Der gesellschaftliche Profit durch das Grundeinkommen
Bei Projekten mit dem Grundeinkommen, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, hat sich gezeigt, dass nicht nur die betroffenen Personen besser gestellt wurden, sondern auch, dass die Gesellschaft davon profitiert hat: Höhere Gesundheit, bessere Schulnoten, weniger Kriminalität bewirken eine Entlastung öffentlicher Ausgaben und eine Verbesserung der Sicherheit, die allen zugute kommt. Die Kosten der Armut – von Arbeitslosenprogrammen bis Zuckerkrankheit – belaufen sich ungefähr auf den Wert der Kosten für ein bedingungsloses Grundeinkommen; die Gesellschaft steigt also vermutlich pari aus, wenn sie sich zu diesem Schritt entschließt. Der soziale Gewinn ist kolossal: Die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft könnten ein menschenwürdigeres Leben führen. (Hier zur Quelle)
Alles, was die Gesellschaft aufgeben muss, ist die Ideologie der individuellen Leistung. Sie besagt: Die einzelnen Menschen erhalten mehr von der Gesellschaft, wenn sie mehr leisten. „Wer nicht arbeitet, kriegt nichts zum Essen“, war die Devise im Sowjetkommunismus; im Kapitalismus westlicher Prägung war und ist sie die Grundlage für den Gesellschaftsvertrag: Menschen werden nach dem Ausmaß ihrer Leistung mit Lebenschancen belohnt oder eben nicht. Allerdings ist das, was unter Leistung verstanden wird, auf bestimmte Tätigkeiten reduziert, die im kapitalistischen System unmittelbar Gewinn bringen, z.B. die Erzeugung eines Gutes, das am Markt erfolgreich verkauft werden kann. Von den be- und entlohnungswürdigen Arbeiten ausgenommen sind z.B. die Hausarbeit, die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder die Suche nach einer Arbeit, geschweige denn das Drehen einer Leier, das Musizieren auf der Straße oder das Betteln (selbst diese verachtete Tätigkeit bedient einen sozialen Zweck: Sie macht darauf aufmerksam, dass es Armut gibt und dass etwas dagegen unternommen werden muss).
Viele Tätigkeiten der sozialen Fürsorge und Absicherung sind aus dem, was als Leistung im Sinn des Kapitalismus definiert ist, ausgegliedert. Sie sollen zwar stattfinden, weil auch der Kapitalismus Menschen braucht, die emotional stabil und intelligent sind und in verschiedenen Positionen Ertrag bringende Wirtschaftsleistungen beisteuern können. Aber die Aufwandsentschädigung für die Bildung und Aufrechterhaltung dieser kognitiven und emotionalen Kompetenzen (z.B. in Form eines liebevollen und angstfreien Umsorgens und Förderns von Kindern durch Eltern) wird den Betroffenen zugemutet, und die Allgemeinheit, die den Gewinn in Form von sozialer Sicherheit bekommt, putzt sich ab. Denn ohne wachsende Standards an sozialer Sicherheit, die von intelligenten und emotional kompetenten Menschen gewährleistet wird, und damit ohne sozialen Ausgleich gibt es auch kein Wachstum des Kapitalismus. Vielmehr drohen gesellschaftliche Spannungen, Asozialität, Segregation, bis zum Bürgerkrieg und zu anderen Formen der zerstörerischen Gewalt, die schließlich jedes produktive Wirtschaften unmöglich machen. Ein Blick auf einen „failed state“, wie Libyen, Syrien, Somalia oder Afghanistan zeigt augenscheinlich, welchen Wert eine intakte Zivilgesellschaft, die interne Spannungen abpuffern kann, ausmacht – und dafür muss ein Grundmaß an sozialer Gerechtigkeit erfüllt sein.
Also: Ohne soziale Sicherheit, die bisher weitgehend als freiwillige und unbezahlte Leistung bereitgestellt wird, fehlen dem Kapitalismus die Rahmenbedingungen für sein Funktionieren sowie die Akteure, motivierte und intelligente Arbeitskräfte, Menschen, die gerne arbeiten. Soziale Sicherheit und Arbeitsfreude sind zwei untrennbare Seiten einer Medaille. Das Grundeinkommen bedenkt auch die unsichtbaren Leistungen für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt.
Sind Menschen von Grund auf faul?
In der Diskussion um das Grundeinkommen spielen vor allem drei Argumente gegen das Grundeinkommen die zentralen Rollen. Das erste Argument ist alt und geht davon aus, dass Menschen von Grund auf faul sind. Sie nehmen jede Gelegenheit wahr, in der jemand anderer für sie sorgt, um sich auf die faule Haut zu legen. Das Grundeinkommen würde also nur zur Leistungsflucht führen, und ein paar wenige Fleißige müssten die vielen Tachinierer auf der sozialen Hängematte am Leben erhalten, was das gesellschaftliche Gleichgewicht aus dem Lot bringen könnte.
Dagegen haben die Experimente mit dem Grundeinkommen in einigen Ländern (z.B. Kanada, Finnland) festgestellt, dass es die meisten Betroffenen zur Arbeitssuche motiviert hat. Sie hatten zwar weniger Druck und Stress, aber das hat geholfen, sich eine Arbeit zu suchen, die mehr den individuellen Fähigkeiten entspricht. Die Leute nehmen also nicht aus Angst die erstbeste Arbeit an, die dann oft schnell wieder aufgegeben wird.
Die anthropologische Grundannahme, die in dem ersten Gegenargument steckt, dass der Mensch von Natur aus Anstrengung vermeiden will, stimmt offenbar nicht. Sie ist ein weitgehend ungeprüftes Grundaxiom vieler konservativer und neoliberaler Ideologien und wird gerne genutzt, um Stimmung gegen ein Grundeinkommen zu machen. Doch die These von der angeborenen Faulheit der Menschen beruht auf einer dürftigen Beweislage. Vermutlich wird sie besonders von zur Selbstausbeutung neigenden „Leistungsträgern“ gepflegt, die sich ihre eigene Sehnsucht nach Nichtstun nicht eingestehen und deshalb auf alle anderen projiziert werden, die sich nicht Tag und Nacht dem Arbeitsstress unterordnen.
Betrachten wir doch die Erfahrungen, die wir selber mit uns machen. Wenn alles soweit in Ordnung ist, wollen wir etwas tun und schaffen. Wenn wir lange genug im Bett waren, wollen wir aufstehen und Dinge in Bewegung bringen, sei es die Blumen gießen oder Geschäfte abschließen. Menschen, die sich mit sich selber wohlfühlen und nicht unter einer Krankheit leiden, haben einen verlässlichen Drang nach Aktivität, gepaart mit dem Bedürfnis nach entsprechender Entspannung und Regeneration. Wir halten das Faulsein eine Weile aus, dann wollen wir wieder etwas tun, auch wenn es mit Anstrengung verbunden ist. Nur wenn wir krank sind – dazu zählen auch seelische Krankheiten wie Depressionen oder Angstzustände –, können wir uns nicht zum aktiven Tun aufraffen, sondern fühlen uns gehemmt, antriebslos und schlaff. Menschen mit solchen Problemen gibt es unabhängig von einem Grundeinkommen, und sie müssen ohnehin durch das Sozial- und Gesundheitssystem versorgt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Annahme, dass ein Grundeinkommen die Leistungsbereitschaft verringern würde, nicht stimmt, im Gegenteil sagen uns die Befunde: Die Leistungsmotivation steigt an, wenn sich Menschen sicherer fühlen.
Industrie 4.0
Das eigentliche Problem, auf das wir zusteuern (Stichwort: Industrie 4.0), ist nicht die unterstellte notorische Grundfaulheit der Menschen, sondern der zunehmende Mangel an Tätigkeiten, die eine direkte Leistung für die Wirtschaft erbringen. Viele Berufe werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren verschwinden, weil deren Arbeit von Maschinen übernommen werden wird. So wie der Beruf des Schriftsetzers seit den 1980er Jahren der Vergangenheit angehört, wird es bald kaum mehr Chauffeure geben, außer in den Limousinen der Oberschicht. Früher fuhr in jedem Straßen- und Schnellbahnzug ein Schaffner mit, bald werden die Züge ohne menschliches Personal fahren. Auch in scheinbar zukunftssicheren Berufssparten wie Rechtsberatung und ärztliche Diagnostik sind die Leistungen der Computer mit ihrer künstlichen Intelligenz den Menschen bereits überlegen. Schon jetzt führen Roboter Operationen mit Erfolg durch. Alle Tätigkeiten, die mit Routine verbunden sind, werden über kurz oder lang von Maschinen übernommen. Unsere Fantasie reicht kaum, uns vorzustellen, wie unsere Arbeitswelt in Zukunft beschaffen sein wird, so schnell verläuft die Entwicklung der entsprechenden Technologien. (Hier zu einem Video mit Richard David Precht zu dem Thema)
Nach der Einschätzung der meisten Experten ist die Idee der Vollbeschäftigung nicht in die Zukunft hinein zu retten. Möglicherweise werden im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt die arbeitenden Menschen die Minderheit bilden – Arbeit als Privileg, das nur durch eine neue Form der sozialen Auslese gerecht verteilt werden kann. Jene, die leer ausgehen, sind zum Nichtstun (im Sinn wirtschaftlich verwertbarer Tätigkeit) verdammt, einfach weil es nichts Entsprechendes zu tun gibt. Man könnte auch sagen, die Faulheit wird der Mehrheit verordnet, und sie können sich dann selber aussuchen, womit sie ihre Zeit verbringen können.
Hatte Karl Marx doch recht?
Möglicherweise entsteht auf eher unerwartete Weise, was Karl Marx in seinen Frühschriften zu "klassenlosen Gesellschaft" des Kommunismus prophezeit hat: Sie werde den "totalen Menschen" schaffen und die gesellschaftliche Arbeit durch "freie Tätigkeit" ersetzen. Sie werde jedem einzelnen ermöglichen, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden." (Karl Marx, Die deutsche Ideologie, 1845-46) Es gibt also in dieser Utopie keine fixen Berufe mehr, sondern die Menschen tun, wonach ihnen gerade ist, wozu sie gerade Lust haben. Was das Jagen, Fischen und Viehzüchten anbetrifft, werden wir auch in Zukunft Spezialisten brauchen, die jene Bereiche abdecken, die nicht von Robotern erledigt werden können. Außerdem, und das ist ein anderes, aber mit diesem Szenario verflochtenes Thema, können wir uns fragen, wie lange es überhaupt noch Objekte des Jagens und Fischens geben wird, also frei lebende Tiere, und was die Viehzucht anbetrifft, haben wir hier schon ein Ausmaß an Ressourcenverschwendung erreicht, das nur mit einer drastischen Reduktion des Fleischkonsums und damit einer radikalen Beschränkung der Viehzucht korrigiert werden kann.
Davon abgesehen, gibt es harmlosere und feinere Tätigkeiten, denen die Menschen nachgehen können, für die es keine Arbeit mehr gibt: Vom Chorsingen bis zum Unterhalten und Pflegen von Kindern und altersschwachen Menschen, vom Gedichte schreiben, Sport betreiben, Spiele spielen, Sozialprojekte initiieren bis zum „Kritisieren“ herrscht kein Mangel an kreativen und sinnvollen Tätigkeiten für alle, deren Arbeitsleistung nach Maßgabe des Kapitalismus (also für die Gewinnmaximierung) nicht mehr gefragt ist.
Finanzierbarkeit des Grundeinkommens
Das zweite Argument gegen das Grundeinkommen bezieht sich auf die Finanzierbarkeit. Hierzu der Schweizer Unternehmer Daniel Häni: „Volkswirtschaftlich würde etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts zu bedingungslosem Einkommen werden, in Deutschland rund eine Billion Euro im Jahr. Der größte Teil davon wären, wie angedeutet, die bestehenden Erwerbseinkommen im Umfang von rund 550 Milliarden Euro. Der zweitgrößte Teil wären die staatlichen Sozialleistungen, die in der Höhe des Grundeinkommens bedingungslos würden (etwa 300 Mil¬liar¬den Euro). Genauso verhielte es sich bei den bestehenden privaten Transferzahlungen, zum Beispiel innerhalb der Familie (in der Summe sind das geschätzte 150 Milliarden Euro).“ (Hier zur Quelle)
Vor der Einführung der allgemeinen Sozialversicherungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts (Kranken-, Unfalls- und Altersversicherung) in einigen europäischen Ländern zweifelten viele an der Leistbarkeit. Die Geschichte hat die Zweifler eines Besseren belehrt.
Viele Fragen sind in diesem Bereich noch offen und verschiedene Modelle werden diskutiert, aber die meisten Experten gehen davon aus, dass ein Grundeinkommen in unseren reichen Volkswirtschaften leistbar ist. Es braucht nur den gesellschaftlichen Willen, die notwendigen Veränderungen umzusetzen, die möglicherweise die Reicheren etwas weniger reich und die Ärmeren etwas weniger arm machen.
Grundeinkommen und Migration
Schließlich zum dritten Argument, das vom allgegenwärtigen Thema Migration stammt: Die Länder mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würden automatisch zu Magneten für die Wanderbewegungen aus Ländern mit bitterer Armut und fehlenden Zukunftschancen werden. Dieser Befürchtung kann allerdings relativ einfach gegengesteuert werden: Das Grundeinkommen wird so lange auf die eigenen Staatsbürger beschränkt und kommt nur ihnen zugute, solange es nicht von anderen Ländern angewendet wird. Erst in dem Maß, in dem diese staatliche Leistung zwischen den Staaten vergleichbar wird, können auch andere Menschen in das System aufgenommen werden.
Sollten dann irgendwann, irgendwann alle Länder der Erde ein Grundeinkommen anbieten, würde sich das Problem der Migration von selber erledigen. Die Menschen, die dann noch umsiedeln, tun dies ohne Existenznöte.
Zusammenfassung: Pro Grundeinkommen
Einige Punkte wurden oben schon angeführt. Alles, was den Menschen Angst nimmt, macht sie menschlicher, kreativer, produktiver, selbstbestimmter. Der Schweizer Grundeinkommensverfechter Daniel Häni fügt noch hinzu, dass Menschen dadurch nicht mehr Geld, aber mehr Macht bekommen. Wer existentiell abgesichert ist, kann schwerer manipuliert werden. Außerdem steigert es die Motivation der Menschen und damit die ökonomische und soziale Kreativität. Die Gesellschaft der Zukunft ist auf jede Form von menschlicher Kreativität angewiesen, um noch eine menschliche Gesellschaft bleiben zu können.
Eine der großen Utopien der Menschheit könnte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen seiner Verwirklichung näher kommen: Das Ende von Armut und die Schaffung von menschenwürdigen Lebensgrundlagen für alle. Beginnen können diese Entwicklung vermutlich nur die reichen Staaten, und wenn das einmal gelungen ist, wird es spannend zu beobachten, wie sich diese sozialen Errungenschaften auf die eigene Gesellschaft und auf andere Länder auswirken.
Ein langer Weg?
Auch wenn wir eingesehen haben, dass über kurz oder lang kein Weg um ein Grundeinkommen herumführt, wird es viel politischen Muts und visionärer Kraft bedürfen, um den Übergang vom primitiven Kapitalismus, in dem wir (sozial betrachtet) noch immer leben, zu einer Menschengesellschaft mit echter Gleichheit bei der Grundsicherung schaffen. Je eher wir beginnen, unsere Mentalitäten auf eine „Nacherwerbsgesellschaft“ einzustellen, desto leichter wird es uns fallen, den Weg in diese Richtung weiterzugehen. Wir können auch davon ausgehen, dass dort, wo zuerst dieser Schritt gewagt wird, die meisten Anpassungsprobleme auftauchen werden, aber auch umso früher die Gewinne eingebracht werden können.
Zum Weiterlesen:
Armut ist ein Ärgernis
Reich und arm, Demut und Würde
Die Begnadeten und die Benachteiligten
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