Montag, 28. Januar 2019

Automation: Zum Gemeinwohl oder zur Reichtumskonzentration?

Ein Journalist der New York Times hat mit Unternehmern während des Wirtschaftsgipfels in Davos über die Automatisierung und Künstliche Intelligenz gesprochen – im privaten Rahmen. Und dabei ist ihm die Diskrepanz aufgefallen: Öffentlich zeigen sich Unternehmer und Wirtschaftsbosse mit Sorgenfalten wegen der Arbeitskräfte, die bald nicht mehr gebraucht werden. Dahinter stecken aber die nackten Profitinteressen. Im privateren Rahmen wird nicht mehr darüber geredet, dass die Umsätze 5 oder 10 Prozent steigen sollen, sondern wie es zu schaffen ist, die gleiche Leistung mit einem Prozent der bisherigen Arbeiter zu erreichen.

Der Konkurrenzkampf ist beinhart, und jeder will die Nase vorne haben. Denn das Ziel ist verlockend: Über einen Maschinenpark zu gebieten, der automatisiert die gewinnbringenden Produkte produziert, und die Gewinne müssen mit keinem Arbeiter mehr geteilt, geschweige denn den Lohnforderungen einer Gewerkschaft gegenüber ins Trockene gebracht werden. Milliarden werden ausgegeben, um Unternehmen in schlanke, digitalisierte und hochautomatisierte Großmaschinen zu verwandeln. Wenn man vor Augen hat, wie dann die Gewinnmargen explodieren, verschwendet man keine Gedanken an die Arbeiter, die dann auf der Straße stehen. Darum soll sich gefälligst der Staat oder die Heilsarmee kümmern.

Natürlich will niemand öffentlich zugeben, dass der einzige Weg in die fortgesetzte Automatisierung führt und dass einem die Millionen an Arbeitskräften, die dann nicht mehr gebraucht werden, egal sind. Lieber redet man beschönigend davon, dass die Arbeiter von langweiligen und monotonen Aufgaben befreit werden. Es geht nicht um die Entlassung von Arbeitern, sondern um eine „digitale Transformation“, die allen zugute kommt.

Im Jahr 2017 haben bereits 53 % der Firmen Maschinen für Tätigkeiten eingesetzt, die vorher von Menschen ausgeführt wurden. Für 2020 werden Zahlen von 72 % erwartet. Ein Bericht des Weltwirtschaftsforums vom Jänner 2019 schätzt, dass von den 1,37 Millionen Arbeitern, die in den USA in der kommenden Dekade vollständig durch Maschinen ersetzt werden, nur ein Viertel erfolgreich umgeschult werden kann. Es wird angenommen, dass der Rest für sich selber sorgen muss oder von der Allgemeinheit Unterstützung braucht.

Jeff Bezos, der Chef von Amazon, hat mitgeteilt, dass über 16 000 Lagerarbeiter umgeschult wurden: In Arbeitsbereichen mit hoher Nachfrage wie der Pflege und der Flugzeugmechanik, und die Firma habe 95 Prozent der Kosten getragen. Löblich ist, dass sich eine Firma um ihre „freigesetzten“ Mitglieder kümmert, dennoch zeigt sich gerade daran, wie bedenklich die Entwicklung ist. Einesteils gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zu solchen Maßnahmen, die Firma kann solche Programme jederzeit wieder einstellen, wenn sie meint, dass sie dadurch ihren Gewinn zu stark schmälert. Andererseits zeigt sich, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Wohlstandsverlusten der betroffenen Personen kommt, die von besser bezahlten Jobs auf schlechter bezahlte umgeschult werden.


Gemeinwohldienende Technologien oder Reichtumskonzentration



Der Direktor der MIT-Initiative zur digitalen Ökonomie, Erik Brynjolfsson, sagte: „Die Wahl besteht nicht zwischen Automatisierung und Nicht-Automatisierung, sondern darin, ob man die Technologie auf eine Weise einsetzt, dass sie mehr Gemeinwohl oder mehr Reichtumskonzentration erschafft.“ Dort liegt der Kern der Thematik.

Denn diese Wahl kann nur politisch getroffen werden. Der Kapitalismus ist einzig und allein an Gewinnsteigerung interessiert. Er beugt sich nichts anderem als der Staatsmacht, die ihm gesetzliche Rahmenbedingungen auferlegen kann. Doch in vielen Ländern liegt diese Macht in den Händen von neoliberalen, nationalistischen oder konservativen Parteien, und wie sollte von dieser Seite eine Grundentscheidung für das Gemeinwohl erfolgen?


Die Gefangenschaft der rechten Parteien


Diese Parteien generieren ihren Zulauf aus hochgespielten und widersprüchlichen Themen („Wir brauchen mehr Sicherheit“ – in den sichersten Gesellschaften seit Menschengedenken, „Wir brauchen mehr nationale Geschlossenheit“ in Zeiten der Globalisierung usw.). Sie setzen für ihr Marketing digitale Maschinen ein, die auf Meinungsmanipulation und Wählerbeeinflussung spezialisiert sind, sind also Nutznießer der Entwicklung der künstlichen Intelligenz, die ja selbst über keine künstliche Ethik verfügt, weil es eine solche nicht geben kann. 

Alle diese politischen Kräfte haben also kein tieferes Interesse an einer Regulierung des kapitalistischen Fortschritts. Die Rechtspopulisten hoffen darauf, dass sie bei den Fortschrittsverlierern die unzufriedenen Stimmen einsammeln können, und die Neoliberalen freuen sich mit den Unternehmern und deren Gewinnen, an denen sie hoffen mitnaschen zu können. Deshalb decken diese ideologischen Richtungen konsequent mit ihrer Fokussierung auf Nebenthemen den ungebremsten und politisch unkontrollierten Vormarsch der arbeitsplatzvernichtenden Maschinen.

Das sind die gleichen Ideologien, die das Nachhaltigkeits-Klimaschutzthema an den Rand drängen. Somit arbeiten sie der ungehinderten Ausbreitung des Kapitalismus in die Hand, der die Natur ruiniert und Maschinen baut, denen es nichts ausmacht, wenn sich die Erde erwärmt, die Arten sterben und die Ozeane steigen. Die viele Menschen, die durch diese Entwicklung verlieren, indem sie ihre Arbeit verlieren und in schlecht bezahlte Bereiche umgeschult werden, werden in Kauf genommen. Die wenigen, die ihre Einkommen und Vermögenswerte steigern, werden es sich immer irgendwie richten können.


Wo bleiben die linken Parteien?


Natürlich wären sowohl die Nachhaltigkeitsfrage wie die Arbeitsplatzvernichtung durch die Automation klassische sozialdemokratische und linke Themen. Doch aus dieser Ecke ist wenig zu hören, viel zu wenig. Offenbar fehlt der Mut, diese Debatte anzustoßen und in einem Maß in die politische Diskussion einzubringen, die dem Thema angemessen ist. Der frühere österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat vor ein paar Jahren den Vorschlag einer „Maschinensteuer“ aufgegriffen, also einer Wertschöpfungsabgabe für von Maschinen erzielten Gewinnen, die dann für den Ausgleich der sozialen Probleme, die durch den Maschineneinsatz erzeugt werden, eingesetzt werden können. Mit ein paar Buh-Rufen von der rechten Seite war die Debatte bald erledigt. Es fehlt also offenbar am Bewusstsein für die Dringlichkeit einer politischen Regelung, sowohl in unserem Land wie in der EU, von den USA oder den fernöstlichen Wirtschaftsgiganten ganz zu schweigen.

Es macht keinen Sinn, über den Fortschritt in den Technologien zu jammern. Es liegt im Wesen des Menschen, an Verbesserungen und Neuerungen zu arbeiten. Die Forschungen in der Mikromechanik und künstlichen Intelligenz kommen in vielen Bereichen vielen Menschen zugute, z.B. in der Behandlung von Krankheiten oder in der Verbesserung der Infrastruktur.


Die Notwendigkeit des politischen Diskurses


Es ist aber in hohem Maß notwendig, den politischen Diskurs zu verstärken. Denn die Entwicklung geht weiter, angetrieben von massiven Kapitalinteressen. Erst zu warten, bis die Masse derer, die durch diesen Prozess unter die Räder kommen, so groß ist, dass Massenproteste einsetzen, ist grob fahrlässig – wenn nicht bewusst kalkuliertes Risiko, im Windschatten solcher Protestbewegungen die eigene politische Macht abzusichern; dann wären diese Versäumnisse kriminell. In einer Demokratie werden die Machtausübenden vom Volk dafür gewählt, dass sie die Interessen der Bevölkerung bestmöglich vertreten. Wenn allerdings in einer derart wichtigen Angelegenheit nichts geschieht, ist das Misstrauen in die herrschenden berechtigt und bedarf es dringend einer neuen Politikergeneration, die diese Themen mit der nötigen Ernsthaftigkeit betreibt.

Ein politischer Diskurs in dieser Frage wird nur zielführend sein, wenn er entideologisiert und auf den Kern der Demokratie zurückbezogen wird. Dieser Kern heißt die Sorge um das Gemeinwohl, also um einen sozialen Ausgleich, indem die technischen und wirtschaftlichen Veränderungen an die Lebensbedingungen der Menschen bestmöglich angepasst werden, sodass alle davon profitieren können, statt geschädigt zu werden. Wirtschaft und Technik haben nur den Sinn, uns das Leben zu verbessern und zu erleichtern. Es darf aber nicht sein, dass der Fortschritt einigen wenigen über alle Maßen zugute kommt, während die große Mehrzahl durch die Finger schaut, die nicht einmal etwas arbeiten können, weil sie durch Roboter ersetzt sind.

Setzen wir uns für den sozialen Fortschritt ein, denn er geschieht nicht von selbst, sondern wir müssen ihn wollen!


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