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Sonntag, 29. September 2024

Fossile Propaganda und Klimazerstörung

Die jüngste Überschwemmungskatastrophe hat viel Zerstörung und Leid verursacht. Sie hat auch darauf aufmerksam gemacht, dass der Klimawandel voll im Gang ist und dass solche Ereignisse immer häufiger auftreten werden. Bei Überflutungen wird nachher immer wieder nach effektiveren Schutzmaßnahmen gerufen. Es steht zu hoffen, dass endlich starke Rufe nach effektiven Klimaschutzmaßnahmen vor der nächsten Katastrophe laut werden und von der Politik gehört und umgesetzt werden. Den Schaden nachher notdürftig zu reparieren, der vorhersehbar ist, ist nicht nur dumm, sondern auch kostspielig. Das Scheinargument, dass die Umstellung der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit teuer ist, ist längst widerlegt. Jedes Zuwarten mit notwendigen Maßnahmen macht diese laufend teurer, kostet also Geld. Die Verzögerungskräfte bei der CO2-Steuer, bei der Bodenversiegelung, bei der Renaturierung usw., die vor allem in den konservativen und rechten Parteien maßgeblich sind, sind für diese Kostensteigerungen verantwortlich, ebenso wie für das Ausmaß künftiger Katastrophen.

Darüber gäbe es keinen Zweifel, wenn nicht seit Jahren Zweifel gesät worden wären, ob es den Klimawandel gibt, ob er menschengemacht ist, ob er überhaupt gravierende Auswirkungen hat oder nicht. Diese Diskussionen flammen immer wieder auf, unbeschadet der Tatsache, dass die Übereinstimmung in den Wissenschaften über die wesentlichen Zusammenhänge bei der Erderwärmung immer höher wird und schon bei 99,9% liegt. Es ist also vieles schon lange außer Streit, was irreführend als zweifelhaft dargestellt wird.

Säe Zweifel und die Menschen rennen dir nach

Die Zweifel an den Wissenschaften wurden systematisch verbreitet, genau von den Kreisen, die durch eine konsequente Klimaschutzpolitik auf Gewinne verzichten müssten, nämlich alle, die an der Förderung und Verbrennung von fossilen Brennstoffen verdienen. Diesen Menschen ist nichts anderes wichtig, als ihre Gewinne langfristig abzusichern, obwohl sie wissen, dass sie damit die Erdatmosphäre zerstören und viel Leid anrichten.

Christian Stöcker hat in seinem Buch: „Männer, die die Welt verbrennen“ (Ullstein 2024) die Propagandamechanismen hinter den Ablehnungskampagnen gegen die Klimaschutzpolitik beschrieben. Er hat recherchiert, wie die Lobbys der Erdölindustrie seit über dreißig Jahren systematisch Fehlinformationen, Fakenews und gefälschte Studien verbreitet haben, um die Menschen im großen Stil zu manipulieren und für die eigenen Zwecke einzuspannen. Die Erkenntnisse der Wissenschaften zum Klimawandel, die im Kreis der fossilen Magnaten bekannt waren, sollten diskreditiert werden, indem bezahlte Scheinstudien das Gegenteil beweisen sollten. Diese Ergebnisse wurden lautstark verbreitet und in den entsprechenden, dafür offenen politischen Kreisen verankert. Gefälschte Studien werden bald aufgedeckt, aber es wurde und wird damit kalkuliert, dass die Widerlegungen viel später auftauchen werden und wenig Publizität erhalten, während der Hauptzweck der Aktion schon erreicht ist: Menschen zu verunsichern und das Vertrauen in die Wissenschaften zu untergraben. Und wenn eine gefälschte Studie entlarvt wird, kann man leicht sagen: Ah, da sind sich die Wissenschaftler uneins, die einen sagen dies und die anderen das Gegenteil. Es gibt also gar keine sichere wissenschaftliche Meinung, sondern nur unterschiedliche Standpunkte. Solche Relativierungen sind für Menschen eine Erleichterung, die durch den Klimawandel beunruhigt sind, aber nichts in ihrem Leben ändern wollen. Sie können sich jetzt beschwichtigen, dass es wohl nicht so schlimm sein kann und dass man mit dem eigenen Leben so weiter machen kann wie bisher. Politikern, die über Gesetze beraten müssen, sind Ausreden willkommen, damit sie etwaige unpopuläre Maßnahmen vermeiden oder in die übernächste Legislaturperiode verschieben können.

Das Säen von Lügen und Desinformationen ist also ein Mittel der Machtpolitik, bei der es darum geht, das, was den Interessen der eigenen Profitsteigerung im Weg steht, zu eliminieren oder zu schwächen, und das ist erstaunlich gut gelungen. Immer mehr Menschen neigen der Wissenschaftsskepsis zu, indem sie glauben, dass wissenschaftliches Wissen genauso relativ ist wie jedes andere Wissen. Die Wissenschaftsfeindlichkeit, die in der Coronazeit bei vielen Leuten aufgetaucht ist, war nur auf der Grundlage des Vertrauensverlustes in die Wissenschaften, der schon länger systematisch von einschlägigen Kreisen vorangetrieben wurde, möglich.

In den USA gibt es eine regelrechte Tradition von Kampagnen zur Manipulation der Öffentlichkeit für plumpe wirtschaftliche Eigeninteressen und gegen das Allgemeinwohl. Die Tabakindustrie hat lange Zeit die Schädlichkeit des Rauchens heruntergespielt und entsprechende Studien kleingeredet oder durch getürkte Gegenstudien relativiert. Es hat sehr lange gedauert und viele Menschenleben auch von Nichtrauchern gefordert, bis endlich das, was man schon lange wusste, gegen viele Widerstände zum Schutz der Nichtraucher gesetzlich beschlossen wurde.

Ähnlich ist die Zuckerindustrie vorgegangen. Als durch wissenschaftliche Studien klar wurde, dass Zuckerkonsum zur Gewichtszunahme führt, wurde eine riesige Kampagne entfesselt, in der das Fett als Dickmacher herausgestellt wurde. Auch in diesem Bereich wurden Untersuchungen gefälscht, um die Harmlosigkeit des Zuckers zu belegen und die Gewinne der Unternehmen in diesem Bereich nicht zu schmälern. In der Folge wurde Zucker in immer mehr Lebensmittel vor allem bei Fertiggerichten, Soßen, Getränken usw. hinzugefügt, sodass die Konsumenten zur Zuckersucht konditioniert werden konnten.

Eine Achse des Bösen

Die „Achse des Bösen“ reicht vom Koch-Netzwerk (rechtsextreme Ölmilliardäre, die verschiedene Desinformationsinstitute gegründet haben) über das Murdoch-Imperium (rechtsgerichtete Medien, z.B. der republikanische Propagandasender Fox) bis in die konservativen, liberalen, rechten und rechtsextremen Parteien in Europa. Die Hauptvertreter der FPÖ z.B. wiederholen die Propagandaformeln dieser Desinformationsnetzwerke , als hätten sie die Wahrheit und als gäbe es keine Wissenschaften, die in Tausenden Studien das Gegenteil nachgewiesen haben: Den Klimawandel gibt es nicht („Es kommt eine neue Eiszeit); wenn es ihn gibt, dann ist er nicht menschengemacht („Es war früher auch schon wärmer“), es ist nicht das CO2 schuld („Das brauchen ja die Pflanzen“), es sind die Sonneneruptionen, die zu Klimaschwankungen führen, und die „Klimahysterie“ führt nur dazu, dass ein „wohlstandvernichtender Ökosozialismus“ eingeführt wird. 

Mehr von rechtskonservativer Seite kommen die Argumente: Wir tun schon so viel, aber die Chinesen, Inder, usw. verursachen viel mehr Treibhausgase.  Oder: Wir tragen so minimal zu den CO2-Emissionen bei, dass es keinen Unterschied machen würde, wenn wir den CO2-Ausstoß auf null reduzieren würden. Die Rechtsextremen leugnen oder bezweifeln den menschengemachten Klimawandel, während die rechtsgerichteten Konservativen die Klimapolitik auf minimaler Sparflamme halten wollen. Beide Richtungen ziehen deshalb den Karren der Ölmagnaten und spannen ihr Wahlvolk zusätzlich ein.

Natürlich sind all die Argumente von rechtsextrem bis rechts nichts als billige Ausreden, die leicht widerlegbar sind. Außerdem sind sie zynisch, weil das Klimaproblem die gesamte Menschheit betrifft und alle ihren größtmöglichen Beitrag bringen müssen, wenn die ärgsten Auswirkungen vermieden werden sollen. Außerdem sind, historisch betrachtet, die jetzt reichsten Länder des Westens seit zwei Jahrhunderten die Vorreiter der Anreicherung der Atmosphäre mit Kohlendioxid, dass dieser Vorsprung in der Täterschuld lange nicht von anderen Ländern aufgeholt werden kann.

Mit solchen Kurzschlüssen, Dummheiten oder Naivitäten arbeiten diese Parteien den Großverdienern in der Fossilbranche in die Hände, und vermutlich fließt über irgendwelche Kanäle die entsprechenden Belohnungen. Jedenfalls sahnen sie ihre Wählerstimmen im Feld der Skeptiker und Verunsicherten ab, indem sie ihnen als Heilmittel den schamlosen Zynismus schmackhaft machen: Angesichts der sich häufenden Klimakatastrophen bestürzt zu sein und stur zu behaupten, dass es nichts zu ändern oder zu lernen gibt.

Die erwähnte Achse kann als böse benannt werden, weil sie dazu dient, ob wissentlich oder unwissentlich, dass der Menschheit massiver Schaden zugefügt wird, bzw. dass alle Maßnahmen zur Verhinderung des Schadens torpediert werden , nur um die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen und dort zu mehren. Es sind also blanke Egoismen, die, mit viel Geld in der Hinterhand, im großen Stil gegen die Menschlichkeit und Vernunft kämpfen. Sie sind aktiv gegen das Gemeinwohl gerichtet, denn die vom Klimawandel ausgelösten Lebensveränderungen betreffen alle und besonders jene, die zu den Schwächeren und Ärmeren in der Gesellschaft gehören.

Diese Strategien waren sehr erfolgreich und haben dazu beigetragen, dass die Bereitschaft für die kritiklose Übernahme von „alternativen“, in Wirklichkeit aber gefälschten und manipulierten Fakten in weiten Bereichen der Gesellschaft gewachsen ist und zunehmend von der fossilen Wirtschaft für die eigenen Zwecke genutzt werden kann. Es gelang, eine Armee von nützlichen Idioten zu erschaffen, die nichts an den Kampagnen verdienen, aber dennoch in Gesprächen und in den sozialen Medien bereitwillig mithelfen, Unwahrheiten zu verbreiten, Menschen zu verunsichern und die Klimaschutzpolitik in Misskredit zu bringen und zu blockieren.

Zum Weiterlesen:
Petromaskulinität und toxische Männlichkeit

Samstag, 30. April 2022

Unterstellungen und ihre Ursprünge

Unterstellungen kommen immer wieder vor in der menschlichen Kommunikation. Damit ist gemeint, dass wir Annahmen über das Innere unserer Gesprächspartner bilden, die uns als real erscheinen, ohne dass wir dafür eine stichhaltige Begründung haben. Auf der juridischen Ebene können Unterstellungen schwerwiegende Folgen haben, wenn sie den Tatbestand der Verleumdung oder der üblen Nachrede erfüllen. Der Rechtsstaat schützt in diesen Fällen das Ansehen aller Staatsbürger vor ungerechtfertigter öffentlicher Beschämung. Erfolgen Unterstellungen hinterrücks, so bilden sie die Grundlage für Mobbing. In der Alltagskommunikation erzeugen sie Unstimmigkeiten und Konflikte oder werden in solchen als Angriffsinstrument verwendet.

Sie betreffen Absichten, Gefühle, Gedanken sowie Werte und Haltungen:

  • Absichten: Du bist mir absichtlich auf die Zehen getreten.
  • Gefühle: Du magst mich nicht.
  • Gedanken: Du denkst immer abwertend über mich.
  • Werte und Haltungen: Du bist ein Chauvinist (Rassist, Linker, Rechter)

Politische Propaganda und Unterstellungen

In der politischen Debatte gehören Unterstellungen offenbar zum täglichen Kleingeld der Scharmützel. Schnell wird dem Gegner Käuflichkeit oder Verlogenheit vorgeworfen. Werden politische Akteure direkt auf diese Weise angegriffen, kommt es häufig zu Gerichtsverfahren, in denen dann das Zutreffen der Unterstellungen untersucht wird.

Auch auf der internationalen Ebene wird fleißig mit Unterstellungen gearbeitet und für Außenstehende ist es oft schwierig, die Sachverhalte zu klären und zu unterscheiden, wo es um bloße Propaganda oder um Fakten geht. Aktuelle Beispiele: Ukraine: Russland bombardiert absichtlich Kindergärten und Spitäler. Wir wissen, dass Kindergärten und Spitäler vernichtet wurden; wir wissen aber nicht, ob es Absicht oder Versehen war. Russland: Die Ukraine produziert biologische Kampfstoffe. Es gibt aber bisher keine Hinweise oder Beweise. Propagandistische Unterstellungen werden in diesem Fall wie auch in anderen benutzt, um die eigenen Angriffs- und Zerstörungsabsichten zu rechtfertigen.

Unterstellungen in Alltagskonflikten

Wenn wir uns in Auseinandersetzungen bedroht fühlen, greifen wir manchmal zum Mittel der Unterstellung. Es besteht darin, der anderen Person Gedanken, Gefühle oder Absichten anzuhängen, so, als wüssten wir genau, was in der anderen Person abläuft. Wir sind gerade gefangen in den eigenen Gefühlen, sind verletzt und verärgert, weil uns die andere Person unrecht getan hat und wehren uns, indem wir dem Gegenüber unsere Mutmaßungen unterjubeln. Wir verwechseln unser Spekulieren und Fantasieren mit dem Inneren unseres Gegenübers. In solchen Zusammenhängen verwenden wir Äußerungen wie: „Du hörst mir nicht zu.“ (Woher wollen wir das wissen?) „Du verstehst mich nicht.“ (Könnte sein oder auch nicht!)

Eine Gangart wird zugelegt, wenn Sätze kommen wie: „Du willst mir die Laune verderben, wenn du mich so unfair kritisierst.“ „Du musst mich hassen, wenn du so etwas zu mir sagst.“ „Du kannst nur Böses über mich denken, wenn du dich so verhältst.“

Wir vermeinen in diesen Situationen, dass wir über die besondere Gabe des Gedanken-, Gefühle- oder Absichtenlesens verfügen, die wir vor allem dann aktivieren, wenn wir uns durch andere Personen bedroht, verletzt oder beschämt fühlen. Wir tun so, als ob die Mitmenschen wie offene Bücher für uns sind, die wir nur aufschlagen müssen, und schon wissen wir, was da los ist und können diese Erkenntnisse gegen sie verwenden. Tatsächlich aber blättern wir dauernd in unseren eigenen Notizen und in den alten Aufzeichnungen aus dem Archiv unseres defensiven Denkens mit seinen selbstkonstruierten Annahmen, Erwartungen, Vermutungen und Konzepten.

Wenn wir namhaft und dingfest machen können, was im Gegenüber gerade abläuft, glauben wir, die Situation kontrollieren zu können. Wir haben die andere Person durchschaut und ihre bewussten und unbewussten Antriebe bloßgelegt. Damit verringert sich das Ausmaß der Bedrohung. Und wir können die andere Person in einen schamvollen Zustand versetzen, der sie außer Gefecht setzt und wehrlos macht. Sie ist aufgeblättert, und es liegt zu Tage, wo die Ursache und die Schuld am Zerwürfnis zu finden ist. Sie muss klein beigeben und ihre Mangelhaftigkeit und Schuld einbekennen, weil sie durchschaut und damit ihrer Waffen entledigt ist. Wenn wir der anderen Person auf den Kopf zusagen können, was sich in ihrem Inneren abspielt, soll sie Einsicht zeigen und ihr Verhalten sofort ändern. Wir gewinnen damit eine Machtposition, von der wir uns Schutz erhoffen. Denn unser eigenes Inneres bleibt unberührt, während das der anderen Person im kritischen Rampenlicht steht.

Psychologisieren

Unterstellungen dienen folglich als Machtmittel zur Durchsetzung der eigenen Sicht auf die Dinge. Meist bedienen wir uns dabei des Psychologisierens. Denn die Psychologie stellt uns viele begriffliche Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen wir unsere Projektionen anbringen. Menschen mit psychologischer Bildung oder Halbbildung nutzen deshalb gerne psychologisch aufgeladene Unterstellungen: „Du solltest diesen Ärger deiner Mutter umhängen, nicht mir.“ „Du denkst wieder einmal wie dein Vater.“

Allerdings wissen wir aus der Psychologie ebenfalls: Nicht nur die Fantasien, die wir über andere und deren Innenleben entwickeln, gehören zu uns, sondern auch deren Wurzeln und Hintergründe. Es sind meistens Ängste und Beschämungserfahrungen, die wir von früher kennen und die wir dann in die andere Person projizieren, wenn in uns ein ähnliches Gefühl auftaucht, wie eines, das wir schon einmal unter unangenehmen Umständen erlebt haben. Wir sollten dafür die Verantwortung übernehmen, statt sie dem Gegenüber aufzuladen.

Zu diesem Zweck lehrt uns die Psychologie, Feedback-Sätze mit „Ich“ zu beginnen statt mit „Du“. Es wird viel schwieriger, eine Unterstellung vorzunehmen, wenn wir eine Ich-Botschaft wählen: „Ich habe das Gefühl, du verstehst mich nicht.“ Indem die Perspektive gewechselt wird, wird die Angriffsenergie entschärft. Der Sprecher bleibt im eigenen Rayon und teilt sich aus seiner Welt mit. Die Tatsachenbehauptung wird auf eine Vermutung zurückgestuft. Es bleibt nur die Unklarheit, ob es ein Gefühl namens „der-andere-versteht-mich-nicht“ gibt oder ob das nicht eher eine mentale Konstruktion darstellt. Manchmal, und das ist auch eine verbreitete psychologisierende Unsitte, wird der Begriff „Gefühl“ verwendet, um etwas Untrügliches und Unhinterfragbares, gewissermaßen einen Fixstern in die Debatte einzubringen. Gegen Gefühle kann man nicht argumentieren. Würde man hingegen sagen, man hätte den Eindruck, nicht verstanden zu werden, wäre das neutraler und nähme den manipulativen Gehalt weg.

Beschämungsfolgen

Bei genauerem Hinsehen erkennen wir, wie wir die Beschämung in mehrfacher Weise nutzen: Zum einen dringen wir in die andere Person ein und kehren ihr Inneres nach außen. Wir zerren Intimes an die Öffentlichkeit, was bei der anderen Person Scham auslöst. Weiters geben wir vor, dass wir besser als die Angesprochenen selbst wissen, was in ihnen ist, nämlich was ihre versteckten und verborgenen Impulse und Regungen anbetrifft. Wir wollen ihnen glaubhaft machen, dass ihre Eigenwahrnehmung schlechter ist als unsere Einsichten von außen. Wir werten sie ab und beschämen sie dadurch. Schließlich bietet der Inhalt des Unterstellten – die böse Absicht, der schlechte Gedanke, das feindliche Gefühl – Anlass für Beschämung und will auch beschämen: Es sind Mängel und Fehlerhaftigkeiten, die angeprangert werden und die betroffene Person in ein schlechtes Licht stellen, und die Veröffentlichung soll dazu führen, dass es zu einer Veränderung kommt, sodass das verletzende Verhalten nicht mehr vorkommt. Da wir selber über Erfahrungen verfügen, in denen wir als Folge einer Beschämung unser Verhalten verändert haben – z.B. indem wir in der Folge bestimmte Gefühlsäußerungen, verbale Wendungen oder Handlungen unterdrückt haben –, meinen wir, dass das Machtmittel der Beschämung auch im aktuellen Fall Abhilfe schaffen wird.

Natürlich hängt es von der Reaktion der angesprochenen Person ab, sie kann sich fügen und verändern. In ihr verbleibt aber das gleiche innere Ressentiment, das wir selber aus unserer früheren Beschämungssituation kennen und das mit dem heimlichen Wunsch verbunden ist, es einmal heimzuzahlen. Es kann aber auch zur Abwehr kommen, zu einem Gegenangriff oder einer Gegenunterstellung, und die Auseinandersetzung verschärft sich und eskaliert. Es kann die andere Person auch erkennen, was abläuft, und die Unterstellung als Unterstellung benennen und sich dagegen abgrenzen. In all diesen Fällen zeigt sich, dass das Kommunikationsmittel der Unterstellung keinen wirklichen Erfolg bringt, sondern die Beziehungssituation zusätzlich anheizt und verschlechtert.

Manchmal fühlt sich jemand ertappt oder erkannt – die Unterstellung hat, wenn vielleicht nicht in allen Aspekten, doch einen wunden Punkt getroffen. In den meisten Fällen wird dann die Abwehr besonders heftig ausfallen oder zum totalen Rückzug führen. Es bedarf dann einer hohen Schamkompetenz und integrer Reife, zu sagen, dass etwas an dem, was vermutet oder interpretiert wurde, stimmt und dass man sich damit auseinandersetzen wird.

Unklare Grenzen zwischen innen und außen

Die Tendenz zum Unterstellen stammt aus einer Schwäche in der Unterscheidungsfähigkeit zwischen innen und außen. Wir verfügen über keine klare Grenze zwischen dem, wo wir selber sind und wo wir aufhören, und dem, wo der andere ist und aufhört. Diese Schwäche stammt aus Erfahrungen mit Grenzüberschreitungen. Wenn Eltern oder Erziehungspersonen die physischen oder emotionalen Grenzen des Kindes nicht respektieren z.B. durch Gewalt oder Bedürfnismanipulation, wird es schwierig für das Kind, ein realitätsgerechtes Gefühl für die eigenen Grenzen zu bilden. Sie werden zu durchlässig und schwammig. Aus den unklaren, konfluenten Grenzen entsteht die Grundlage für Unterstellungen, die sich als Gefühls- und Gedankenlesen ausgeben: So wie meine Grenzen überschritten wurden, überschreite ich sie jetzt. Die eigene Sphäre dehnt sich nach Belieben aus, weil sie von der Sphäre des anderen nicht unterschieden ist. Deshalb weiß ich besser als du selber, was in dir abläuft.

Alle Unterstellungen, die mit Projektionen arbeiten, stammen also aus erlittenen Grenzverletzungen. Häufig geschieht dies durch Fehlinterpretationen der eigenen Bedürfnisse: Eltern „lesen“ die Bedürfnisse ihrer Kinder falsch und geben ihnen, was sie nicht brauchen, während sie ihnen das vorenthalten, was sie bräuchten. Kinder leiten aus solchen Erfahrungen ab, dass sie selber falsche Bedürfnisse haben und dass sie die Unterstellungen ihrer Eltern zu den richtigen Bedürfnissen führt. Sie verlernen dabei, ihrem eigenen inneren Sinn zu vertrauen und können deshalb auch dem inneren Sinn von anderen nicht vertrauen. Sie lernen, stellvertretend zu fühlen, statt sich selber. Denn sie müssen auch lernen, die Eltern zu manipulieren, um zumindest einige der Eigeninteressen durchbringen zu können.

Die Beschämung, die mit dem Prozess der Uminterpretation der eigenen Bedürfnisse einhergeht, wird dann später anderen durch den Vorgang der Unterstellung zugefügt. Da die eigenen Grenzen nicht geachtet wurden, gelingt es später nicht, die Grenzen anderer zu achten. Es besteht kein klares Gefühl dafür, was ein respektvoller Umgang mit Grenzen sein könnte. Im Ernstfall, wenn es zu kommunikativen Spannungen kommt, wird das Grenzüberschreiten mittels Unterstellungen zur Waffe. Ich dringe in die Innenwelt des anderen ein, so wie in meinen Innenraum eingedrungen wurde. So, wie andere besser wussten als ich selber, was in mir ist , weiß ich jetzt besser, was in anderen ist, als sie selber.

Wie können wir mit Unterstellungen umgehen?

Zunächst sollten wir in uns selber überprüfen, ob die Aussage, die die Person über uns trifft, zutrifft oder nicht. Ist uns klar, dass wir nicht fühlen, denken oder beabsichtigen, was uns angedichtet wird, sollten wir uns klar und unmissverständlich dagegen abgrenzen: „Ich sehe – erlebe – fühle es so und nicht so. Ich habe diese Absichten und nicht jene.“ Wir sind die Experten für unsere eigene Innenwelt, wir wissen, was da stimmt und was nicht. Wir verfügen über die Fakten, die andere Person hat nur ihre Fantasie.

Jedenfalls sollten wir alles, was uns als Unterstellung erscheint, nicht einfach übergehen. Denn das könnte die unterstellende Person in ihren Meinungen über uns befestigen und unseren Ruf und unser Ansehen schädigen. Es ist wichtig, auf die Klärung der Faktizität und Authentizität zu dringen, um uns selbst und den Kommunikationsraum frei zu halten von Projektionen und manipulativer Machtausübung. Wir dürfen uns auf keinen Fall die Oberhoheit über unseren Innenraum streitig machen lassen und sollten alles, was da hinein interpretiert wird, ruhig und entschieden zurückweisen. Wir sind für unseren Grenzschutz zuständig und

Ein freundlich und unterstützend gemeintes Feedback stellt ein anderes Kaliber dar als offen oder versteckt aggressive Unterstellungen mit Vorwurfsgehalt und Änderungsappellen. Es ist die Absicht, die den Unterschied macht. Und wir sollten uns immer vergewissern, welche Absicht die andere Person hat, indem wir rückfragen. Denn aus unserem eigenen Spüren heraus wissen wir nur, was in uns selber los ist; für das Außen brauchen wir andere zusätzliche Quellen, um zur Gewissheit zu gelangen.

Zum Weiterlesen:
Psychologisieren - eine moderne Untugend

Grenzen und Durchlässigkeit

Krieg und Propaganda

Wenn Fiktion zum Faktum wird

Samstag, 19. März 2022

Krieg und Propaganda

Kriegszeiten sind Zeiten der Verunsicherung auf der individuellen und auf der kollektiven Ebene. Kriege produzieren vor allem Zerstörung, von Leben und Gütern. Kriege führen zur politischen Instabilität und belasten die Wirtschaft, weil Güter hergestellt werden, die Zerstörung anrichten und dann selbst zerstört werden. Kriegszeiten sind auch Zeiten der Verunsicherung, was Information und Wahrheit anbetrifft. Wenn das eigene Leben in Frage gestellt wird, wird auch das Vertrauen in die Mitmenschen erschüttert und es wird schwerer abzuschätzen, wer zuverlässig informiert und wer nur manipulieren will oder sonst Böses im Schilde führt.

Krieg und Propaganda

Spätestens seit der Neuzeit besteht ein Teil der Kriegsführung in Propaganda, also in Wahrheitsverwirrung und –verzerrung zum eigenen Vorteil. Dieser Teil wird immer wichtiger und mächtiger und damit die Auswirkungen immer zerstörerischer. Die Desinformation, die Kriege begleitet, dient verschiedenen Zwecken: Sie soll die Moral der eigenen Seite stärken und die des Gegners schwächen. Sie soll die eigenen Ziele als ehrenwert und moralisch gerechtfertigt herausstreichen und die Ziele des Gegners als verachtenswert und destruktiv brandmarken. Sie soll die eigene Kriegsführung als integer darstellen und die des Gegners als inhuman und grausam anprangern. Sie soll die eigenen Schwachstellen verschleiern und die des Gegners betonen. Sie dient also nicht der Wahrheitsfindung, sondern soll die Erreichung der Kriegsziele fördern. Sie soll nicht nur die feindliche Seite desorientieren, sondern auch die eigene Bevölkerung täuschen und verdummen. Kriegspropaganda dient dem Schüren von Hass auf den Gegner und der Glorifizierung der eigenen Nation.

Da Informationen heute weltweit vernetzt sind und überall gleichermaßen zugänglich sind, steht die Kriegspropaganda vor der paradoxen Situation, dass die eigenen Narrative neben denen des Gegners aufscheinen und keine Exklusivität mehr zuwege bringen, außer es gelingt einem Staat, die weltweite Vernetzung im eigenen Land durch zensurmaßnahmen unter Kontrolle zu bringen. 

Kriegspropaganda im 20. Jahrhundert

Früher, als die Informationskreise stärker voneinander abgeschottet waren – kaum jemand las im 1. Weltkrieg Zeitungen aus den gegnerischen Ländern oder aus neutralen Staaten, und die Zeitungen im eigenen Land konnten recht einfach zensuriert werden –, war es leichter, die eigene Bevölkerung einheitlich zu desinformieren und die Einstellungen zu prägen. Es konnte also ein kollektiv gültiges Narrativ erzeugt werden, das z.B. gerade am Ende des 1. Weltkrieges dazu führte, dass viele Leute in den unterlegenen Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn nicht verstehen konnten, warum der Krieg verloren war, wo doch die Nachrichten über Siege bis zuletzt verbreitet wurden. Die fehlenden Informationen über die eklatanten Schwächen und erschöpften Ressourcen der Militärs dieser Länder führten dort zum verbreiteten Unverständnis für die Kriegsfolgen, die als ungerechtfertigt und demütigend empfunden wurden. Daraus entwickelten sich neue Narrative wie z.B. die Dolchstoßlegende, die die Niederlage auf Saboteure im eigenen Land zurückführte und die dann vor allem zur Feindschaft gegen die Linke und gegen die Juden verwendet wurde. Insgesamt entstand das Gefühl, dass die zugefügte Niederlage und die darauf folgende Demütigung durch die Friedensverträge gerächt werden mussten. Dieses Motiv wurde dann von den Nationalsozialisten aufgegriffen und stellte eine Hauptursache für die Entfesselung des 2. Weltkriegs dar. Er ist also die Frucht von Desinformation und manipulativer Kriegspropaganda.

Die Nationalsozialisten waren es, die die Bedeutung der Propaganda zur Verschleierung der eigenen Ziele und zur Indoktrination der Bevölkerung erkannten und einen eigenen Propagandaminister installierten, Joseph Goebbels, der einer der treuesten Wegbegleiter Adolf Hitlers bis in die letzten Stunden war. Dem Volk wurden Volksempfänger angeboten, die nur die Frequenz des Deutschlandsenders empfangen konnten, und das Hören von „Feindsendern“ war streng verboten und wurde mit der Einlieferung in KZs bestraft. Die anderen Medien waren „gleichgestaltet“, durften also nur regierungsgetreue Nachrichten weitergeben. 

Dadurch konnten viele Gräueltaten der Kriegsführung und des NS-Terrors gegen Randgruppen, Minderheiten und Juden vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Die Kriegsberichterstattung war von Jubelmeldungen geprägt, Niederlagen kamen nicht vor. Allerdings wurde im Lauf des Krieges durch die Bombardierung des ganzen Landes deutlich, dass das Regime nicht in der Lage war, die eigene Bevölkerung zu schützen, trotz aller Siege und Frontbegradigungen und anderer aufgebauschter Meldungen, von denen die Medien voll waren. Langsam wurde deutlich, dass die feindlichen Truppen näher rückten, und die aufgebauten Illusionen zerbröckelten immer mehr. Die bedingungslose Kapitulation 1945 war nur eine logische Folge der katastrophalen Niederlage, die diesmal kaum jemanden überraschte, aber nur wenige mit Freude erfüllte.

Die folgende Ernüchterung und das Erwachen aus einer eingetrichterten Verblendung führte zunächst bei den meisten nicht zu einem Streben nach der Wahrheit, danach also, zu wissen, was wirklich abgelaufen ist und dazu, sich mit den Verbrechen, die im Namen des Volkes begangen wurden, auseinanderzusetzen. Vielmehr bestand der allgemeine Trend darin, das Geschehene möglichst schnell zu vergessen und in eine bessere Zukunft zu schauen. Die Last der kollektiven Traumen, die das NS-Regime und der Krieg hinterlassen hatten, wurde damit den nachfolgenden Generationen überlassen. Die Mittäter und Mitläufer wurden still und heimlich eingegliedert, und über die Schandtaten wurde ein Mantel des Schweigens gebreitet. Die Politik wurde den Eliten überlassen, nach dem Motto: Politisch Lied ist garstig Lied. Die Geschichtslehrer trachteten danach, genug Unterrichtszeit auf die Griechen, Römer und mittelalterlichen Helden zu verwenden, damit sie die desaströsen Kriege des 20. Jahrhunderts nicht behandeln mussten.

Erst langsam verbreiterte sich das Bedürfnis, mit den Schrecknissen und Grauslichkeiten der Vergangenheit ins Klare und Reine zu kommen. Die historische Aufklärung erlangte mit einer Generation mehr Breitenwirkung, die im ansteigenden Wohlstand groß geworden war, aber an der emotionalen Leere litt, die die Weltkriege in den Seelen der Kriegsteilnehmer hinterlassen hatten. Es richtete sich die Wut auf die Institutionen des Staates, dem die Verdrängung angelastet wurde. Die Protestbewegungen aus der Jugend der 60er Jahre führte zu gesellschaftlichen Reformen und zur Entstehung einer kritischen Zivilgesellschaft, die sich Informationen aus alternativen Quellen beschaffen konnte und dann gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch das Internet enorm wachsen konnte. Parallel dazu kamen die Wunden und Schwären der Vergangenheit immer an die Öffentlichkeit, wie z.B. die amerikanische Fernsehsendung „Holocaust“, die Anfang der achtziger Jahre ein Gefühl für das Ausmaß der nationalsozialistischen Judenvernichtung in die Haushalte brachte. 

Unmerklich vollzog sich in diesen Prozessen eine Auseinandersetzung mit der Scham über die Unmenschlichkeiten in der eigenen Vergangenheit und Geschichte, die da und dort in Konflikten ausbrach, wie z.B. in der Waldheim-Affäre oder um die Ausstellungen zu den Verbrechen der Wehrmacht. Als Sammelbewegungen zur Schamverdrängung boten sich rechtsgerichtete Parteien an, die in Österreich ab den 80er Jahren und in Deutschland nach 2000 zu Klein- und Mittelparteien anwuchsen und in Österreich sogar zweimal in die Regierung gelangten.

Aufklärung und Gegenaufklärung

Die Geschichte der Information verläuft, wie an diesen Beispielen sichtbar wird, ambivalent. Jeder Schritt zur Aufklärung erzeugt Gegenaufklärung. Wir kennen diesen Prozess aus inneren Abläufen, wie sie z.B. bei der therapeutischen Aufarbeitung von Traumatisierungen erfolgen: Widerstände werden überwunden und Verdrängtes wird bewusst, worauf sich wieder Widerstände bilden, die die erreichten Fortschritte rückgängig machen wollen. 

Auf gesellschaftlicher Ebene formieren sich Gegenkräfte, wann immer unangenehme Wahrheiten aus der Geschichte an die Oberfläche kommen. Die Gegenkräfte nutzen die Desinformation, weil sie Wahrheiten bekämpfen müssen, denen sie durch das Erzeugen von Verwirrung die Grundlage entziehen wollen. Wie die biographische Wahrheit, die sich z.B. bei der Aufdeckung einer Missbrauchserfahrung zeigt, vor der Entdeckung geschützt werden muss, weil in ihr heftige und belastende Gefühle enthalten sind, soll auch die historische Wahrheit im Dunklen oder zumindest im Zwielicht verbleiben. Denn sie kränkt das nationale Selbstgefühl, beschmutzt das eigene Nest und besudelt die Heimat, die eigenen Wurzeln. Also werden die Informationen, die auftauchen, geleugnet (Holocaust-Leugner), verkleinert (die Opferzahlen der Shoa werden minimiert) oder in die ferne Vergangenheit abgeschoben („Es muss endlich Schluss sein mit dem ewigen Wühlen in der Vergangenheit!“).

Gibt es unabhängige Medien?

Jedes publizistische Medium braucht Geldgeber und Finanziers. Rein durch Verkauf und Abonnenten kann keine Zeitung qualitätsvolle Ergebnisse liefern. Insoferne ist der Wunsch oder die Forderung nach unabhängigen Medien illusorisch. Es macht aber einen wichtigen Unterschied, ob ein Medium den Anspruch vertritt, faktengetreu zu informieren oder nicht, und ob es sich nach diesem Maßstab messen lässt. Die Affäre um die gefälschten Tagebücher von Adolf Hitler, die der Stern 1983 veröffentlichte, war der Zeitschrift nach dem Auffliegen der Fälschung äußerst peinlich. Es können Fehler bei der Informationsbeschaffung passieren, aber sie werden auch eingestanden und korrigiert, wenn das Medium auf seinen Ruf wert legt. 

Medien wollen primär nicht manipulieren (außer es handelt sich um Medien, die direkt von politischen Parteien oder Gruppierungen betrieben werden), sondern Gewinn machen. Die einen machen Gewinn dadurch, dass sie es mit der Objektivität und Wahrheitstreue nicht so genau nehmen und lieber reißerisch harmlose Ereignisse aufbauschen, um mehr Leser anzulocken, die anderen dadurch, dass sie möglichst objektive Information versprechen und sich für journalistische Sorgfalt einsetzen. Es gibt also noch immer Zeitungen und andere Medienkanäle, die sich zum Titel „angesehen“ bekennen und Qualitätsjournalismus bieten, um dem Ruf gerecht zu werden und zu bleiben. Sie richten sich an Menschen, die an möglichst realitätsnahen Fakten interessiert sind und Informationen und Meinungen klar unterscheiden wollen, die unterschiedliche Sichtweisen erwägen und das Für und Wider zu gesellschaftlichen Fragen erörtern wollen. Es sind Medien, die Leserforen mit einem breiten Meinungsspektrum pflegen und im Austausch mit verschiedenen Informationsquellen, gesellschaftlichen Gruppen und Trends stehen. Es gibt genügend Menschen in der Zivilgesellschaft, die an solchen Informationsquellen interessiert sind, dass sie am Markt bestehen können, ohne in dieser Ausrichtung in Abhängigkeit von Geldgebern und ihren Interessen zu geraten.

Werden wir durch Medien manipuliert?

Die Manipulation durch die Medien gibt es nur dort, wo die mediale Landschaft gleichgeschaltet ist. Es ist dort zwar einfach, sich vor Manipulation zu schützen, indem man völlig auf Medienkonsum verzichtet. Andererseits fehlt die Möglichkeit, zu verlässlichen Informationen zu kommen, sodass der Zugang zu wichtigen Bereichen der Realität verloren geht. Deshalb erleben viele Menschen solche Systeme als Freiheitseinschränkung und wollen ihnen entrinnen.

Wo verschiedene Informationsquellen zugänglich sind, werden nur jene Personen manipuliert, die sich nicht die Mühe machen, die angebotenen Informationen zu sichten, indem Fakten und Meinungen unterschiedenen werden und die Quellen kritisch geprüft werden. Wer sich nicht manipulieren lassen will, prüft die Ursprünge und das Zustandekommen der Informationen, sodass der Spreu vom Weizen gesondert wird. Es ist keine einfache Aufgabe, weil die Informationslandschaft riesige Ausmaße angenommen hat und mit unheimlicher Geschwindigkeit weiter wächst. 

Wem vertrauen?

Zur unübersehbaren Menge an Information kommt die überwältigende Zahl an konkurrierenden Quellen und Anbietern. Informationen widersprechen sich häufig; wem kann man vertrauen? Wir haben die Naivität verloren, mit der frühere Generationen für bare Münze genommen haben, was das Radio oder das Fernsehen gezeigt haben oder was „schwarz auf weiß“ in einer Zeitung gestanden ist. Heute wissen wir, dass Informationsangebote von Interessen geleitet sind und vielfach manipulative Zwecke verfolgen. Ohne die Mühen des Sichtens und kritischen Überprüfen geht es nicht, den Fallen, die überall in der Medienwelt aufgestellt sind, zu entgehen. Informationsprüfung ist also Arbeit, Fiktion von Faktizität zu unterscheiden aber unerlässlich, um mit der modernen Lebenswelt zurechtkommen zu können und Orientierung zu gewinnen.

Die Mühen der Prüfung

Wenn wir uns dieser Mühe nicht unterziehen, tendieren wir dazu, nur meinungskonforme Informationskanäle zu nutzen und damit in unserer Blase zu bleiben. Bekanntlich sind virtuelle Plattformen darauf programmiert, uns mit Informationen zu füttern, die unsere Vorurteile, Werthaltungen und ideologischen Präferenzen verstärken. Bequemer ist es, beim eingeübten Denken in Schablonen zu bleiben, als alte Gewohnheiten abzulegen und neue Kontexte zu bilden. Die informationskritische Einstellung erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Anstrengung und Veränderungsbereitschaft. Statt uns passiv von Medien berieseln zu lassen, bleiben wir in kritischer Distanz und in einer offenen Haltung, die auch bereit ist, sich mit alternativen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Wir dehnen unseren Horizont, statt ihn einzuengen oder in der gewohnten Beengung zu belassen. 

Vertrauen verdienen jene Medien, in denen Fakteninformation von Meinungskundgabe unterschieden wird, bei denen die Quellen der Fakten einsichtig sind, in denen unterschiedliche Standpunkte diskutiert werden und die zu Selbstreflexion bereit sind, die also Fehlinformationen zugeben und korrigieren. Misstrauen verdienen jene Medien, in denen nur eine Sichtweise verbreitet wird, die zudem auf keiner verlässlichen Faktenbasis beruht, bei denen andere Ansichten nicht einmal in Foren oder Leserbriefen vorkommen und die keine Bereitschaft zur Selbstreflexion erkennen lassen. 

„Mainstream“ als Abwertung

Medienskeptiker, die die sich mit ihrer Meinung in einer Minderheitsposition wahrnehmen, verwenden gerne den Begriff der Mainstream-Medien in einem abwertenden Sinn. Sie gelten quasi als die Multis im Mediengeschäft, die entweder von Wirtschafts- oder Politikinteressen gelenkt sind und deshalb keine Glaubwürdigkeit haben. Medien mit weniger Verbreitung, Nischensender usw. verdienten dagegen mehr Vertrauen, nach der Logik: Wer am Markt schwächer ist, hat weniger Macht, wer weniger Macht hat, kann nicht manipulieren, wer nicht manipuliert, sagt die Wahrheit – so die Kurz-Schlussfolgerung.

Ob ein Medium einem „Mainstream“ angehört, ist weder ein Kriterium für Verlässlichkeit und Wahrheitstreue noch dagegen. Misstrauen verdienen allerdings jene Publizisten oder Publikationen, die für sich die Wahrheit reklamieren, bloß weil sie von der des „Mainstreams“ abweicht. 

So gilt es auch für die Medienlandschaft: Publizisten, die in einem Randmedium arbeiten, wollen mit abwegigen Ansichten Aufmerksamkeit erringen und nutzen dafür die Außenseiterrolle als Vorteil, oft ohne sich um den Realitätsbezug ihrer Aussagen zu kümmern. Gegen die Medien, die von den Mehrheiten konsumiert werden, wird Misstrauen gesät, weil diese mächtiger wären und deshalb von vornherein schon korrumpiert und manipulativ sind. Überdeckt werden dabei die eigene Manipulationsabsicht und die Interessen, die damit vertreten werden. Denn nicht selten stecken hinter Minderheitenpositionen, wie z.B. hinter jener der Impfgegner, potente Geldgeber mit wirtschaftlichen Interessen. Bei der Kriegsberichtserstattung liegt es auf der Hand, dass abwegige Theorien einer Kriegsseite nutzen sollen. So wird z.B. die Meinung vertreten, dass die russische Armee nicht in der Ukraine einmarschiert ist, sondern ein Krieg der Ukrainer untereinander tobt, womit klarerweise die russische Aggression verharmlost wird – Wasser auf die Mühlen der Aggressoren.

Eine Verschärfung des Mainstream-Vorwurfes stellt die Rede von der „Lügenpresse“ dar. Dieser aggressive Ausdruck gilt wird im Meinungskampf als politischer Kampfbegriff eingesetzt und wird gerne von jenen verwendet, die selber Lügen oder Halbwahrheiten verbreiten oder Fantasien mit Realität verwechseln und dabei nicht aufgedeckt werden wollen. Wer andere der Lüge bezichtigt, vermeint selber über die Wahrheit zu verfügen, aber will keine Presse, die den eigenen Standpunkt in Frage stellen und Ungereimtheiten aufzeigen könnte. 

Zum Weiterlesen:
Manipulation erkennen und entzaubern
Astroturfing - Manipulation vom Feinsten
Wird die Demokratie von Manipulatoren gekidnappt?
Kollektiven Traumen hinter dem Angriff auf die Ukraine


Dienstag, 17. November 2015

Braucht es einen Krieg? Wer braucht einen Krieg?

Hieronymus Bosch, Garten der Lüste
In diesen Tagen nehmen Politiker immer wieder das Wort Krieg in den Mund. Sie wollen damit die Entschlossenheit zum Ausdruck bringen, alle Kräfte und Mittel zu konzentrieren, um das zu vernichten, was den Menschen Angst macht und sie bedroht.

Abgesehen von der Frage, ob und in welchem Sinn Krieg geführt werden kann gegen einen Gegner, der unbekannt ist (“Wir erklären Unbekannt den Krieg”), ist es besorgniserregend, mit welcher Leichtfertigkeit ein schwerer und beladener Begriff ausgesprochen wird. Denn damit wird ein Zustand proklamiert, der die Unmenschlichkeit zur Norm erhebt.

Seit dem 2. Golfkrieg 1991 hat das Kriegführen und seine Darstellung eine neue Dimension erhalten, mit bemerkenswerten Parallelen zu Computerspielen, die um die gleiche Zeit die Leidenschaften der Spieler erobert haben. Eine quasi chirurgische Form der Kriegsführung wurde vorgespiegelt, sauber und klinisch wird das Böse aus dem Guten ausgesondert und vernichtet. Ähnlich versucht heutzutage die russische Propaganda der eigenen Öffentlichkeit das Eingreifen in Syrien schmackhaft zu machen: Als Geschicklichkeitsübungen von Bomberpiloten, die wie beim Videospielen das Knöpfendrücken beherrschen und Rauchwolken in der Wirklichkeit erzeugen, die von hoch oben beobachtet nur zerstörte Objekte und keine getöteten Menschen zeigen.

Krieg ist immer mehr, als uns die Propaganda vorgaukeln will. Krieg bedeutet das Außerkraftsetzen der Ordnungsgefüge, die das Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaft im Normalzustand ermöglichen. Krieg ist der maximale Stresszustand, wie er in einem Individuum wirksam sein kann, übertragen auf die gesamte Gesellschaft. Damit werden praktisch alle Individuen in einen Notzustand versetzt, der ihr normales Funktionieren unterbinden soll. Damit Menschen Menschen umbringen können, müssen sie in einen Ausnahmezustand versetzt werden, in dem nicht, wie manchmal behauptet, ihre "tierische" Natur freigesetzt wird, sondern in dem sie ihr Überlebensprogramm allen anderen Zusammenhängen überordnen. Das heißt, man muss sie maximal in Angst versetzen, und dann, nach dem Motto: "Alles auf mein Kommando, vorwärts Marsch!" kann dann in den Krieg marschiert werden.

Das Überlebensprogramm kennt keine Rücksichtnahme, kein Mitgefühl, keine zwischenmenschliche Verbindung. Es hat keine Weitsicht und keine Zukunftsperspektive. Es will nur eines: im Moment überleben und zu dem Zweck alles vernichten, was die eigene Existenz bedroht oder bedrohen könnte. Es reagiert schnell und ohne Nachdenken, wie ein lebloser Apparat. (Vermutlich haben sich die Menschen, als sie die ersten Maschinen erfunden haben, den inneren Kriegszustand als Vorbild genommen).

Jeder Krieg zieht eine Schneise der Dehumanisierung durch die betroffene Gesellschaft und durch deren Mitglieder. Manche überleben den Krieg ohne körperlichen Schaden, keiner kann ihn ohne seelischen Schaden und innere Verkrüppelung überstehen. Manche verbluten, andere tragen die Blutspur im Herzen und in der Seele.

Alleine schon das Einschwören auf den inneren Notzustand mobilisiert alle alten Traumatisierungen, zu denen unweigerlich neue dazu treten, die neben ihrer Eigenwirkung zusätzlich die alten Verwundungen vertiefen und verfestigen. Erst recht, wenn zur Einstellung Taten kommen, Gewaltaktionen, die aktiv oder passiv erfahren werden, zerbricht das innere Gerüst. Nach jedem starken Schock braucht es Stunden, dass sich unser Nervensystem erholen kann. Krieg bedeutet eine Abfolge von Schocks, wie manche syrische Flüchtlinge berichten: Jede Nacht Granateneinschläge, Schock auf Schock, und keine Zeit zur Erholung.

Deshalb ist es für die Gemeinschaft und die Individuen langwierig und mühsam, nach dem offiziellen Ende eines Krieges wieder zu einem Normalzustand zurückzufinden. Wenn diese Traumatisierungen nicht innerlich aufgearbeitet werden, gehen sie auf die nachfolgenden Generationen über und belasten diese. Wir, die Kinder der Nach-Zweiter-Weltkriegszeit tragen an den Verwüstungen dieses Krieges. Wir haben aber auch die Chance, die Kette zu unterbrechen, indem wir uns den seelischen Trümmern (Bettina Alberti) stellen und sie aufräumen.

Dann haben wir die Entschlossenheit und Kraft, gegen jede Form von Gewalt aufzutreten und für den Frieden einzutreten. Gewalt liegt in der Wahl der Worte, deshalb müssen wir auch benennen, wenn Worte missbraucht werden, um Ängste zu kanalisieren. Auch wenn manche Herausgeber auf ihre Titelseite „3. WELTKRIEG“ (Deutsches Handelsblatt vom 16.11.) kleschen, müssen wir nicht mitheulen. Wir müssen uns nicht ängstigen, auch wenn Medien und Politiker Ängste schüren wollen, sondern können unseren Mut aufbieten, um gegen jede Form der Kriegspropaganda aufzutreten.

Wir, die Zivilgesellschaft und die politische Verwaltung, haben die Pflicht und die Aufgabe, uns und unsere Mitmenschen vor Verbrechen jeder Art zu schützen. Doch dazu braucht es keinen Krieg. Vor 14 Jahren haben die USA versucht, das Terrorismusproblem mit einem Krieg gegen Afghanistan zu lösen – das Land ist seither im Krieg und destabilisiert; das gleiche haben sie vor 12 Jahren im Irak begonnen, mit ähnlich nachhaltig desaströsen Ergebnissen. Deshalb haben wir, die Zivilgesellschaft und die politische Verwaltung, auch die Pflicht, die Welt vor unverantwortlich ausgerufenen Kriegen zu schützen.

"Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen. Beide sind gleichermaßen unmoralisch." (Peter Ustinov)


Zum Weiterlesen:
Der Terrorismus und unser Kopf