Unter „fawning“ (engl.), übersetzt Katzenbuckeln (oder auch „Speichellecken“) versteht ein Zweig der Traumatherapie das Muster des „Es-allen- Rechtmachens”. Nach dem US-Therapeuten Patrick Walden, der diesen Ausdruck als vierte Form der Traumareaktion (neben Kämpfen, Flüchten und Erstarren) beschrieben hat, neigen Menschen mit diesem Muster dazu, sich an die Bedürfnisse anderer anzupassen, sodass sie sich oft in kodependenten Beziehungen wiederfinden und dort ihre Traumgeschichte wiederholen.
Walden schreibt: „Katzenbuckel-Typen suchen Sicherheit, indem sie mit den Wünschen, Bedürfnissen und Forderungen der anderen verschmelzen. Sie handeln so, als ob sie unbewusst glaubten, dass der Eintrittspreis in jede Beziehung darin bestünde, all ihre Bedürfnisse, Rechte, Vorlieben und Grenzen aufzugeben.“
Hier eine Liste der klassischen Anzeichen des Katzenbuckelns. Diese Verhaltensweisen herrschen besonders dann vor, wenn ein Traumaüberlebender Angst verspürt oder getriggert wird:
• Rechtmachen
• Die Unfähigkeit zu sagen, was man wirklich fühlt oder denkt
• Sich um andere zum eigenen Nachteil kümmern
• Auf alle Bitten „Ja“ sagen
• Anderen schmeicheln
• Mit geringem Selbstwert kämpfen
• Konflikte vermeiden
• Das Gefühl, ausgenutzt zu werden
• Großes Bemühen, mit anderen übereinzustimmen
Weil die Katzenbuckler-Typen Schwierigkeiten haben, sich Raum zu nehmen und ihre Bedürfnisse auszudrücken, sind sie verletzbarer durch emotionalen Missbrauch und durch Ausbeutung. In missbräuchlichen Umständen (z.B. beim Kindesmissbrauch oder bei Gewalt in Intimbeziehungen) können die Missbraucher die Flucht- oder Kampfreaktion des Opfers unterdrücken, indem sie Strafen androhen, sodass dem Opfer nur die Anpassungs- oder Erstarrungsreaktion zur Verfügung steht.
„Wenn uns die Macht oder Fähigkeit zum Kämpfen oder Flüchten fehlt, was sehr häufig bei komplexen Traumatisierungen vorkommt, werden wir erstarren, werden wir beschwichtigen oder dissoziieren,“ sagt Dr. Kathy Kezelman, Direktorin eines Traumazentrums. „Die Beschwichtigungsreaktion, die auch als Gefallenwollen oder Katzenbuckeln bekannt ist, ist eine weitere Überlebensreaktion, die auftritt, wenn das Opfer Gefahrensignale erkennt und sich fügen muss und die Konfrontation minimiert im Versuch, sich zu schützen.“
Wie ist das Erleben beim Katzenbuckler?
Alle Menschen suchen wir nach Beziehungen, die sich bequem und bekannt anfühlen. Für Traumaüberlebende des Anpassungstyps, die sich sehr bemühen, um in Beziehungen zu gefallen, kann das leider bedeuten, dass sie missbräuchliche Beziehungen anziehen, die sich bekannt anfühlen oder als etwas, das man „sich verdient“ hat.
Ein Betroffener schreibt: „Je mehr ich mich in einer emotionalen Verbindung engagiert habe, desto unwahrscheinlicher war es, dass ich diese Person kritisiert habe oder dass ich angesprochen habe, wenn meine Grenzen überschritten wurden. Ich konnte mein Unglück über ihr Verhalten nicht ausdrücken und konnte auch nichts mitteilen, von dem ich dachte, es könnte die Beziehung zerstören. Es war notwendig, aus einer Freundschaftsbeziehung herauszutreten, die mich so tiefgründig erschüttert und zerstört hatte – während ich in die tiefsten Tiefen der Magersucht abrutschte –, bevor ich erkannte, dass das Verhalten, Personen nachzujagen, die kontrollierten, emotional unerreichbar und sogar missbräuchlich waren, meine Geist zerstörte. Ich suchte nach den emotional verschlossensten Menschen, und ich warf mich in diese Verfolgungsjagd, irgendwo im Glauben, dass ich meine Werthaftigkeit nur unter Beweis stellen könnte, wenn ich die Liebe und Zuwendung der am wenigsten erreichbaren Person sicherstellen könnte.“
Das bedingungslose Anpassen ist ein selbstbeschützender Panzer, wie die anderen Stressreaktionen. Es hat vielen Traumaüberlebenden ermöglicht, missbräuchliche und gefährliche Umstände zu überleben.
Es gibt keine „besseren“ oder „schlechteren“ Stressreaktionen, aber schädlich ist es, wenn man in einer von ihnen feststeckt. Obwohl das Katzenbuckeln die Angst besänftigen kann und dazu beitragen kann, sich im Moment sicherer zu fühlen, kann es tatsächlich die eigene Stimme zum Verstummen bringen und verhindern, sich zu heilen oder mit Menschen zu umgeben, die dem eigenen Wohlbefinden zuträglich sind.
Zur Diskussion
So einleuchtend die Anpassungsreaktion zum Schicksal einer durch emotionalen Missbrauch traumatisierten Person passt, so wenig passt sie allerdings in den „klassischen“ Kanon der Traumareaktionen: Kämpfen, Flüchten, Erstarren. Denn diese drei Reaktionsformen sind elementare und evolutionär tief verankerte Überlebensstrategien, die das vegetative Nervensystem zur Verfügung stellt und je nach den Umständen ohne bewusstes Zutun in einer Belastungssituation aktiviert.
Die Reaktion des „Katzenbuckelns“ ist eine Form, über das bewusst gesteuerte Verhalten weitere Traumatisierungen zu verhindern und entsteht in der Folge einer komplexen Risikoabwägung, die allerdings auch im Unterbewussten vorgenommen wird. Oft ist sie die Folge von Drohungen, z.B. beim sexuellen Missbrauch: „Wenn du etwas über das sagst, was wir gerade gemacht haben, wirst du bestraft, also schweig!“ Scheinbar bietet diese Reaktion den Ausweg aus Situationen, die mit Kämpfen oder Flüchten nicht bewältigt werden können, weil die Abhängigkeit vom Täter so groß ist. Sie kann aber erst auftreten, wenn das Nervensystem wieder in einem sozial aktiven Zustand ist, also wieder eigene intentionale Handlungen erlaubt. Der parasympathische Lähmungszustand muss überwunden sein, und die sympathische Hocherregung im Kampf-Flucht-Modus muss abgemildert sein, damit sich das Anpassungsverhalten etablieren kann.
Gleichwohl ist dieser Verhaltenstyp weit verbreitet und oft tief in der Persönlichkeitsstruktur verankert, und seine Auswirkungen können viel Leid anrichten. Manche Menschen verstehen nicht, warum sie immer wieder in Beziehungen landen, die ihnen nicht guttun. Wenn sie erkennen, dass es die eigene Traumageschichte ist, die sie in solche Abhängigkeitsmuster führt, haben sie die Chance, den unterwürfigen Kater in eine selbstbewusste Raubkatze zu transformieren, wozu in jedem Fall eine therapeutische Begleitung angeraten ist.
Hier zur Quelle dieses Artikels.
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