Die Anpassung an äußere Lebensumstände ist ein Grundmechanismus des Lebens. Es gibt immer etwas Äußeres, mit dem sich das Innere auseinandersetzen muss. In dieser Begegnung, die in jedem Moment abläuft, findet Wachstum und Lernen statt. Das Äußere verändert das Innere und das Innere anschließend das Äußere.
Wenn wir uns die menschlichen Entwicklungsbedingungen
anschauen, erkennen wir schnell, dass diese Austauschprozesse selten optimal
verlaufen. Neue Wesen, die empfangen und geboren werden, stoßen auf die
bestehenden Familienstrukturen, gesellschaftlichen Gegebenheiten und
Naturbedingungen. Sie bringen ihre Individualität als Bereicherung ein. Schaffen
es die äußeren Faktoren, vor allem die familialen Bezugspersonen, in Abstimmung
und Resonanz mit den neuen Impulsen zu gehen, so entwickelt sich ein für beide
Seiten fruchtbarer Verlauf, bei dem wechselseitiges Lernen stattfindet und
emotionales und soziales Wachsen angeregt wird.
Sind hingegen die Außenbedingungen unflexibel und starr, wie
z.B. festgefügte Rollenerwartungen, die dem Kind vorgesetzt werden, so bleibt
die Wechselseitigkeit des Austausches auf der Strecke. Eltern, die genaue
Vorstellungen darüber haben, wie ein Kind zu sein hat und wie es sich verhalten
soll, welche Gefühle erwünscht sind und welche abgestellt werden müssen, bringen
das Kind in eine Friss-oder-Stirb-Alternative: Entweder du fügst dich dem
„Korsett der Erwartungen“ oder du musst schauen, wo du bleibst. Die letzte
Möglichkeit ist keine, denn sie würde den sozialen Tod erwarten. Die Anpassung
wird unweigerlich zur unumgänglichen Überlebensstrategie.
Das Äußere hat die Übermacht, weil es die Bedingungen fürs
Überleben diktiert. Das Innere muss übernehmen, was ihm vorgesetzt wird. Es
wird sich zunehmend mit den äußeren Inhalten anfüllen, um sich auf diese Weise ein-
und unterzuordnen. Es muss das Eigene zurückstecken und beiseite stellen, oft
bis es ganz verkümmert ist und scheinbar nichts mehr vom eigenen Selbst
übriggeblieben ist. Gezwungenermaßen müssen die Eigenbestrebungen und -impulse
geopfert werden. Der ängstliche Blick auf die Erwartungen, an die man sich
möglichst lückenlos anpassen muss, gräbt sich in die Gesichtszüge ein und prägt
die unterwürfige Haltung in der Begegnung mit der Welt.
Trotziger Widerstand
Da die Wachstumsimpulse nie ganz unterdrückt werden können,
zeigt sich in bestimmten Entwicklungsphasen eine Gegenbewegung gegen die
erlernte Überanpassung. Wenn neue Kompetenzen erworben werden, wie z.B. der
Eigenwille, erprobt sich dieser an den äußeren Umständen und es kann zu
Phänomenen der Rebellion kommen, mit denen gegen den Zwang zur Anpassung und Unterordnung
protestiert wird. Gleich wie diese Prozesse dann ablaufen – ob sich der
Aufstand gegen die Übermacht der Außenregulierung zumindest teilweise durchsetzen
kann oder ob er an der Dominanz und Unerbittlichkeit der äußeren Instanzen
zerbricht –, der Anpassungsdruck bleibt bestehen und bestimmt das weitere
soziale und emotionale Schicksal. Denn auch die Trotzhaltung als Kompensation
der erzwungenen Unterordnung beruht auf der Verleugnung und Weglegung des
eigenen Selbst und will es krampfhaft als Imitierung des Zwanges wieder
aufrichten. Im Protest wird das Selbst allerdings nicht gefunden, sondern nur
die Rache an seiner Beschneidung geübt. Es sollen auch die anderen leiden,
indem die Grausamkeit verdeutlicht wird, mit der das Eigene ignoriert wurde. Der
Antrieb zum Aufstand stammt zwar aus den Quellen des Selbst, das sich aus den
Korsettierungen befreien will. Aber ohne ein verständnisvolles und
respektvolles Umfeld kann das Eigene nicht wiedergefunden werden. Eigenes
wächst nur dort, wo es vom Anderen bestätigt wird.
Die Suche nach dem Selbst
Es ist nicht verwunderlich und gibt Hoffnung, dass immer
mehr Menschen aufbrechen, um ihr Selbst wiederzufinden. Das Leiden an den
inneren Konflikten, die eine unvermeidliche Folge der Überanpassungsprozesse
sind, wird immer offensichtlicher und verlangt nach Heilung. All die
Bestrebungen der Selbsterforschung und Selbstverwirklichung sind nichts anderes
als Reisen zur Wiederentdeckung eines verlorenen Kontinents, auf dem das eigene
innere Wesen, die Individualität und das Wunderbare der eigenen Lebendigkeit
warten.
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