Samstag, 17. September 2022

Es ist, was es ist.

Das berühmte Gedicht von Erich Fried enthält als Refrain den Satz „Es ist, was es ist“ als Stimme der Liebe gegenüber allen Zweifeln und Infragestellungen. 

Eigentlich ist es ein nichtssagender oder tautologischer Satz, auf den die Wienerische Antwort kommen könnte: „No-na-ned“. Wir verwenden ihn aber ausdrücklich oder innerlich, wenn wir mit der Wirklichkeit wieder ins Einvernehmen kommen, nachdem wir uns mit ihr „zerstritten“ haben. Es klingt zwar etwas eigenartig, wenn wir von einem Streit zwischen dem Selbst und der Wirklichkeit reden, so als wäre die Wirklichkeit ein Kommunikationspartner, mit dem wir in eine Meinungsverschiedenheit geraten können. Die Wirklichkeit ist doch einfach da und streitet nicht mit uns. 

Tatsächlich sind es vermeintliche Streitereien, in die wir uns verwickeln, wenn wir Teile der Wirklichkeit, die in unsere Erfahrungswelt geraten, ablehnen und versuchen, ihnen das Daseinsrecht zu verweigern. Wir hadern und schimpfen, weil wir gerade eine Erfahrung machen, die uns nicht in unseren Kram, sprich zu unseren Erwartungen und Wünschen passt. Wir empören uns über diese Eigenwilligkeit, die sich unserem Willen entgegenstellt.

Uneins mit uns selbst

Es ist also, genauer betrachtet, unsere Erfahrung der Wirklichkeit, mit der wir uneins sind, und nicht die Wirklichkeit selbst. Aber wir verwechseln gerne unsere Erfahrung mit der Wirklichkeit an sich, weil wir uns damit entlasten können: Es ist ein Trick, mit dem wir uns aus der Verantwortung stehlen wollen. Wir wollen nicht schuld sein an etwas Unangenehmem, Störendem, Schädlichem, was gerade passiert ist. Wir schieben also die Verantwortung der Wirklichkeit oder einem ihrer Elemente zu: Die Bosheit eines Mitmenschen hat mich aus der Fassung gebracht. Die Unberechenbarkeit des Wetters hat mir den Ausflug vermiest. Die höheren Kräfte sind gegen mich, weil ich so wenig Erfolg habe. Das heimtückische Virus hat mich befallen und mich meiner Kräfte beraubt, usw.

Es ist ein Manöver, mit dem wir uns vor der Verantwortung, die wir für unsere Erfahrungen und für deren Bewertung haben, drücken wollen. Wohlgemerkt: Wir haben nicht die Verantwortung für die Wirklichkeit und für das, was in ihr geschieht, ausgenommen unser Handeln und seine Folgen. Wir haben auch die Zuständigkeit für unser Erleben und wie wir damit umgehen. Alles andere unterliegt nicht unserem Einfluss und unserer Macht.

Es ist also nur ein winziger Teil der Wirklichkeit, für den wir die Verantwortung zu tragen haben. Und dazu gehören unsere Erfahrungen und die Bewertungen, die wir ihr umhängen. Wir beklagen uns z.B. über den vielen Stress, dem wir ausgesetzt sind, und vergessen dabei, dass wir es sind, die den Stress erzeugen, indem wir unserem Nervensystem erlauben, die Alarmreaktion in Gang zu setzen. Die Entscheidung, ob wir uns gestresst fühlen oder nicht, liegt in uns selber, nicht bei den Ereignissen um uns herum. Stress entsteht zwar ohne unser bewusstes und gewolltes Zutun in unserem Organismus, aber der Automatismus, der in uns abläuft, gehört zu unserem Verantwortungsbereich, und wir können steuern eingreifen, sobald uns der Stress bewusst ist.

Die Schädigung des Selbstgefühls

Obwohl wir uns von der Verantwortung abkoppeln wollen und uns als unschuldig an unseren Problemen und Missstimmungen darstellen wollen, fügen wir unserem Selbstgefühl auf doppelter Weise einen Schaden zu. Zum einen verweigern wir die Verantwortung für die Erfahrung, die wir erlebt haben. Dadurch schwächen wir unser Selbstgefühl. Wir bringen uns in eine Opferrolle. Zum anderen sind wir durch die Art und Weise verstört, wie wir die Erfahrung bewerten, die wir gerade haben, indem wir sie ablehnen und damit mit der Wirklichkeit in Konflikt geraten. Auch hier fühlen wir uns wieder wie das Opfer und sind innerlich geschwächt.

„Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.“ Wir können dieses arabische Sprichwort auch so verstehen, dass sich unser Verstand immer wieder gegen die Wirklichkeit auflehnt und nicht akzeptieren will, was geschieht. Dadurch geraten wir in Unfrieden, während die Wirklichkeit so ist, wie sie ist und weiterzieht, wie sie weiterzieht. Wir können bellen, was wir wollen, bis wir heiser sind, ohne dass sich der Rest der Wirklichkeit darum schert. Er entwickelt sich weiter, ob es uns passt oder nicht.

In Frieden kommen

In unsere Kraft und in unseren Frieden kommen wir erst, wenn wir aufhören zu bellen. Wir akzeptieren, was passiert ist und übernehmen für unser Erleben die Verantwortung. Dann fügen sich Erfahrung und Wirklichkeit wieder ineinander und wir nehmen das, was ist, so, wie es ist. Wir sind in Übereinstimmung mit uns selber und mit dem, was um uns herum ist.

Zum Weiterlesen:

Akzeptieren, was ist (Teil 1)
Akzeptieren, was ist (Teil 2)
Akzeptieren, was ist (Teil 3)
Akzeptieren, was ist (Teil 4)
Akzeptieren, was ist (Teil 5)
Akzeptieren, was ist (Teil 7)
Akzeptieren, was ist (Teil 8)


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