Dienstag, 17. Oktober 2017

Nachhaltigkeit in der Demokratie

Die Entsorgung der Nachhaltigkeit


Soeben wurde in Österreich die einzige Partei, die sich „nachhaltig“ für die Nachhaltigkeit einsetzt, auf demokratischem Weg aus dem Parlament entfernt. Viele Gründe mögen bei diesem Vorgang eine Rolle spielen. Interessant erscheint mir die Frage, warum mit dem Thema „Klimaschutz“ kein Erfolg bei Wahlen möglich ist – und was das für den Klimaschutz bedeutet.

Wie im vorangehenden Blogartikel beschrieben, orientiert sich die Wahlpropaganda stark an den Ängsten der Wähler. Sie sollen sich in ihrer Notlage verstanden und von den Politikern beschützt fühlen. Die meisten Stimmgewinne konnten die Politiker verbuchen, die entweder versprochen haben, alle Zuwanderungsrouten zu sperren oder die Absicht bekundet haben, die schon angekommenen Wirtschaftsflüchtlinge samt und sonders außer Landes zu weisen und den noch verbleibenden „Asylanten“ das Existenzminimum zu halbieren. Die Wähler erhoffen sich, auf solche Weise vor dem Fremden geschützt zu werden und sich hinkünftig sicherer fühlen zu können.

Ein Freund hat zu meinem letzten Blogbeitrag geschrieben: „Eigentlich ein kindliches Verhalten, dass sich wer Anderer um die eigenen Ängste kümmern soll ... So frage ich mich, warum gibt es so wenig Erwachsene?“ Wenn wir Angst haben, regredieren wir, und je irrealer die Angst ist, desto weiter rutschen wir zurück in die Infantilität.

Erwachsen sein heißt nicht nur, Verantwortung für die eigenen Ängste zu übernehmen, sondern auch, die Folgen des eigenen Verhaltens über den Horizont des unmittelbaren Nutzens oder Schadens hinaus abschätzen zu können. Wir alle tragen mit unseren alltäglichen Handlungen dazu bei, dass unserem Planeten in absehbarer Zeit „die Luft ausgeht“ – siehe hier. Die meisten Menschen wissen Bescheid über die vielfältigen Gefahren, die von einer Klimaveränderung ausgeht. Sie wissen auch, welche Handlungen klimaschädlich sind. Aber ähnlich wie ein Raucher, der weiß, dass er sich mit seiner Gewohnheit Krebs einhandeln kann, jedoch den unmittelbaren Genuss und die kurzfristige Entspannung dem Verzicht, der längerfristigen Gewinn verspricht, vorzieht, wollen wir unser Konsumniveau halten und weiter steigen, obwohl klar ist, dass jede Steigerung von Produktion und Konsum langfristig das Tempo der Zerstörung der Lebensgrundlagen steigert.

Unsere inneren Kinder schreien: Wir wollen es jetzt und wir wollen es gleich. Der Erwachsene in uns weiß zwar, dass wir unsere Konsumgewohnheiten ändern sollten, aber er ist auch im Rationalisieren geübt: Warum soll ich anfangen, mein Leben zu ändern? Was bewirkt das schon, wenn ich auf dies oder jenes verzichte? Die anderen sind ja viel schlimmer, ich esse ja schon viel weniger Fleisch als vor Jahren, ich lasse doch ab und zu auch das Auto stehen, ich fliege nicht mehr zweimal im Jahr nach Thailand, während die Chinesen mit ihren Kohlekraftwerken und die Amerikaner mit ihren Klimaanlagen und die Inder mit ihrem Motorisierungsboom…. Schließlich setzt sich in der inneren Landschaft durch, wer am lautesten und am bedürftigsten agiert. Und der Erwachsene beschwichtigt, heute kann ja durchgehen, was eigentlich nicht gut ist, morgen werde ich meine Gewohnheit ändern.


Die Kunst, sich mittels Rationalisierung von der Realität abzukoppeln


Jeder Appell zur Einschränkung und zum Verzicht ist schwer zu verkaufen. Unser Emotionalapparat signalisiert eine Bedrohung: Wir müssten unser Leben ändern, das Leben, in dem wir es uns schon so bequem eingerichtet haben – Haus, Garten, Auto, volle Kühlschränke und Tiefkühltruhen, überquellende Kleiderschränke („ach, ich weiß wirklich nicht, was ich heute anziehen soll…“), jeden Tag eine Überfülle an Wahlmöglichkeiten für den Konsum. Die Warenwelt suggeriert uns Unendlichkeiten: Die Waren fließen scheinbar aus unerschöpflichen Quellen („Warum gibt es heute keine Butterkipferl?“ „Sind schon aus, in einer halben Stunde gibt es neue.“ „Oh je, das dauert mir viel zu lange.“ „Dann nehmen’S doch Butterkroissants.“ „Nein, die sind mir zu bröselig.“). Laufend werden neue Produkte kreiert, die uns das Leben noch genuss- und abwechslungsreicher gestalten, und so soll es weiter gehen, so muss es weitergehen, ins Unendliche hinein, für die Dauer meines Lebens, und das meiner Kinder und Enkelkinder, bis in alle Ewigkeit.

Damit diese Perspektive aufrechterhalten werden kann, muss die Endlichkeit, die sich mehr und mehr in unser Bewusstsein drängen will, ausgesperrt bleiben. Die Routen, auf denen solche Gedanken einsickern wollen, müssen gesperrt werden wie der Balkan und das Mittelmeer für Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge. Wir wollen nicht „dauernd“ daran erinnert werden. Wir wissen ja eh, dass das auch ein Problem ist. Aber das Hemd ist allemal näher als der Rock.

Ein Politiker in dieser emotionalen Landschaft, der den Verzicht auf weiter steigenden Wohlstand, auf stetiges Wirtschaftswachstum zugunsten langfristiger Lebenschancen predigt, muss auf Abwehr stoßen und wird mit Ignoranz bestraft. Der Konkurrent, der mehr verspricht und nur die Steuern und das Sozialsystem bei den Schwächsten einschränken will, kriegt die Zustimmung. Nachhaltigkeit ist nicht demokratiefähig. Parteien, die uns bei der Nase nehmen und uns darauf hinweisen, dass wir Gewohnheiten ändern und Normalitätsvorstellungen adaptieren müssen, die die langfristige Sicherung unserer Existenzgrundlagen über Zuckerl-Genüsse, die uns für einen Moment narkotisieren, stellen, werden versenkt. Das kurzfristige Denken auf infantiler Emotionalgrundlage bekommt die satte Mehrheit. Deren Vertreter können sagen: Das ist der Wählerauftrag: Den steigenden Wohlstand und Konsum bis zur nächsten Wahl abzusichern und zu ignorieren, wie die Welt und ihr Klima in zwanzig oder fünfzig Jahren ausschauen könnte, wenn wir so weitermachen.


Wir können das Klima nur schützen, wenn wir unser Leben ändern


Wir reagieren emotional, wenn wir uns in unserem Eigentum, unserem leiblichen Wohl und unserer Integrität bedroht fühlen und wollen, dass uns der Staat absichert. Auch für den Schutz von manchen Tieren und Tierarten können wir uns emotional engagieren. Da jedoch das Klima keine Person und nicht einmal eine konkret vorstellbare Sache ist, tun wir uns schwer, Emotionen zu entwickeln, die dann unsere Entscheidungen prägen. Es ist leichter, sich von fremd aussehenden Menschen mit unverständlicher Sprache bedroht zu fühlen als vom Anstieg der Temperatur um ein oder zwei Grad. Allenfalls fühlen wir uns von großer Hitze bedroht und schützen uns mittels Klimaanlage und Freibad. Sobald es wieder kühler wird, ist das Bedrohungsgefühl verschwunden. Und nach einem verregneten Sommer wirkt ein neues Narrativ: Der Klimawandel ist ja ganz offensichtlich eine Erfindung von verrückten Wissenschaftlern.

Die Wirklichkeit verläuft nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Wenn wir einfach so weitermachen, fahren wir früher oder später gegen die Wand. Wir müssten unsere Lebensgewohnheiten ziemlich radikal ändern, um die drastische Verschlechterung der Lebensmöglichkeiten auf unserem Planeten für alle Menschen zu verhindern. Jetzt könnten (und müssten) wir beginnen, unser hohes Niveau an Komfort und Konsumfreiheit langsam zu reduzieren, indem wir unser Leben vereinfachen und unnötigen Verbrauch vermeiden.  Die Unterstützung, die die Politik durch lenkende Maßnahmen dazu beitragen könnte, ist offenbar im Rahmen dieser Demokratie, die stark für emotionale Manipulation anfällig ist, nicht zu bekommen.


Das Hochfahren von Teufelskreisen


Das Flüchtlingsthema, das den vergangenen Wahlkampf über weite Strecken beherrscht hat, ist, bezogen auf die Nachhaltigkeitsfrage, ein Beispiel für eine fehlgeleitete Symptomkur. Es soll bewirkt werden, dass Menschen, statt zu flüchten, dort bleiben, wo sie sind. Durch unsere wohlstandsfixierte Lebensweise sind wir in den reichen Ländern Hauptverursacher für den Klimawandel, den die ärmeren Länder in klimatisch exponierten Zonen besonders belastend abbekommen. Solide Berechnungen ergeben, dass ganze Gebiete in einigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sein werden, wo jetzt Millionen von Menschen leben.

Dazu kommt, dass die starre Koppelung von Wohlstand und fossilen Brennstoffen ein wichtiger Mitverursacher, wenn nicht das Wurzelübel all der desaströsen Kriegen im Nahen Osten, einschließlich des daraus entstandenen Terrorismus darstellt. Die Kriegsflüchtlinge, die nach Europa und Nordamerika drängen, flüchten vor den Folgen der Erdölgier der Länder, in die sie wollen. Und wo sonst noch auf der Welt Kriege geführt, Massaker stattfinden, ethnische Säuberungen aufgezwungen werden, die zu massiven Fluchtbewegungen führen, stammen mit großer Wahrscheinlichkeit die todbringenden Waffen aus den Zielländern der Flüchtlingswellen. Und diese stecken die Steuergelder, die aus der Waffenproduktion in die Steuersäckel fließen, in die Errichtung von Barrieren gegen alle, die in die Wohlstandoasen einwandern wollen, um ihr Überleben zu sichern. Sollen die doch bleiben, wo sie sind, solange wir unseren Wohlstand steigern können.

All diese im wahrsten Sinn des Wortes teuflischen Kreise nehmen wir wieder nur als Gelegenheit, kurz und traurig zu nicken und dann den überlasteten Kopf gleich wieder in den vertrauten Sand zu stecken. Jeder, der uns aus dieser Versunkenheit aufschreckt, ist uns zuwider.

Gibt es da noch irgendwo Hoffnung, einen Silberstreifen am düsteren Horizont?

Was die österreichische Politik anbetrifft, können wir wohl die nächsten fünf Jahre abschreiben. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass unpopuläre staatliche Lenkungsmechanismen wie die Erhöhung der Diesel- oder Kerosinbesteuerung ergriffen werden. Fast absurd erscheint die Erwartung, dass eine künftige Regierung Maßnahmen zur Reduktion des Fleischkonsums als eines Hauptfaktors des Klimawandels setzen könnte. Vielmehr steht zu befürchten, dass Leugner des menschengemachten Klimawandels in hohe und höchste Ämter dieser Republik einziehen, um dort nachhaltig abzublocken, was an Nachhaltigkeit erinnert.

Wir sind auf uns selber als Staatsbürger/innen und als Bewohner dieser Erde angewiesen. Wenn wir unsere Gruppen- und Nationalegoismen auf die Menschheit mitsamt den künftigen Generationen und die Natur ausdehnen, können wir die notwendige Motivation für die Verhaltensänderungen, die es braucht, aufbringen. Der Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher Felix Ekardt schreibt in seinem lesenswerten Buch „Wir können uns ändern“:

„Ferner kann in puncto Normalitätsvorstellungen jeder selbst das bisher Unhinterfragte im eigenen Lebensentwurf zumindest mit einer gewissen Mühe zu hinterfragen beginnen. Und was noch wichtiger ist: andere Lebenspraktiken ausprobieren, mit anderen darüber reden, sich Bündnispartner suchen und sich gegenseitig ein Vorbild sein, sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Hilfreich sein können Allianzen wie Umweltverbände oder Graswurzelinitiativen, die Druck aufbauen, geänderte Lebens- und Wirtschaftsweisen vorleben, positive Visionen … aufzeigen, gleichzeitig aber auch die möglichen katastrophalen Folgen eines Nichthandelns verdeutlichen. Ebenso wichtig ist es, die Verdrängung des schleichenden Wandels von Normalitäten etwa hin zu immer mehr Wohlstand aufzuheben. Ferner spielen konsequent handelnde Vorbilder für Normalitätsvorstellungen eine Rolle, seien es Politiker, Showstars, Unternehmer oder andere öffentlich sichtbare Personen.“ (Seite 114)


Zum Weiterlesen:
Ängste und Wahlverhalten
Erderwärmung lange nach zwölf

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