Sonntag, 15. Januar 2017

2016 - Anlass für Optimismus

2016 ist vorbei – wie blicken wir zurück auf dieses Jahr? Für manche stehen die schlimmen Ereignisse im Vordergrund; schließlich wurden und werden sie uns von den Medien tagtäglich serviert: Ein unberechenbarer US-Präsident als „mächtigster Mann der Welt“, ein nicht endenwollender grausamer (Bürger)Krieg in Syrien, erstarkende Rechtsparteien überall, der Austritt von Großbritannien aus der EU mit unsicherer Prognose, zunehmende Wirklichkeits- und Wahrheitsverzerrungen in den immer einflussreicher werdenden sozialen Medien usw. usw. Also haben wir genug Fakten, um das vergangene Jahr in unserer Erinnerung mit einem Trauerflor zu umranden - so viele Chancen vertan, so wenige Möglichkeiten genutzt.

Es gibt auch die andere Perspektive, die des Optimismus. Optimismus heißt nicht, die besorgniserregenden und menschenfeindlichen Tendenzen zu übersehen, sondern darüber die anderen Entwicklungen zu berücksichtigen, die auf einen stetigen, vielleicht weniger öffentlichkeitswirksamen Anstieg an menschlicher Lebensqualität auf unserem Planeten hinweisen. Einfach gesagt: Es war wieder ein Jahr, in dem die Armut und der Hunger sowie der Analphabetismus auf der Welt zurückgegangen ist. Es geht damit auf der einfachsten Lebensgrundlage einer riesigen Anzahl von Menschen etwas besser als im Jahr davor, und das ist ermutigend, auch wenn noch enorm viel zu tun ist.

Der Technologie- und Wissenschaftsblogger Peter Diamandis hat sich mit Trends beschäftigt, die im vergangenen Jahr an Bedeutung für die Zukunft unserer Lebenswelt gewonnen haben. Danach war 2016 ein unglaubliches Jahr für die Menschheit. Diamandis hat die wissenschaftlichen Durchbrüche durchgeschaut und sie in zehn Trends zusammengefasst, die hier verkürzt dargestellt werden.


1. Wir erschaffen eine hyper-verbundene Welt


2010 waren 1,8 Milliarden Menschen über Internet verbunden. Heute liegt die Zahl bei etwa 3 Milliarden, und zwischen 2022 und 2025 wird diese Zahl faktisch jeden Menschen auf dem Planeten umfassen.

Unter den Möglichkeiten, die sich damit bieten, liegt nicht nur der Zugang für alle zu den unermesslichen Informationsressourcen, sondern auch die Möglichkeiten für crowdfunding, um zu Geld zu kommen, und zu crowdsourcing, um Expertenwissen zu nutzen.

Hier ein paar Geschichten, die die Beschleunigung dieser Entwicklung dokumentieren:
Der reichste Mann Indiens, Mukesh Ambani, hat angekündigt, dass ganz Indien mit einem 4G-Netzwerk mit gratis Hochgeschwindigkeits-Internet verbunden wird. Bis 2018 soll Indien zu 100% mit dieser Infrastruktur versorgt werden.

Google hat ein Projekt gestartet, mit dem das Internet über Ballone in entfernte ländliche Gegenden gebracht wird. Außerdem hat die Firma ein Drohnenprojekt laufen, über das ein Hochgeschwindigkeitsnetz aus der Luft mittels neuer Übertragungstechnologie überallhin geliefert werden kann. Auch Facebook hat ein ähnliches Projekt laufen, das das Internet für Milliarden mehr Menschen zugänglich machen soll. Die dafür entworfenen Drohnen sollen gänzlich von Sonnenergie betrieben sein. Außerdem gibt es Projekte, die mittels 900 Satelliten bis 2019 die ganze Welt mit Internet versorgen wollen.

Vielleicht fragen wir uns bei diesem Thema, worin der Gewinn liegt, wenn dann alle Menschen über Facebook und Google mit Werbung überschüttet werden, sollten dabei aber nicht übersehen, dass wir, für die die Internetanbindung selbstverständlich und in manchen Bereichen fast existenziell geworden ist, kein Recht haben, andere Menschen vom Gebrauch der Technologie auszuschließen, die ihnen viele soziale und ökonomische Vorteile bietet. Das Internet, in seiner ganzen Ambivalenz, ist Teil unserer Lebenswelt geworden, und trägt zu unserem Wohlstand bei. Deshalb sollten alle Menschen Zugang zu dieser Ressource haben.


2. Nachhaltige Energie erstmals billiger als Kohle


Im Dezember berichtete das Weltwirtschaftsforum, dass die Solar- und Windenergie in mehr als dreißig Ländern entweder den gleichen Preis wie die Erschließung neuer fossiler Energien hat oder billiger ist. Selbst ohne Förderungen sollten wegen der kontinuierlichen Verbilligung dieser Energiegewinnung innerhalb der nächsten Jahre zwei Drittel aller Länder diesen Punkt der Netzparität (gleiche Kosten für selbst erzeugte im Vergleich zu eingekaufter elektrischer Energie)  erreichen.

Indien z.B. wird bis 2022 mit mehr als 100 Gigawatt an Solarkraft versorgt werden. Das Vereinigte Königreich hat erstmals mehr Energie aus der Sonne als aus der Kohle produziert. Mehr und mehr Kohlekraftwerke werden auf Solarenergie umgestellt. In Texas hat sich die Energiegewinnung durch Kohle innerhalb etwas mehr als eines Jahres von 39% auf 24,8% verringert. Costa Rica ist seit 76 Tage voll von erneuerbarer Energie versorgt, und die Firma Google plant das für alle Standorte in diesem Jahr.

Sollte die Entwicklung in dieser Richtung weitergehen, steht zu hoffen, dass wir unsere Energieversorgung ohne völlige Ausplünderung der Bodenschätze sichern können. Wenn wir den Finanzmarkt betrachten, kann dieser die Entwicklung zusätzlich beschleunigen: Investoren geben ihr Geld dorthin, wo der Trend hinführt, und verstärken ihn damit.


3. Blicken wir bereits auf das Ende von Krebs und anderen Krankheiten?


Die Immuntherapie für Krebs macht außerordentliche Fortschritte, indem sie das Immunsystem der Patienten für den Kampf gegen Krebs nutzt. Diese Therapie hat bei 94% einer Studie mit akuter lymphoblastischer Leukämie zum völligen Verschwinden der Symptome geführt. Bei Blutkrebspatienten war die Reaktionsrate über 80%. Große Erfolge gibt es auch in der Krebsbehandlung mittels Genmodifikation bei den Immunzellen. In Harvard konnten die Forscher mittels Insulinproduzenten, die aus Stammzellen gewonnen waren, Diabetes bei Mäusen heilen. Erfolge mit der Gentherapie gibt es auch in der HIV-Medizin.

Die Masern sind in den USA völlig ausgerottet und die Ebola-Impfung hat sich als 100%ig wirksam erwiesen. Die Weltgesundheitsorganisation hat angekündigt, dass die Kinderlähmung früh in diesem Jahr verschwunden sein wird.

Zusätzlich zu diesen bewundernswerten Erfolge in der Forschung und Therapie können wir annehmen (ohne dass es dafür eindrucksvolle Zahlen gibt), dass sich mehr und mehr Menschen mit ihrer Gesundheit in Selbsthilfe auseinandersetzen. Viele nutzen die Quellen für Wissen um die eigene Gesundheit, die frei zugänglich sind, und die Techniken, von der Atmung bis zu Körperübungen, um sich besser zu fühlen und die inneren Systeme auszugleichen.


4. Fortschritte in der Lebensverlängerung


Werden die Hundertjährigen bald die Sechziger von heute? In diesem Bereich wird jedenfalls viel Geld investiert, und es gibt auch einige neue Entwicklungen. Zumindest bei Mäusen konnte eine Lebensverlängerung um 25% erreicht werden, indem Zellbiologen systematisch eine Kategorie von lebenden, aber stagnierenden Zellen entfernten. In anderen Experimenten wurden älteren Mäusen das Blutplasma von jüngeren injiziert, wodurch sich die kognitiven wie physischen Leistungen verbesserten und die Lebenserwartung um 30% erweitert wurde.

Ich bin skeptisch, wenn es um die Anstrengungen geht, einfach das Leben zu verlängern. Wir müssen in jedem Fall irgendwann sterben, und das Hinausschieben dieses Ereignisses ändert daran nichts. Mir scheint es wichtiger, dass wir uns mit unserer Endlichkeit auseinandersetzen und unsere Sterblichkeit vollständig akzeptieren. Natürlich sollten wir darauf achten, gesund und gesunderhaltend zu leben, indem wir das Geschenk, das wir mit unserem Leben erhalten haben, wertschätzen und achten. Dazu ist es unsere Aufgabe, alles, wozu wir in der Lage sind, zu tun, um dieses unser Leben zu schützen und zu fördern. Genauso gilt es aber auch, unsere Endlichkeit zu achten. Nur ein maßloses Ego will ewig leben.


5. Erstaunliche Erfolge in der Stammzellenforschung.


So konnte ein japanisches Team aus einer kleinen Hautprobe ein menschliches Auge erschaffen. Die Injektion von Stammzellen zeigt auch Erfolge in der Behandlung von Schlaganfällen, Alzheimer, Parkinson und der Lou Gehrig-Erkrankung. Einem 21-jährigen gelähmten Mann wurden Stammzellen ins verletzte Rückenmark injiziert. Drei Monate später zeigten sich dramatische Verbesserungen im Empfinden und in der Beweglichkeit beider Arme.

Die Stammzellenforschung macht uns auf ein Wunder des Lebens aufmerksam: Pluriforme Stammzellen sind solche, die sich zu jeder beliebigen Zelle spezialisieren können – was für ein herrliches Vorbild für menschliche Kreativität: Wir sind frei, uns selber immer wieder eine neue Form zu geben.


6. Das Jahr des autonomen Autos


Google, Tesla und Uber führen das Feld dieser neuen Technologie an, und alle anderen großen Autofirmen investierten stark in diesem Sektor. Vielleicht schauen wir bald mit Entsetzen auf die Zeit zurück, als Menschen noch Autos lenken mussten?

Uber lieferte 50 000 Bierdosen mit einem selbstgelenkten Lastwagen aus. Jedes Tesla-Auto soll im heurigen Jahr sich selbst ohne menschlichen Einfluss lenken können. In der Landwirtschaft werden sich die selbstgelenkten Traktoren durchsetzen, weil sie schneller, effizienter und präziser arbeiten.

Forscher in diesem Bereich vermuten, dass Autos in Privatbesitz aus den Städten in weniger als zehn Jahren verschwunden sein wird. Dazu bedarf es aber vermutlich für viele Menschen eines inneren Schrittes: Dort, wo das Auto zur Erweiterung des eigenen Selbst geworden ist, wird sich niemand den Autobesitz verbieten lassen. Das selbstlenkende Auto ist freilich an sich schon eine Entwicklung in die Richtung dieser Desidentifikation: Ich bin der Fahrgast und nicht mehr der Lenker, damit gebe ich einen Teil des Machtgefühls ab, das mit dem Autofahren verbunden ist. Vielleicht ist die Hoffnung berechtigt, dass die Autonutzung entemotionalisiert und der Vernunft zugänglich gemacht wird. Denn es sind die Emotionen, die alles, was am Autoverkehr schädlich und menschenfeindlich ist, verantworten.


7. Hier kommen die Drohnen und fliegenden Autos!


Große und kleine Quadkopter und Multikopter haben sich im vergangenen Jahr in Szene gesetzt, als Anzeichen dafür, dass wir uns auf eine Welt mit autonomen Drohnen zubewegen. Bekanntlich hat Amazon erstmals ein Paket mittels Drohne geliefert (ob der Empfänger gerade zuhause war oder das Paket später nochmals zugestellt werden musste, wissen wir nicht...). Ein anderer US-Versandhandel (7-11 Convenience Store) hat schon 77 Drohnenzustellungen absolviert.

Mercedes investiert eine halbe Milliarde in die Entwicklung von Drohnen. Es soll ein Lastwagen entwickelt werden, von dem Drohnen starten und landen können. Im Umkreis von Google wird an der Entwicklung von fliegenden Autos experimentiert. Die chinesische Firma eHang kündigt die erste Drohne an, die Menschen transportieren kann. Drohnen sollen bald in großer Zahl zum Transport von Organen für Organtransplantationen eingesetzt werden. Uber plant fliegende Autos: Flugtransport on demand.

Ob mit solchen Entwicklungen das Verkehrschaos einfach in die dritte Dimension verlagert wird, ist eine Frage, der wir uns in jedem Fall stellen sollten.


8. Der Vormarsch der künstlichen Intelligenz


Artifizielle Intelligenz (AI) könnte die wichtigste Technologie sein, die jemals von Menschen entwickelt wurde. Ob sich darin neue Risiken oder unglaubliche Chancen verbergen, wird sich noch weisen. Allgemein gesprochen, handelt es sich bei AI um die Fähigkeit eines Computers, eine Frage zu verstehen, seine riesige Datenbank zu durchsuchen und die beste und passendste Antwort zu geben. Damit könnte die AI der Menschheit helfen, ihre größten Herausforderungen grundlegend zu lösen.

Hier ein paar aktuelle Geschichten:
Der Hardware-Hersteller NVIDIA hat einen lernfähigen Computer-Chipset vorgestellt: Tesla P100, ein 15-Milliarden-Transistor Chip, speziell für das Tiefenlernen in der AI-Technologie entworfen.
In Oxford wurde ein Lippenleser entwickelt, der 1,78-mal besser ist als menschliche Lippenleser. Ein indisches AI-System hat die US Wahlen korrekt vorausberechnet, indem 20 Millionen Datenpunkte aus Plattformen wie Google, Twitter und YouTube genutzt wurden. Ein anderes AI-System nutzt die Schwarmintelligenz, wenn es um Voraussagen bei Pferderennen geht. Die neue Spracherkennungssoftware von Microsoft kann Umgangssprache so gut wie oder sogar besser als Menschen übertragen. Die Fehlerquote betrug nur 5,9%. Ein teilweise von AI geschriebener Roman hat die erste Runde für einen Literaturpreis geschafft. Und Ärzte in Japan haben mit Hilfe von AI einer Frau das Leben gerettet, indem der Computer den seltenen Typus von Leukämie entdecken konnte. Auch im Go wurde erstmals der regierende Weltmeister von einer Maschine besiegt.

Auch in diesem Bereich können wir ein wenig von unserem Ego freigeben: Elektronische Maschinen sind uns in so vielen Belangen uneinholbar überlegen. Das braucht unsere Freude am Spielen und an der Kreativität aber auf keinen Fall einschränken. Wir müssen ja nicht unbedingt gegen Computer Go spielen, wenn wir da sowieso immer verlieren.


9. Physik und Weltraumerforschung


Erstmals wurden Gravitationswellen entdeckt, die aus einem Zusammentreffen zweier massiver schwarzer Löcher entstanden sind. Der neunte Planet am Rand unseres Sonnensystems wurde zwar nicht gefunden, aber die Hinweise verdichten sich. Noch viel weiter draußen wurde bei Proxima Centauri ein erdähnlicher Planet entdeckt. 


10. Die kommerzielle Erschließung des Raums


Wir erleben die Geburtszeit der Ära der kommerziellen Raumfahrt, an der eine Firma von Jeff Bezos mit wiederverwendbaren Raketen beteiligt ist. Andere Firmen arbeiten daran, 2017 die erste private Mondlandung zu ermöglichen. Bis 2025 soll der erste Mensch den Mars betreten, und Stephen Hawkin und ein russischer Milliardär arbeiten an einem interstellaren Sternenschiff.

Es bleibt abzuwarten, was diese neuen Reisemöglichkeiten und –ziele im außerirdischen Raum für die Probleme im irdischen Raum leisten werden. Jedenfalls zeigt sich auch auf dieser Ebene die unendliche Kreativität der Menschen, und wenn wir auf sie vertrauen, können wir optimistisch bleiben.


Vgl.: Die Pflicht zum Optimismus

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