Die Rechts-Mitte-Links oder konservativ-liberal-sozialdemokratischen Regierungsverhandlungen sind gescheitert, die einzige mögliche Regierungsform heißt Blau-Schwarz, und diese Alternative erzeugt bei jenen, die die Erfahrungen der Schüssel/Haider- bzw. Kurz/Strache-Periode noch nicht verdrängt haben, zu viel Unsicherheit und Irritation. Wie ist es möglich, dass eine rechte bis rechtsextreme Partei, die laufend in Korruptionsskandale verwickelt ist, soviel Zulauf bei den Wählern und damit so viel Macht im Staat erlangt? Wie ist es möglich, dass eine konservativ rechte Partei nur mit den extrem Rechten eine Regierung bilden kann? Wie ist es möglich, dass ein Mann Regierungschef wird, der von einer großen Mehrheit abgelehnt wird?
Ein realistisches Zukunftsszenario
Realistisch betrachtet, werden auf unser Land viele Veränderungen zukommen, mit denen die schon erreichten Standards der Menschenrechte und Individualfreiheiten zurückgeschraubt werden. Es ist damit zu rechnen, dass der öffentlich-rechtliche Mediensektor privatisiert und in den Propagandaapparat der Regierung eingebaut wird. In der Flüchtlings- und Asylpolitik werden die Gesetze noch weiter verschärft werden und die humanitären Bemühungen vieler Freiwilliger, die gewohnheitsmäßig aus der rechten Ecke als Gutmenschen verspottet werden, werden zunichtegemacht. Viel individuelles Leid wird geschehen. Es wird ein Konfliktkurs mit der EU geführt werden, mit dem Österreich eine Randposition im Rahmen der Union einnehmen wird. Das Vorbild Ungarn wird zu schamloser Korruption und irrationaler Anti-EU-Polemik führen. Das russische Regime gewinnt einen weiteren Förderer im Westen und reibt sich die Hände wegen dem nächsten gelungenen Schrittes zur Destabilisierung der EU. Die sozialen Institutionen (Arbeiterkammer, Gewerkschaft) werden geschwächt, womit auch die Rechte und Unterstützungsformen für die arbeitende Bevölkerung untergraben werden. Vielleicht wird auch die Sozialversicherung mit Milliardenaufwand „reformiert“ und nachhaltig in ihrer Leistungsfähigkeit geschwächt. Auf die NGOs, die im Rahmen der Beförderung der Menschenrechte und der Individualfreiheiten arbeiten, kommen karge Jahre zu.
In Österreich werden nur kosmetische Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels stattfinden, die Klimaziele werden verfehlt werden und das Land verliert wertvolle Jahre, um die Erhitzung der Atmosphäre abzuschwächen. Die Verkehrspolitik wird weiterhin die Autofahrer gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern bevorzugen und der Umstieg auf die E-Mobilität wird erschwert. Alle ökologischen Projekte und Initiativen werden gegenüber Trachtenvereinen und Volkstanzgruppen, vielleicht auch Pferdezuchtvereinen auf Förderungen verzichten müssen. Die Verbesserung der Frauenrechte ist den zukünftigen Regierungspartnern vermutlich kein Anliegen, eher wird der Druck steigen, Frauen in ihre traditionelle Rolle am Herd zurückzudrängen, soweit sie in der Wirtschaft nicht dringend benötigt werden. Außerdem wird das Gendern verboten, wo immer es geht. Die Kultur wird mittels selektiver Subventionspolitik zur Nicht-Wokeness genötigt werden.
Die unumgänglichen Sparmaßnahmen werden vor allem die schwächeren Bevölkerungsgruppen treffen, aber so, dass sie es möglichst nicht merken, und sie werden mit Symbolgeschenken ruhiggestellt. Die Großunternehmen werden unter dem Vorwand der Förderung eines Konjunkturaufschwungs Steuergeschenke bekommen, und die Reichen und Superreichen des Landes erfreuen sich weiterhin ihrer Steuerprivilegien. Die rechten und rechtsextremen Gruppierungen werden gefördert und ihre Sprache wird salonfähig gemacht. Die Verrohung der Sprache schreitet damit fort, die Debattenkultur verschwindet. Von höchster Stelle werden Verschwörungstheorien verkündet und als Wahrheit verkauft. Der Unterschied zwischen Realität und Fiktion wird systematisch verzerrt.
Was tun?
Mit solchen oder ähnlichen oder vielleicht anderen, unerwarteten Entwicklungen müssen wir rechnen. Es hilft nichts, über die Rückschritte in der Humanität zu jammern und sich resigniert in die eigene Hilflosigkeit zurückzuziehen. Es bringt uns auch nicht weiter, in Hass- und Wutgefühlen steckenzubleiben. Wir sind mündige Staatsbürger, und die Partizipation in der Demokratie beschränkt sich nicht auf ein periodisches Wählengehen. Wir müssen unsere Stimme umso mehr erheben, je mehr wir den Eindruck haben, dass sich die Gesellschaft unter dem Einfluss der Politik in eine falsche Richtung entwickelt. Wir brauchen eine starke und wehrhafte Zivilgesellschaft, die sich auf vielfältige und kreative Weise in die Vorgänge einmischt und auf jede Anpassung oder Unterordnung unter die neuen Machtstrukturen verzichtet. Und wir sind diese Zivilgesellschaft und wirken umso mehr daran mit, je mehr wir uns einmischen.
Die Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig (Wider die Verrohung. Über die gezielte Zerstörung öffentlicher Debatten. Wien: Brandstätter Verlag 2024) schreibt auf Facebook:
„Was wir alle tun können, wenn eine FPÖ-geführte Regierung kommt: Auf Fakten hinweisen, an Fakten festhalten. FPÖ-Politiker:innen verbreiten Falschmeldungen – z.B. über Geflüchtete oder zu Klima-Fragen. Auch geben sie Online-Medien Interviews, die mit Verschwörungsmythen, Fehlinformation und extremistischen Erzählungen auffallen. Umso wichtiger ist, Fakten selbst im eigenen Umfeld breit sichtbar zu machen! Das ist natürlich nicht (!) das einzige, was man tun kann/soll: Aber es ist ein Teil von möglichen Reaktionen, der uns parat steht. Denn gerade wenn diese Rhetorik und die Behauptungen der FPÖ nun noch sichtbarer werden, wird noch mehr Einordnung wichtig. Und wir alle können Teil der Einordnung sein.“
Verständnis für das gewinnen, was wir nicht verstehen
Was wir noch tun können, ist Verständnis für die Gründe zu finden, die diese Entwicklungen bewirkt haben. Es genügt nicht, entsetzt über die Dummheit oder Bösartigkeit anderer Menschen zu sein. Auch wenn es vielleicht weniger intelligente oder moralisch weniger reflektierte Mitmenschen gibt, hilft es nicht, sie dafür abzuwerten. Jeder Wähler/jede Wählerin von Rechtsparteien hat seine/ihre Gründe dafür. Je mehr wir verstehen können, welche Nöte und Ängste in diesen Wahlmotiven stecken, desto besser können wir verstehen, wie diesen Nöten und Ängsten auch auf andere Weise abgeholfen werden kann. Es gibt Mängel in allen politischen Parteien und Gruppierungen. Und es gibt menschliche Anliegen, die sie vertreten, die nicht alle für jeden nachvollziehbar sein mögen, aber die eine Berechtigung haben. Das Verständnis für die Motive anderer bringt uns dazu, innerlich Brücken aufzubauen, wo sonst Gräben sind. Wo Verbindung statt Trennung besteht, vermehrt sich der Friede.
Dazu kommt noch, dass viele der übergreifenden und globalen Veränderungen, in denen die Welt steckt, neue Bewältigungsstrategien erfordern. Die Demokratie hinkt in vielen Bereichen hinter diesen neuen Entwicklungen hinterher, wodurch die Bürger, die Subjekte und Objekte der Demokratie, den Eindruck bekommen, nicht gesehen und gehört zu werden. Dann neigen sie dazu, Parteien zu wählen, die ihnen „Volksnähe“ versprechen, die „auf den kleinen Mann hören“, die „gegen die Eliten“ oder „gegen das System“ auftreten. Durch die immer komplexer werdenden Probleme spüren immer mehr Menschen eine Entfremdung von der Demokratie, der sie nicht mehr vertrauen. (Vgl. dazu: Armin Schäfer/Michael Zürn: Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus. Berlin: Suhrkamp 2021)
Es sind also reale Nöte auf ökonomischer und psychologischer Ebene, die Menschen in die Fänge von radikalen Ideologien treiben, und nicht Intelligenz- oder Charaktermängel. Sie leiden an Umständen, für die sie keine andere Abhilfe sehen als eine Partei zu wählen, deren Versprechen noch glaubhaft erscheinen, weil sie länger nicht mehr in Regierungsverantwortung war. Wenn wir aus dem Verurteilen von Menschen herausfinden und sie in ihrem Problemhorizont verstehen, kommen wir selbst leichter in den Frieden mit dem, was uns an den Umständen leiden lässt.
Vertrauen aufbauen
Wir brauchen jede Menge Vertrauen, um mit den Herausforderungen umgehen zu können, die auf uns zukommen: Auf unsere Fähigkeiten vertrauen, auf unsere Mitmenschen vertrauen, dass sie im Grund alle auf ihre Weise das Gute wollen, auf die Kraft der Vernunft und der freien Rede vertrauen, auf die Lernfähigkeit in uns und in allen Menschen vertrauen, auf die Langzeitentwicklung vertrauen, die Fehler ausbügeln kann und irgendwann dann wieder dem Fortschreiten in der Menschlichkeit dient. Wir haben die Fähigkeit, uns einzubringen und uns für unsere Anliegen einzusetzen, wir können im Rahmen unserer Möglichkeiten mitgestalten und uns einbringen und die „schweigende Mehrheit“ anderen überlassen. Die Flinte ins Korn zu werfen, ist das, was sich die gerade Mächtigen von ihren Untertanen wünschen, aber den Gefallen sollten wir ihnen nie tun. Bleiben wir selbstbewusst und aufrecht und lassen wir uns nichts gefallen. Erheben wir Einspruch, wo die Grenzen der Humanität überschritten werden.
Aktiver Friede
Solange wir mit der Realität hadern, bleiben wir im Unfrieden mit der Welt und mit uns selbst. Wenn wir akzeptieren, was ist, kommen wir in Frieden mit der Wirklichkeit und mit uns selbst. Wir sind mit unserer Kraft und Zuversicht verbunden. Akzeptieren heißt nicht, Schlechtes oder Böses gut zu finden. Vielmehr erwächst aus dem Akzeptieren zunächst die genaue Beobachtung dessen, was geschieht, und darauf baut eine reflektierte Bewertung der Vorgänge auf. Das Handeln, der Einsatz für das Gute oder das Bessere bildet die notwendige Konsequenz aus dem Beobachten und Bewerten.
Auf der Basis des inneren Friedens kommen wir zu einem Engagement für eine bessere Gesellschaft und Politik, ohne Hass und Besserwisserei. Es handelt sich um einen aktiven Frieden, der zum Tun auffordert, wenn es geboten ist. Für den Einsatz im Sinn des aktiven Friedens wird es in der Zukunft viel Gelegenheit geben.