Freitag, 16. Juli 2021

Akzeptieren, was ist: Teil 4: Die Liebesbeziehung

Es ist, was es ist, sagt die Liebe. (Erich Fried)

Liebe und Akzeptanz

In der Liebe geht es uns nicht ums Akzeptieren – das wäre ein viel zu schwaches Wort für das, was wir empfinden und wollen. Die Liebe nimmt den anderen nicht nur, wie er oder sie ist, sondern sie will auch das Beste für diese Person: Glück, Erfüllung, Wachstum, Reichtum usw. Die Liebe will mehren, was schon ist.

Doch sind es gerade die Liebesbeziehungen, die vor besondere Herausforderungen stellen, was die Akzeptanz anbetrifft. Denn nach den ersten Überschwängen des Verliebtseins stellen sich oft Zweifel und Unzufriedenheiten ein. Unmerklich verschiebt sich der Pol der Liebe von der anderen Person auf das eigene Selbst und dessen Bedürfnisse: Werden sie genügend gestillt, kriegen wir ausreichend von dem, was wir meinen, unbedingt zu brauchen? Unmerklich melden sich die inneren Mängel und die unbewusst gesteuerten Erwartungen und Forderungen, der Partner müsse sie erfüllen. Unmerklich mischt sich die eigene Kindheit mit ihren Mangelerfahrungen in die Erwachsenenbeziehung ein.

Langsam schleichen sich auf diese Weise Stränge des Nicht-Akzeptierens in die Liebe ein und führen zu Streitereien und Konflikten. Bei ihnen geht es hintergründig darum, die Partnerin dafür in Dienst zu nehmen, um für die Kompensationen der eigenen Kindheitsschäden zu sorgen und die Erfüllung der damals entstandenen Mangelhaftigkeit einzumahnen. Mit jedem Stück der Selbstbezogenheit verringert sich die Liebeskraft und die Verbundenheit. Mit jeder Ablehnung, die dem Verhalten des Partners entgegengebracht wird, wird das verbindende Band geschwächt.

Anklagen, Vorwürfe und Bewertungen fließen ein, und das Akzeptieren der anderen Person in ihrem So-Sein wird schwieriger. Sie sollte doch anders sein als sie ist, damit wir kriegen, was uns nach unserer eigenen, ins Unbewusste eingeschriebenen Agenda zusteht. Es entstehen Macht- und Manipulationsbestrebungen, die den Partner nach den eigenen Wunschfantasien zurechtbiegen wollen. Hinter diesen Fantasien rumort das verzweifelte innere Kind, das sich nach bedingungsloser Liebe sehnt und den erwachsenen Persönlichkeitsanteil drängt, endlich bereitzustellen, was den Mangel nachträglich auffüllt.

Illusionäre Wünsche und Erwartungen

Doch ist es eine Illusion, von einem Liebespartner die Nachnahrung für den kindlichen Gefühlshunger zu erwarten. Der Beziehungspartner ist weder Vater noch Mutter, und die Zeit der Kindheit ist lange vorbei. Erwachsensein besteht darin, die Verantwortung für die Stillung der eigenen Bedürfnisse selbst zu tragen und nicht an andere Personen auszulagern, schon gar nicht an den Beziehungspartner, obwohl dieses Muster in den intimen Beziehungen besonders häufig vorkommt.

Die zweite Illusion, die sich dazu gesellt, ist der Glaube an die vollkommene, die wahre Liebe, eine Beziehung, in der alle Bedürfnisse abgedeckt sind und alle Wünsche ihre Erfüllung finden. Wohl gibt es Momente und Zeiten der innigen Verbindung bis hin zu Erfahrungen des Einsseins unter den Fittichen der Liebe, aber diese Erfahrungen sind genau so flüchtig wie alles andere im Leben. Gerade der Verlust der Innigkeit wird häufig zur Quelle von Zerwürfnissen, weil auf  beiden Seiten der Beziehung Trennungstraumen aktiviert werden und der andere als Täter identifiziert wird. Jedenfalls bewirkt jedes Auseinanderdriften nach dem Verlust des Verbundenseins Gefühle der Unzufriedenheit.

Wenn solche Gefühle auftauchen, geht es üblicherweise nicht um den Ursprung des Gefühls in einem selbst, sondern um den Mangel in der Beziehung. Solange die Beziehung nicht vollkommen ist, muss die Partnerin zum Besserwerden gebracht werden. Denn wie soll die Beziehung vollkommen werden, wenn die Partnerin solche Schwachstellen hat? Allerdings: Der Glaube scheint vermessen, weil es nur unvollkommene Menschen gibt und weil deshalb in jeder Beziehung unvollkommene Personen aufeinander treffen. Wie sollten unvollkommene Menschen vollkommene Beziehungen erschaffen und die wahre Liebe leben?

Der Weg aus dem Land der Projektionen zurück in die Liebe erfordert das Durchschauen dieser Illusion. Ist sie einmal erkannt, so entsteht auch der Wunsch, sie zu verabschieden. Wir alle wollen im vollen Sinn erwachsen werden. Abschied geht allerdings nicht ohne Schmerz, und dieser Schmerz muss durchgespürt und durcherlebt werden. Es werden sich auch Schamgefühle melden wegen all den Irrwegen, die durch die illusionären Erwartungen an Partnerschaften viel Energie verschlungen und Leid erzeugt haben.

Das ist der Königsweg, der zurück zur eigenen Verantwortung für die unerfüllten Bereiche der Seelenlandschaft führt. Er führt wieder über das Akzeptieren: Es geht darum, das eigene Lebensschicksal und die eigene Lebensgeschichte anzunehmen, alles so, wie es war, mit dem Guten und dem Schlechten, mit dem Schönen und dem Schrecklichen. Alle Gefühle, die damit zusammenhängen und aus der Vergangenheit hängen geblieben sind, wollen ihren Platz bekommen und angenommen werden.

Mit jedem Stück Selbstannahme und Selbstakzeptanz wächst auch die Außenakzeptanz und die Toleranz für die Mängel anderer Menschen, vor allem der Beziehungspartner. Im Verständnis, aufgrund der eigenen Lebenserfahrungen und Traumatisierung selber kein vollkommener Mensch zu sein und Dellen und Löcher in der eigenen Liebesfähigkeit aufzuweisen, entsteht mehr Bereitschaft und Offenheit, mit unvollkommenen Mitmenschen zusammen zu sein und sich auszutauschen. Die eigene Leidensgeschichte kann draußen bleiben, und die Leidensgeschichte der Partnerin bekommt Mitgefühl und Verständnis, aber nicht die Projektionen und illusionären Erwartungen, die daraus abgeleitet sind und aus der Liebe aufs Glatteis sich verhakender Muster abgleiten.

Beziehungen als Lernfelder

Der Austausch und das Zusammensein mit anderen Menschen beinhalten immer das Lernen der Akzeptanz für die eigenen Unvollkommenheiten und jene der Partner. In Zweierbeziehungen ist diese Lernchance besonders hoch, weil die Kommunikation sehr dicht ist und viele Bereiche und Details des Lebens umfasst. Also werden gerade dort besonders viele Unvollkommenheiten sichtbar und wollen mit liebevollen Augen wahrgenommen werden und nicht mit abwertenden und kritischen.

Lernen in Beziehungen beinhaltet aber nicht nur die Bewusstheit über das Akzeptieren, sondern auch das gegenseitige Herausfordern zu noch mehr Bewusstheit. Diese Form des Lernens, die auch kritische Rückmeldungen, Änderungserwartungen und Veränderungswünsche enthält, trägt dann zum aneinander und miteinander Wachsen bei, wenn sie in einer akzeptierenden und Freiheit gewährenden Weise angewendet wird. Alle Machtthemen müssen mit der Illusion verabschiedet werden und der Akzeptanz Platz machen, mit der die Liebe wieder ins Blickfeld gerät.

Denn die Selbstmitteilungen, mit denen dem Beziehungspartner die eigenen Bedürfnisse und Verletzungen verständlich gemacht werden, fallen nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn sie von Akzeptanz begleitet sind. Wo sich Machtaspekte und Elemente der Gewaltsprache in die Mitteilungen einmischen, gerät der Partner unter Druck und wird mit passivem Widerstand oder Gegendruck reagieren.

Es ist also für die gelingende Kommunikation in der Zweierbeziehung erforderlich, dass beide Partner einen verlässlichen Zugang zur Akzeptanz des So-Seins des anderen haben. Auf diese Weise kann der Weg zu diesem Tor leicht gefunden werden, wenn er einmal in der Hitze eines Gefechts verloren gegangen ist. Die Akzeptanz wiederum bildet die Brücke zur Liebe und Verbundenheit. Wie schon erwähnt, kommt es mit jeder Nichtakzeptanz zu einer Trennung von der Wirklichkeit, in dem Fall von der Beziehungsperson. Das Bewusstsein kreist im eigenen Bereich der unerfüllten Bedürfnisse und gräbt sich dort ein. Es sieht die andere Person als Belastung, Störung oder Bedrohung.

Mit der Erkenntnis, dass solche Sichtweisen aus sehr frühen Erfahrungen gespeist sind und dass es nichts bringt, den Partner nach den eigenen Vorstellungen zu ändern, also dem eigenen Modell anzugleichen, erwacht die Bereitschaft, besser zu erkennen und wahr-zunehmen, wer die andere Person ist. Wo es gelingt, die eigenen Bewertungen und Erwartungen wegzulassen, wird es möglich, einen realen Kontakt mit der Beziehungsperson herzustellen, frei von den eigenen Angst- und Wunschprojektionen. In diesem Kontakt wächst und entfaltet sich die Liebe aufs Neue.

Liebe jenseits von Narzissmus

Die reife Liebe (die den Narzissmus überwunden hat) unterscheidet sich von einem einfacheren Mögen dadurch, dass sie gerade das schätzt, was anders ist als das Eigene. Sie erkennt das Unterschiedene und Gegensätzliche als das eigentlich Bewunderswerte und Schätzenswerte, und nicht das Wiedererkennen des Eigenen im Anderen. Die Welt der Wunder, zu der die Liebe den Zugang eröffnet, enthält das Überraschende, das immer wieder aus der Andersheit des Liebespartners entspringt. Beziehungen bleiben nicht durch Angleichung und Anpassung an die jeweiligen Erwartungen lebendig, sondern durch die kreative Spannung, die sich aus der Verschiedenheit immer wieder auflädt.

Die Herzbeziehung

Das Geheimnis der Liebe liegt in der Beziehung zweier Herzen. Damit ist einerseits eine Metapher angesprochen, die darauf hinweist, dass die Liebe kein Verstandes- oder Denkphänomen ist, sondern auf einer anderen Ebene lokalisiert ist. Sie entzieht sich also der Kontrolle und dem Verständnisrahmen des Mentalen. Andererseits wissen wir, dass das Herz über eigene Nervenzellen und damit über eine eigene Intelligenzform verfügt. Drittens gibt es noch die Lehre von den Chakren, bei der das vierte Chakra (Anahata) dem Herzen zugeordnet ist und mit Liebe und Mitgefühl assoziiert wird. Und schließlich ist das Herz das „Zentralorgan“ der romantischen Liebe und als solches eine prominente Metapher für die verschiedenen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dieser Spielart der Liebe.

Für unseren Zusammenhang bedeutet der Zugang zur Liebe über das Herz, dass sie das Akzeptieren voraussetzt, also das Anerkennen und neutrale Wahrnehmen der Andersheit des Beziehungspartners. Sie geht einen wichtigen Schritt weiter, indem sie gerade diese Andersheit wertschätzt, sich an ihr erfreut und sie genießt. Ohne die Lust auf die Andersheit gibt es keinen sexuellen Austausch.

Die Weisheit und die Liebeskraft des Herzens sind die Qualitäten, die eine Liebesbeziehung tragen, fördern und lebendig erhalten. Dort, wo diese Qualitäten verloren gehen, weil sich die Ängste der Egos in den Vordergrund drängen, führt der Weg über das Akzeptieren, das oft über das Gespräch, also über das Abgleichen der Unterschiedlichkeiten gefunden werden kann, zurück zur Herzebene.

Zum Weiterlesen:

Akzeptieren, was ist (Teil 1)
Akzeptieren, was ist (Teil 2)
Akzeptieren, was ist (Teil 3)
Akzeptieren, was ist (Teil 5)
Akzeptieren, was ist (Teil 6)
Akzeptieren, was ist (Teil 7)
Akzeptieren, was ist (Teil 8)

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