Der Terrorismus ist, im Gesamten betrachtet, eine sporadische Randerscheinung. Dennoch nimmt er in unseren Köpfen einen beträchtlichen Raum ein, in dem Bilder von zusammenbrechenden Türmen, vermummte Gestalten, Blut und Waffen gespeichert sind. Alle diese Bilder lösen Ängste aus und erzeugen Gefühle von Unsicherheit und Schutzbedürftigkeit, aber auch von Hilflosigkeit, weil wir denken, dass es uns jederzeit selber treffen könnte und wir nichts tun könnten, wenn neben uns eine Bombe explodierte. Wir reagieren auf Bilder des Schreckens mit unserem Angstzentrum, gegen das der rationale Verstand eine schwache Rolle einnehmen kann. Unser Angstzentrum ist so eingerichtet, dass es solche Bilder besonders dauerhaft abspeichert, ohne zu wissen, dass sie direkt mit unserem Leben gar nichts zu tun haben.
Terrorakte sind Zeichen von Hilflosigkeit
Terroristische Aktionen sind militärisch betrachtet schwache Maßnahmen. Sie üben eine schwache zerstörerische Wirkung aus. Selbst die 9/11-Angriffe, mit 3000 Todesopfern die größten im Westen verübten, haben auf das Funktionieren des US-Staates in der Wirtschaft und in der Verteidigung kaum einen störenden Einfluss ausgeübt, nicht vergleichbar mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941. Terrorakte sind keine Kriegshandlungen, sie zielen auch gar nicht darauf ab, den Gegner zu besiegen, sondern sie wollen ihn im Inneren destabilisieren.
Terrorakte setzen militante Gruppen, die sonst keine anderen Möglichkeiten haben, um ihre Ziele zu erreichen. Sie sind für die Angreifer äußerst riskant, und sie müssen deshalb ideologisch hoch motiviert sein. Terrorgruppen reagieren aus einer Situation der totalen Unterlegenheit gegenüber Militär und Polizei. Ihre Attacken wirken wie Verzweiflungsaktionen, als gäbe es keine andere Chance, auf aus eigener Sicht unhaltbare Zustände aufmerksam zu machen.
Der autoritäre Überwachungsstaat als Frucht des Terrorismus
Wirklich verändert hat die Welt noch kein einziger Terrorüberfall an sich. Nur die indirekten Folgen waren gravierend. Was sich verändert hat, ist die Rigorosität der Maßnahmen, die die Regierungen ergreifen, um den Terror möglichst weitgehend auszuschalten. Vor allem die gekränkten US-Amerikaner haben zwei relative erfolglose Kriege angezettelt, um den Terrorismus an der Wurzel auszurotten. Seither gilt der Terrorismus als Kriegsgrund, so als wäre er ins Völkerrecht aufgenommen worden. Fühlt sich ein Staat durch Terrorismus bedroht, kann er einen Krieg anzetteln; diese Norm hat die größte Supermacht der Welt gesetzt. Viele kleinere Machthaber haben die Idee aufgegriffen, und der „Kampf gegen den Terrorismus“ wird als Mäntelchen über die Unterdrückung von Minderheiten gebreitet. Die Diktatoren haben schnell gelernt, dass sie jeden, der gegen sie ist, als Terroristen bezeichnen können, und damit sind alle Mittel erlaubt.
An vieles haben wir uns schon gewohnt und haben vergessen, dass es Zeiten gegeben hat, wo wir uns nicht Kontrollen und Leibesvisitation aussetzen mussten, um in ein Flugzeug steigen zu können. Oft hat man den Eindruck, die Politiker und Beamten nehmen den Terror zum Anlass, um ihre Überwachungsvorstellungen samt Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte widerspruchslos durchsetzen zu können. Der gläserne Bürger und Videokameras an allen Ecken und Enden ist damit die hauptsächliche reale Auswirkung des Terrorismus. Bald wird uns auch die Dauerüberwachung nicht mehr stören, weil wir ja annehmen, dass sie zu unserem Besten ist. Wir werden uns auch daran gewöhnen, dass Menschen schon auf Verdacht hin verhaftet werden, und in nicht allzu langer Zeit wird ein Algorithmus ausrechnen, wer mit welcher Wahrscheinlichkeit einen Terrorakt begehen könnte und deshalb vorsorglich eingesperrt werden muss.
Der Terror im Kopf
Terrorakte wirken also psychologisch und wollen auch psychologisch wirken, auf die eigenen Anhänger und auf die Gegner. Die Anhänger sollen motiviert werden, selber Anschläge zu verüben und die Gegner, die meist nicht Staaten sind, sondern „Kulturen“, „Gesellschaften“ oder Religionen, sollen verunsichert werden und das Gefühl bekommen, dass sie von ihrem Staat nicht geschützt werden können.
Diese destablisierende und demoralisierende Wirkung wird von den Medien noch zusätzlich gestärkt, die sich damit an die Seite der Angreifer stellen. Terrorakte haben den Charakter von Sensationen, sie liefern meist eindrucksvolle Bilder und sorgen für spannende Momente in den Nachrichtensendungen. Kriege, die wesentlich mehr Menschenopfer und materielle Zerstörungen anrichten, kommen meist nur am Rand vor, weil ein permanentes Sterben in einer der von Krieg überzogenen Regionen keinen Neuigkeitswert mehr hat als wenn irgendwo, von wo wir sonst nichts hören, eine Bombe hochgeht oder ein Attentäter mit einem Fahrzeug in die Menge fährt.
Der Terror wird also in den Angstzentren in unseren Köpfen am Leben gehalten und steigert den Angstpegel, unter dem wir durch unser gestresstes Leben ohnehin schon leiden. Wir wissen vielleicht, dass wir in den sichersten Ländern der Welt leben, fühlen uns aber mit jeder Meldung von Terrorüberfällen in unserer Unsicherheit und Hilflosigkeit bestätigt. Damit geschieht genau das, was die Terroristen erreichen wollen.
Es würde genügen, mit den Opfern und ihren Angehörigen Mitgefühl zu empfinden und die eigenen Ängste mit der Realität zu konfrontieren, um sie zu beruhigen. Wir sind nicht verpflichtet, den Terrorismus in unseren Köpfen zu füttern und zu pflegen. Wir wissen um unsere Endlichkeit und können nicht ausschließen, dass unser Ende durch einen Terrorakt eintritt; es ist aber eine der unwahrscheinlichsten Möglichkeiten.
Zum Weiterlesen:
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