Samstag, 25. Mai 2019

Privileg Flugreisen

Fliegen wir, solange es noch so billig ist, und nutzen wir dabei die Großzügigkeit der Unterstützung durch die öffentliche Hand! Zählen wir uns zu den Privilegierten, die in den Genuss von Förderungen kommen, ohne irgendeinen Finger dafür rühren zu müssen. Alles, was notwendig ist, ist einen Flug zu buchen, und schon fällt der Geldsegen auf uns.

Aber was, wir müssen ja auch bezahlen, und die Fluglinien und Reiseanbieter werden immer unverschämter. Sie verrechnen Gepäckstücke, Sitzplatzwahl und jede Kleinigkeit zum Essen und Trinken zu überhöhten Preisen. Wo ist da irgendeine Begünstigung? Die angepriesenen Billigstpreise kriegt man ja ohnehin nie, also zahlt jeder Fluggast einen angemessenen Preis für die Leistung. 


Hochsubventioniertes Verkehrsmittel


Auch in diesem Bereich ist alles relativ. Die gesamte Branche des Passagierfluges ist hochsubventioniert. Im Chicagoer Abkommen kam es im Jahr 1944 zu einer Einigung, dass der Flugzeugstreibstoff Kerosin von der Mineralölsteuer ausgenommen wird. Seither hat sich daran nichts geändert, das Privileg wurde beibehalten und wird von der fliegenden Minderheit und der nichtfliegenden Mehrheit aller Länder stillschweigend toleriert. Für Österreich ergibt das für die Flugbranche eine jährliche Ersparnis von knapp einer halben Milliarde Euro pro Jahr, die als Steuereinnahme in den Staatssäckel fließen könnte, wenn es in diesem Bereich die entsprechende Gerechtigkeit gäbe. Dazu kommt, dass Tickets für Auslandsflüge von der Mehrwertsteuer befreit sind, was eine weitere versteckte Subvention für diesen Bereich in der Höhe von 185 Millionen Euro jährlich bedeutet. Außerdem müssten in Österreich alle Regionalflughäfen (außer Wien-Schwechat) schließen, wenn sie nicht mit öffentlicher Unterstützung über Wasser gehalten würden. Selbst bei der Errechnung der Klimaziele, zu denen sich die Staaten verpflichtet haben, werden die CO2-Emissionen von Flugzeugen nicht mitberechnet.

Es findet also fortwährend eine Umverteilung von den Nichtfliegern zu den Fliegern statt, die hingenommen wird und offenbar niemanden stört, weil es nicht auffällt und alle, die fliegen, die günstigen Preise genießen. In Österreich beträgt allerdings der Anteil der Nichtflieger ein Drittel der Bevölkerung, und nur 17% fliegen öfter als einmal pro Jahr. Während Geschäftsreisen zurückgehen, sind die Kurzstreckenflüge in Europa stark im Zunehmen, in dem Kontinent mit den stärksten Flugbewegungen überhaupt. Weltweit werden 4 Milliarden Fluggäste gezählt, die vor allem aus den reichen Ländern kommen, während etwa 97% der Inder nie ein Flugzeug bestiegen haben. 

Ein gravierender Aspekt, der immer mehr Menschen bewusst wird, liegt darin, dass auf diese Weise nicht irgendeine Verkehrsart gefördert wird, sondern gerade jene, die am umweltschädlichsten und unwirtschaftlichsten ihre Geschäfte macht. Man stelle sich ganz einfach vor, wieviel Energie es benötigt, den eigenen Körper mit seinem Gewicht auf 10 000 Meter hochzubringen und dort mit 800 Stundenkilometern vorwärts zu bewegen. Dagegen ist jede Fortbewegung auf der Erde im Vorteil, weil sie nur in der Horizontalen erfolgt. 

Deshalb ist klar, dass wir mit einem einzigen Kurzurlaub das gesamte klimaverträgliche Jahresbudgets eines Menschen verbrauchen können, z.B. durch einen Flug Wien-Lissabon retour. Alles, was wir darüber hinaus noch verbrauchen, ist gewissermaßen eine Hypothek auf die Zukunft, in der radikal gespart werden müsste, um wieder auf Gleich zu kommen. Der durchschnittliche Jahresverbrauch eines PKW mit 12 000 gefahrenen Kilometern entspricht in etwa dem Verbrauch eines Fluges Wien-Madrid-Wien. Dazu kommt noch, dass sich die CO2-Emissionen von Flugzeugen in großer Höhe für die Atmosphäre um das 2,7 fache schädigender auswirken als die Emissionen auf dem Boden. 

Mit Preisschnäppchen Wochenenden um Wochenenden Städte wie Bratislava, die an Billig-Airlines angeschlossen sind, zu besuchen, reizt viele, die Abwechslung in ihren Alltag bringen wollen. Wären wir nicht blöd, wenn wir nicht nutzen, was sich anbietet, solange es eben noch geht? Spätere Generationen, die den möglichen Schaden, den wir durch unser Verhalten anrichten, ausbaden müssen, werden uns allerdings nicht unsere Blödheit vorwerfen, sondern unsere Verantwortungslosigkeit und unseren Egoismus, unsere Gier und Kurzsichtigkeit. Wie sollen wir da zur Verantwortung gerufen werden?


Verhaltens- und Systemänderungen


Aus der Sicht der Umweltverträglichkeit, deren eminente Bedeutung uns immer klarer wird, ist es dringend notwendig, dass sich in diesem Bereich etwas grundlegend ändert. Einerseits müsste alles darangesetzt werden, die Flugzeuge emissionsärmer und ressourcenschonender zu bauen, andererseits müssten die Konsumenten selber mehr zum Klimaschutz beitragen, indem die Kostenwahrheit bei den Flugpreisen eingeführt wird. Und schließlich geht für jeden Menschen auch darum, dieses klimaschädliche Verkehrsmittel möglichst selten oder überhaupt nicht zu nutzen.

Es geht also um Änderungen im individuellen Verhalten und um Änderungen in den Systemen. Dass es wirklich im Großen signifikante Verbesserungen gibt, erfordert die Umgestaltung der Systeme –   aber Systeme ändern sich dann, wenn viele Einzelne Signale geben, die dann einen Trend bilden, der die Politik zu Systemänderungen motiviert. Jede individuelle Verhaltensänderung ist ein Signal, das unterbleiben kann, und dann ist der Beitrag null, sprich die Verschlechterung geht ungebremst weiter; ändert jemand das Verhalten, so ist der Beitrag irgendwo knapp über null, und das macht schon einen wichtigen Unterschied. Systeme können nur von der Politik umgebaut werden, die Politik verändert aber nur dann, wenn genügend Einzelne anders handeln. Die öffentliche Verwaltung beginnt erst dann mit dem Bau von Radwegen, wenn genügend Menschen mit dem Rad fahren. Sobald Radwege gebaut werden, steigt die Zahl der Radfahrer usw.


Gewohnheiten ändern


Bei uns als Individuen geht es um die Änderung von Gewohnheiten. Gewohnheiten sorgen dafür, dass wir bei unseren Einstellungen und Handlungsweise verbleiben, oft auch wider besseres Wissen. Es ist ökonomischer, wenn wir uns nichts Neues überlegen müssen. Deshalb braucht es starke Motive, um aus einer Gewohnheitsschleife auszusteigen. 

Unter der kognitiven Dissonanz versteht man die psychologische Spannung zwischen unserem Verhalten und unseren Einstellungen oder Werten. Wir haben z.B. die Einstellung, dass das Fliegen umweltschädlich ist. Aber zugleich haben wir die Lust, bequem einen anderen Ort zu erreichen, um dort ein nettes Wochenende oder einen Urlaub zu verbringen. Um die Spannung zu unseren Werten zu verringern, sagen wir uns, dass wir im Vergleich zu anderen nur selten fliegen oder dass, wenn wir nicht fliegen, jemand anderer an unserer Stelle fliegen würde oder dass wir uns in anderen Bereichen sehr für Umweltschutz und Klima engagieren. Wir suchen also Argumente, die unsere innere Dissonanz schwächen und damit verringern, und sie dienen uns bei der Beruhigung unseres ökologischen Gewissens. 

Auf diese Weise manipulieren wir uns selber. Wir tricksen uns aus, indem wir alle möglichen Ausreden suchen und finden. Unser Verhalten bleibt aber umweltschädlich, gleich welche Entkräftungen wir uns einfallen lassen. Wir tragen die Verantwortung für dieses Verhalten und seine Konsequenzen, niemand sonst. Das schlechte Gewissen, das uns dabei plagt, bleibt, und wir müssen es immer wieder mit unseren Gegenargumenten abstellen.


Widersprüche aushalten


Statt durch Rationalisierungen und Gedankenoperationen unsere kognitive Dissonanz aufwändig zu reduzieren, können wir bewusst die Widersprüche aushalten, in die wir durch unser wertinkonsistentes Verhalten geraten. Wir reden uns nicht ein, dass das, was wir tun, in Ordnung oder ohnehin nicht schlimm ist, sondern anerkennen, dass wir mit unserem Verhalten Schaden anrichten und dass wir in Widerspruch zu dem handeln, was uns wichtig ist. Statt uns kognitiv aus dem Dilemma herauszuwursteln, bleiben wir drin und gestehen uns ein, was wir tun, obwohl wir es eigentlich nicht wollen, bzw. Obwohl wir die Schäden, die wir damit anrichten, verhindern wollen.

Das Aushalten der kognitiven Dissonanz, ohne in heuchlerische Ausreden zu flüchten, lässt uns unsere Selbstverantwortung spüren. Und dann kommt es vielleicht da oder dort zu Verhaltensänderungen, indem wir zu unseren Werten stehen. Wir merken, dass es nicht mit Verzicht, sondern mit Gewinn verbunden sein kann, die Gewichte in unserem Handeln zu verschieben, indem wir z.B. ein freies Wochenende nicht in einer Stadt verbringen, die wir nur mit dem Flugzeug erreichen können, sondern in einer anderen, in die wir bequem mit dem Zug kommen.

In Schweden macht der Begriff der Flugscham die Runde: Wer das Flugzeug ohne triftigen Grund nutzt, soll sich schämen. Doch ein schlechtes Gewissen, das dadurch entsteht, dass wir mit dem Finger aufeinander zeigen, bringt uns nicht weiter, weil es Spannungen und inneres Leid verursacht und statt Verhaltensänderungen nur die Abwehrmechanismen stärkt. Wissenschaftliche Studien haben herausgefunden, dass Menschen, die beschlossen haben, nicht mehr zu fliegen, vor allem durch andere Nicht-Flieger inspiriert waren. Eine Studie ergab, dass etwa die Hälfte der Befragten seltener mit dem Flugzeug reist, weil sie jemanden kennen, der gar nicht mehr fliegt. Drei Viertel sagten, es habe ihre Haltung zum Fliegen verändert und nur sieben Prozent meinten, es habe sie gar nicht beeinflusst.

Wir können also ein Beispiel geben und andere beeinflussen, das führt einerseits dazu, dass ein bestimmtes Verhalten nicht mehr als die gewohnte und unhinterfragte Norm gilt, sondern auch anders sein könnte. Andererseits regt es zur Nachahmung an und hilft beim Abbauen der kognitiven Dissonanz. Durch unser Verhalten schicken wir Signale aus, die andere, die unsicher sind, was gut ist und was nicht, aufgreifen. Niemand will negativ auffallen und statt dessen das tun, was viele andere tun. Wenn es das Nicht-Fliegen in der eigenen Umgebung gibt, wird es zu einer lebbaren Alternative, die dann im eigenen Leben eine Chance bekommen kann.

Alternativen braucht es auch auf der Ebene der politischen Systeme, und auch dort wirkt die Nachahmung. Ein Land beginnt mit der Verbannung der Plastiktaschen oder mit der Besteuerung von Finanztransaktionen, und andere nehmen sich ein Beispiel, weil sie sehen, es geht ja doch. Solche Initiativen bräuchte es auch im Bereich des Flugverkehrs. 

Quellen:
Darf ich noch fliegen? (Falter 15.5.2019)
Flieg doch einfach und nerv mich nicht! (DerStandard, 21.5.2019)

Zum Weiterlesen:
Das Pathos der Beschämung in der Klimadebatte
Nachhaltigkeit in der Demokratie

Ökologie und Ausreden
Nachhaltiger Konsum - aber echt
Klimaabgabe für mehr Verantwortung

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