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Sonntag, 20. April 2025

Die Globalisierung von Konflikten durch die Aktivierung von Traumen

In vielen Gebieten der Welt herrscht unermessliches Leid als Folgen von gewaltsamen und langwierigen Konflikten. Das berührt auch die anderen Mitglieder der Menschenfamilie und führt oft zu einem tiefen Mitgefühl für die Opfer dieser Konflikte.

Humane Katastrophen bringen die Menschen dazu, nach Erklärungen für die Auslöser zu suchen. Denn solche Ereignisse sollten nach Möglichkeit in Zukunft verhindert werden. Die richtige Erklärung sollte dazu helfen.  Die einfachste Erklärung besteht darin, einen Schuldigen zu finden, der dann ausgeschaltet oder bestrafen werden kann. Doch führen die einfachen Erklärungen meist in die Irre. Die menschlichen Angelegenheiten sind bekanntlich immer vielschichtig und komplex.

Allerdings werden diese Konflikte zu emotional aufgeladenen Themen vereinfacht und verbreiten sich weit über die Konfliktgebiete hinaus. Dort schaffen sie zusätzliche, sekundäre Konflikte, die weitere Opfer fordern. Denn das Leid von Menschen wird in Waffen für alle möglichen politischen Interessen umgeschmiedet. Aus schrecklichen Unmenschlichkeiten werden ideologische Konstrukte gefertigt, die nichts mehr mit dem Leid der Betroffene zu tun haben, sondern anderen Zwecken dienen. Ein wichtiger Aspekt solcher Konstrukte ist es, Unbeteiligte dazu zu bringen, sich in das ideologische Freund-Feind-Schema einzugliedern, um die eigene Position zu stärken und den eigenen Hass zu rechtfertigen. 

Der Nahostkonflikt in globaler Polarisierung

Eines dieser Themen ist der Nahostkonflikt – seit es ihn gibt. Der Terrorüberfall am 7. Oktober 2023 und die darauf folgende militärische Reaktion Israels haben dieses Thema in einem unglaublichen Ausmaß emotional aufgeladen und zu massiven Polarisierungen geführt, die sich gleichsam durch die ganze Welt ziehen. Die Frontlinien verlaufen ungefähr so: Wer für Israel Partei ergreift, wird von der anderen Seite als Unterstützer eines Genozids eingeschätzt; wer sich auf die Seite der Palästinenser stellt oder die Politik der israelischen Regierung kritisiert, wird als Antisemit gebrandmarkt. 

Je mehr emotionale Aufladung herrscht, desto schwerer wird es, differenziert zu argumentieren; es geht nur mehr um die Frage: Bist du für oder gegen mich/uns? Es gibt nur eine Wahrheit, wer sie teilt, ist ein Freund, wer sie bestreitet, ist ein Feind und muss bekämpft werden. Emotionale Aufladung bedeutet immer Stress; Stress bewirkt die Vereinfachung des Denkens und die Aktivierung des Freund-Feind-Schemas. 

Aktivierung von Traumen

Solche Themen werden oft von Menschen aufgegriffen, die direkt gar nichts damit zu tun haben, weil sie andere Interessen bedienen und politischen Erfolg mit einer Parteinahme erreichen wollen. Tiefer betrachtet, nutzen sie unbewusst solche Themen, um bei den Menschen in ihrer Zielgruppe Traumareaktionen auszulösen. Denn die Energien, mit denen solche Themen emotional aufgeladen und mit Wut und Hass belebt werden, stammen aus Traumen, in denen die Person das Opfer von übermächtiger Gewalt war und meint, sich jetzt gegen diese Gewalt wehren zu müssen, um nicht wieder in die ohnmächtige Opferrolle zu geraten. Das ist also eine unbewusste Dynamik, in der sich die individuelle Traumaerfahrung mit dem kollektiven Traumafeld verbindet.

Identifikation mit den Opfern

Im Nahostkonflikt gibt es auf beiden Seiten viele Opfer, aber das eigene Trauma bewirkt bei Unbeteiligten, sich mit einer Seite der Leidenden zu identifizieren und für diese Seite mit allen Mitteln zu kämpfen. Stellvertretend für das eigene erlittene Opfersein sollen die aktuellen Opfer aus ihrer bedrohlichen Position befreit werden und damit soll ein Sieg über das Böse, das ursprünglich die Schuld am eigenen Trauma getragen hat, erreicht werden. 

Als Folge dieser Ausbreitung der Konfliktfelder entstehen Konfliktgräben auf der ganzen Welt, und die Parteien mit all ihren Stellvertretern stehen sich wie zwei steinzeitliche Heerhaufen in mörderischer Absicht gegenüber – die einen drohen mit der Keule des Genozids, die anderen mit der Keule des Holocausts. Dazu kommt, dass alle, die da nicht mitmachen wollen, gezwungen werden sollen, Partei zu ergreifen, oft nach dem Motto: Bist du nicht bedingungslos für uns, dann bist du unser Feind. Damit wird weit abseits der Konfliktgebiete eine Debattenkultur erschaffen, die die Grausamkeit der realen Kriege in die ganze Welt trägt, von Aggressionen aufgeladen ist und mehr und mehr Menschen in ihren Bann zieht.

Natürlich gibt es die verschiedensten Interessensgruppen und Lobbys, die daran arbeiten, dass politische Konfliktthemen emotional aufmunitioniert werden. Sie wollen die Traumawunden für sich nutzen, die tief in der Psyche der meisten Menschen verankert sind. Die Propaganda dieser Gruppen ist schon geschult darin, die Sprache zu finden, mit denen die individuellen und kollektiven Traumen getriggert und aktiviert werden. Wenn dazu noch eine Lösung oder gar ein Erlöser präsentiert wird, gelingt es leicht, Anhänger zu finden und an die eigene Gruppierung zu binden. Einmal eingefangen, ist es für die Zielobjekte dieser Masche schwer, wieder zu einer eigenen Meinung und einer ausgewogenen Sichtweise zurückzufinden. 

Die sogenannten sozialen Medien tragen viel dazu bei, diese Rekrutierungsmanöver noch effektiver zu gestalten, denn ihre Algorithmen sind darauf eingestellt, die entsprechenden Traumaschleifen zu verstärken und zu vertiefen, wenn sie ihnen einmal durch das Nutzerverhalten auf die Spur gekommen sind. Sie verschärfen die Polarisierung und die Überzeugung, dass es überlebenswichtig ist, auf der einen Seite zu stehen und die andere zu verdammen.

Die Macht des Traumas in Verbindung mit den von der Propaganda angebotenen Abwehr- und Verlagerungsstrategien ist so dominant, dass das Feindbild zu einem Teil der eigenen Identität wird, ja werden muss, denn für das Unterbewusste sichert die Klarheit über die Gefahr und die „wirklichen“ Bösewichter das Überleben.

Schnell wird das Opfer-Täter-Retter-Dreieck vervollständigt: Zunächst findet die Identifikation mit dem Opfer statt, z.B. mit den Palästinensern im ausgebombten Gaza-Streifen oder mit israelischen Familien, die um das Leben einer Geisel bangen. Dann werden die Täter namhaft gemacht, und die Wut und der Hass aus der eigenen Traumawunde werden auf sie gerichtet. Schließlich bietet sich ein Retter an, z.B. ein Politiker, der kompromisslos und vehement für eine Seite des Konflikts engagiert ist, oder eine Partei, die die eigene Sichtweise auf die Opfer- und Täterrolle teilt.

Der Ausstieg aus solchen Dynamiken fällt enorm schwer und kann meist ohne Hilfe von außen nicht gelingen. Eine solche Hilfe ist nur dann wirksam, wenn sie auf die emotionale und nicht auf die rationale Ebene der Bindung an eine bestimmte Position in einem konfliktreichen Thema eingeht. Jemanden von seiner Überzeugung, die stark in die eigene Identität aufgenommen wurde, abzubringen, ist umso schwieriger, je stärker die emotionale Aufladung ist.  Die Identifikation mit der Opferseite und mit dem Hass auf die Täterseite dient der Abwehr des emotionalen Schmerzes, der mit dem erlittenen Trauma verbunden ist. Die Aggressionen, die auf die Täter in der aktuellen Thematik gerichtet werden, stammen aus den Kräften, die zum Überleben des Traumas beigetragen haben und müssen deshalb aufrechterhalten bleiben. Darin liegt der Grund, warum immer wieder nach neuen Quellen und Bestätigungen für die Wut- und Hassgefühle gesucht werden. Es darf keine Schwäche zugelassen werden, weil sie an das Ausgeliefertsein, an die Verletzlichkeit und an den Schmerz erinnern würde, an die schamerfüllte Ohnmacht in der ursprünglichen Traumaerfahrung.

Zum Weiterlesen:
Kollektive Traumen und ihre Folgen


Donnerstag, 7. März 2024

Das Kämpfen nährt den Kampf

Wenn wir gegen jemanden kämpfen, wollen wir diesen Gegner schwächen, bis er besiegt ist und wir gewonnen haben. Das ist das Ziel jedes Kampfes. Sobald wir mit einem Kampf beginnen, wehrt sich aber der Gegner und sammelt seine Kräfte. Um zu bestehen, muss er über sich hinauswachsen und Energien mobilisieren, die ihm sonst nicht zur Verfügung stehen. Er wird durch unseren Angriff stärker. Es entsteht also ein Paradoxon: Wir wollen den Gegner schwächen und erreichen gerade dadurch, dass er stärker wird. Ähnliches geschieht in uns selber: Wir haben ein Feindbild in uns, mit dem wir unseren Angriff rechtfertigen. Sobald wir erkennen, dass sich der Gegner wehrt, wird dieses Feindbild in uns mächtiger. Das Feindbild wächst mit jedem Schlag, zu dem wir ausholen oder den wir einstecken, und damit ergreifen auch unsere Feindschaft und unser Hass mehr Besitz von uns selber. 

In einem Krieg z.B. wird der Gegner gezwungen, aufzurüsten, wenn er angegriffen wird. Je stärker der Angriff abläuft, desto stärker wird die Gegenwehr und desto zerstörerischer werden die Kämpfe. Gleichzeitig werden die Feindbilder auf beiden Seiten aggressiver und verzerrter. Wir können diese Dynamik bei allen großen und kleinen Konflikten beobachten. Ähnlich manchen Boxkämpfen enden viele Kriege erst, wenn die Kräfte emotional oder physisch erschöpft sind. Dann setzt sich entweder die Seite durch, die den längeren Atem hat, oder der Konflikt endet wie beim Schach mit einem Remis oder Patt.

Die Kampfdynamik wirkt weit, selbst wenn der Gegner besiegt wurde. Die unterlegene Partei muss dafür sorgen, ihre verlorene Würde wiederherzustellen. Sie will wieder zu Kräften kommen und die verlorene Macht neu errichten. In diesem Prozess wird der Drang nach Rache aufwachen und irgendwann in Aktion treten. Die Scham, die die Niederlage bereitet hat, soll durch einen Racheakt ausgeglichen werden, der andere beschämt, indem er sie in die Opferposition bringt. 

Kampf um des Kämpfens willen

Im Kampf geht es nur scheinbar um den Sieg und in Wirklichkeit um das Kämpfen selbst. Wir kennen diese Dynamik von Wettkämpfen oder Konkurrenzspielen. Wir wollen, dass unser Handballteam das gegnerische besiegt; aber die eigentliche Befriedigung liegt im Spielen. Auch wenn wir unterliegen, wollen wir weiterspielen. Das Spannende und Lohnende ist der Wettkampf selbst, nicht das Ergebnis. Hobbyfußballer, die sich auf dem Feld nichts schenken, gehen nachher gemeinsam Bier trinken. Im geselligen Beisammensein wird das Gefälle zwischen den stolzen Siegern und den beschämten Unterlegenen wieder ausgeglichen.

Sportliches Kräftemessen

Sportliches Kräftemessen unterscheidet sich allerdings prinzipiell von anderen Formen des Kampfes, die auf Feindschaft und Hass beruhen. Aktivitäten, die wir aus freien Stücken verfolgen, erleben wir ganz anders als solche, die wir als aufgezwungen erleben und aus denen wir nicht einfach aussteigen können, wenn wir wollen. Der Unterschied liegt also darin, ob die Kontrolle über das Geschehen bei uns liegt oder nicht. In einem Fall sprechen wir von einem guten Stress (Eustress), im anderen vom Distress. Bei Eustress gerät der Körper zwar in einen Anstrengungszustand mit der Aufbietung von Reserven und schüttet dazu das Stresshormon Adrenalin aus, aber mobilisiert zugleich Dopamin, das für Glücksgefühle zuständig ist. Beim Distress folgt auf die Adrenalinausschüttung das Cortisol, das langfristig wirksame Stresshormon, aber kein Dopamin. Hier stehen wir also unter einer Angstspannung ohne jeden Lustfaktor, denn es geht um Leben oder Tod. Die Spannung wirkt außerdem noch über die Kampfsituation hinaus und enthält die Tendenz zur Chronifizierung.

Die Corona-Debatten

In der Corona-Debatte konnten wir beobachten, dass die hitzigen Debatten über das Corona-Management oder das Impfen immer schärfer wurden, je länger sie dauerten. Viele Diskussionen führten nicht dazu, dass sich die Standpunkte nicht annäherten, sondern dass sie sich, aufgeladen durch die aufgeheizten Auseinandersetzungen, immer weiter voneinander entfernten, während der Hass in den unterschiedlichen Lagern wuchs. Je mehr Kampfenergie in die Debatten gepumpte wurde, desto ausdauernd wurde der Kampf. Erst als sich die Pandemie beruhigte und die Erkrankungen weniger und milder wurden, ebbten die Diskussionen ab. Aber auch Jahre danach wirken die Folgen weiter, manche aufgerissenen Gräben in Familien oder Freundesgruppen sind noch immer nicht zugeschüttet.

Das Festhalten am Kämpfen hat viel damit zu tun, die Schmach der Niederlage nicht tragen zu wollen und deshalb bis „zur letzten Kugel“ weiterzukämpfen. Es ist also die vorweggenommene Scham, im Fall des Unterliegens als Schwächling und Versager dazustehen. Diese Dynamik kennen wir von Debatten über scheinbar harmlose Themen ebenso wie von Bürgerkriegen und zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten, die über Jahre und Jahrzehnte brennen und schwelen. Eine verdeckte Form der Schamvermeidung stellt das Wettrüsten zwischen den Großmächten dar.

Die Erkenntnis, dass der Kampf das Kämpfen nährt, liefert keinen zureichenden Grund, gänzlich auf das Kämpfen zu verzichten. Wenn einer Aggression von außen keine Gegenaggression entgegengestellt wird, hat sie die natürliche Tendenz, sich weiter auszubreiten und sich noch mehr Raum einzuverleiben. Aber wir brauchen auch die Bewusstheit über diese Dynamik, weil sie uns darauf hinweist, wann es notwendig ist, auf das Kämpfen zu verzichten. Irgendwann wachsen die Schäden und damit die vielen Formen des Leidens ins Unermessliche, die durch das Zerstörerische am Kämpfen ausgelöst werden. Als Großmut gilt, wenn der Stärkere im Kampf dem unterlegenen Gegner die Hand reicht und ihm auf Augenhöhe begegnet. Der Kampf ist zu Ende, die Menschen können wieder wahrnehmen, dass sie keine Feinde, sondern Brüder und Schwestern sind. Der Zyklus der Rache ist durchbrochen. Nur mit der hohen Tugend des Machtverzichts kann es gelingen, dort einen dauerhaft haltbaren Frieden zu schaffen, wo Feindschaft geherrscht hat. 

Der Nahostkonflikt als Beispiel

Der Gaza-Krieg, der zurzeit wütet, dient aus israelischer Sichtweise dem Ziel, die Hamas zu vernichten. Es handelt sich um einen Racheakt gegen den blutigen und blutrünstigen Überfall der Hamas auf Israel, mit dem solche Überfälle in Zukunft verhindert werden sollten. Eine der modernsten und bestausgebildetsten Armeen der Welt kämpft gegen eine Terrororganisation oder gegen die gewählte Verwaltungsmacht im Gaza-Streifen, je nach Sichtweise. Dieser Krieg dauert nun schon 6 Monate und hat bisher ca. 30 000 Tote und 70 000 Verletzte verursacht, darunter ca. 1200 israelische Tote und 5000 Verletzte. Er spielt sich im Gaza-Streifen ab und hat dort zu massiven Zerstörungen der Wohnanlagen und der Infrastruktur  geführt. 70 Prozent der Gebäude liegen in Trümmern.

Ein neues Kapitel im nun schon über hundert Jahre alten Nahostkonflikt, ohne jede Aussicht auf eine Lösung, ohne Aussicht auf einen Frieden. Spätestens seit der Staatsgründung von Israel 1948 war der Landstrich am Ostufer des Mittelmeers der Schauplatz von vielen Kriegen und spannungsgeladenen Zwischenzeiten. Die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden mit einer Zweistaatenlösung hat sich in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts zerschlagen. Jeder Krieg hinterließ auf beiden Seiten tiefe Spuren, jeder Krieg trug zur Vermehrung und Vertiefung des Hasses und damit zur Steigerung der Gewaltbereitschaft bei. Bei den Palästinensern, die in jedem Krieg die Verlierer waren und die durch vielfache Vertreibungen gedemütigt wurden, ist die Last der Scham über mehrere Generationen angewachsen. Bei den Israelis ist parallel dazu die Angst angewachsen. Denn bewusst oder unbewusst stellt es eine enorme Belastung dar, mit Nachbarn zu leben, die voll von Hass und Scham sind. Es ist nur die Frage, wann es zur nächsten aggressiven Explosion kommt. Auch wenn es auf beiden Seiten Menschen gibt, die über diese Gefühlsbelastungen hinausgewachsen sind und sich im offenen Dialog verständigen können, steckt die große Mehrheit in der Geschichte von Verletzungen und Gewalthandlungen fest. 

Es besteht in dieser Gegend seit vielen Jahrzehnten ein Dauerkampf, der manchmal offen ausbricht und ansonsten unterschwellig besteht; es gibt die offenen Aggressionen der Palästinenser und die strukturelle Gewalt der Israelis, die sich gegenseitig befeuern (es gibt dazu noch offene Aggressionen der Israelis mit der Ermordung von über 400 Palästinensern im Westjordanland seit dem 7.10.23). Als scheinbar unvermeidliche Folge der Dauerspannung wächst beständig die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Immer mehr Israels wählen rechte Parteien, die die ihre Feindschaft gegen die Palästinenser offen zur Schau stellen, während auf palästinensischer Seite die radikalen politischen Organisationen immer mehr Zulauf bekommen. Die Dauerspannung wächst also weiter und weiter.

Der israelische Staat kann sich auf eine moderne Wirtschaft und auf die Unterstützung der USA und anderer westlicher Staaten stützen, die seine Existenz garantieren. Die Palästinenser haben große Teile der arabischen Welt auf ihrer Seite, die ihr Überleben auch unter den prekärsten Bedingungen absichern, so gut es geht. Auf diese Weise sind mächtige Staaten und damit viele Volkswirtschaften und Gesellschaften in den Konflikt eingebunden. Wegen der nationalstaatlichen Souveränitäten haben die Außenstehenden aber nicht die Einflussmöglichkeiten, um den Krieg zu beenden und Friedensregeln einzuführen.

Da die Lebenschancen im Gazastreifen durch die Abriegelung nach außen minimal sind, gibt es für viele, vor allem junge Menschen keine Perspektiven für eine kreative Selbstverwirklichung. Deshalb wird es immer wieder Jugendliche geben, die zur Gewalt tendieren und zu den Waffen greifen wollen, um wenigsten ein kleines Machtgefühl zu erlangen. Jeder Tag, den der Krieg andauert, erzeugt neben all dem Leid neue Kampfbereitschaft, die sich irgendwann in der Zukunft ihre Bahn brechen wird.

Der Kampf nährt den Kampf und bringt immer wieder neuen Kampf hervor, solange versucht wird, die Spannungen mit Gewaltanwendung zu lösen. Der gewaltsam niedergerungene Gegner wird irgendwann wieder aufstehen und die angetane Gewalt heimzahlen.

Zum Weiterlesen:
Braucht es einen Krieg? Wer braucht einen Krieg?
Krieg und Scham


Freitag, 3. November 2023

Die zweigeteilte Welt und der Nahostkonflikt

Die unterschiedlichen, quer durch die Welt und die Gesellschaften gehenden Parteinahmen in der aktuellen Phase des Israel-Palästina-Konflikts spiegeln die Teilung der Menschheit in zwei Welten wieder. In der einen Welt leben die Menschen in ziemlichem Wohlstand und Luxus, in der anderen Welt am Subsistenzminimum, in einer Spannbreite zwischen Elend und Hunger einerseits und prekärem Wohlstand andererseits. Die eine Welt, geografisch ungenau, der Westen, die andere, ebenso ungenau, der Süden. Diese Ungenauigkeit stammt aus einer nach wie vor dominanten eurozentrischen Sichtweise, so, als gäbe es einen archimedischen Punkt, von dem aus die Sicht auf die Welt erfolgt und von dem aus die Regionen eingeteilt werden, und dieser Angelpunkt befindet sich in der Mitte des angehäuften materiellen Reichtums.

In dem Konflikt identifizieren sich die einen mit der Wohlstandsnation Israel, der sie ihre Solidarität gegen Überfälle und Terror zusichern. Sie geben ihre Hilfe, damit die Grenzen der Wohlstandsoasen an der vordersten Front gegen Grenzüberschreitungen verteidigt werden. Aggressionen von außen müssen mit massiver Gegenaggressivität bekämpft werden, damit sie nie wieder zu einer Gefährdung der Privilegien, die sich im Lauf der Zeit angehäuft haben, werden können.

Die anderen fühlen sich solidarisch mit den Armen und Unterdrückten, weil sie ihre eigene missliche Lage darin wiedererkennen und weil ihre Wut auf die Reichen und Satten ein Objekt bekommt, an dem sie sich entladen kann. Sie soll die Ohnmacht und Aussichtslosigkeit kompensieren, die die Lebenssituation auf dieser Seite der Welt prägt. 

Auch in den wohlhabenden Ländern gibt es Menschen, die sich in Ohnmachtspositionen befinden, und deshalb kommt es auch dort zu aggressiven Demonstrationen gegen Israel. Das Land wird gewissermaßen als Repräsentant der Ungleichverteilung von Chancen und Ressourcen angesehen.

Außerdem wird Israel in vielen Ländern des armen Weltteils als Apartheid-Regime angesehen, das wie eine Kolonialmacht die autochthone Bevölkerung unterdrückt, deklassiert und verachtet. Aus dieser Sicht erscheint die Hamas wie eine Befreiungsbewegung gegen eine ungerechtfertigte Herrschaft. Das Konzept des Genozids ergibt sich aus dieser Betrachtungsweise, unterstützt von der Rhetorik radikaler Siedlerparteien in Israel, die eine Ausrottung der Araber fordern – und die jetzt in der israelischen Regierung sitzen. Andererseits enthält das Programm der Hamas die Auslöschung des jüdischen Staates.

Die Nebenrolle des Antisemitismus

Der Antisemitismus spielt in dieser Perspektive nur eine Nebenrolle, allerdings eine ziemlich einflussreiche, weil diese perfide Ideologie zusätzlich Emotionen mobilisiert und mit Hass auflädt. Ebenso aber lenkt die Antisemitismuskritik von der globalen Bruchlinie ab, durch die sich die Lebenschancen der Menschen grundlegend unterscheiden. Wenn die Kritik oder das Entsetzen über die israelischen Aggressions- und Zerstörungsaktionen schon als antisemitisch bezeichnet werden, wird der Grundkonflikt zwischen arm und reich ausgeblendet und damit gerechtfertigt. Diese Haltung ist genauso ideologiegetränkt wie die Einmischung des Antisemitismus in Solidaritätskundgebungen mit den palästinensischen Opfern.

Für die einen wirkt der Angriff auf die Wohlstandsinseln traumatisierend – eine Rave-Party wird brutal überfallen –, die anderen schockieren die Bilder von zerbombten Häusern und Babyleichen in den Elendsvierteln von Gaza. Die Angst auf der einen Seite, dass das Böse und Unmenschliche von außen in die Sicherheitszonen eindringen kann, kontrastiert mit der Angst auf der anderen Seite, selber Opfer der Übermacht einer Unterdrückungsmaschinerie zu werden oder für immer bleiben zu müssen.

Die zweigeteilte Welt

Es handelt sich um eine reale Zweiteilung der Welt, die jetzt überdeutlich als Spaltung sichtbar wird. Es gibt allerdings keine messerscharfe Trennlinie zwischen Armut und Reichtum, sondern viele Übergangsfelder. Maßgeblich sind die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen, aus denen die jeweilige Mentalität entsteht (Subjektive Befindlichkeiten, die von kollektiven Bewusstseinsfeldern bestimmt sind). Armut ist also nicht nur die Folge von niedrigem Einkommen, sondern auch von unsicheren und zerbrechlichen Strukturen ringsum, oft verbunden mit repressiven politischen Systemen.

Das Skandalon ist die massive soziale Ungerechtigkeit in der Menschheit. Es ist eine Trennlinie, die irgendwo zwischen Tel Aviv und Gaza City verläuft. Es ist ein Gebiet, in dem die zwei Welten hart aneinander aufeinander prallen, der Reichtum auf der israelischen Seite und die Armut auf der palästinensischen. Jeder Gewaltausbruch seitens der Palästinenser enthält auch einen Schrei nach mehr ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit.

Es gibt verschiedene Narrative, die das Wohlstandsgefälle rechtfertigen. Die meisten kommen aus der liberalen und neoliberalen Richtung und gehen von der (empirisch nicht haltbaren) zynischen Annahme aus, dass Reichtum durch Leistung geschaffen wird und Armut durch zu wenig Leistung entsteht. Wird dieses Konzept auf den Nahostkrieg angelegt, so werden die Araber als rückständig und arbeitsscheu beschrieben, die sich deshalb ihr Los selber zuzuschreiben hätten.  Solche Stereotypisierungen sind immer ideologisch aufgeladen und weisen das gleiche Strickmuster auf wie die antisemitistischen Vorurteile. Sie dienen nicht nur der Entlastung von der kollektiven Scham als Folge der skandalösen Armut, sondern auch der Rechtfertigung von Aggressivität und Zerstörungswut, die sich bei Gelegenheit destruktiv entlädt, z.B. bei gewaltsamen Übergriffen israelischer Siedler auf Palästinenser. 

Die Logik der Gewalt

Die Logik der Gewalt ist aus archaischen menschlichen Antrieben, die aus massiven Ängsten stammen, zu verstehen: Zahn um Zahn, Auge um Auge. Wenn ich keine Rache übe, stehe ich als Schwächling da und das Böse wird nur noch stärker. Vielmehr muss meine Rache massiver und zerstörerischer ausfallen, damit das Böse nie wieder auftaucht.

Diese Logik und damit ihre Akteure zu verstehen heißt nicht, sie gutzuheißen, im Gegenteil: Das Verständnis zeigt auf, dass die Eskalationsspirale nur durchbrochen werden kann, wenn eine Seite aussteigt – und das kann in diesem Fall nur die mächtigere Partei tun. Denn die schwächere ist immer wieder aus der Gewaltlogik ausgestiegen und hat versucht, gewaltfreie Wege zu gehen, z.B. beim „Marsch für die Rückkehr“ 2018, und hatte hunderte Tote und tausende Verletzte als Folge der israelischen Gewalt zu beklagen.

Das Verständnis für die Logik der Gewalt befreit vom Impuls der Parteinahme. Neben der Parteilichkeit für die Opfer brauchen wir die Parteilichkeit für den Ausstieg aus der Gewalteskalation und aus den Rachezyklen. Als Menschheit sollten wir im 21. Jahrhundert schon weiter sein, und es ist kollektiv beschämend, dass wir es nicht sind.

Zum Weiterlesen:
Über die Notwendigkeit und die Grenzen der Parteinahme
Parteilichkeit verstärkt die Gewalt


Freitag, 20. Oktober 2023

Parteilichkeit verstärkt die Gewalt

Der aktuelle Nahostkonflikt berührt und verunsichert viele Menschen und bringt viele Fragen in den Vordergrund, die eigentlich schon lange unbeantwortet sind, aber immer wieder in den Hintergrund treten und schnell in Vergessenheit geraten. Bevor ich auf die Frage der Parteilichkeit angesichts der gegenwärtigen Situation eingehe, versuche ich darzustellen, worin die Grundregeln im menschlichen Zusammensein bei Gewaltereignissen bestehen. Unter Grundregeln verstehe ich Übereinkünfte, die für das Weiterbestehen der Gruppe oder Gemeinschaft notwendig sind, wenn es zu Regelüberschreitungen durch Gewalt geht. Diese Regeln bestehen seit Urzeiten und gelten für alle Formen von menschlichen Sozialformen. Sie hängen mit der sozialen Verfasstheit des menschlichen Seins zusammen.

Grundregeln im Umgang mit Gewalt

Wenn Mitglieder einer Gruppe Gewalttaten begehen, reagieren die anderen mit Entsetzen und Betroffenheit. Sie fühlen mit den Opfern mit und unterstützen sie. Sie verurteilen die Taten und fordern Konsequenzen für die Täter, denn Verbrechen sollen nicht ungesühnt bleiben. Die menschliche Gemeinschaft muss auch nach Akten der Barbarei weiterbestehen, und das geht nur, wenn die Taten verurteilt und die Täter bestraft werden. Die Opfer verdienen Solidarität, Trost und Wiedergutmachung. 

Bei jeder Bestrafung muss klar zwischen der Person des Täters und der Tat unterschieden werden. Es darf kein Täter entmenschlicht werden, auch wenn seine Tat unmenschlich war. Denn eine Gemeinschaft, die einem ihrer Mitglieder das Menschsein abspricht, wird selber unmenschlich. Entmenschlichung erzeugt Verunsicherung und Angst bei allen Mitgliedern, und das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl wird brüchig. Die Zugehörigkeit muss bedingungslos garantiert bleiben, selbst wenn jemand grob gegen alle Regeln verstößt. Sonst drohen der Gemeinschaft Zerfall und Anarchie. Gemeinschaftliche Gewalt ist nur zur Eindämmung von individueller Gewalt erlaubt. Z.B. darf die Polizei nur dann Gewalt ausüben, um Gewalttaten zu verhindern oder zu beenden. Eine willkürliche Gewaltausübung durch Organe der Gemeinschaft ist noch schlimmer als individuelle Gewalttaten, denn die Folgen sind Angst und Gegengewalt und die Destabilisierung der Gemeinschaft. Gewalt, die eine Gemeinschaft gegen ihre Mitglieder anwendet, muss regelkonform bleiben, sonst dient sie der Unterdrückung.

Parteilichkeit mit den Opfern

Soweit ein paar Überlegungen zum generellen Umgang mit Gewalt und ein Versuch, die Bedingungen zu beschreiben, wie menschliche Gemeinschaften mit Gewalt umgehen können, ohne die Grundlagen ihrer Gemeinschaft zu untergraben. Die aktuelle Gewalteskalation zwischen Palästinensern und Israel enthält natürlich vielfältige und komplexe Komponenten aus der Geschichte und aus den internationalen Zusammenhängen, die hier nicht erörtert werden. Ich möchte darauf eingehen, wie wir als unbeteiligt Beteiligte mit der emotionalen Belastung umgehen können, die mit jeder Gewaltausübung, die in der Menschenfamilie auftaucht, verbunden ist. Wir sind nach dem persischen Dichter Saadi Shirazi wie ein Körper, in dem jedes Glied den Schmerz spürt, wenn ein anderes Glied leidet.

Die nobelste Haltung, die wir entsprechend dieser Einsicht einnehmen können, besteht im Mitgefühl mit jedem Leid, das durch die Gewalt entsteht, ohne jeden Unterschied und ohne jede Bewertung. Die Parteilichkeit gilt den Opfern, auf welcher Seite sie auch entstehen. Zu dieser Haltung gehört die Forderung nach ausgleichender Gerechtigkeit, die die Ahndung der Gewalttaten und die Wiedergutmachung für die Gewaltopfer beinhaltet. Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden, und damit setzt die Menschengemeinschaft ein klares Signal, dass Gewalt nicht geduldet wird, sondern dass andere, gewaltfreie Formen der Konfliktbewältigung gesucht werden müssen.

Das Freund-Feind-Schema

In Konfliktfällen, bei denen wir nicht unmittelbar beteiligt sind, gibt es immer die Versuchung, eine Seite sympathischer oder rechtschaffener zu empfinden als die andere, woraus sich der Impuls ergibt, für diese Seite Partei zu ergreifen. Wer sich in einem Konflikt auf eine Seite schlägt, sollte sich allerdings bewusst sein, dass er oder sie mit diesem Schritt eine friedliche Lösung des Konflikts behindert und erschwert. Denn durch die Parteinahme wird die eigene Gewalttendenz verstärkt. Sie besteht darin, dass eine Seite als Freund und die andere als Feind gesehen wird. Der Freund ist der Gute, der Feind der Böse. Jemanden als Feind zu sehen, rechtfertigt Aggressionen, denn das Böse muss bekämpft werden. Die Gewaltbereitschaft im Inneren wird auf diese Weise genährt und gerechtfertigt. Anhänger einer Seite fordern Aggressionen und Zerstörungen, die der anderen Seite zugefügt werden sollten, und sind zufrieden, wenn diese erfolgen. 

Das verinnerlichte Feindbild billigt und unterstützt das stellvertretende Ausüben von Rache, nach dem Motto: Recht so, den Feinden muss Leid zugefügt werden, sie sind so böse. Gewalt muss mit Gewalt beantwortet werden. Was die Bösen angerichtet haben, muss solche Konsequenzen haben, dass sie niemals wieder auf die Idee kommen, Böses zu tun. Der nächste Schritt wäre, aktiv auf einer Seite mitzuwirken und so die eigene Gewaltbereitschaft mit dem Gefühl der Rechtschaffenheit ausleben zu können.

Das Freund-Feind-Denken entwirft eine binäre Struktur. Jedes binäre Schema enthält eine Polarität und erzeugt damit eine Polarisierung, die eine angstgeladene Spannung enthält. Solche Spannungen sind mit einer Gewaltbereitschaft verbunden, die jederzeit explodieren kann. Weltpolitische Konflikte sind immer Auswuchs aus historischen Verwicklungen und ungelösten Spannungen, die sich dann immer wieder entladen, solange es zu keiner nachhaltigen Friedenslösung kommt. Die Frage, wer den Konflikt begonnen hat und damit die Hauptschuld trägt, ist in solchen Fällen sinnlos. Deshalb dient ein Freund-Feind-Schema, das über die komplizierte Situation gebreitet wird, nur den eigenen unbewussten Rache- und Hassimpulsen. Schwarz-Weiß-Muster sind bequemer und verhelfen zu einer einfachen Orientierung, während die Auseinandersetzung mit der Komplexität immer wieder zu Ungewissheiten und Uneindeutigkeiten führt. Wir wollen ein klares und eindeutiges Bild, und wenn es ein solches nicht gibt, basteln wir es uns selbst, damit wir uns leichter tun und die Unklarheit nicht aushalten zu müssen. Wir blenden alles aus, was nicht in das Schema passt, und sammeln all das, was unser Schema bestätigt. Eindeutige Orientierungen geben uns Sicherheit, allerdings um den Preis der Realitätsverzerrung.

Die Wurzeln der Gewaltbereitschaft

Psychodynamisch betrachtet gilt eine latente Gewaltbereitschaft immer anderen Personen, denen gegenüber wir uns früher ohnmächtig gefühlt haben. Die Racheimpulse stammen aus Erfahrungen, einer ungerechten und willkürlichen Macht ausgeliefert zu sein, ohne Chance, sich zu wehren. Das Gefühl, Opfer einer übermächtigen Gewalt zu sein, führt dann zur Identifikation mit einer Konfliktpartei, deren Schicksal an das eigene erinnert. 

Als wir klein waren, konnten wir uns nicht für Demütigungen rächen, sondern mussten sie ertragen und die Verletzungen uns begraben. Solche Erfahrungen melden sich, wenn wir im Außen Geschichten von Tätern und Opfern hören. Dann finden wir schnell heraus, wer die Guten und wer die Bösen sind, und ergreifen für die Guten Partei, um sie zu ermutigen, den Bösen Leid zuzufügen und freuen uns, wenn das gelingt. Wir merken dabei nicht, dass die aggressiven Gewaltimpulse eigentlich Personen in unserer Geschichte gelten und offene Rechnungen aus unserer Kindheit begleichen sollen. Der Bündnispartner im Außen, die Konfliktpartei, mit der wir uns identifizieren, soll dafür sorgen, dass die Rache durchgeführt wird.

Mit der Parteinahme wird also der Konflikt weiter befeuert. Aus dieser Sicht gibt es nur einen Lösungsweg, nämlich die gewaltsame Zerstörung oder Unterwerfung des Gegners. Im langen Atem der Geschichte kommt irgendwann der Moment, wo diese Gewalt wiederum ihre Rächer findet. Gewalt gebiert Gewalt, ist aber selber nicht in der Lage, der Gewalt ein Ende zu setzen. Darum ist der Schritt aus der Parteilichkeit in eine Haltung des Mitgefühls für alle Leidenden ein Beitrag zur Entschärfung des Konflikts.

P.S. Was bedeuten diese Überlegungen für den Ukraine-Russland-Krieg?
Natürlich ist es wichtig, für die Opfer auf beiden Seiten Mitgefühl zu haben. Aber die Gewalt ist klar von Russland ausgegangen als Überfall auf ein freies Land, das damit zum Opfer einer ungerechtfertigten Aggression wurde. Die Haupttäter und Hauptverantwortlichen sitzen in der russischen Regierung und sollten zur Rechenschaft gezogen werden, was aber leider nicht möglich ist. Denn es gibt keine übergeordnete Instanz, die die Täter vor Gericht stellen kann. Parteinahme für die Ukraine heißt, sie gegen die fortlaufende Gewalt zu stärken. Natürlich braucht die massive Gewalt des Angreifers Gegengewalt, um sie in die Schranken zu weisen und die gesamte Bevölkerung der Ukraine nicht der Willkür der Angreifer auszuliefern. Deshalb ist hier eine Parteinahme für das Opfer des Angriffs und für den schwächeren Teil des Konflikts notwendig und sinnvoll. Täter sollen nicht ermutigt werden, mit ihrem aggressiven Potenzial weiteren Schaden anzurichten. Es gibt in diesem Fall und bei ähnlich gelagerten Beispielen keine andere Möglichkeit, als Gewalt durch Gegengewalt einzudämmen.

Zum Weiterlesen:
Krieg und Scham