Zurzeit wird in Österreich ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen FPÖ-Parteiobmann und Vizekanzler Heinz Christian Strache vorbereitet. Er soll sich massiv an den Parteifinanzen für private Zwecke bedient haben: Schiurlaube, Geburtstagsfeste, Taxifahrten von Kindern und Mutter, teure Manschettenknöpfe, die als Büromaterial verbucht wurden usw. Da es sich bei den Parteifinanzen um Gelder handelt, die aus der öffentlichen Hand stammen, also von der Gesellschaft bezahlt werden, „vom kleinen Mann“, für den sich dieser Politiker so hingebungsvoll eingesetzt haben will, geht es um Korruption.
In diesem Artikel behandle ich die Zusammenhänge zwischen unverschämter Machtausübung und Korruption, nach der Erkenntnis, dass Macht korrumpiert, und absolute Macht absolut korrumpiert. Politiker, die zu einer absoluten Machtposition streben, innerhalb einer Partei oder eines ganzen Staates, sind deshalb der Korruption besonders zugeneigt.
Die Flucht aus der Beschämung
Die Sehnsucht von allen Verschämten liegt darin, aus der Scham herauszufinden und selber beschämen zu können, also andere in die Lage der Schwäche und Herabwürdigung zu bringen. Es gibt Verschämten, denen es gelingt, die Seite zu wechseln und in die Rolle der Unverschämten zu schlüpfen. Sie schaffen also die Gegenbesetzung, die Verkehrung ins Gegenteil – die Überwindung der Ohnmacht durch den Erwerb der Macht. Es ist eine Macht, die dann um jeden Preis gehalten und ausgebaut werden muss, denn sie bietet die Sicherheit gegen jede Beschämung.
Ein verbreitetes Mittel zur Verstärkung der Machtposition besteht darin, sie für eigene, persönliche Zwecke (oder die von Nahestehenden oder Verwandten) auszunutzen. Unverschämte, die an die Staatsmacht gelangt sind, sehen das als Einladung zur Selbstbedienung an den Ressourcen des Staates. Sie verfügen über vielfältige Möglichkeiten, Geld, das eigentlich der Gemeinschaft gehört, in die eigenen Taschen abzuzweigen, also Korruption zu praktizieren.
Beschädigung des Gemeinschaftsgefühls
Unter Korruption versteht man den Missbrauch einer anvertrauten Machtstellung oder Funktion zum privaten oder persönlichen Vorteil. In dieser Definition ist übrigens enthalten, dass Macht immer anvertraut ist, also einen Vertrauensvorschuss jener beinhaltet, die die Macht abtreten, z.B. die Wähler in einer Demokratie. Das lateinische Wort corrumpere bedeutet so viel wie verderben. Wenn Einzelne die Allgemeinheit für ihre egoistischen Zwecke ausnutzen, verderben sie das Gemeinschaftsgefühl in sich selber, sie lassen also die Schamgefühle, die sie an prosoziales Handeln erinnern, absterben. Sie sind dann verdorben oder verfault in dem Bereich ihrer Seele, der sie auf die Bedürfnisse der Mitmenschen aufmerksam machen will.
Sie beschädigen auch das Gemeinschaftsgefühl im Außen. Denn der gesellschaftliche Zusammenhalt wird mit jeder korrupten Handlung geschwächt, die Vertrauensgrundlage erleidet einen Riss, das Misstrauen wächst. Dazu kommt, dass gemeinschaftsschädigendes Verhalten den Anreiz zur Nachahmung bietet. Menschen wollen sich grundsätzlich sozial verhalten, wenn sie aber merken, dass sich andere ihren Egoismus erlauben, sehen sie nicht ein, warum sie auf eigene Vorteile gegenüber der Gemeinschaft verzichten sollen. Auf diese Weise beginnt der soziale Zusammenhalt zu erodieren.
Außerdem ist eine besondere Form der Unverschämtheit, sich an der Gemeinschaft für die eigene Bereicherung zu bedienen, denn im Grund wird die ganze Gemeinschaft beschämt, der die beschämende Person angehört. Sie wird als Objekt der Bereicherung betrachtet, ohne eigenen Wert. Man kann ihr wegnehmen, was man will, ohne jede Rücksichtnahme.
Zwar entzieht sich die unverschämte Person gewissermaßen selbst den Boden, der ihre Sicherheit gewährleistet. Denn sie leben ja selber aus und durch die Gemeinschaft. Aber unverschämte Menschen sind unfähig, an die Konsequenzen ihrer Handlungen zu denken, weil sie den Blick in die Zukunft perfekt verschließen können. In ihrer Machtverblendung meinen sie, dass es das Universum gut mit ihnen meint, weil es sie an die Spitze gebracht hat und nun so reichlich mit öffentlichen Gütern versorgt. Also kümmern sie sich nicht um die Folgen ihrer Unverschämtheiten, sondern genießen sie. Fliegen die Machenschaften auf, so geben sie sich verwundert und empört, als wäre es eine bodenlose Frechheit und Bosheit, wenn jemand die Verbrechen aufdeckt, in die sie sich verwickelt haben.
Rache an Eltern als Hintergrund der Korruptionsgier
Die Rechtfertigung für ihr Tun finden die Unverschämten im Hintergrund ihrer Seele in ihrer Vergangenheit und in allem, was ihnen angetan wurde, als sie noch klein und ohnmächtig waren. Die Unverschämtheit ist die Rache für erlittene Beschämungen. Die Korruption besteht darin, sich zurückzuholen, was einem die Eltern schuldig geblieben sind. Aus der kindlichen Sichtweise wirken die Eltern als Allmacht im Ganzen; für die korrupten Politiker steht dann der „Vater“-Staat stellvertretend für die Eltern, an dem sie sich jetzt schadlos halten können – als Rache und als Ausgleich für erlittenes Leid. Den Tätern in der eigenen Lebensgeschichte soll heimgezahlt werden, was sie verbrochen haben. Es sind solche unbewusst wirkende Mechanismen, die Politiker zur Korruption und Wirtschaftstreibende zur Steuerhinterziehung anleiten.
Da Unverschämte viel zu wenig Empathie in ihren Aufwachsen erhalten haben, bringen sie auch kein Mitgefühl für die Opfer der eigenen Rücksichtslosigkeiten und Bosheiten auf, sondern glauben sich im vollen Recht, sich auf Kosten anderer Menschen und der Allgemeinheit zu bereichern. Sie denken nur an die Schädigungen, die sie selbst erlitten haben, und sie suchen jene Formen der Wiedergutmachung, die sie reicher und mächtiger macht. Denn Reichtum und Machtfülle gelten ihnen als einzige Absicherung gegen jede Gefahr der Beschämung und Demütigung.
Ein funktionierendes Justizsystem in demokratischen Staaten ist der beste Garant gegen ausufernde Korruption. Dazu kommen investigative Medien, die oft Korruptionsfälle aufdecken. In autoritär regierten Staaten werden deshalb die Medien an die Kandare genommen, die Justiz wird politisch beeinflusst, um die korrupten Machenschaften nicht zu behindern.
Zum Weiterlesen:
Die Unverschämten und ihr Kampf gegen die Aufklärung
Die Demokratie, die Verschämten und die Unverschämten
Die Verschämten und die Unverschämten
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