Das Phänomen
des Sorgenmachens habe ich in früheren Beiträgen in Bezug auf alltägliche Sorgen
besprochen: Habe ich das richtige Geschenk für meine Liebste? Wird es noch
genügend Erdbeeren am Markt geben? Komme ich diesen Monat mit dem Haushaltsgeld
aus? Wird der Sohn die Prüfung schaffen? Usw. Ich habe in diesen Zusammenhängen
damit argumentiert, dass Sorgen in
die Zukunft projizierte Ängste sind. Sie stellen deshalb eine unnötige
Belastung dar, weil sie in einem Moment, in dem möglicherweise alles in
Ordnung ist, Probleme erzeugen. Eine Angst meldet sich, dass sich in Zukunft
etwas Unangenehmes ereignen könnte. Und schon leiden wir unter dem Gewicht der
Sorge.
Die Weltsorgen
Neben
den Alltagssorgen gibt es auch gewichtigere Sorgen, die uns belasten. Sorgen,
die wir uns um allgemeine, die Gesellschaft oder die gesamte Menschheit
betreffende Probleme machen, gehören in eine andere Kategorie. Anlässe für
Sorgen gibt es genug: Von der Erderwärmung, dem Artensterben bis zum Trend für
rechtspopulistische Parteien in vielen Ländern; wir brauchen uns nur die eine
oder andere Dokumentation zu solchen Themen anschauen oder das eine oder andere
Fachbuch dazu lesen, dass wir das Gefühl schwer vermeiden können, dass sich die
Probleme auftürmen und die verantwortlichen Politiker wenig bis gar nichts
dagegen unternehmen. Es scheint in vielen bedrohlichen und bedrohten Bereichen
eher fünf nach als fünf vor zwölf zu sein, und dennoch werden in den Medien und
von den zuständigen Politikern vergleichsweise belanglose Themen breitgetreten
und heiß diskutiert, ohne dass die Themen, die mit den Zukunftsaussichten der
Menschheit zu tun haben, den gebührenden Raum finden.
Wir
befinden uns als einfache Staatsbürger in einer relativ ohnmächtigen Position.
Wir können vieles tun, um unser eigenes Leben im Sinn der Nachhaltigkeit
auszubalancieren, um also unseren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich
zu halten. Andererseits ist unser Einfluss so klein und beschränkt, sodass wir
nur wenig dazu beitragen können, um die sich rasant entwickelnden Gegentrends,
die vor allem von großen und mächtigen Spielern auf diesem Parcours angezettelt
werden, aufzuhalten.
Ist
es deshalb gerechtfertigt oder sogar notwendig, sich Sorgen zu machen?
Schließlich erscheint es etwas absurd, scheinbar sorgenfrei durchs eigene Leben
zu gehen, während gleichzeitig die Grundlagen dieses Lebens zugrunde zu gehen
drohen, gleichsam als wären wir auf einem Baum, ein Liedchen trällernd und die warme Sonne genießend, während
jemand den Ast absägt, auf dem wir sitzen.
In der eigenen Ohnmacht baden
Eine
häufige Reaktion auf dieses Dilemma besteht darin, aus der Winzigkeit des
eigenen Beitrags zur Abwendung der Umwelt- und Klimakatastrophe zu schließen,
dass es, weil so minimal, auch schon egal ist. Warum sollte ich mich
einschränken und Gewohnheiten verändern, wenn die anderen es auch nicht tun?
Was macht es für einen Unterschied, ob ich meinen Plastikstrohhalm achtlos
wegwerfe, wenn das so viele andere auch tun? Wenn ich auf eine Flugreise
verzichte, sitzt jemand anderer auf meinem Platz, wo ist da der Unterschied? Ein
Schweinsbraten mehr oder weniger macht doch das Kraut nicht fett, schließlich
wollen die Bauern und Fleischer auch von etwas leben. Und allzu penibel den Müll
zu trennen ist wohl übertrieben; die eine Glasflasche im Restmüll wird auch
keine Katastrophe hervorrufen.
Die Strategie der Beschwichtigung
Wenn
ich mich selber überzeugt habe, dass ich ohnehin nichts ausrichten und mir
deshalb die Mühen der ökologischen Achtsamkeit ersparen kann, bleibt allerdings
noch das Wissen über die drohenden Szenarien einer aus dem Lot geratenen Natur
mit unabsehbaren Folgen. An diesem Punkt kann ich die Strategie der
Beschwichtigung wählen. Und diese hat eine Menge an Ideen auf Lager: Wer weiß
schon, ob alles so kommen wird; Wissenschaftler haben sich schon oft geirrt; es
gibt auch Wissenschaftler, die nicht an den Treibhauseffekt glauben; die
Menschheit wird sich schon noch was einfallen lassen; es wird schon nicht so
schlimm kommen, wie sich das manche Schwarzseher ausmalen; es hat noch immer
Lösungen für Probleme gegeben, usw.
Ich
versuche also, mein Wissen durch Zweifel zu relativieren, so wie sich ein
Raucher, der weiß, dass er mit dieser Sucht seine Gesundheit schädigt, einreden
kann, dass es Raucher gibt, die kreuzfidel ihren 95. Geburtstag mit einer
Zigarette feiern. Auf diese Weise schwächen wir den Druck des Wissens um die
Gefahr, das uns mit unserer Ohnmacht konfrontiert, die Drohung abzuwenden. „Es
wird schon nicht so schlimm werden,“ reden wir uns ein, ohne dass wir eine
Ahnung haben, ob und wie schlimm es werden würde oder könnte. Wir beruhigen
unsere Sorgen, indem wir sie mit abschwächenden Gegengedanken ausgleichen.
Verantwortungsverweigerung
All
diese Vorgänge, die wir in uns ablaufen lassen, haben vor allem einen Zweck:
Wir stehlen uns aus unserer persönlichen Verantwortung. Auch unsere kleinste
Handlung, wie das Wegwerfen einer Plastikverpackung, hat Folgen, weil das
unscheinbare Teil einige hundert Jahre braucht, um zu verrotten und weil es im
schlimmen Fall im Magen eines Tieres landen kann, das qualvoll daran verendet.
Das winzige Stückchen Plastik, das hinter uns am Weg liegen bleibt, trägt das
Sigel unserer Verantwortung auf seiner weiteren Reise durch die Welt.
Verantwortung
übernehmen heißt allerdings nicht, sich mit Schuldgefühlen zu beladen. Wenn
wir einen Fehler gemacht haben, müssen wir uns dafür nicht selbst geißeln. Wir
sind alle nicht perfekt, und es können uns immer wieder Unachtsamkeiten
unterlaufen. Wir haben die Herdplatte nicht ausgeschaltet oder ein Licht über
Nacht brennen gelassen und damit Energie verschwendet. Das ist passiert, und
uns dafür schuldig zu fühlen, hilft uns nicht weiter.
Die Intention stärken
Das
Übernehmen der Verantwortung bedeutet vielmehr, dass wir unsere Intention
stärken und uns klar machen, worum es uns geht und was wir wollen. Wenn ein
Fehler passiert ist, nehmen wir das zur Kenntnis, ohne Beschönigung oder
Ausrede, und bekräftigen unsere Absicht, in Hinkunft achtsamer und
umweltbewusster zu handeln, in kleinen wie in großen Dingen. Wir machen uns
klar, dass wir nur unseren bescheidenen Beitrag leisten können, aber dass nur
wir diesen unseren Beitrag leisten können und auch müssen, wenn wir wollen,
dass dieser Planet und die Menschheit auf ihm weiter bestehen bleibt. Es gibt
einen Ort auf dieser Welt, nämlich der, den wir selber einnehmen, den nur wir
mit Verantwortung füllen können oder eben nicht. In diesem Fall bleibt eine
Lücke, und die Welt geht auch dort den unbewussten Gang ein Stück mehr weiter,
der sie in eine nicht verantwortete Zukunft führt.
Nehmen
wir hingegen diesen Platz ein, so ist uns klar, dass wir vieles tun und vieles
unterlassen können. Es kommt auf unser Handeln genauso an, wie auf das aller anderen
Menschen. Für unser Handeln sind wir allein zuständig; mit jedem Akt, den wir
mit der Intention der verantwortungsbewussten Zukunftsgestaltung in die Welt setzen,
geben wir anderen ein Beispiel, es uns gleichzutun. Wir brauchen uns dann keine
Sorgen mehr zu machen; wir handeln stattdessen richtig. Wir nutzen die Energie,
die frei wird, wenn wir aufhören, uns in Sorgen zu verlieren, für sinnvolles
Tun.
Es
wird nicht alles gleich zum Besseren wenden; wir allein sind nicht die Retter
der Welt. Doch die Rettung der Welt kann nur bei und in uns selbst beginnen.
Ein Beispiel dafür: Wir müssen nicht nur an den einen Plastikhalm denken, den
wir vernachlässigen wollen; wir sollten uns vielmehr einen Berg von siebeneinhalb
Milliarden Plastikhalme vorstellen, die herumliegen würden, wenn alle so handeln
wie wir. Dann wird es uns schwerer fallen, unseren einfach achtlos wegzuwerfen.
Vielleicht heben wir dann sogar einen Halm auf, den jemand anderer vergessen
hat.
Gesamt- und Individualverantwortung
Wenn
wir eine gesamte Verantwortung der Menschheit für die Situation, in der wir
sind, konstruieren, so setzt sich diese aus aktuell ca. siebeneinhalb
Milliarden Einzelverantwortungen zusammen, die entweder übernommen oder verweigert
werden. Den Teil davon, der auf unsere individuelle Verantwortung entfällt,
kann allerdings niemand anderer als wir selbst wahrnehmen. Niemand kann uns diese
Zuständigkeit abnehmen. In diesem Sinn sind wir permanent gefordert, ihr in
unseren Handlungen zu entsprechen. Und selbst das liegt an uns, diese Selbst-Forderung
in uns wach zu halten.
Ethik kommt von innen
Ethik
funktioniert nicht mit Zwang. Der Impuls zu einem menschheitsgerechten und
umweltgerechten Verhalten kann nicht durch staatliche Gesetze oder moralische
Appelle entstehen, sondern aus der inneren Einsicht, die über die Übernahme der
Verantwortung hinausgeht. Sie beruht im Kern darauf, dass wir als Menschheit
und als Mensch-Natur-System Schicksalsgemeinschaften darstellen. Wir können uns
aus diesen Zusammenhängen nicht verabschieden, wir können höchstens so tun, als
gehörten wir nicht dazu (was wir immer dann tun, wenn wir verantwortungslos
handeln). Da wir Teil dieses Ganzen sind, können wir nur dann in
Übereinstimmung mit uns selbst sein, wenn wir aktiv das Übereinstimmen mit
diesem Ganzen herstellen. Dazu müssen wir uns gemeinschaftsdienlich verhalten.
Diese
Einsicht liefert die Motivation und Klarheit für ethisches Handeln. Sie kommt
also immer von innen, von einer Einstimmung, die wir mit uns selber formen und
bei der wir spüren, dass wir nur so mit uns selber im Einklang sein können.
Damit schlagen wir die Brücke von innen nach außen – die Stimmigkeit im Inneren
entspricht der Stimmigkeit im Außen. Eben weil wir Teil des Ganzen sind, für
das wir unseren Teil der Verantwortung tragen, können wir in uns selber prüfen
und klären, was das Beste ist, was wir für das Ganze beitragen können. Dieser
Beitrag berücksichtigt damit uns selbst als auch die anderen Teile des Ganzen,
die Menschen und die Natur. Wir können dann nicht mehr zum Schaden des Ganzen
handeln, weil wir spüren, wie wir uns selber damit verletzen.
Deshalb
ist der ethische Imperativ, wie er von Immanuel Kant in Worte gekleidet wurde,
keine Forderung irgendeiner äußeren Instanz, sondern entsteht aus einer
zwingenden Einsicht, die wir in uns finden, wenn wir genau hinspüren. Sie ist
auch keine Erfindung von einem klugen Kopf, der sie dann anderen einreden
möchte. Vielmehr ist sie das Resultat einer Innenerfahrung, die jedem Menschen
zugänglich ist. Wir sind wir selbst, wenn wir in dieser ethischen Weise
handeln, und wir sind mit uns selbst uneins, wenn wir das nicht tun.
Jede
Ausrede und Ausflucht, jedes Vermeiden und Verstecken beinhaltet eine Ablehnung
von uns selbst, und wenn wir etwas in uns nicht akzeptieren, spalten wir uns in
uns selbst. Das Übernehmen der Verantwortung führt diese separaten Teile in uns
wieder zusammen und verbindet uns gleichzeitig mit dem Ganzen, das uns das
Leben gegeben hat und weiter erhält. Darum kann es uns auch gelingen, unsere kleinen
und größeren Beiträge dafür zu leisten, dass es gut weitergehen möge, für uns,
für alle Menschen und für die gesamte Natur.
Zum Weiterlesen:
Sorgen entsorgen
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