozialer Sicherheit kann daran abgelesen werden, wie viel Liebe
herrscht.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Gemeinhin wenden wir das Wort Liebe auf Beziehungen an,
vorrangig auf solche, die mit Romantik und Sexualität zu tun haben. Darüber
hinaus gibt es die Mutter- und Vaterliebe, also die Liebe zwischen Eltern und
Kindern, die zwischen Geschwistern usw., die Liebe in den familialen
Zusammenhängen. Dünner wird die Liebe, die über den engen Familienkreis
hinausgeht und sich z.B. auf Freunde, Bekannte und<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Nachbarn erstreckt. Erst recht abstrakt wird
die Liebe, wenn sie auf Großgebilde bezogen ist wie z.B. die Vaterlandsliebe. Schließlich
vertreten einige Religionen einen noch weiteren Begriff, indem sie von der Feindes-
und Nächstenliebe oder vom liebevollen Mitgefühl mit allen Lebewesen sprechen. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">All diese Felder der Liebe sind durch Zerbrechlichkeit und Störungsanfälligkeit
gekennzeichnet. Die Liebe kommt, die Liebe geht, so heißt es im Schlager. Kleine
Verschiebungen in den Stimmungen, missverständliche Worte, missglückte
Gespräche – und schon ist die Liebe weg, und die Betroffenen ziehen sich zurück
auf ihre individuelle Überlebenssicherung, um zu retten, was noch zu retten
ist. Schnell verdrängt die Angst die Liebe, und nur langsam baut sich die Liebe
wieder auf, sobald die Angst bereit ist, sich zurückzuziehen. Es ist eine
zerbrechliche Liebe, die sofort in andere Gefühle umschlägt, wenn etwas
geschieht, das in ihrem Rahmen nicht Platz findet. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Diese Liebe ist eng mit Erwartungen verknüpft und mit Bildern
und Fantasien aufgeladen. Sie hat gewissermaßen verzerrende Brillen auf, die
manches überscharf zeichnen und anderes ausblenden. Diese Filter in der
Liebeswahrnehmung bewirken, dass wir die Liebe oft nur in einer bestimmten
Gestalt erkennen und sie vermissen, wenn sie auf eine Weise daherkommt, die unseren
Erwartungsmustern nicht entspricht. Wir fühlen uns nur geliebt, wenn uns die
Liebe so entgegengebracht wird, wie wir es aufgrund von früheren Erfahrungen,
medial genormten Symbolen und romantischen Schwärmereien erwarten.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span><o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Liebe im Dunstkreis des Egos</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Das Hauptkriterium für ein gelungenes Leben wird durch ein
zureichendes Maß an Geliebtwerden festgelegt, also an der Menge an Liebe, die
wir bekommen. Ist dieses Maß erfüllt, so werden alle anderen Bedürfnisse
nebensächlich. Die Liebe zeigt sich als die universelle Form der
Bedürfnisbefriedigung: Wenn wir sie ausreichend bekommen, ist alles gut; wenn
sie uns fehlt, macht das Leben plötzlich keinen Sinn mehr und wir können ins
Bodenlose abstürzen. Wir merken dann, dass wir das eigene Schicksal mit dem Geliebtwerden
verknüpft haben.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Wir alle kennen diese Form der Liebe, die nach den
Vorstellungen unseres Egos geschneidert ist. Emotional ist sie hoch aufgeladen,
weil sie aus unseren Überlebensmustern geformt ist. Denn unerfüllte Bedürfnisse
aus der Kindheit spielen In ihr die Hauptrolle. Sie ist in ihren
Wirkmöglichkeiten durch Konzepte und Überlieferungen über das eingeschränkt,
was Liebe sein könnte oder sollte. Aufgrund der Enge und Instabilität der Vorstellungen
von der „wahren“ Liebe kommt es auf dieser Ebene immer wieder zu
Unterbrechungen und Abstürzen, zu Verletzungen, Traumatisierungen und Dramen.
All diese schmerzhaften Phänomene sind Beispiele für den Verlust der Verbindung
mit der unbedingten oder großen Form der Liebe.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Liebe beginnt mit dem Geben.</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Den engen Rahmen dieser bedingten Liebe überschreiten wir,
wenn wir erkennen, dass Liebe zuerst nicht etwas ist, das wir entweder bekommen
oder das uns vorenthalten wird, sondern etwas, das wir in uns haben, um es
weiterzugeben. Die Liebe entsteht nicht im Empfangen, sondern im Geben. Der
Glaube, dass wir zuerst einmal Liebe bekommen müssen, bevor wir sie geben
können, ist die Folge von Kindheitserfahrungen mit einer Liebe, die nur unter Bedingungen
gegeben wurde: Wenn du dich brav verhältst, wirst du geliebt, sonst nicht. Du
bekommst also die Liebe, wenn du unsere Erwartungen erfüllst, so lautet die explizite
oder implizite Botschaft mancher Eltern. Dass Kinder von sich aus, sobald sie
am Leben sind, Liebe geben, wissen sie nicht, wenn sie dafür keine
Rückmeldungen bekommen. Indem die Eltern ihre Liebe an Erwartungen und
Bedingungen binden, lernt das Kind, dass es keine unbedingte Liebe gibt und
dass das, was es selbst gibt und geben kann, unbedeutend und wertlos ist. Es hat
also nichts zu geben, und bekommen kann es nur dann, wenn es sich durch ein
bestimmtes Verhalten, durch eine Form der Gefühlsregulation und
Frustrationstoleranz dieser Liebe als würdig erweisen. Die Eltern signalisieren
auf diese Weise, dass die Liebe ein knappes Gut ist, das nur unter Umständen
gegeben wird, nämlich dann, wenn es sich das Kind durch Anstrengung und
Anpassung verdient. Unschwer ist zu erkennen, dass sich auf diese Weise die Grundlagen
des Kapitalismus in die Liebesdinge eingemischt haben. Bis zur käuflichen Liebe
ist es dann nicht mehr weit.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die universelle Liebe</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Die herkömmlichen Begriffe von Liebe sind also geprägt von
der persönlichen Lebensgeschichte sowie von den ökonomischen und kulturellen Lebensbedingungen.
Sie tragen unsere Hoffnungen und Ängste in sich, sind durchzogen von Illusionen
und Traumelementen und ziehen einen Rattenschwanz an Enttäuschungen und
Verletzungen nach sich. Das kann doch nicht alles sein, was die Liebe zu bieten
hat! <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Wir haben die Fähigkeit, aus diesen vorgeprägten, von
Ängsten und Verletzungen eingeschränkten Konzepten der Liebe herauszutreten und
den Schritt in einen größeren Rahmen zu wagen. Dabei stellen wir all die
Vorstellungen von Liebe, die wir schon kennen, bewusst beiseite und öffnen uns
für die Weite des Lebens und des Universums, die über das Menschliche und
Allzu-Menschliche hinausgeht. Mit diesem Schritt in die Transzendenz gelangen
wir zu einem Verständnis von Liebe als Kraft, die alles zusammenhält und
verbindet. Davon ist das, was wir als menschliche Liebe kennen und verstehen, nur
ein winziger Ausschnitt, und die Probleme, die uns da begegnen, schrumpfen aus
dieser Sicht wie von selbst. Denn diese Perspektive erkennt alles, was
geschieht, als eine Ausdrucksform der Liebe. In irgendeiner, oft
geheimnisvollen Weise wirkt eine Macht, die allem Existierenden Zusammenhang,
Sinn und Bedeutung gibt. Wir verstehen dieses Wirken mit unserem kleinen Geist oft
nicht, denn dieser kennt nur seine engen Bahnen, auf denen er sich gern im
Kreis dreht. Auch wenn wir den großen Geist nur ansatzweise fassen können, ist
es uns möglich, den verheißungsvollen Geschmack, die freie Schwingung der von
ihm getragenen Liebe zu erahnen und uns ihr anzuvertrauen.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die heilende Kraft der großen Liebe</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Die universelle Liebe, die wir in diesem geheimnisvollen Rahmen
kennenlernen, wirkt nicht nur verbindend und Zusammengehörigkeit geben. Sie
enthält auch eine Kraft der Verwandlung und der Heilung. Entwicklung heißt die
Veränderung des Bestehenden, und die Kraft der Liebe steht hinter jeder
Entwicklung, mit der das Leben weiterwächst, und befördert und bereichert sie. <span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Diese Liebe bejaht alles, was das Leben
hervorbringt. In dieser bedingungslosen Affirmation steckt ihr immenses
Heilpotenzial.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Wir erkennen das unmittelbar Hilfreiche dieser Form der
Liebe, wenn es darum geht, mit Verletzungen und Verstörungen, die durch
Liebesmangel, Liebesentzug oder Liebesverlust entstanden sind, ins Reine zu
kommen. Viele Menschen hatten ganz widrige Umstände zu bewältigen, in denen das
Vertrauen in die Liebe geschwächt wurde. Wer als Kind von den Eltern nicht
gewollt war, spürt das fehlende Willkommen und die Ablehnung der eigenen
Existenz als schwere Last und tiefes Leid. Wird aber verstanden, dass es auf
einer anderen Ebene das Leben war, das das eigene Dasein gewollt und willkommen
geheißen hat, dann wird spürbar, dass eine überpersönliche Liebe am Wirken ist,
die stärker ist als das, was die Menschen wollen oder ablehnen. Es fällt
leichter, das eigene Leben besser annehmen zu können, wenn bewusst wird, dass
es ein unbedingtes Ja gibt, das aus der Urquelle des Lebens stammt und viel
viel mächtiger ist als ein Nein der überforderten, ängstlichen und unreifen Eltern.
Dieses Ja soll in allen Ecken und Winkeln der Seele vernommen und in jeder
Zelle verspürt werden, bis es sich tief verankert hat. Dann fällt es leichter,
den Eltern ihre Schwächen und ihr Versagen zu verzeihen und mit ihnen in
Frieden zu kommen.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Die unbedingte und weite Liebe nährt alle Formen der kleinen
und bedingten Liebe. Sie möchte sich immer zu Gehör bringen, wenn sich die
kleine Liebe in den Ränken des Egos und den Schattenseiten der Persönlichkeit verloren
hat. Denn allzu schnell versiegt und versickert sie, wenn sie nur auf sich
selber gestellt ist. Aber die Rückverbindung an die Urquelle der Liebe in der
universellen Lebenskraft lässt sie immer wieder aufblühen und Frucht bringen. Es
ist die Erinnerung daran, wer wir in Wirklichkeit sind: Geschöpfe der
universellen Liebe, begabt mit einer Liebeskraft, die aus den tiefsten Wurzeln
des Seins fließt.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><span style="mso-spacerun: yes;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2015/11/die-groe-und-die-kleine-liebe.html" target="_blank">Die große und die kleine Liebe</a></span><o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><br /></p>
<p class="MsoNormal"><o:p><span style="font-family: georgia;"> </span></o:p></p>
<!--EndFragment-->Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-60431551085498773612023-08-05T18:15:00.002+02:002023-08-06T08:03:57.510+02:00Perspektivenreichtum statt Güterreichtum<h3 style="text-align: left;">Geiz und Gier</h3><div>Das Anhäufen und Einverleiben von Dingen ist das Ziel der Gier. Es gibt Dinge, die wir für die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse brauchen, wie Nahrungsmittel, Kleidung, ein Dach über dem Kopf usw. Dann brauchen wir Dinge, die uns bei der Sicherung der Dinge helfen, die wir unbedingt brauchen, wie z.B. Geld. Und hier beginnt die Gier: Die Grundbedürfnisse sind bei vielen Menschen längst gesichert, aber die Unsicherheit besteht, ob das in Zukunft auch so sein wird. Also kommt der Drang, die sekundären Dinge anzuhäufen, die uns versprechen, dass es nie einen Mangel an primären Dingen gibt.</div><p>Ist die Unsicherheit einmal da und wird von der Gier gesteuert, so gibt es kein Limit nach oben, dessen Erreichung Sicherheit geben würde: Jede sekundäre Absicherung verlangt nach einer Absicherung der Absicherung usw. Die Gier will uns signalisieren, dass die einzige Garantie für Sicherheit darin liegt, bis ins Unendliche mehr und mehr materielle Güter anzuhäufen. Wir sollten uns nur mehr dafür anstrengen, sekundäre, tertiäre etc. Absicherungen für unsere Grundbedürfnisse unter Kontrolle zu bringen. Jedes Nachlassen in den Anstrengungen und im Zufluss an neuen Gütern verheißt Unsicherheit und damit die Gefährdung der Erfüllung unserer Grundbedürfnisse, eine Einsicht, deren Wurzel nur mehr im Unterbewusstsein gefunden werden kann. Denn Schicht um Schicht der Unsicherheitsbewältigung hat sich über den Kernbedürfnissen abgelagert, die längst schon in Sicherheit sind, ohne dass diese Botschaft zu Bewusstsein käme.</p><div>Die Gier wird vom Geiz unterstützt. Er sorgt dafür, dass wir von den angehäuften Dingen nichts hergeben. Er steht auch im Bann der Angst vor dem Verlust. Die Gier schaufelt neue Güter herbei und der Geiz hortet sie an sicherem Ort, muss aber immer darauf achten, dass niemand anderer an sie herankommt. Argwöhnisch und eifersüchtig wacht er darüber, dass nichts von den Schätzen wegkommt. Am besten bleiben sie geheim: Wenn niemand von ihnen weiß, ist die Gefahr gering, dass sie entwendet werden.
</div><div>Die Gier saugt auf, der Geiz hält fest. Die Gier rafft, der Geiz hortet. Die Gier will anderen etwas wegnehmen, der Geiz will anderen nichts geben und sich vor deren Gier schützen. Auf die Verdauung übertragen: Die Gier führt zu Durchfall, wenn zu viel hineingeschlungen wird, der Geiz zur Verstopfung, weil jedes Hergeben mit Verunsicherung und Angst einhergeht.
</div><h3 style="text-align: left;">Von den materiellein zu den immateriellen Gütern
</h3>Wenn es uns gelungen ist, die Dämonen der Gier und des Geizes zu bändigen, lösen wir uns von dem Zwang, Güter anzuhäufen, die uns eine scheinbare Sicherheit versprechen. Wir begeben uns zum Übergang von Quantität zu Qualität, von materiellen zu immateriellen Gütern. <a href="https://www.facebook.com/profile.php?id=100015149321507" target="_blank">Hanzi Freinacht schreibt dazu</a>: „Unsere frühere Besessenheit mit dem Ansammeln von Besitztümer und materiellem Wohlstand wird zunehmend durch eine Ansammlung von ‚erlebten Erfahrungen‘ ersetzt: Orte, an denen wir waren, Leute, die wir getroffen haben, Fähigkeiten, die wir erlernt haben, Speisen, die wir gekostet haben, Formen von Ereignissen, an denen wir teilgenommen haben, Lebensphasen, die wir überwunden haben.“ (Übers. W.E.)
<p>Das, was im Text als das Frühere im Unterschied zum Jetzigen benannt wird, bezieht sich auf die materialistische Ebene des Bewusstseinsevolution <a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/p/sieben-stufen-der-bewusstseinsentwicklu.html" target="_blank">nach meinem Modell</a>; das Jetzige kann mit der personalistischen Stufe gleichgesetzt werden. Der nächste Schritt geht auf die systemische Stufe, die Hanzi Freinacht als metamodern bezeichnet. „Der metamoderne Geist sammelt Perspektiven; er preist sie, poliert sie, schätzt sie, bewundert sie. Das ist auch – in gewissem Sinn – eine blöde Form des Hortens. Es ist ein Horten, das von einer sanften Hand gehalten wird, mit einem ironischen Lächeln über das eigene Verhalten.“
</p><p>Auf der Ebene, die ich systemisch nenne, gilt der Reichtum an Sichtweisen vor dem Hintergrund der Relativität und Diversität. Viele Perspektiven verstehen und nebeneinander bestehen lassen zu können, erfordert die Loslösung vom Rechthaben- und Belehrenwollen. Allerdings ist es nach wie vor wichtig, die Gültigkeit und Relevanz der jeweiligen Perspektiven zu berücksichtigen. Die Aussage von Frau Müller zum aktuellen Wetter nach dem Blick aus ihrem Fenster hat einen anderen Wert als die Messung einer wissenschaftlichen Wetterforschungsinstitution. Wir sammeln also Perspektiven mitsamt ihren Entstehungskontexten, sonst ist die Sammlung so wertlos wie eine Briefmarkenkollektion, in der die Marken nach Farben oder Größe sammelt sind.
</p><p>Die Ästhetik des Schrumpfens, von der <a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/asthetik-des-schrumpfens.html" target="_blank">in einem früheren Beitrag</a> die Rede war, bezieht sich nur auf materielle Güter, die aus den Ressourcen des Planeten hergestellt sind und diese sukzessive aufbrauchen. Immaterielle Güter öffnen einen Bereich des Reichtums, der ins Unendliche geht. Denn sie verlieren nicht an Wert, wenn sie geteilt und weitervermittelt werden, sondern erhöhen im Gesamten das, was als wertvoll erachtet wird. Es kommt also immer zu einem Wachstum bei der Verbreitung von Faktenwissen und Metawissen, das sogar exponentiell sein kann.
</p><p></p><p></p><h3 style="text-align: left;">Vom Nutzen der vielen Perspektiven
</h3>Die Multi-Perspektivität ist deshalb so wichtig, weil sie unser Leben in verschiedener Hinsicht verbessert und erleichtert. Wenn wir in einer Situation über nur eine Möglichkeit verfügen, verlaufen wir uns schnell, weil diese Möglichkeit unter Umständen die ungünstigste oder unpassendste ist. Wir befinden uns in einer Tunnelperspektive. Mehr Möglichkeiten bedeuten, dass wir über einen weiteren Horizont verfügen und ein größeres Bild wahrnehmen können.
<p>Die Vielzahl von Möglichkeiten erschreckt uns manchmal, wenn wir gerade nicht auf unsere Flexibilität vertrauen, sondern wenn wir unter Stress stehen und meinen, es gäbe nur einen und einzigen richtigen Weg. Wir befürchten, wir übersehen das Wahre und Wichtige, wenn wir eine Richtung wählen und uns notgedrungen eine andere damit verbauen. Entscheidungen sind immer riskant, ebenso wie jeder Verzicht auf das Festlegen. Unter Stress wollen wir jedes Risiko vermeiden und auf Nummer Sicherheit gehen, erzeugen aber gerade das Gegenteil, weil wir uns nicht die Zeit zum Abwägen verschiedener Blickpunkte geben, sondern aus alten Gewohnheiten heraus reagieren, die in den seltensten Fällen zur aktuellen Situation passen.
</p><h3 style="text-align: left;">Freiheit in der Vielfalt
</h3>Unsere Freiheit ergreifen wir, wenn wir die Vielfalt der Perspektiven wertschätzen können, für die wir uns geöffnet haben. Sie erweitern unsere Innenwelt und geben uns mehr Zugänge zur äußeren Welt. Wir können mehr Farben in unsere Erlebenswelt bringen. Sie wird lebendiger, und wir werden lebendiger, wenn wir uns auf diese Vielfalt einlassen.
<p>Sie eröffnet uns den Zugang zu Alternativen in der Lebensführung, z.B. was unsere Gesundheit betrifft, und sie erleichtert das soziale Leben, weil wir auf weniger Widerstände stoßen, wenn wir die Sichtweisen unserer Mitmenschen verstehen. In der Kommunikation gibt es immer verschiedene Sichtweisen, und wenn wir diese einfache Tatsache verstanden haben, fällt es uns leichter, durch die Tiefen und Untiefen der Zwischenmenschlichkeit zu surfen. Konflikte entstehen üblicherweise aus unterschiedlichen und widersprechenden Perspektiven, ohne dass die jeweils anderen verstanden werden, und sie lösen sich, wenn die Vielfalt der Perspektiven von allen Seiten wertgeschätzt werden kann.
</p><p></p><div>Wir können besser mit den Herausforderungen umgehen, die uns die sich ständig verändernden Vorgänge in der Außenwelt auftischen. Jede neue Situation erfordert neue Sichtweisen, aus denen dann Formen des Herangehens gebildet werden. Mit jeder Perspektive, die wir verstanden und angenommen haben, verfügen wir über eine Handlungsmöglichkeit mehr, die wir bei Bedarf einsetzen können.
</div><h3 style="text-align: left;">Komplexitätskompetenz
</h3>Unweigerlich wird die Welt, in der wir leben, immer komplexer. Wir können mit dieser Komplexität nur umgehen, wenn wir über möglichst viele Perspektiven verfügen. Viele Menschen schrecken vor Komplexität zurück und greifen in ihren Reaktionen auf alte Sichtweisen zurück, die oft bewirken, dass sich die erwarteten Effekte ins Gegenteil verkehren. Wenn z.B. in Hinblick auf den Klimawandel nur die Perspektive besteht, dass alles, was Wissenschaftler sagen, erlogen ist, oder dass andere ihr Leben ändern sollen und man selber schon alles Notwendige gemacht hat, wird der Klimazerstörung weitergehen und noch mehr Schäden hervorrufen.
<p>Komplexitätsverweigerung oder Komplexitätsinkompetenz sind Haltungen, die oft bewusst gegen die Zunahme an Komplexität in Stellung gebracht werden, so als könnte man sie dadurch verhindern oder zumindest bremsen. Tatsächlich geht es dabei um Versuche, Primitivität und Naivität aufrechtzuerhalten, damit die Verhältnisse einfach und überschaubar bleiben. Doch richten sich die Verhältnisse nicht nach den Ängsten und kindlichen Bedürfnissen der Menschen, sondern bauen alles, was geschieht, einschließlich aller Formen von Widerstand, in das Weiterschreiten der Komplexität ein.
</p><div>Das Wachstum an Komplexität kann also nicht durch irgendeine Form von Protest, Verweigerung oder Widerstand verhindert werden. Solange sich Menschen fortpflanzen, werden mit jedem neuen Menschenkind neue Perspektiven geboren, die die Welt komplexer machen. Der Hund kläfft und die Karawane zieht weiter. Wenn wir mit der Karawane in die Zukunft wandern wollen, brauchen wir die Offenheit für Neues und die Bereitschaft für das Risiko der Entscheidung. Statt uns in überholte Perspektiven einzumauern und maulend hinter der Entwicklung der Welt zurückzubleiben, erweitern wir unsere Freiheitsräume, indem wir neue Perspektiven erwerben und nutzen.</div><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-52307913212859302542023-07-16T10:23:00.005+02:002023-08-07T20:47:09.542+02:00Die eigene Geschichte und das Schicksal<p><span style="font-family: georgia;">Es gibt kein Schicksal in der äußeren Wirklichkeit, sondern
nur Abläufe und Geschehnisse. Der Begriff Schicksal entsteht in unserem Denken,
er ist ein Konzept des Bewusstseins. Es handelt sich um die Benennung und Bewertung
unseres Erlebens in bestimmten Momenten, als Bezeichnung für eine Erfahrung,
die etwas Unbegreifliches enthält. Das Schicksal stößt uns zu, gewissermaßen
ruckartig und gewaltsam tritt es in unser Leben und nimmt uns voll in Beschlag.
In der Rückschau ragen die schicksalhaften Erlebnisse wie mächtige und dunkle
Marksteine aus der Umgebung heraus: Nach solchen Vorkommnissen war nichts mehr
wie früher, das Leben wurde ein anderes.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><o:p></o:p></span></p>
Wenn wir an das
Schicksal denken, fallen uns sofort äußere Ereignisse ein, die uns stark
betroffen haben: Unerwartete Todesfälle, Unfälle, Krankheiten und andere
emotional belastende Erfahrungen. Wir erleben sie als von außen kommend, die
dann unser Inneres ergreifen und erschüttern. Was hat es nun mit unserem
Innenleben auf sich, ist da auch die Macht des Schicksals aktiv?<o:p></o:p>
<h3 0cm="" left="" text-align:=""><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Unverfügbare
Abläufe in unserem Inneren</span></span></span></h3><p>
Wir haben den
Eindruck, dass wir unsere innere Situation immer beeinflussen und regulieren
können, zum Unterschied von der Außenwelt, auf die wir in nur sehr geringem Maß
Einfluss haben. Allerdings ist auch dort vieles vorgegeben, also „Schicksal“.
Denn unsere Impulse, Stimmungen und Gedanken werden von Vorgängen erzeugt, die im
Organismus und seelisch im Unterbewussten, also ohne unsere bewusste Mitwirkung
ablaufen. Wir haben keine Macht darüber, was als Gefühl oder als Gedanke
auftaucht. Wir sind ihm ausgeliefert wie einem Schicksalsschlag, obwohl Gefühle
und Gedanken in der Regel viel harmloser sind als das, was wir als
schicksalhaft beschreiben.<o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Sobald allerdings
etwas in unser Bewusstsein getreten ist, können wir darauf einwirken, indem wir
die Kraft unserer Aufmerksamkeit einsetzen. Den Inhalten unseres Bewusstseins,
denen wir Aufmerksamkeit geben, verleihen wir mehr Macht als jenen, die wir
übergehen oder beiseite stellen. Wir verfügen also über die Fähigkeit,
Bewusstseinsinhalten, die uns angenehm und förderlich erscheinen, mehr
Bedeutung zu verleihen, als jenen, die uns runterziehen oder in ungewollte
Gewohnheiten verstricken. Wir sind nicht Herr (Frau) unseres unmittelbaren
Erlebens, sondern der Verarbeitung dieses Erlebens. Unsere Einflussnahme kommt
also immer hinten nach, gleichwohl wirkt sie längerfristig darauf ein, was als
erstes auftaucht. Denn Bewusstseinsinhalte, die wir durch unsere Aufmerksamkeit
pflegen und stärken, melden sich öfter als solche, die wir vernachlässigen oder
ignorieren. So können wir mit unseren Gedanken umgehen, und Ähnliches gilt für
Gefühle. Wir sind in der Lage, belastenden Gefühlen weniger Bedeutung
zuzumessen und befreienden Gefühlen mehr Raum zu geben. Auf diese Weise
schwächen wir die einen und fördern die anderen.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Das ist der Weg,
auf dem wir die Verantwortung für unser Erleben übernehmen, sprich für die
Übersetzung dessen, was uns im Außen begegnet, in unser Inneres. Wir haben
keine Zuständigkeit für das, was wir erleben, sind aber dann zuständig für das,
was nach der Bewusstwerdung geschieht. Wir können nicht verhindern, dass die
Erde zu beben beginnt und dass wir in Panik geraten. Aber wir können
beeinflussen, wie wir mit dieser Erfahrung umgehen: Ob wir in der Panik bleiben
oder ob wir schnell wieder zur Ruhe finden und das Vernünftige tun.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<h3 style="margin-bottom: 0cm; text-align: left;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Verantwortung
beruht auf Bewusstheitsschulung</span></span></span></h3>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Es gibt noch
eine weitere Ebene dieser Zugangsweise. Sie liegt darin begründet: Das
Bewusstmachen des Inneren wird erst möglich, wenn jemand beginnt, am eigenen
Schicksal und an den Verstrickungen, die die Seele damit macht, zu arbeiten.
Menschen mit wenig Bewusstheit ihrer selbst bringen die Aufmerksamkeit nicht
auf, die es braucht, das Innenleben zu beeinflussen. Solche Menschen werden oft
von Gefühlen überschwemmt und finden schwer wieder heraus. Andere sind von
Gedanken dominiert, die auch aufs Gemüt drücken können. Die Annahme dabei ist,
dass alles im Inneren geschieht und dass es keine Einflussmöglichkeiten darauf
gibt. <o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Es ist wiederum
das Schicksal, das manche auf den Weg der Selbsterforschung bringt und andere
nicht. Es ist nicht eigentlich ein Verdienst, eine bewusste
Verantwortungsübernahme, die zu diesem Schritt führt, sondern etwas, das sich ergeben
hat, vielleicht aus drängender Not oder aus Neugier, vielleicht auf Anraten
oder unter Druck, vielleicht durch traumatische Erfahrungen oder durch eine
sensible Persönlichkeitsstruktur. Natürlich braucht es eine freiwillige Zustimmung,
sich auf den Erforschungsweg zu begeben, aber die Bedingungen dafür, dass es
dazu kommt, liegen nicht in der eigenen Entscheidungsbefugnis. Das Schicksal
entscheidet darüber, ob sich jemand einer Therapie unterzieht, auf ein
Meditationsretreat geht, einen anderen Selbsterfahrungsweg wählt oder in den
unbewusst geprägten Gewohnheitsmustern verharrt.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Das
geheimnisvolle Reich des Unverfügbaren</span></span></span></h3>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Wenn allerdings
das Tor zur Innenerforschung einmal aufgetan wurde, wird klar, dass es in der eigenen
Verantwortung liegt, immer wieder hindurchzugehen und mehr Bewusstheit ins
eigene Leben und Erleben zu bringen. Es wird einsichtig, dass es einen Bereich
der Verantwortung dem eigenen Erleben gegenüber gibt, der genutzt werden kann,
um die Selbstregulation im Innenbereich zu verbessern. Ein einfaches Werkzeug
bietet unsere Atmung, die wir bewusst steuern können. Mit der Regelung unserer
Atmung können wir Einfluss nehmen auf unser Nervensystem und auf unsere
Stimmung. Vor allem zur Stressreduktion ist sie prädestiniert.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Dennoch kann es
geschehen und geschieht es immer wieder, dass der Pfad ins Neuland der Seele wieder
verlassen wird und die alten Geleise die Regie übernehmen. Die Fähigkeit zur
Verantwortungsausübung in diesem Bereich geht verloren. Wir vergessen, was wir
schon gelernt haben und denken beispielsweise nicht daran, das Ausatmen zu
entspannen, wenn wir uns gestresst fühlen.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Damit kommen wir
zu einer weiteren Ebene, auf der wir auch zugeben müssen, dass das Übernehmen
von Verantwortung selber wieder ins Reich des Unverfügbaren gehört. Es gelingt
manchen leichter und anderen schwerer. Diese Fähigkeit hängt letztlich wiederum
von Faktoren ab, die nicht in der eigenen Verantwortung liegen. <o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Also sind unsere
Verantwortungsbereiche beständig von Bereichen des Vorgegebenen und des
Geschehenden eingegrenzt und umgeben. Unsere Verantwortung nehmen wir wahr,
weil es uns in bestimmten Momenten gegeben ist und wir vernachlässigen sie,
weil uns in anderen Momenten kein Zugang dazu gewährt ist. Je näher wir
hinschauen, desto deutlich wird, welch großen Raum all das einnimmt, was wir
nicht kontrollieren können, was ohne unser Zutun in uns wirkt, was unserer
Bewusstmachung immer voraus ist.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Die eigene
Geschichte und das Schicksal</span></span></span></h3>
<p class="MsoNormal" style="margin-bottom: 0cm;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Mit dem
Einsehen, dass der eigene Verantwortungsbereich schmal ist im Vergleich zu dem,
was ohne unsere bewusste Mitwirkung geschieht, ändert sich der Blick auf die
eigene Lebensgeschichte. Wir können sie auf neue Weise erzählen. Viele
Ereignisse in unserer Vergangenheit, über die wir hadern und mit denen wir uns
nicht abfinden können, erscheinen in einem anderen Licht, wenn wir die Grenze
zwischen Verantwortung und Schicksal genauer erkennen. Die Möglichkeit, für
unser Handeln Verantwortung zu übernehmen, war zu den kritischen Zeitpunkten,
mit denen wir im Unfrieden sind, viel kleiner, als wir jetzt annehmen. Nachträglich
ist uns manches bewusst geworden; damals verfügten wir nicht über diese
Bewusstheit. Deshalb konnten wir nicht anders handeln als wir gehandelt haben.
Deshalb ist etwas geschehen, was wir heute als Fehler erkennen und so nicht
mehr machen würden. Wir sind in dieser Hinsicht bewusster geworden und haben
aus der Erfahrung gelernt. Jetzt können wir damit aufhören, von uns selber eine
Bewusstheit für die Vergangenheit zu verlangen, die uns erst nachträglich
zuteil wurde. Jetzt können wir damit aufhören, uns selber mit dem heutigen
Besserwissen zu quälen.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<h3 style="margin-bottom: 0cm; text-align: left;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Die Lücken der Verantwortung</span></span></span></h3>
<p>Wir müssen immer wieder anerkennen, dass wir die Verantwortung nur in Lücken, die sich im
dichten Gewebe des Seins öffnen, ausüben können. Wenn wir aber diese Lücken
ausnutzen, um unsere Bewusstheit zu vertiefen, dann werden diese Lücken umso
häufiger auftreten, sodass uns ein Wachsen in der geistigen Reife geschenkt
wird.<o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal" style="margin-bottom: 0cm; text-align: justify; text-justify: inter-ideograph;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><span style="font-family: georgia;">Wir gelangen zu unserer vollen Wirkmacht nur
dann, wenn wir ein klares Gefühl für die Grenzen unserer Einflussnahme haben. Wo
diese Grenzen unklar und verschwommen sind, vergeuden wir unsere Kräfte, weil
sie in Scham- und Schuldgefühle fließen. Mit der Einsicht in die Grenzen
verstehen wir, wie wir unsere Autorität und Verantwortung in den kleinen Bereichen
leben können, die unserer Kontrolle unterliegen, und wie wir sie durch Übungen
in der Bewusstheit vermehren. Dem Unverfügbaren gilt es in Respekt und Demut sowie
mit Gelassenheit zu begegnen. Wir sind nicht die Meister:innen unseres
Schicksals, aber die Gestalter:innen unseres bewussten Lebens.<o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal">Zum Weiterlesen:<br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/07/schicksal-und-verantwortung.html" target="_blank">Schicksal und Verantwortung</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/07/schicksal-und-scham.html">Schicksal und Scham</a></p><!--EndFragment-->Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-35589757996330359232023-07-12T15:29:00.001+02:002023-07-12T15:29:31.233+02:00Schicksal und Scham<h3 style="text-align: left;">Die Scham an der Schicksalsgrenze</h3><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Es gibt eine Scham, die entsteht, wenn wir ein Schicksal
nicht als Schicksal akzeptieren und meinen, wir hätten etwas versäumt, das das
Schicksal abgewendet hätte. Eine wichtige Grenze verläuft zwischen
Verantwortung und Schicksal, zwischen dem Verfügbaren und dem Unverfügbaren. Es
ist die Grenze der Selbstmächtigkeit: Bis hierher kann ich wirksam sein und
Einfluss ausüben. Darüber hinaus habe ich nichts mehr zu sagen.<o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Wenn uns diese Grenze nicht klar ist oder wenn wir sie
unwissentlich überschreiten, öffnen sich Räume für Selbstzweifel und
Selbstbeschuldigungen. Denn im Reich des Schicksals können wir mit unseren
Ambitionen und Absichten nur scheitern. Es ist ein geheimnisvolles Reich mit
Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die uns nicht zugänglich sind und die wir einzig
mit Demut zur Kenntnis nehmen können. Es gibt ja den Spruch: „Wenn du gegen
Gott kämpfst, wirst du immer verlieren.“<o:p></o:p></p>
<h3 style="text-align: left;">Ausufernde Verantwortung</h3><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Alle Formen der Selbstinfragestellung sind Ausdruck von Scham.
Die Scham sagt uns zweierlei: Du hast möglicherweise etwas falsch gemacht und Schuld
auf dich geladen. Und dahinter: Du hast die Grenze zwischen Schicksal und
Verantwortung überschritten und deine Macht über das zulässige Maß hinaus ausgedehnt
und erweitert. Denn wenn wir uns vormachen, das Schicksal läge in unserem
Verantwortungsbereich, machen wir uns zu Richtern oder Herrschern über das Schicksal.
Wir stellen fest, das es seine Arbeit schlecht gemacht hat. Doch hat diese
angemaßte Richterposition keinerlei Auswirkungen auf die Realität, denn sie
richtet sich überhaupt nicht danach. Die einzige Konsequenz ist ein Konflikt in
uns selbst.<o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Zu solchen selbstaggressiven Selbstanklagen kommt es vor
allem bei existentiellen Erfahrungen, die uns schwer treffen und unsere
Kapazität im Akzeptieren überfordern. Es sind z.B. Grenzerfahrungen, die mit
schweren Krankheiten oder mit dem Tod verbunden sind. Viele Menschen neigen
dazu, sich selbst Vorwürfe zu machen, wenn wenn nahestehende Personen sterben. Diese
Vorwürfe sind dann von Scham- und Schuldgefühlen begleitet. Weil es
schwerfällt, das Schicksal zu akzeptieren und in die Haltung der Demut zu
gehen, wird der innere Konflikt gewählt, durch den noch der Schein der
Handlungsfähigkeit aufrecht bleibt. Wir tun so, als könnten wir die Realität nach
unseren Vorstellungen fabrizieren, indem wir sie in unserer Fantasie
umgestalten. Die Ohnmacht, die mit dem Annehmen des Schicksals verbunden ist,
ist mit so großer Angst und so starken Schamgefühlen verbunden, dass wir alles Mögliche
veranstalten, was uns scheinbar aus der Ohnmacht befreit, und sei es auch nur
eine Scheinermächtigung. <o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Stirbt ein Mensch, der einem nahe steht, so kann schnell der
Gedanke auftauchen, etwas versäumt oder übersehen zu haben, was das Leben des
Menschen verlängert oder den Tod abgewendet hätte. Die Selbstvorwürfe können
auch auf etwas gerichtet sein, was sich diese Person noch gewünscht hätte und
was ihr nicht erfüllt wurde. Oder darauf, dass man beim Tod nicht anwesend sein
und sich deshalb nicht auf die richtige Weise verabschieden konnte. Solche
Gedanken sind mit unangenehmen Gefühlen und inneren Konflikten verbunden, die
oft über längere Zeiten andauern und mit jeder Erinnerung an den Todesfall aktiviert
werden. Die Scham über die eigene Fehlerhaftigkeit und Unachtsamkeit ist der
zentrale Motor bei solchen Selbstgeißelungen. </p>
<h3 style="text-align: left;">Identifikation mit einer Illusion</h3><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Die Sturheit, mit der wir oft am Nichtakzeptieren der
Wirklichkeit und der Geschicke, mit denen sie uns konfrontiert, festhalten, hat
mit Identifikation zu tun. Wir sind mit einer fantasierten besseren Version der
Wirklichkeit identifiziert, mit der wir die misslungene Vergangenheit
überschreiben wollen. Wir rufen sie uns wieder und wieder in die Vorstellung, nur
um anzuprangern, was wir in der Vergangenheit falsch gemacht, übersehen oder
versäumt haben. Damit agieren wir wie ein strenger und unerbittlicher Richter
gegen uns selbst und verurteilen uns fortwährend zu einem miesen Selbstgefühl.<o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Wir verkennen dabei, dass dieser Teil von uns, der auf dem
Richtstuhl sitzt, unsere Überheblichkeit repräsentiert. Er verhält sich wie
eine Elterninstanz, die das Kind immer wieder wegen eines Fehlers beschimpft,
herabsetzt und beschämt und selber nichts falsch macht. Es ist die Instanz, die
nicht versteht, was im Kind abläuft und was es auf der emotionalen Ebene
bräuchte. Jedes Nichtverstehen, jede Abwertung demütigt, und jede Demütigung
verringert den Selbstwert, bis am Schluss eine resignative Depression steht. <o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal">Es gibt zwei Bereiche unserer Erlebenswirklichkeit: Das
Kontrollierbare und das Unkontrollierbare, den Bereich, in dem wir Macht und
Einfluss haben, und den anderen, in dem wir ohnmächtig, ausgeliefert sind, in dem
wir dem unterworfen sind, was wir das Schicksal nennen. Im einen Bereich sind
wir verantwortlich für das, was mit uns und um uns geschieht; im anderen
Bereich wirken andere Kräfte und Mächte, jenseits unseres Wollens und unserer
Einflussnahme, also auch jenseits unserer Verantwortung. Das Schicksal macht
uns darauf aufmerksam, dass es unüberwindliche Grenzen unseres Könnens, Wissens
und Beeinflussens gibt. Wir können z.B. den Zeitpunkt unseres Todes nicht
steuern, nicht einmal den Ablauf und die Phasen unseres Sterbeprozesses.</p>
<p class="MsoNormal">Die säuberliche Unterscheidung zwischen diesen beiden
Bereichen, eben zwischen Schicksal und Verantwortung ist wichtig für unsere
Lebensqualität und für den Schutz vor toxischen Schamgefühlen und
Selbstabwertungen. Denn sobald wir verstehen, dass es höhere Mächte sind, denen
wir ausgeliefert sind, und wenn wir das Geschehen als Schicksal akzeptieren,
lösen sich die Schuld- und Schamgefühle auf. Wir können das vergangene Ereignis
besser verstehen und neu bewerten. Auf diese Weise schließen wir Frieden mit uns
selbst und verabschieden das Geschehene in die Vergangenheit.</p>
<h3 style="text-align: left;">Wo beginnt die Verantwortung?</h3><p class="MsoNormal"></p>
<p class="MsoNormal">Das eigene Erleben ist das eigene Erleben, es ist folglich in
dieser Hinsicht selbst erzeugt. Aber den Inhalt dieses Erlebens liefern Einflüssen
der äußeren und der inneren Wirklichkeit. Die eigene Zutat besteht in der
Interpretation, Bewertung und Kategorisierung. Die Inhalte selbst unterliegen
nicht der Macht des eigenen Denkens oder Wollens, vielmehr erreichen sie das
Bewusstsein vor jeder bewussten mentalen Aktivität. Sie sind also schon längst da,
wenn unser Bewusstsein beginnt sich mit ihnen zu beschäftigen. Sie werden immer
erst nachträglich vom Denken bearbeitet und in die bewusste Innenwelt
eingebaut.</p>
<p class="MsoNormal">Die Inhalte unseres Erlebens, Fühlens und Denkens gehören folglich
zur Sphäre des Unverfügbaren. Der Bereich unserer Verantwortung beginnt erst
dann, wenn das Erleben in unser Bewusstsein tritt. Erst ab diesem Moment können
wir Einfluss nehmen und die Inhalte unseres Erlebens sowie das daraus
abgeleitete Handeln steuern und verändern.</p>
<p class="MsoNormal">Der Raum, in dem unsere Verantwortung gefragt ist, ist
relativ klein und wir überschätzen ihn meistens, vor allem wenn wir aus der
Schule der Selbstkreatoren kommen. Wir können den Ansprüchen nicht gerecht
werden, die die Theorien der universalen Selbstermächtigung vorschreiben. Und
immer, wenn wir Erwartungen und Zumutungen nicht gerecht werden, folgt ein
Schamgefühl.</p>
<h3 style="text-align: left;">Der Fatalismus</h3><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p>
<p class="MsoNormal" style="background: white;"><span style="color: black; mso-color-alt: windowtext;">Es gibt auch die Haltung, die den Verantwortungsraum
möglichst klein hält. Den Gegenpol zur Hybris der Selbstkreatoren („Ich schaffe alles mit der
Kraft meiner Gedanken!“) bildet der Fatalismus, oft verbunden mit
Bequemlichkeit und Faulheit. Wir können uns auch auf das Schicksal ausreden,
statt aktiv zu werden: Alles ist Kismet, ich kann sowieso nichts ausrichten,
weil alles vorherbestimmt ist (auch meine Bequemlichkeit oder Feigheit). Schon
wieder habe ich eine Prüfung nicht geschafft. Da waren eben höhere Mächte gegen
mich. Es ist wie es ist, damit muss man sich abfinden. Niemand kann von mir
verlangen, etwas zu tun, was sowieso nichts wird. Es ist sinnlos, mich
anzustrengen. </span></p>
<p>Auch hier zieht
die Scham im Hintergrund die Fäden. Immer wenn die Übernahme der Verantwortung
für das eigene Handeln eingeschränkt oder verweigert wird, geht es um ein
mangelndes Selbstvertrauen und um einen niedrigen Selbstwert. Eigentlich traut
sich die Person nicht zu, die Situation durch eigenes Handeln zu verbessern und
rechtfertigt das Misstrauen in die eigenen Fähigkeiten mit der Sinnlosigkeit
des Tuns. Es geht um eine erlernte Hilflosigkeit, um Ohnmacht, die aus Frustrationen stammt, die im eigenen Leben
erlitten wurden. Es ist also eine Opferhaltung, die den Fatalismus
kennzeichnet, und nicht die demütige Annahme des Schicksals dort, wo die eigene
Handlungsmacht endet. Das Schicksal kann nicht mehr für Ausreden
dienen, sobald wir erkannt haben, ab welchem Zeitpunkt wir das Steuerruder übernehmen
müssen und können. Wir sind also verantwortlich für eine fatalistische Haltung,
sobald sie uns bewusst wird, und nicht das Schicksal.</p>
<h3 style="text-align: left;">Die weise Unterscheidungsfähigkeit</h3><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p>
<p>Wie ziehen wir
die Grenze in Weisheit? Woran können wir erkennen, was in unserer
Einflusssphäre liegt und was sich ihr entzieht?</p>
<p class="MsoNormal" style="background: white; margin-bottom: 0cm;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";">Die
Unterscheidungskraft wächst erst auf dem Boden einer gereinigten Seele. Sie
muss sich von frühen Prägungen und Fixierungen befreit haben, um klar zu
erkennen, wo die eigene Gestaltungsmacht an ihre Grenze stößt. Diese
Blockierungen können zum einen Verantwortungszuschreibungen sein, die in der
Kindheit aufgeladen wurden und mit Scham- und Schuldgefühlen aufrecht geblieben
sind. Zum anderen gibt es narzisstische Größenfantasien, mit denen wir uns in
die Nähe eines allverantwortlichen Gottes versetzen. Schließlich hat auch der
resignative Fatalismus mit seiner Verantwortungsverweigerung Wurzeln in unserer
Lebensgeschichte. </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="background: white;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";">Immer wenn wir bei der Erinnerung an
schicksalhafte Ereignisse zu Schamgefühlen neigen, ist es gut, einen Blick in
die eigene Biografie zu werfen. Denn solche Gefühle haben vermutlich ihren
Ursprung in kindlichen Erfahrungen des Beschämt- und Beschuldigtwerdens. Es
handelt sich also um Introjekte aus solchen Erfahrungen, mit deren Hilfe die
innere Richterinstanz aufgebaut wurde, die seither akribisch nach allem Fehler-
und Mangelhaften sucht, um es anklagen zu können.</span></span></p>
Erst wenn der
Blick auf die innere und äußere Realität geklärt und geweitet ist, zeigt sich,
was wir an unserer Lebenssituation verändern können und was wir als unverfügbar
annehmen und hinnehmen müssen. Es ist diese Erkenntnis, die uns die Last der
Scham- und Schuldgefühle wegnimmt. Wir finden zurück zu unserer Würde und
versöhnen uns mit unserer Geschichte. Wir können unsere Versäumnisse und Fehler
als Teil unserer menschlichen Unvollkommenheit annehmen und daraus lernen.
<div><br /></div><div>Zum Weiterlesen:<br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/07/schicksal-und-verantwortung.html" target="_blank">Schicksal und Verantwortung</a></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-31126608319633231682023-07-07T13:58:00.001+02:002023-07-09T15:13:11.785+02:00Schicksal und Verantwortung<p><span style="font-family: georgia;"><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";">„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge
hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die sich
ändern lassen, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“ Dieses
bekannte Zitat des Theologen Reinhold Niebuhr beschreibt das Verhältnis von
Schicksal und Verantwortung. Es gibt eine wichtige </span></span>Grenze zwischen dem Verfügbaren
und dem Unverfügbaren, zwischen dem, was wir mit unseren Kräften beeinflussen
und gestalten können, und dem, das unserer Macht entzogen ist. Wir sind für
vieles in unserem Leben verantwortlich, während anderes ohne unser Wollen oder
Zutun in unser Leben eingreift.</span></p>
<p>Nehmen wir das Beispiel Krankheit. Es liegt in
unserer Verantwortung, unser Leben so zu gestalten, dass es unserer Gesundheit
am zuträglichsten ist. Das gelingt uns mehr oder weniger, erfordert oft
Disziplin und steht manchmal in einer Spannung mit dem Bestreben nach
Lebensgenuss. Wenn wir erkranken, können wir uns fragen, ob wir die Verantwortung
für unsere Gesundheit nicht genügend wahrgenommen haben. Um künftigen
Krankheiten vorzubeugen, können wir beschließen, unser Verhalten zu verändern,
z.B. indem wir uns gesünder ernähren, mit dem Rauchen aufhören oder weniger
Alkohol trinken usw. Es ist aber selten so, dass wir eine klare
Ursache-Wirkungsbeziehung feststellen können. Denn selbst wenn wir uns
unvernünftig verhalten, müssen wir nicht unbedingt krank werden, und wir können
erkranken, auch wenn wir uns vernünftig verhalten. Es gibt Menschen, die zu
einem hohen Grad so leben, wie wir es gemeinhin als gesund verstehen, aber
dennoch plötzlich schwer erkranken, während andere nach vielerlei Maßstäben äußerst
ungesund leben und dennoch nie krank werden. Die Frage kann dann auftauchen: Warum
gerade ich? Wieso nicht die anderen? An diesem Punkt beginnen wir mit dem
Schicksal zu hadern, also mit dem, was wir uns nicht erklären können. </span><span class="hgkelc"><span lang="DE" style="color: #202124; mso-ansi-language: DE; mso-bidi-font-family: Arial; mso-fareast-font-family: "Times New Roman";"><o:p></o:p></span></span></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Häufig erleben wir Schicksalsschläge als Ungerechtigkeiten.
Warum werde ich mit dieser Krankheit belastet, wo ich doch so ein guter Mensch
bin? Oder aber gerade im Gegenteil empfinden wir das Schicksal als Ausdruck der
Gerechtigkeit: Eben weil ich kein guter Mensch bin, geschieht es mir recht,
dass ich das Opfer eines Verbrechens wurde.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Oder, wenn uns eine Serie von Unglücksfällen betrifft, kommt
die resignative Reaktion: „Mir bleibt auch nichts erspart in dieser Welt.“ –
angeblich der Kommentar von Kaiser Franz Joseph auf die Nachricht von der
Ermordung seiner Frau. <span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Gegen die
Übermacht des Schicksals ist kein Kraut gewachsen und selbst ein Kaiser
machtlos.<o:p></o:p></span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Allmachtsdenken</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Es gibt im Bereich der Esoterik Glaubensansätze zur
Überwindung der Macht des Schicksals. Dabei wird der Bereich der Verantwortung
ins Unendliche ausgeweitet. Das Unerbittliche des Schicksals schüchtert ein, macht
Angst und lässt uns ohnmächtig und klein erscheinen. Deshalb wird es als
hilfreich und stärkend erfahren, wenn auch solche Erfahrungen in die Sphäre der
eigenen Verantwortung eingebaut werden. Scheinbar wirkt es wie eine erwachsene
Haltung, die keine Ausreden auf höhere Einflüsse braucht und alles in Kontrolle
hat. Dann heißt es: Du bist der Schöpfer/die Schöpferin deines eigene
Schicksals. Alles, was dir in deinem Leben zustößt, ist das Resultat deiner
Entscheidungen, der bewussten oder der unbewussten. Du trägst also für alles,
was du erlebst, die Verantwortung.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Was auf den ersten Blick wie eine Selbstermächtigung
ausschaut (für alles wird die Verantwortung übernommen, es gelten keine
Ausreden mehr und die Gestaltungsmacht auf das eigene Leben mittels
Gedankenkraft ist nahezu unbegrenzt), führt in der Praxis zur maßlosen
Selbstüberforderung und entlarvt sich als Ausfluss einer anmaßenden Haltung. Es
ist nicht möglich, die Ansprüche, die mit der Übernahme dieser Verantwortung
verbunden sind, einzulösen. Denn so viele Bereiche der Wirklichkeit sind
unserem Einfluss entzogen, und das beginnt schon beim eigenen Unbewussten, von
all dem, das dem Schicksal vorbehalten ist, gar nicht zu reden. Wird das
Konzept beibehalten, obwohl immer wieder zum Versagen führt, sind massive
Schamgefühle die Folge. All die negativen oder ungewollten Lebensereignisse
sind dann allesamt Eigenkreationen, und erst recht wird die Gewissensbelastung
ungeheuerlich, wenn sich der Horizont auf die ganze Menschheit ausweitet. Denn
wenn alles, was im Leben geschieht, selbst erschaffen und verantwortet ist,
gilt das für alles Gute und für alles Schlimme. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Solche Modelle verfangen nur dann, wenn die Scham vor dem
Schicksal herrscht. Es kann doch nicht sein, dass uns im Leben Ereignisse zustoßen,
denen wir ohnmächtig und hilflos ausgeliefert sind. Es muss eine Möglichkeit
geben, auch über solche Erfahrungen die Kontrolle zu erlangen. Sonst wäre
unsere Existenz beschämend klein und beschränkt. Das widerspräche der
Selbstachtung.</span></p>
<h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Verantwortungsübernahme: Lernen und Wachsen mit dem
Schicksal</span></h3>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">All diese Reaktionsweisen sind menschlich, aber helfen uns
nicht dabei, mit dem Schicksal konstruktiv umzugehen. Vielmehr wollen wir in
Abläufe eingreifen und sie nach unserem Gutdünken gestalten, über die wir keine
Macht haben. Wir wollen uns zu den Beherrschern unseres Schicksals machen, vor
allem dort, wo es uns unangenehme Erfahrungen beschert. Statt die Verantwortung
dafür zu übernehmen, wie wir auf Schicksalsschläge reagieren, klagen wir das
Schicksal an und wollen uns zu Richtern aufspielen, die nach dem eigenen
Gutdünken entscheiden. Oder wir ordnen uns dem Wirken der Schicksalsmächte willenlos
unter und verkriechen uns in fatalistischer Resignation. Mit dieser Einstellung
verleihen wir dem Schicksal über seine geheimnisvolle Macht hinaus noch mehr an
dämonischer Gewalt und rechtfertigen damit, dass wir uns mit Jammern und
Wehklagen in der Ohnmacht versenken. <o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Unsere Einflussnahme beginnt aber genau dort, wo das
Schicksal in unsere Erlebensrealität eintritt. In diesem Moment entscheiden
wir, ob wir uns dem Fatalen stellen, um es mit seinem Konsequenzen zu
bewältigen, oder ob wir klein beigeben und hadern und jammern. Das Annehmen und
Nutzen unserer Handlungsmöglichkeiten bringt uns zurück in unsere
Verantwortung. Wir werden wieder zu den Gestaltern unseres Lebens, die den Kurs
im tosenden Meer mit seinem Auf und Ab steuern. Wir müssen den Wellengang so
hinnehmen wie er ist und unsere Aktionen an ihn anpassen. Wir können dabei den
Naturgewalten unsere Kräfte entgegensetzen und in ein Spiel eintreten, in dem
wir unsere Fähigkeiten unter Beweis stellen können.<o:p></o:p></span></p>
<p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Mit jeder Übernahme der Verantwortung nach einem
Schicksalsschlag gewinnen wir mehr Schicksalskompetenz dazu und wachsen in Weisheit
und Gelassenheit. Wir erkennen deutlicher die Grenzen zwischen dem
Kontrollierbaren und dem Nicht-Kontrollierbaren und können so das in unserem
Leben zum Besseren wenden, das unter unserem Einfluss steht, und das in Demut
akzeptieren, was einer höheren Regie unterliegt. </span><o:p></o:p></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:</span></p><p class="MsoNormal"><span style="font-family: georgia;"><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2015/11/die-macht-des-schicksals-und-ihre.html" target="_blank">Die Macht des Schicksals und ihre Grenzen</a><br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2012/06/unser-schicksal-annehmen.html" target="_blank">Unser Schicksal annehmen</a></span></p>
<!--EndFragment-->Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-72170941724092345052023-06-30T22:55:00.002+02:002023-06-30T22:55:18.019+02:00Der "Mainstream" als Kampfbegriff<p><span style="font-family: georgia;">Mit dem Begriff „mainstream“ bezeichnen wir einen Trend, eine Mehrheitsmeinung, eine Strömung in der Gesellschaft. In der Kultur wird er oft für den Populargeschmack verwendet, also für das, was den meisten gefällt. Es kommt dann immer wieder dazu, dass sich Gegenströmungen entwickeln, die dem populären Massengeschmack entgegen gerichtet sind, wie z.B. die Punk-Bewegung, die sich als Kontrast zur Pop-Kultur verstanden hat. Alles, was dem Mainstream zugeordnet wird, ist aus der Sicht der neuen Richtung per se schon schlecht. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es ist die Dynamik von Durchschnitt und Avantgarde, die sich in vielen kulturellen Phänomenen widerspiegelt und die die kulturelle Entwicklung vorantreibt. Die Minderheiten werden zunächst kritisiert und angegriffen, was sie zu einer weiteren Radikalisierung treibt, bis das Neue irgendwann in den Mainstream übernommen wird. Zerschlissene Jeans waren zunächst Notwendigkeiten für arme Menschen, die sich keine neue Kleidung leisten konnten, dann der provokante Ausdruck des Außenseitertums in einer Protestbewegung und schließlich ein Modeaccessoire, mit dem sich die Wohlhabendsten schmücken. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Jeder neue Trend beginnt in einer Minderheit, dann bildet sich eine frühe Mehrheit, und sobald die Wirtschaft ein Geschäft wittert und die Werbung aufspringt, wird das, was vorher noch verächtlich abgewertet wurde, zum absoluten Muss für alle, und wer sich jetzt noch verweigert, gilt als fader Muffel. Inzwischen hat sich ganz wo anders schon wieder eine neue Minderheit gebildet und erschreckt die Leute im Zentrum der Gesellschaft mit einer neuen Provokation, bis auch dieses Phänomen wieder vermarktet wird und alle für hübsch befinden, was sie vorher als hässlich verabscheuten. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Mainstream in der politischen Debatte</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Vor einiger Zeit wurde der Mainstream-Begriff in die politische Debatte eingeführt, und zwar vor allem als Kampfbegriff. Die Medienlandschaft wird dabei in zwei Kategorien geteilt: Öffentlich-rechtliche Medien sowie Zeitungen und Magazine, die von Wirtschaftsgruppen finanziert werden, auf der einen Seite, und alternativen Informationsquellen. Diese Einteilung nehmen vor allem Personen und Gruppen vor, die glauben, sich in einer Außenseiterposition zu befinden. Sie verstehen sich als Avantgarde und denken, sie wissen und verstehen vieles besser als die einfältige Mehrheit.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Der Vorwurf der Manipulation</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Deutlich hervorgetreten ist dieses Phänomen vor fast zehn Jahren, als Russland 2014 die Krim annektierte. Die Verurteilung dieser Aktion war im Westen einhellig und wurde auch von den meisten Medien übernommen. Andere wieder vermuteten eine mediale Gleichschaltung hinter dieser Einhelligkeit und suchten alternative Sichtweisen, wie sie z.B. von den russischen Medien angeboten wurden. Auf diese Weise konnte die russische Aggression entschuldigt werden, die einen Bruch des Völkerrechts bedeutete und die erste militärisch erzwungene Gebietserweiterung in Europa nach dem zweiten Weltkrieg war. Die Entgegensetzung von Mainstream und alternativen „Wahrheiten“ wurde zu einem politischen Kampfmittel.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Notwendigkeit der Medienkritik</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Suche nach alternativen Sichtweisen ist an und für sich eine Form der Bewusstseinserweiterung und ist ein wichtiger Bestandteil jeder wissenschaftlichen Forschung. Sie würdigt die Unterschiedlichkeit der Menschen und das kreative Potenzial, das im Eröffnen von neuen Perspektiven steckt. Eine konstruktive Medienkritik ist ein zentrales Element in der Demokratie, in der die verschiedenen Medien eine tragende und korrigierende Rolle spielen sollen, aber oft durch wirtschaftliche Verflechtungen bestimmte Interessen vertreten. Dann bleibt die objektive Berichterstattung auf der Strecke und die Informationen werden gefiltert. Die Medien können ihre aufklärende Rolle in der Demokratie nur spielen, wenn sie unabhängig sind, und d</span><span style="font-family: georgia;">ie Medienkritik muss auf interessengeleitete Meinungsbildung aufmerksam machen und einseitige oder ideologisch gefärbte Berichterstattungen analysieren und ergänzen</span><span style="font-family: georgia;">. Sonst gelten die Aussagen von Marx und Engels: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken.“</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Deshalb ist es autoritären Führungspersonen, die demokratisch an die Macht kommen, ein wichtiges Anliegen, die Medien zu kontrollieren und unter ihren Einfluss zu kriegen, damit sie ihnen nicht mit lästiger Kritik in die Suppe spucken, sondern beim Machterhalt dienlich sein sollen. Beispiele aus Ungarn und der Türkei zeigen, wie erfolgreich diese Strategie ist, wenn sie konsequent durchgezogen wird. Die Mächtigen sind kaum zu entthronen, weil ihre Gegner in den Medien kaum am Rande vorkommen und die meisten Leute nur mehr an einen Informationskanal angeschlossen sind.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Medienkritik als Gesellschaftskritik</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">In der politischen Debatte wird die Kritik an bestimmten Medien allerdings oft mit grundlegenden Kritikpunkten vermischt. Alternative Narrative werden gerne mit einem höheren Wahrheitsanspruch verbunden als die „offizielle“ Erzählweise, also jene, die von den „Mainstream-Medien“ angeboten wird. Der Kritikansatz dahinter zielt auf die Macht in der Gesellschaft, die einem homogenen Block zugeordnet wird, der alles umfasst, was aus der Sicht der eigenen Ideologie als menschenfeindlich und demokratiebedrohlich angesehen wird. Deshalb ist auch die Rede von den „Systemmedien“ oder von der „Lügenpresse“ (Begriffe aus der NS-Propaganda), also gewissermaßen die Sprachrohre der Eliten, von denen behauptet wird, dass sie das System steuern. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das antielitäre Misstrauen ist ein wichtiges Korrektiv gegen die Machtanhäufungen bei denjenigen, die schon am meisten Macht haben. Aber oft fehlt die differenzierte Analyse und die Überprüfung der Fakten, und es werden Informationen schon allein deshalb in Bausch und Bogen als unwahr etikettiert, weil sie aus einem bestimmten Kanal kommen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Die Wahrnehmung der Medienlandschaft als Block oder Koloss, als homogene, gleichgeschaltete Meinungsmache, die nichts anderes neben sich zulässt und jede Kritik diffamiert, ist einseitig und ideologiegesteuert. Wenn dahinter noch anonyme Drahtzieher angenommen werden, die alle Fäden in der Hand haben und die Welt dirigieren, dann sind wir in der verworrenen Welt der Verschwörungstheorien gelandet. Der Übergang von einer grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber den Medien zu solchen Theoriegebäuden ist oft fließend. Unbemerkt wird der Boden der Realität verlassen und durch Fantasien und Projektionen ersetzt.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Der Stolz des Besserwissens</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Es ist ein Zeichen eines übertriebenen Stolzes, über „besseres“ Wissen zu verfügen als die „dumme Masse“, die nur nachbetet, was ihnen die Meinungsmacher vorkauen. Man bezieht sein Wissen nicht aus einem Einheitskanal, sondern aus ausgewählten und besonderen, also auch elitären Quellen, die angeblich nicht der Machtkontrolle unterliegen, die aber im Dunklen bleiben. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Dieser Stolz wirkt dabei mit, dass dieses Wissen mit allen Mitteln verteidigt und allen anderen mit missionarischem Eifer gepredigt wird. Allzu schnell wird es zur Überzeugung und schließlich noch zu einem Bestandteil der eigenen Identität. Dann darf es keine Zweifel mehr geben, dann ist jede Gegenstimme ein Beweis für die Manipulation durch die bösen Elitemedien.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Aufklärung und Wissenschaft</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Das Pathos der Aufklärung hat allerdings nur seine Berechtigung, wenn die Quellen für die verbreiteten Ansichten offengelegt sind und die Faktenlage einer Überprüfung standhält. Wirkliche Aufklärung unterliegt den Standards der Wissenschaftlichkeit: Jede Theorie muss grundsätzlich falsifizierbar sein und ihr Zustandekommen muss nachvollziehbar sein. Alle Aussagen gelten vorläufig, bis sie durch bessere ersetzt werden. Eine Theorie der Aufklärung kann nur besser sein als eine andere, indem sie der Realität näherkommt, aber verfügt immer nur über einen relativen Wahrheitsgehalt. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das sind die Ansprüche, denen eine aufgeklärte Medienkritik folgen sollte. Pauschale Abwertungen mit Kampfbegriffen wie Mainstream-Lügen und ähnliches gehören auf ideologische Streitbühnen, in denen eingeschworene Meinungsblasen aufeinandertreffen, die sich ihre Auseinandersetzungen liefern, ohne in der Erkenntnis weiterzukommen.</span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-31751574211651743402023-06-17T17:19:00.002+02:002023-06-17T17:19:59.443+02:00Über das Leben mit Widersprüchen angesichts der Klimakrise<p><span style="font-family: georgia;">Die Klimakrise hält allen einen Spiegel vor. Unsere moderne Lebensweise kommt mit all ihren Aspekten auf den Prüfstand. Nachdem klar ist, dass es diese Lebensweise ist, die die Erderwärmung mit all ihren bekannten und unbekannten Konsequenzen nach sich zieht, ist jede/r gefordert, seinen/ihren Beitrag zur Treibhausgasemission zu überdenken. Es gibt den ökologischen Fußabdruck als Abschätzungs- und Berechnungsmöglichkeit, wie hoch der eigene Anteil an der Klimafehlentwicklung ist. Er wird in gha gemessen: Ein „gha“ entspricht einem Hektar weltweit durchschnittlicher biologischer Produktivität, etwa für Ackerbau, Holzwirtschaft, Energiegewinnung. Bei fossilen Energieträgern wird die Fläche errechnet, die nötig ist, um die bei der Verbrennung entstehenden Emissionen von Kohlendioxid durch Wälder und Ozeane zu binden, ohne das Klima zu gefährden (<a href="https://www.footprint.at/wp-content/uploads/2020/08/footprint_broschuere_2013.pdf" target="_blank">Quelle</a>). Er liegt in Österreich bei 6 gha (Europäischer Durchschnitt 4,8 gha). Dieser Wert bedeutet, dass wir mit dem Vierfachen dessen leben, was uns dieser Planet zur Verfügung stellt, Tendenz steigend. Wir leben also so, als hätten wir noch drei weitere Planeten zur Verfügung, nachdem wir unseren abgewirtschaftet haben. Ohne mit der Wimper zu zucken, leben die meisten von uns in einer unbekümmerten Selbstverständlichkeit, als ob es kein Morgen und keine Verantwortung für die Zukunft gäbe. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Diese Sorglosigkeit gelingt uns nur dann, solange wir uns nicht mit dem beschäftigen, was uns die Wissenschaften schon lange auf den Tisch gelegt haben, was wir uns die Nachrichten präsentieren und was wir selber an Klimaveränderungen wahrnehmen. Wir brauchen in diesem Fall eine dicke Haut zur Immunisierung gegen das Offenkundliche und zum Verdrängen unserer Zuständigkeit. Wenn wir hingegen zur Kenntnis nehmen, wie es um die Welt steht, erkennen wir sofort, in welchen Widersprüchen wir durch unsere Lebensweise stecken – in die wir uns immer tiefer verstricken wie die Fliege, die mit jeder Flügelbewegung von immer mehr Spinnenfäden umfangen wird, die ihr schließlich das Leben kosten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Es gibt verschiedene Abwehrformen gegen diese unangenehme Selbstprüfung, die mit Schamgefühlen konfrontiert. Auf diese verhängnisvollen Zusammenhänge bin ich schon in den vorigen Blogartikeln eingegangen. Sie haben alle mit Selbsttäuschungen und Illusionen zu tun. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die Unvermeidbarkeit von Widersprüchen </span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Selbst wenn wir wissen, was es zu wissen gibt, und das Wissen ernstnehmen, können wir nicht immer so leben, wie es für das Überleben der Menschheit wichtig wäre. Wir sind Wesen mit den verschiedensten Bedürfnissen, Interessen und Werten auf den verschiedensten Ebenen. Die Klimafrage ist nur eine von ihnen, obgleich in einem bestimmten Sinn die wichtigste. Aber sie steht in Konkurrenz mit anderen Ebenen und bekommt deshalb im inneren Abstimmungsprozess nicht immer die oberste Priorität. Es scheint immer wieder akutere Probleme zu geben, die zuerst angegangen werden sollten. Die Klimakrise mit ihren langsamen Verläufen und ihren punktuell wahrnehmbaren Auswirkungen zieht da häufig den Kürzeren. Also fahren wir mit dem Auto, weil es schneller geht, obwohl sich der Weg auch klimafreundlicher bewältigen ließe, wir uns aber die Zeit nicht nehmen oder glauben, sie nicht zu haben. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Aus der Theorie der kognitiven Dissonanz wissen wir, dass wir sehr ungern mit uns selbst im Widerspruch sind. Die Theorie besagt, dass wir Entlastungsgründe erfinden, wenn wir merken, dass unser Handeln nicht mit unseren Werten übereinstimmt. Wir wollen in Übereinstimmung mit unseren Werten leben, sonst meldet sich die Scham. Gelingt uns das nicht, neigen wir zu Selbsttäuschungen, um die innere Spannung und das Schamgefühl in uns abzuschwächen. Beispielsweise wissen wir, dass das Fliegen umweltschädlich ist. Dennoch wollen wir aus irgendwelchen Gründen an einen fernen Ort gelangen und entscheiden uns für den Flug und gegen unsere umweltbezogene Werthaltung. Um die Dissonanz mit uns selber aushalten zu können, schwächen wir sie ab, indem wir uns z.B. vergegenwärtigen, was wir alles für die Umwelt tun, oder indem wir uns einreden, dass wenn nicht wir fliegen würden, jemand anderer unseren Platz einnähme, was dann wieder aufs Gleiche hinausliefe. Oder wir weisen darauf hin, dass andere viel mehr als wir selber das Flugzeug nutzen usw. Natürlich sind all diese Argumente Ausreden, mit denen wir uns vor unserer eigenen Verantwortung drücken. Aber es sind Selbsttäuschungen, die die kognitive Dissonanz in uns selber verringern. Es ändert sich nichts an der Realität und an dem Schaden, den wir anrichten, nur das schlechte Gewissen wird schwächer. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Widerspruchsbewusstsein </span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Die Dissonanzreduktion, also die Verringerung der inneren Spannung zwischen unserem Tun und unseren Werten, erfolgt durch Selbstmanipulation. Wir lügen uns in unsere eigene Tasche, und das ist fatal, weil wir auf diese Weise unser umweltschädliches Verhalten weiter betreiben. Wir entkommen dieser Selbsttäuschung, die meist unbewusst und automatisch abläuft, indem wir uns der Widersprüche stellen und Verantwortung übernehmen, statt uns Ausreden zurechtzulegen. Sobald uns die Widersprüche bewusst werden, in die wir uns verstricken, ist nicht alles verloren. Denn wir spüren die Schamlast, die darin besteht, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden und mit den eigenen Idealen im Konflikt zu sein. Wir nehmen diese Last auf unsere Schultern. Sie wirkt wie ein Stachel im Fleisch und motiviert uns, ein andermal mit mehr Achtsamkeit auf die Bedürfnisse der Natur zu handeln. Wir stellen uns der Scham, statt sie wegzudrängen, und nehmen das Leid auf uns: das Leid, das wir der Natur und zukünftigen Generationen zufügen und das das Leben anderer und zukünftiger Menschen belastet, ohne dass wir billige Ausflüchte suchen uns mit Scheinargumenten aus unserer Verantwortung herausreden. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wenn wir erkannt haben, dass ein widerspruchsfreies Leben gar nicht möglich ist, fällt es uns leichter, uns selbst in unserer Widersprüchlichkeit anzunehmen. Wir sind nie zu hundert Prozent mit uns selber in Übereinstimmung, und es wäre ein perfektionistischer Anspruch, eine solche absolute Authentizität jemals zu erreichen. Unsere innere Widersprüchlichkeit ist eine Facette unserer Fehleranfälligkeit, unserer Unvollkommenheit. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Das heißt nicht, dass wir uns auf unseren Widersprüchen ausruhen und unsere Diskrepanzen kultivieren sollten, um uns vor der Verantwortung zu drücken, die mit jedem handeln verbunden ist. Es geht vielmehr darum, die Spannungsfelder, die wir durch unser Handeln aufbauen, bewusst anzuerkennen und daraufhin die Kraft zu mobilisieren, die wir brauchen, um diese Spannungen zu verringern und unser Handeln mehr unseren Werten und Idealen anzunähern. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wir leben in Umgebungen, die auf hohen Ressourcenverbrauch ausgelegt sind. Damit ist es uns unmöglich, völlig klimaneutral zu leben. Wir können nur das Maß bestimmen, nach dem wir die Umwelt belasten und für uns selber entscheiden, wieweit wir aus diesen Zusammenhängen aussteigen wollen, im Bewusstsein, damit den Widersprüchen nicht zur Gänze zu entkommen, aber die implizite Schambelastung ein Stück zu verkleinern. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Wir können vielleicht als Einzelne eine klimaneutrale Lebensweise verwirklichen, indem wir auf Auto- und Flugreisen verzichten und unsere Lebensmittel weitgehend selber produzieren, unsere Kleidung selber herstellen usw. Allerdings befinden wir uns dann in einer privilegierten Position, denn nur wenige könnten sich eine derartige Form der autarken Subsistenzwirtschaft leisten. Nicht einmal in unseren Breiten stünde genug fruchtbares Land zur Verfügung, dass alle auf derartigem Niveau ihren Lebensunterhalt sichern könnten. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Sobald wir irgendwo einkaufen, wirken wir schon mit am exzessiven Ressourcenverbrauch der globalisierten Wirtschaft. Beinahe jede Form von Konsum, außer vielleicht der Einkauf beim benachbarten Bauern, ist belastet von energieintensiver Herstellung, Verbrauch von knappen Rohstoffen und Transportaufwand. Wenn dazu noch unsoziale Arbeitsbedingungen in weniger entwickelten Ländern kommen oder Materialen verwendet werden, die mit umweltverschmutzenden Methoden gewonnen werden, sind wir mitbeteiligt an der Klimakrise. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Leben mit Ambivalenzen</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Mit Ambivalenzen leben, Widersprüche aushalten, ohne sie wegzukürzen oder schönzureden, gibt eine besondere Kraft, die gerade angesichts einer sich mehr und mehr verbreiteten Hilflosigkeit und Ignoranz notwendig ist. Das andere ist, dass wir diese Kraft dafür brauchen, uns so weit als möglich zu informieren, unseren Konsum so weit wie möglich zu reduzieren und die Nachhaltigkeit in jede Konsumhandlung mit höchster Priorität versehen. Nur die Übernahme unserer persönlichen Verantwortung verhilft zur uns zu unserer Würde, zugleich folgt daraus genau das, was wir, und nur wir beitragen können, um die Überlebensfähigkeit der Menschheit zu sichern. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Zum Weiterlesen:<br /><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2019/05/privileg-flugreisen.html" target="_blank">Privileg Flugreisen</a><br /><a data-mce-href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/pubertarer-wachstumswahn-und-die.html" data-mce-selected="inline-boundary" href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/pubertarer-wachstumswahn-und-die.html" style="background-attachment: initial; background-clip: initial; background-color: white; background-image: initial; background-origin: initial; background-position: initial; background-repeat: initial; background-size: initial; background: white; font-size: 16px;">Pubertärer Wachstumswahn und die Klimakrise</a><br /><a data-mce-href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/die-wissenschaftsskepsis-und-das.html" data-mce-selected="inline-boundary" href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/die-wissenschaftsskepsis-und-das.html" style="background-attachment: initial; background-clip: initial; background-color: white; background-image: initial; background-origin: initial; background-position: initial; background-repeat: initial; background-size: initial; background: white; font-size: 16px;">Die Wissenschaftsskepsis und das Versagen der Klimapolitik</a><br /><a data-mce-href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/realoptimismus-angesichts-der-klimakrise.html" data-mce-selected="inline-boundary" href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/realoptimismus-angesichts-der-klimakrise.html" style="background-attachment: initial; background-clip: initial; background-color: white; background-image: initial; background-origin: initial; background-position: initial; background-repeat: initial; background-size: initial; background: white; font-size: 16px;">Realoptimismus angesichts der Klimakrise</a></span></p><p><span style="font-family: georgia;"> </span></p><p><br /></p>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6930008219939028192.post-57093622058348200612023-06-03T21:23:00.003+02:002023-06-03T22:05:15.342+02:00 Die Schwäche der Demokratie angesichts der ökologischen Herausforderungen<p><span style="font-family: georgia;">Die Form der Demokratie, wie sie in den meisten westlichen Ländern praktiziert wird, ist nur sehr eingeschränkt dafür geeignet, die komplexen Herausforderungen der Klimakrise zu meistern. Diese Regierungsform „belohnt“ kurzfristig wirksame Maßnahmen, die bestimmte Wählergruppen begünstigen, enthält aber nur wenige Anreize für das Verfolgen langfristiger Strategien, die aktuell viel Geld kosten und deren Nutzen erst in fernerer Zukunft eintreten wird. Bei den nächsten Wahlen, die nach vier und fünf (in manchen Staaten in viel kürzeren Intervallen) stattfinden, honorieren die Wähler den für sie unmittelbar spürbaren Gewinn und nicht das Gefühl, dass für die nächste oder übernächste Generation etwas Gutes geschehen ist oder zumindest Schaden abgewendet wurde. Deshalb ist die politische Rhetorik voll von Ausreden und Selbsttäuschungen, vom Wecken illusionärer Hoffnungen und vom Verharmlosen der erwartbaren und der schon sichtbaren Folgen der Schädigungen der Erdatmosphäre. Kein Politiker wagt es, vom Ernst der Lage zu reden, obwohl allgemein bekannt ist, dass der Schaden nicht mehr abgewendet, sondern nur abgemildert werden kann; niemand will von künftigen Katastrophen hören oder jemanden wählen, der davon redet. Kein Politiker kann Wähler gewinnen, der die Menschen darauf vorbereitet, sich künftig mit verringerten Lebensmöglichkeiten zu begnügen. Vielmehr wird versprochen und versprochen, was nicht eingehalten werden kann, mit der Hoffnung, dass die Leute, sobald sie gewählt haben, vergessen werden, was ihnen verheißen wurde. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">Also wird nur allgemein mittels leerer Lippenbekenntnisse der Eindruck erweckt, dass ein paar Anpassungen des Systems (ein bisschen weniger Plastikverbrauch, ein bisschen mehr E-Mobilität usw.) und die zukünftige Technologieentwicklung dafür ausreichen würden, dass unser Leben ohne jede Einschränkung weitergehen wird und der Wohlstand beständig weiter steigen wird. Die Politiker täuschen sich selbst und ihre Wähler, die ihnen ihrerseits wieder zugutehalten, dass sie getäuscht werden. Auf diese Weise sprechen sich die Politiker selbst frei von der Verantwortung, die sie als Gesetzgeber hätten, langfristig für das zukünftige Wohl der Staatsbürger zu sorgen. Die Leute freuen sich über Ausreden, weil sie ihr Leben nicht ändern müssen, und die Politiker sind froh, weil sie keinen Mut für unpopuläre Maßnahmen aufbringen müssen. Beide Seiten sind insgeheim erleichtert, weil sie sich der Scham nicht stellen müssen, die mit dem Versäumen der Verantwortungsübernahme verbunden ist, sondern sich gegenseitig versichern, dass alles ja nicht so schlimm ist und auch nicht so bald schlimmer werden wird, dass es also keinen Grund für Schamgefühle gibt.</span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Das Ausspielen von Problembereichen</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Viel Energie wird in den politischen Debatten damit vergeudet, Problemzonen gegeneinander auszuspielen. Es sind Kurzsichtigkeiten, die Formen der Schamabwehr darstellen: Armut gegen Klimaschutz (wir müssen zuerst die Armut bekämpfen, dann können wir uns um das Klima kümmern), Wirtschaftswachstum gegen Klimaschutz, Flüchtlingspolitik gegen Klimaschutz, Friedensstiftung gegen Klimaschutz etc. Je nach parteipolitischer Präferenz wird das eine oder das andere Thema benutzt, um die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zurück zu reihen. Wir verstehen schon längst, dass die Klimaveränderung vor allem die sozial Schwächeren treffen wird, dass die Verknappung von Ressourcen zu Kriegen führen wird, dass das Wirtschaftswachstum die Klimafrage verschärft und dass Klimanotstände Flüchtlingsströme auslösen werden. Alles ist miteinander verflochten, und die Schädigungen, die wir den Systemen der Natur zufügen, stehen im Zentrum. Denn alle anderen Bereiche sind betroffen, wenn wir ihnen die Lebensgrundlagen entziehen.</span></p><div style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Erst das Annehmen der Scham ermöglicht die Einsicht, dass alle Themen untereinander zusammenhängen. Jeder der politischen Krisenbereiche ist mit Schaminhalten verknüpft, und ohne diese emotionalen Gewichte anzusprechen und öffentlich zu machen, wird es in keinem der Themen zu nachhaltigen Lösungen kommen. Andererseits hat die Klimathematik den Rang einer Metakrise, die alle anderen Politikbereiche verschärft – oder, wenn es dort zu zielführenden Maßnahmen käme – erleichtert. Die Konzentration aller Kräfte auf die Schadensbegrenzung durch die Erderwärmung würde alle anderen Konfliktfelder entlasten. </span></div><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Die unentbehrliche Demokratie</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Doch bei aller Mangelhaftigkeit der Demokratie in Hinblick auf die Problematik der Klimaveränderung und vieler anderer ökologischer Problemzonen verfügen wir über keine bessere Regierungsform. Manche, die eine Ökodiktatur fordern, übersehen, dass Diktaturen zu Korruption und zum Machtmissbrauch neigen und dass es im Belieben der jeweiligen Diktatoren liegt, ob sie sich für die Natur einsetzen oder nicht. Es gibt immer wieder Beispiele von Politikern, die mit liberalen Ideen angetreten sind und dann, sobald sie an der Macht waren, nur mehr illiberale Gesetze erlassen haben. Ähnlich könnten Leute, die mit ökologischen Sprüchen die Macht erringen, diese dann mit gegenteiligen Maßnahmen absichern. Statt nach „starken Männern“ zu rufen, sollten wir danach trachten, die Demokratie mit Instanzen, die für die Nachhaltigkeit zuständig sind, zukunftsfit zu machen.</span></p><p><span style="font-family: georgia;">Dazu gehören demokratisch besetzte Einrichtungen, die alle gesetzlichen Initiativen in Bezug auf die Auswirkungen zur Erderwärmung bewerten und z.B. Ausgleichsmaßnahmen einfordern, wenn bestimmte Gesetzesvorhaben zu einer negativen Klimabilanz führen. Das Ziel müsste sein, dass der Überverbrauch von Ressourcen eingedämmt wird und nur mehr Maßnahmen eingeführt werden dürfen, die klimaneutral sind. Die Kreislaufwirtschaft, die unser Überleben als Menschheit auf diesem Planeten sichern könnte, kann nur demokratisch eingeführt und kontrolliert werden. </span></p><h3 style="text-align: left;"><span style="font-family: georgia;">Demokratie der Nachhaltigkeit</span></h3><p><span style="font-family: georgia;">Es ist für eine Änderung der demokratischen Strukturen im Sinn einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik notwendig, dass mehr und mehr Menschen erkennen, wie zentral und fundamental die Bedrohung der Lebensbasis durch die Schädigungen der Umwelt und der Erdatmosphäre ist. Es muss das Problembewusstsein in der Bevölkerung steigen, bis eine genügend große Mehrheit das Bewältigen der ökologischen Probleme als Priorität erkannt hat, bis sehr vielen klar geworden ist, dass hier die Schlüsselstelle liegt, um die sich alles dreht und an der angesetzt werden muss. Dafür brauchen wir eine solide und breit aufgestellte Bildung, vernunftgeleitete Diskurse und viel kritische Aufklärungsarbeit, ein Durchbrechen verschiedener Ideologien und Verschwörungsmythen, ein Überwinden der Wissenschaftsskepsis und –feindlichkeit und ein Ernstnehmen der sichtbaren Folgen der Erderwärmung, die wir überall auf der Welt beobachten können. Wir brauchen auch den Mut, uns den Herausforderungen zu stellen und mit Gewohnheiten zu brechen und unsere Lebensweise den Umständen anzupassen. Diesen Mut gewinnen wir, wenn wir uns den unangenehmen Scham- und Schmerzgefühlen stellen, individuell und kollektiv. </span></p><p><span style="font-family: georgia;">
Zum Weiterlesen:</span></p><p><span style="font-family: georgia;"><span><a href="http://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/06/klimakrise-und-kollektive-scham.html" target="_blank">Klimakrise und kollektive Scham</a><br /></span><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/pubertarer-wachstumswahn-und-die.html" target="_blank">Pubertärer Wachstumswahn und die Klimakrise</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/die-wissenschaftsskepsis-und-das.html" target="_blank"> Die Wissenschaftsskepsis und das Versagen der Klimapolitik</a><br /><a href="https://wilfried-ehrmann.blogspot.com/2023/05/realoptimismus-angesichts-der-klimakrise.html" target="_blank">Realoptimismus angesichts der Klimakrise</a><br /></span></p><div><br /></div>Wilfried Ehrmannhttp://www.blogger.com/profile/17306682122418476006noreply@blogger.com0