Krisenzeiten können auch dazu dienen, altbekannte Konzepte und Vorstellungen zu überdenken und durch neue zu ersetzen. Wir erleben in dieser Zeit, dass der Staat Milliarden in die Hand nimmt, um jene, die von den Einschränkungen durch die Pandemie betroffen sind, unter die Arme greifen zu können, damit Härtefälle und Existenzbedrohungen vermieden werden und die Wirtschaft nicht völlig zusammenbricht.
Wir fragen uns, woher der Staat plötzlich das Geld nimmt, wo uns doch bisher immer eingebläut wurde, dass gespart, gespart, gespart werden muss, wenn es um den Ausbau von staatlichen Förderungen und Sozialleistungen, um Investitionen in Bildung und Forschung ging. Es leuchtet auch ein, dass der Staat nicht verschuldet sein soll, sondern ausgeglichen wirtschaften sollte, wie eben jeder andere Haushalt auch. Aus unserer Praxis wissen wir, dass es nicht angenehm ist, mit einer Kreditbelastung zu leben, weil es uns an den Kragen gehen könnte, falls wir einmal das Geld für die Rate nicht aufbringen. Sobald ein Kredit abbezahlt ist, fühlen wir uns erleichtert. Also können wir nachvollziehen, dass das auch auf der Ebene des Staates so funktionieren sollte. Schließlich sind wir alle der Staat, und ab und zu wird uns vorgerechnet, wie hoch wir als Einzelne verschuldet sind, wenn die Staatverschuldung auf alle Bürger umgelegt wird, und bei solchen Vergleichen wird uns schnell schummrig (pro Österreicher wären das mit Stand 2019 ca. 35000 €): Was, wenn morgen ein Schuldeneintreiber vor der Tür steht und unseren Anteil an der Staatsverschuldung verlangt?
Wir vergessen bei diesen Vergleichen eins: Der Staat ist der Macher des Geldes, nicht das Geld die Basis des Staates. Staatsgebilde waren notwendig, um das Geld zu erschaffen – ein Zahlungsmittel, dessen Wert von allen Teilnehmern einer Gesellschaft akzeptiert wird: Alle glauben an die Zahl auf dem Geldschein, der an sich wertlos ist, und bemessen danach den Wert des Scheins für die Austauschprozesse von Gütern und Dienstleistungen. Solange dieser Glaube solid ist, funktioniert das Geldsystem, und der Staat kann Geld erschaffen, soviel er braucht. Die Grenze zeigt sich dort, wo das Vertrauen schwindet und der Wert des Geldes in Zweifel gezogen wird. Schon im 18. Jahrhundert wurde deutlich, dass das Geld an Wert verliert, wenn der Staat hemmungslos Münzen und Banknoten auf den Markt wirft.
Eine neue Geldtheorie
Soweit ein paar Grundmodelle der Volkswirtschaftslehre, laienhaft dargestellt. Die Modern Monetary Theory (MMT), eine neuere Strömung in der ökonomischen Theorie, behauptet, dass der Staat das Geld der Steuerzahler nicht braucht, um die eigenen Ausgaben zu finanzieren, sondern dass er umgekehrt die Staatsbürger dazu zwingt, die Steuern in Geld abzuliefern und damit das Geldsystem implementiert. Deshalb kann der Staat so viel Geld produzieren, wie er will und für seine Leistungen braucht, gestützt auf die Vertrauensgarantie seitens der staatlichen Institutionen. Es sind also nicht mehr die Steuerzahler, die den Staat am Leben erhalten, sondern der Staat agiert als Schiedsrichter in einem Spiel, in dem sich die Bürger an die vorgegebenen Regeln halten müssen, wenn sie einen individuellen Gewinn aus dem Spiel ziehen wollen.
Eine Folgerung aus diesem Ansatz besteht darin, dass die Arbeitslosigkeit durch eine staatliche Jobgarantie beseitigt wird. Arbeitslosigkeit führt zu hohen Kosten in der Gesellschaft und zu schädigenden Einwirkungen auf die Betroffenen, denen keinerlei produktive Wirkungen gegenüberstehen. Deshalb sollte der Staat in Krisenzeiten Jobs schaffen, auch wenn sich dadurch das Staatsdefizit erhöht. Sobald die Wirtschaft wieder in ihre Eigendynamik kommt, entstehen dort neue Arbeitsmöglichkeiten.
Vermutlich lässt sich diese Geldtheorie mit den Ideen des Grundeinkommens kombinieren und kann in ein neues Paradigma einfließen, das zur Einschränkung des neoliberal-kapitalistischen Systems beiträgt. Es ginge dabei um den Ausgleich zwischen Eigenwohl- und Gemeinwohlbestrebungen, der im Neoliberalismus gekippt ist.
Ich schreibe nicht als Experte in dieser Thematik, sondern als interessierter Wirtschaftsteilnehmer, der besser verstehen möchte, was die Spielregeln sind und wo wir Konstrukten aufsitzen, die einfach für wahr gehalten werden, ohne einer näheren Prüfung standhalten zu können. Dieser Artikel möchte dabei helfen, festgefügte Ansichten über unser Geldsystem zu erschüttern und neue Sichtweisen einzubringen. Diskussionsprozesse könnten dadurch angestoßen werden, um diejenigen Strukturen und Dynamiken, die aufgrund von Denkmodellen entstanden sind, zu verändern und in neue Bahnen zu führen. Es könnte ja sein, dass unsere Wirtschaft nicht von ökonomischen Sachzwängen regiert wird, sondern von den Annahmen ihrer Teilnehmer, die als selbstverständlich unterstellt werden, obwohl sie es nicht sind. Und es könnte sein, dass diese Annahmen Mischungen aus kognitiven Konstruktionen und emotionalen Mustern darstellen, die mehr unbewusste als bewusste Anteile enthalten.
Das Wirtschaftssystem als Glaubenssystem zu verstehen, ermöglicht das Durchschauen und Relativieren von Meinungsmanipulationen und Gefühlsprägungen. Überall wo Ängste ins Wirtschaftssystem eingeschleust werden, ist es wichtig, ihre Berechtigung und Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Ängste, die auf der Grundlage eines fragwürdigen ökonomischen Modells gesät werden, brauchen wir dann nicht mehr ernst zu nehmen.
Da Vertrauen (und begrenztes Misstrauen innerhalb dessen Rahmen) das Grundnahrungsmittel und den Grundtreibstoff jeder Gesellschaft und damit auch jedes Wirtschaftssystems darstellt, sollten alle Ängste, die durch ideologische Einflüsterungen oder naiven Grundannehmen entstanden sind, benannt und entsorgt werden. Denn sie hemmen nicht nur die Individuen in ihrer Aktionsfähigkeit und reduzieren ihre Lebensqualität, sondern verringern auch die Produktivität und Konstruktivität in den gesellschaftlichen und ökonomischen Abläufen und damit die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems, die wieder auf die Lebenszufriedenheit der Teilnehmer zurückwirkt.
Interview zur Modern Monetary Theory
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