Samstag, 10. Juli 2021

Akzeptiere was ist - einfach ist es nicht... (Teil 1)

Akzeptiere alles so, wie es ist. Das ist ein bekannter spiritueller Vorschlag, den viele Lehrer in diesem Bereich einbringen. Wir sparen uns Konflikte mit der Wirklichkeit, wenn wir ihm folgen. Wir nutzen diesen Zugang, um eins mit dem Ganzen zu werden. Denn jedes Nicht-Akzeptieren schafft eine Kluft zwischen mir und dem Ganzen, und für jede Auseinandersetzung zwischen meinem mickrigen Ich und all dem, was sonst noch ist, stehen meine Karten nicht wirklich günstig. Und jede Kluft belastet uns mit Gefühlen der Unzufriedenheit und des Mangels. Sie erzeugt Stressgefühle und schneidet uns auch von den Mitmenschen ab.

Es gibt allerdings eine Reihe von Missverständnissen um dieses spirituelle Lehrstück herum, die ich im Folgenden näher beleuchten möchte.

Viele nehmen an, dass Akzeptieren so viel bedeute, wie etwas gutzuheißen, zu bejahen, zu unterstützen. Das ist in diesem Zusammenhang nicht gemeint. Vielmehr heißt Akzeptanz hier, die Existenz von etwas oder jemanden in dessen Existenz, also in seinem Sein anzuerkennen, also einen Teil der Wirklichkeit als wirklich zu bestätigen. Es werden dabei keine Bewertungsmaßstäbe angewendet. Das Gegenteil wäre es, einen Aspekt oder einen Bereich der Wirklichkeit abzulehnen im Sinn von: Ich will nicht, dass dies oder jenes existiert. Der Politiker X soll weg, weil er nur Unheil anrichtet. Das Corona-Virus soll verschwinden, weil es uns so viele Probleme beschert. Die Menschen sollen aufhören Fleisch zu essen, Auto zu fahren, Flugreisen zu machen, gegen die Erderwärmung zu demonstrieren, rechtsgerichtete oder linksgerichtete, konservative oder liberale Parteien zu wählen. So berechtigt diese Anliegen sein mögen, so wenig ändert sich durch das Ablehnen. Der Politiker bleibt im Amt, das Virus befällt weiterhin Menschen, es wird weiter Fleisch gegessen, autogefahren, geflogen, demonstriert, die falsche Wahlentscheidung getroffen.

Im Fall des Akzeptierens tritt der eigene Wille zurück hinter das Zulassen dessen, was ist. In der Ablehnung möchte der Wille das, was einem nicht passt, zurechtrücken oder verschwinden lassen. Im ersten Fall lassen wir das Ganze in seinem So-Sein gelten, im zweiten Fall stellen wir uns mit unserem eigenen Bestreben und Wollen in Opposition zu ihm.

Es  geht bei dieser Form des Akzeptierens um ein An-Nehmen, ein Nehmen im Sinn von Wahr-Nehmen oder zur Kenntnis nehmen. Wir empfangen, was die Wirklichkeit uns bietet. Es geht um ein bloßes Feststellen und Konstatieren, ohne zu berücksichtigen, ob das, was ist, angenehm oder unangenehm, sympathisch oder unsympathisch für uns ist, ob wir es wollen oder nicht. Gemeint ist also, die Wirklichkeit ohne subjektive Bewertung und ohne eigene Intentionen und Interessen zu erleben.

Die Wut im Nichtakzeptieren

Hat das Nichtakzeptieren Nebenwirkungen?

Unter den vielen Nebenwirkungen (die alle unter dem Titel: "Wie machen wir uns unglücklich?" Platz finden könnten) gibt es einen selten beleuchteten Aspekt der Nichtakzeptanz: Er besteht darin, dass die Trennung einer Verbindung etwas Gewaltsames beinhaltet. Das Ablehnen enthält eine Beimischung von Aggression: Etwas, das da ist, das wir aber in seiner Existenz nicht wollen, soll verschwinden.

Es ist die Zielrichtung des Hasses, die die Ablehnung der Wirklichkeit hervorbringt. Was einem nicht passt, wird aus der Wirklichkeit getilgt, zumindest in der subjektiven Fantasie. Der Hass will sein Objekt vernichten. Er verkörpert die Energie der Nichtakzeptanz. Hass ist nur dort möglich, wo die Verbundenheit von Ich und Welt zerbrochen ist. Er will diesen Spalt gewalttätig durch das Zerstören des ungewollten Anderen aufheben – ein hoffnungsloses Unterfangen, weil die andere Seite die existente Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit ist. Hassgetriebenes Handeln kann zwar einzelne Teile der Wirklichkeit vernichten, aber es zerstört dabei gleichzeitig immer auch einzelne Teile der eigenen inneren Wirklichkeit. Das große Ganze der Wirklichkeit verändert sich dadurch in bestimmten Aspekten, ohne jemals unterzugehen. 

Hass ist immer auch Selbsthass. Die konsequenteste Handlung des Hasses ist deshalb der Selbstmord, ein Ausweg, den viele wählen, die mit dem Weg des Hasses zeitweilig erfolgreich waren, bis sie, in sich selber zerstört, an der Übermacht der Realität scheiterten.

Ein bekanntes Klavierrondo von Ludwig van Beethoven trägt den Untertitel: „Die Wut über den verlorenen Groschen“ (op. 129), und das Stück kann als künstlerische Verarbeitung eines Frustrationserlebnisses verstanden werden, als Beispiel für eine Frustrations-Aggressionsschleife. Der Groschen ist verloren, Ärger entsteht, die Selbstanklage über die eigene Unachtsamkeit folgt, und das Innere ist mit sich selbst beschäftigt – außer der kreative Impuls meldet sich, die missliche Erfahrung in ein virtuoses Klavierstück umzumünzen. Damit ist die Verbindung zum Ganzen wieder hergestellt.

Akzeptanz und Ego-Abstinenz

Die nicht einfache Aufgabe beim Akzeptieren liegt darin, das Eigene beiseite zu lassen. Die Anforderung ist, sich nicht einzumischen, den eigenen Senf in der Tube zu lassen. Liebe Wirklichkeit, du bist, wie du bist, ob es uns passt oder nicht. Wir nehmen dich in deinem So-Sein – genau so, wie du bist.  

Was ist, war immer schon vorher da, vor unseren Meinungen und Vorbehalten, Bewertungen und Einschätzungen. Unser Erleben zeigt uns, was ist, und dann erst meldet sich unsere Bewertungsmaschine, um es in Kategorien einzuschlichten. Sofort sind wir weg vom Erleben und bei unseren Gedanken über das Erlebte. Sofort nehmen wir die Interpretationen wichtiger, weil wir glauben, dass wir sie brauchen, um unsere Überlebenschancen einzuschätzen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es ums Überleben geht. Oft ist es aber nur unser besorgtes Denken, das uns eine Lebensgefahr suggeriert, ohne dass das wirklich der Fall ist. Fast immer, wenn wir mit der Wirklichkeit auseinanderfallen, haben wir es mit einer Überreaktion zu tun, die von unserem Angstdenken angestiftet ist und nichts mit dem zu tun hat, was gerade Sache ist.

Bewusstheit

Wie bringen wir es also zuwege, dass sich das Denken nicht zwischen uns und die Wirklichkeit drängt?

Es geht nicht anders als mit Bewusstheit. Unsere inneren Bewertungsmechanismen arbeiten blitzschnell und wir merken es gar nicht, dass wir schon in einer wirklichkeitsverneinenden Schleife hängen und unsere Einschätzung über das stellen, was wir erleben.

Sobald wir aber merken, auf welchem Kanal wir sind (innen oder außen), haben wir die Chance, unsere Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit zurückzulenken und zu klären, was zur aktuellen Situation gehört und was nicht. Dann können wir die reale Situation abschätzen und überprüfen, ob sie wirklich so bedrohlich ist, wie uns das Denken einreden will. Unsere Angst ist immer unsere Angst und wurde nur durch irgendeinen Aspekt der Wirklichkeit ausgelöst, den wir in bestimmter Weise interpretiert haben. Mit Bewusstheit klären wir, ob diese Interpretation zur aktuellen Situation passt oder aus früheren Erfahrungen, die in die Gegenwart projiziert wurden, stammt und dorthin zurückgegeben werden kann.

Im Erkennen dieser Zusammenhänge finden wir zurück zur Akzeptanz, zur Einstimmung mit dem Ganzen der Wirklichkeit, ohne das Zutun unserer Interpretationen und Bewertungen. Wir bemerken diese Übereinkunft daran, dass sich alles friedlich in uns anfühlt.

Zum Weiterlesen:

Sag Ja zum Moment
Das Ja zum Selbst

Die eigene Wahrheit und die Verbundenheit mit anderen
Akzeptieren, was ist (Teil 2)
Akzeptieren, was ist (Teil 3)
Akzeptieren, was ist (Teil 4)
Akzeptieren, was ist (Teil 5)
Akzeptieren, was ist (Teil 6)
Akzeptieren, was ist (Teil 7)
Akzeptieren, was ist (Teil 8)

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