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Mittwoch, 5. März 2025

Taktiken zur Machtergreifung

Im vorigen Blogartikel war von rhetorischen Mustern die Rede, die von Rechten und Rechtsextremen genutzt werden. Hier geht es um ähnliche Taktiken, die ergriffen werden, um auf demokratischem Weg  an die Macht zu gelangen und sie dann nicht mehr aus der Hand zu geben. 

Die Propaganda um die Meinungsfreiheit 

Häufig ist die Beschwerde aus der rechten Ecke zu hören, dass man bestimmte Dinge nicht mehr in der Öffentlichkeit sagen dürfe. Die Meinungsfreiheit bestünde eben nur am Papier. Denn andere drohen gleich mit der “Nazi-Keule”, weil man nicht eine gerade menschenfreundliche Botschaft an die Öffentlichkeit gebracht hat. Also stilisiert man sich als Opfer einer gesellschaftlichen Intoleranz und klagt das Fehlen der Meinungsfreiheit an, die man selber für eine abwertende Nachricht und jemand anderer gerade für eine Kritik daran genutzt hat. Gut im Austeilen, schwach im Nehmen, so stilisiert sich diese Haltung. Kaum war man aggressiver Täter, schon fühlt man sich als wehleidiges und ungerecht behandeltes Opfer, wenn andere zurückschlagen.  

In diesem Denkhorizont besteht eine echte Meinungsfreiheit nur dann, wenn alle dem zustimmen, was man denkt und äußert. Das ist allerdings eine kindliche Erwartung, verbunden mit der Überzeugung, die Wahrheit gepachtet zu haben. Diese Überzeugung, die eigentlich eine Verbohrtheit darstellt, kennt keine Gesprächsfähigkeit und keinen Austausch von unterschiedlichen Standpunkten. Sie will Einheitlichkeit statt Pluralität. In ihr spiegelt sich die autoritäre Struktur: Statt einer Vielzahl von Meinungen soll es eine bestimmende Ideologie geben, der sich alles andere anpassen oder unterordnen muss. Erst dann, wenn die echte Meinungsfreiheit abgeschafft wurde, käme die eigene Meinung, die sich mit der Ideologie deckt, zur unbestrittenen Geltung. 

Einheitlichkeit statt Unterschiedlichkeit ist die Losung und das Ziel von autoritären Diktaturen. Jede Abweichung von dem, was den Konsens darstellt, muss gleichgerichtet werden. Dann kennt sich jeder aus, und es gibt nur mehr Menschen, die für die vorherrschende Richtung und damit für die wahre Gemeinschaft sind, und solche, die dagegen sind. Sie sind die Feinde der Gemeinschaft und müssen folglich bekämpft werden. 

Jede Uneindeutigkeit stört und muss beseitigt werden, jede Ambiguität muss auf das Schwarz-Weiß-Schema der Machtausübung reduziert werden. Die Zwischentöne, die dem Leben eigentlich die Würze und Buntheit geben, werden zum Verstummen gebracht.

Die Beherrschung wird einfacher, wenn alle nur eine Meinung haben und ausdrücken dürfen. Das erleichtert die Kontrolle und die Unterdrückung. Die Medien werden gleichgeschaltet, und nur mehr eine Botschaft schallt aus den Lautsprechern. Jeder kann frei seine Meinung sagen, solange sie mit der Ideologie übereinstimmt. Wer eine andere Meinung vertritt, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft und muss mit unangenehmen Konsequenzen rechnen. Ein aktuelles Beispiel: In den USA müssen die Staatsbediensteten jetzt ideologische Bekenntnisse ablegen, indem sie die Verbrechen um die Erstürmung des Kapitols leugnen und nach dem Willen des Präsidenten den Golf von Mexiko als Golf von Amerika bezeichnen. Ansonsten droht die Kündigung. Ob sie dann außerdem auf einer Liste des IFB stehen, weiß man nicht.

Der erste Schritt besteht, wie schon beschrieben wurde, darin, die Hassrede zur Normalität zu machen, also immer wieder Hass zu säen, bis sich niemand mehr daran stößt. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit erlaubt z.B. der Mega-Konzern (facebook, Instagram, WhatsApp etc.) jede Form der Verhetzung und der Verbreitung von Hass - antisemitische Propaganda zu verbieten, wäre ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Das Ziel kann nur sein, die Gesellschaft tief zu spalten und zu demoralisieren. 

Die Entmoralisierung

Radikalität im gesellschaftlichen Verhalten hat immer etwas mit dem Überschreiten von Moralgrenzen zu tun. Die Überzeugung von der abgrundtiefen Schlechtigkeit der Zustände und der Dringlichkeit, das Schädliche sofort zu beenden, rechtfertigt scheinbar die Mittel. Würde man sich an die Vorgaben der Moral halten, wäre man zu schwach und zu langsam und das Leiden an den schlimmen Verhältnissen würde viel zu lange andauern.

Viele Rechtsradikale verstehen sich als Rebellen gegen das „System“ oder gegen irgendwelche „Eliten“ und geben sich die Erlaubnis, auch gleich gegen die Grundsätze der Moral zu rebellieren. Sie sehen sich als Vorreiter und als Außenseiter. Damit können sie ihre Stellung am Rand oder außerhalb der Moral und der Gesetze begründen. Selbst wenn es verboten ist, werden Nazi-Devotionalien und Waffen gesammelt, um notfalls zuschlagen zu können, wenn die Machtergreifung naht. Rechtsextreme Straftaten sind in vielen Ländern Europas im Ansteigen begriffen. Oft sind sie gegen Juden oder Ausländer gerichtet, also gegen Personen, die nicht in das rechte Volksschema passen, und die außerdem die Schwächeren sind. 

Die Gutmenschen

Der Terminus des Gutmenschen kommt da gerade recht. Er ist zu einem Kampfwort gegen die Liberalen und Linken geworden und kritisiert jene, die es scheinbar mit der Moral zu ernst nehmen und den Eigennutz viel zu häufig hintanstellen. Es sind z.B. die, die sich für Flüchtlinge einsetzen, statt alle auszuweisen und die Grenzen dicht zu machen. Es sind die, den Bettlern Almosen geben, anstatt sie in Arbeitslager zu stecken. Sie werden als naiv abgewertet und als übermoralisch verspottet. In diesen Zusammenhang passt, dass Adolf Hitler in „Mein Kampf“ das Wort „gut“ häufig in abwertendem Sinn einsetzte: Die „Gutmeinenden“ verwendete er synonym für die Juden als auch für die Gegner des Nationalsozialismus.  

Das Böse, das in jeder Form von Menschenfeindlichkeit und Gewalt steckt, ist ein Stachel in der Psyche von aggressiven Rechtspopulisten und deren Anhängern. Um den inneren Konflikt zu neutralisieren, wird das Gute als schädlich und als das eigentlich Böse umgewertet. Es steht der Härte im Weg, mit der allein die Welt in die richtige Richtung gelenkt werden kann. Es ist ja offensichtlich, dass die Zustände durch die Gutmenschen nicht verbessert wurden. Sie müssen gewaltsam über den Haufen geworfen werden. 

Um die eigene Gewalttätigkeit und Aggressivität sowie den Hass rechtfertigen zu können, sodass man schließlich auch über Leichen gehen kann, muss das moralische Empfinden verwirrt und abgestumpft werden. Die Rede vom Gutmenschen ist der Beginn dieser Entwicklung. Dabei wird das äußere Gute in Böses umgemünzt, damit das eigene Böse gut sein kann. Am Ende dieses Prozesses steht der innere und der äußere Faschismus. 

Die Angriffe auf die öffentlich-rechtlichen Medien

In liberalen Staaten, in denen es öffentlich-rechtliche Medien gibt, werden diese von den Rechtsparteien angegriffen. Denn ihrem Auftrag nach vermitteln sie liberale Werte und grenzen sich von extremen Positionen ab. Sie müssen sich am wissenschaftlichen Standard und Grundkonsens orientieren und nicht an Verschwörungstheorien oder Außenseitermeinungen. Sie fördern die Pluralität und Diversität. Der Rechtsextremismus will nicht nur die Liberalität, also die Grundrechte der Freiheit einschränken oder abschaffen, sondern auch die Horte dieser Rechte ausräuchern. Sie verkörpern nämlich so ziemlich alles, was diesen Leuten gegen den Strich geht, und werden von ihnen als „linksversiffter“ Mainstream wahrgenommen. 

Es gibt verschiedene Strategien, mit denen vorgegangen wird. In Österreich ist es der Kampf gegen Rundfunkgebühren, mit dem scheinbar die Bürger entlastet werden sollen, während es tatsächlich darum geht, die öffentlichen Medien finanziell auszuhungern, damit sie dann privatisiert werden müssen; und private Geldgeber aus dem Hochfinanzbereich können dann mit den Sendern machen, was ihnen in den ideologischen Kram passt, so wie der Sender Servus-TV den rechtslastigen Meinungshorizont des verstorbenen Red-Bull-Milliardärs wiedergibt. Eine weitere Strategie, die erfolgreich gefahren wird, besteht in den Attacken auf den „Mainstream“. Damit ist alles gemeint, was der eigenen ideologischen Ausrichtung nicht entspricht. Mainstream-Medien sind nicht nur die öffentlich-rechtlichen, sondern auch Qualitätsmedien, also solche, die sich den Regeln des qualifizierten Journalismus verpflichtet fühlen. Sie alle sollen mit einem Geruch von Elite, Abgehobenheit, Systemerhalt und Ignoranz gegen die Nöte der Menschen imprägniert werden. Damit sollen möglichst viele Medienkonsumenten auf die „alternativen“ Medien umgeleitet werden, wo sie dann von der Propaganda von rechts erreicht und manipuliert werden können.

In Ländern, wo die Rechten die Macht errungen haben, werden die öffentlich-rechtlichen Medien in einen Staatsfunk umgewandelt. Alle Inhalte werden von der Regierung kontrolliert und von ihrer Ideologie durchtränkt. Sie werden also zum Propagandainstrument der Macht. Am Beispiel Russland kann man erkennen, wie gut das gelingen kann. Eine große Mehrheit der Russen glaubt, dass die Ukraine Russland angegriffen hat und dass sich Russland in einem Verteidigungskrieg befindet, weil das Staatsfernsehen diese Propaganda beständig wiederholt. Gewissermaßen gibt es in jedem russischen Haushalt nur mehr „Volksempfänger“, aus denen die immer gleichen Botschaften kommen, solange, bis alle genauso denken wie der Diktator. In den USA und damit weltweit besorgen Tech-Milliardäre diesen Job, indem sie die Plattformen der sogenannten sozialen Medien mit gleichgeschalteten Botschaften fluten.

Hier zur Videofassung

Zum Weiterlesen:
Muster der rechtsorientierten Manipulation
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts
Der heroisierte Verzicht auf Empathie
Verschwörungstheorien und Realitätstauglichkeit
Nationalismus und Opferstolz


Freitag, 3. März 2017

Die Begrenzung narzisstischer Manipulation

Sind narzisstische Manipulationskünstler klüger und intelligenter als empathische Menschen? Nicht notwendigerweise, und sie sind weder zu bewundern noch zu tolerieren in dem Sinn, dass ihr Treiben widerspruchs- und widerstandslos bleibt. Unsere Zeit mit ihrem medialen Überangebot und ihrer Marketing-Fixiertheit fördert solche Menschen und katapultiert sie bis an die Spitzen von Großkonzernen, Großbanken und Großmächten. Sie brauchen die Bewunderer um sich herum wie der Fisch das Wasser. Wir müssen nur aufhören, solche Menschen, die die Destruktivität ihres Sozialverhaltens nicht erkennen, zu unterstützen, wenn wir nicht wollen, dass sie die Machtpositionen einnehmen und die Gesellschaft in ihrem Sinn beeinflussen.

Was können empathische Menschen den Soziopathen und Narzissten entgegensetzen, fragt sich Sacha Slone auf ihrer Webseite „Selfknowledge daily“. Sie sind in der Realität verankert, fähig zu abstraktem Denken, und sie sind kreativ. Den Manipulatoren fehlen diese drei Qualitäten. Sie weisen also mehrfache Defizite im Sozialverhalten auf, die eigentlich dafür ausreichen müssten, dass sie in eine Außenseiterposition gelangen. Autisten, denen es ebenfalls an sozialen Fähigkeiten mangelt, müssen schauen, wie sie am Rand leben können, Soziopathen dagegen etablieren sich in der Mitte der Gesellschaft und drehen dort auf und rühren um, ohne dass es nennenswerte Gegenreaktionen gibt.

Sacha Slone vertritt die Meinung, dass empathische Menschen Narzissten nicht in die Schranken weisen, weil sie moralischen Werten folgen wollen. Sie wollen auch nicht anderen Schaden zufügen. Sie sind tolerant und rücksichtsvoll. Und deshalb lassen sie sich nicht auf die Machtspiele der Manipulatoren ein. Das führt aber häufig dazu, dass diese dann niemanden haben, der sich ihnen in den Weg stellt, und die toleranten Empathiker werden folglich indirekt zu den Opfern der Manipulatoren, die an den Hebeln der Macht schalten und walten.

Deshalb gilt es ein Missverständnis aufzuklären, wie schon in dem Artikel über die Grenzen der Toleranz erklärt wurde. Toleranz muss sich schützen, sonst wird sie von den Intoleranten hinweggefegt. Und dazu muss sie sich ihrer sozialen Intelligenz bedienen, die genauso manipulativ sein kann, wie die der Manipulatoren. Sie muss sich nur selbst erlauben, sich dieser Mittel zu bedienen und das schlechte Gewissen, das damit verbunden ist, beiseitelassen.

An dieser Grenze scheiden sich die Gutmenschen von den Menschen guten Willens. Die Gutmenschen wollen niemandem wehtun. Sie sind überempathisch, indem sie sich selber übersehen und übergehen. Damit werden sie zu den Opfern der Rücksichtslosen. Die Menschen guten Willens wissen, dass es Situationen gibt, in denen sie andere verletzen müssen, um sich selbst und die eigenen Werte zu schützen. Sie wissen, dass sie eine Verpflichtung haben, ihre Kompetenzen einzusetzen, um ein Verhalten einzudämmen, das den Zusammenhalt der Gesellschaft schädigt und die menschliche Solidarität untergräbt, um eigene egoistische Ziele zu fördern. Menschen mit mangelhaftem Sozialverhalten müssen aus den Zentren der Gesellschaft gedrängt werden, weil sie nicht in der Lage sind, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Und um das zu erreichen, müssen die Waffen, die sie einsetzen, gegen sie selbst gerichtet werden. Ähnlich wie ein Tai-Chi-Kämpfer die Aggression des Angreifers gegen diesen selbst lenkt, braucht es Strategien der intelligenten und kreativen Gegenmanipulation.

Was braucht ein guter Tai-Chi-Kämpfer? Er muss mit seinem „Chi“ in Verbindung sein, mit seiner inneren Kraft und seinen inneren Werten, die daraus erwachsen. Er braucht den klaren Bezug zur Realität, zur äußeren Wirklichkeit, und er kann dabei unterscheiden zwischen Fakten und Illusionen, zwischen dem, was der eigene Kopf produziert und das, was sich außerhalb von ihm befindet. Er weiß also, dass der Aufenthalt in „postfaktischen“ Gefilden riskant ist für die innere Befindlichkeit und die äußere Sicherheit. Er verfügt über ein klares Denken, das ihm hilft, die eigenen Ressourcen und die des Gegners abzugleichen sowie das eigene Verhalten schnell zu korrigieren, wenn es nichts fruchtet. Seine Empathie ermöglicht ihm, abzuschätzen, was im Anderen vor sich geht, und wo seine Schwachpunkte sind. Er kann auch rechtzeitig innehalten, wenn der Gegner bezwungen ist, ohne ihn herabzuwürdigen.

Und er braucht Humor, der sich auch in einem inneren Lächeln ausdrücken kann. Was Narzissten am wenigsten aushalten, ist, wenn das Lächerliche an ihrem Verhalten als solches dargestellt wird. Wer die Lacher auf seiner Seite hat, hat dann recht, wenn er ein komisches oder absurdes Verhalten aufzeigt, ohne dabei die Person lächerlich zu machen. Die Härte, mit der die Manipulation zumeist auftritt, wird mit Humor am besten durchbrochen.

Manipulation von Emotionen


Narzissten wollen Emotionen manipulieren. Unbewusst schicken sie ihre Projektionen aus, indem sie z.B. vorgeben zu wissen, was in der anderen Person vor sich geht. Damit wollen sie die andere Person in ein inneres Drama, das gerade in ihnen abläuft, einbinden, damit das Drama im Außen ausgetragen werden kann. Natürlich können sie sich nicht in die andere Person hineinversetzen, sondern folgen einer inneren Realität, die sie jedoch für äußerlich voll verbindlich erachten und die sie deshalb unbedingt verteidigen wollen.

Deshalb macht es keinen Sinn, der anderen Person ihre Sichtweise abzusprechen, auch wenn sie einem selber als falsch und übergriffig erscheint; das ist ja genau das, was sie selber tun, und sie merken es sofort, wenn jemand mit ihnen macht, was sie, ohne es zu merken, anderen antun. Statt dessen kann man ihnen ihre Sichtweise zugestehen, aber zurückweisen, dass sie für einen selber richtig ist. Etwa in der Art: „Wenn du dich so fühlst, tut es mir leid. Ich kann akzeptieren, dass du mich so wahrnimmst. Das entspricht aber nicht meiner Wahrnehmung über mich. Und für deine Gefühle übernehme ich keine Verantwortung.“

Dabei ist es hilfreich, den eigenen Atem zu spüren und in sich selber verankert zu bleiben. Auch wenn vielleicht zunächst Ärger entsteht, wenn eine narzisstische Projektion von außen trifft, darf sich das Innere beruhigen. Dann kann das Problem dort belassen werden, wo es ist: In der anderen Person. Der Versuch der Unterschiebung des Problems ist gescheitert. Der Narzisst muss schauen, wie er mit seinen Gefühlen zurechtkommt.

Vgl. Über die Grenzen der Toleranz

Die Unausweichlichkeit der offenen Gesellschaft

Freitag, 25. April 2014

Der Gutmensch und das Gute im Menschen

Gutmenschen haben einen schlechten Ruf. Wir trauen ihnen nicht wirklich über den Weg, denn der Verdacht hält sich hartnäckig, dass sie hinter der Maske ihrer Lammfrömmigkeit besondere Boshaftigkeit verstecken. Ein Hauptzweck der Schreibwut von Friedrich Nietzsche scheint in der Entlarvung des Bösen im scheinbar Guten, bzw. in der abgründigen Bosheit im plakativ Guten zu liegen.

Hier ein paar Zitate des Philosophen, der sich selbst als „bei weitem der furchtbarste Mensch, den es bisher gegeben hat", bezeichnet hat:

"Vielleicht gab es bisher keine gefährlichere Ideologie, keinen größeren Unfug in psychologicis als diesen Willen zum Guten: man zog den widerlichsten Typus, den unfreien Menschen groß, den Mucker" (Friedrich Nietzsche, Aus dem Nachlaß. Werke in drei Bänden: III, S. 798)

"Unsre Gebildeten von heute, unsre »Guten« lügen nicht - das ist wahr; aber es gereicht ihnen nicht zur Ehre! Die eigentliche Lüge, die echte resolute »ehrliche« Lüge (über deren Wert man Plato hören möge) wäre für sie etwas bei weitem zu Strenges, zu Starkes; es würde verlangen, was man von ihnen nicht verlangen darf, dass sie die Augen gegen sich selbst aufmachten, dass sie zwischen »wahr« und »falsch« bei sich selber zu unterscheiden wüssten." (Zur Genealogie der Moral - Was bedeuten asketische Ideale? Nr. 19)

„Die Existenz-Bedingung der Guten ist die Lüge -: anders ausgedrückt, das Nicht-sehn-Wollen um jeden Preis, wie im Grunde die Realität beschaffen ist, nämlich nicht derart, um jederzeit wohlwollende Instinkte herauszufordern, noch weniger derart, um sich ein Eingreifen von kurzsichtigen gutmütigen Händen jederzeit gefallen zu lassen." (Ecce Homo - Warum ich Mensch bin. Nr. 4)

Das demonstrativ zur Schau getragene Gutsein dient einer moralischen Überheblichkeit, die häufig durch ein strenges Selbstregime gerechtfertigt und aufrechterhalten wird. Das Vorbild, das sich der Gutmensch selbst abringt, wird das anderen vor die Nase gehalten. So sollen die anderen auf ihre Mangelhaftigkeit und Schlechtigkeit aufmerksam gemacht und Schuldgefühle in ihnen wachgerufen werden. Das ist der Lohn für die Kasteiungen, die sich der Gutmensch auferlegt.

Hierher passt die Figur von Professor Lindner im „Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil. Von ihm heißt es: „Überhaupt verwandelte Lindner schlechthin alles, womit er in Berührung kam, in eine sittliche Forderung" (1051). Folglich bekommt er ironisch den Titel „der Tugut".

Zu all dem verkündet Bert Brecht spöttisch: "Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht/gut/schlau/anspruchsvoll genug." (In der Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens aus der Dreigroschenoper). In keiner Weise reicht der Mensch für das Leben, das immer mehr von ihm fordert, als er in seiner Beschränktheit zusammenbringt.


Kleine Ethik des Guten


Was ist denn nun das "wirkliche", "echte", "eigentliche" Gute am Menschen? Gibt es so etwas überhaupt? Sobald wir etwas Gutes tun, um unseren Mitmenschen zu signalisieren, dass wir gute Menschen sind, rutschen wir gleich in die Kategorie der Selbstsüchtigen. "Tue Gutes und sorge dafür, dass jeder davon erfährt," ist eben ein Slogan für den großzügigen Sponsor, der sich erwarten kann, dass seine Großzügigkeit seiner eigenen Brieftasche am meisten bringt. Folgerichtig wird er nur solange Gutes tun, solange der geschäftliche Gewinn gegeben ist.

Wenn ich also Gutes tue, um mit dieser Tat etwas (oder sogar mehr) Gutes für mich selber einzuheimsen, ist zwar meine Tat gut, aber nicht meine Motivation. Die Welt wird auf der einen Seite in Stück besser, weil z.B. ein Waisenhaus gebaut wird, und sie wird auf der anderen Seite ein Stück schlechter, weil jemand das Gute für das Aufpolieren des eigenen Egos missbraucht.

Das Gute, das geschieht, wenn es guttut, Gutes zu tun, ist die beste Verwirklichung unseres Selbst. Es gelingt uns, wenn wir uns ganz auf den Moment des Geschehens beziehen und weniger auf uns als Handelnde schauen, als vielmehr auf das, was durch uns hindurch abläuft. Wir sind es ja nicht selber, die uns gut machen, sondern etwas Tiefes in uns meldet sich, das sich durch uns hindurch vollzieht.

Es gibt Gutes, das wir tun, weil es für uns selber im Moment das Beste ist, was wir tun können. Wir tun es für uns genauso, wie wir es für die andere Person tun, aber wir tun es nicht für uns, weil wir nach einem zusätzlichen Gewinn trachten, sondern weil es sich für uns selber als stimmig anfühlt. Es ist also in sich selber lohnend, und wenn wir den Lohn gleich im Tun bekommen und anerkennen, brauchen wir keinen Zusatznutzen. Unser Handeln ist dann nicht von der Erwartung auf einen zukünftigen Ausgleich gesteuert (auch nicht nach einem solchen in einem Jenseits oder in einem weiteren Leben). Es ist in sich selbst und mit sich selbst zufrieden und erfüllt. Wenn wir merken, dass wir bis zum Rand voll sind, fordern wir nichts dazu, und wir sind frei von Erwartungen.

Nicht einmal ein erwartbarer Dank ist in irgendeiner Weise eine Voraussetzung für unser Handeln. Wenn wir etwas für das, was wir getan haben, zurückbekommen, ist das etwas Gutes, das uns der andere Mensch gibt, und nicht etwas, das unserer Handlung erst den Gewinn gibt. Der Dank der beschenkten Person schließt den sozialen Zirkel, weil damit die Person, die Gutes empfangen hat, in keiner Schuld bleibt, sodass wir uns frei und gleich, auf Augenhöhe, begegnen können.

Selbstlosigkeit ist dann keine Tugend, sondern ein Fließen aus unserem Sein, aus dem, was wir eigentlich, oder im tiefsten unserer Seele sind. Damit sind wir nicht in einem Zirkel von Geschäft und Gegengeschäft verstrickt, sondern bleiben ganz mit dem Tun und Geschehen im Moment verbunden, an dem wir uns erfreuen und das wir genießen, unabhängig von dem, was als nächstes und übernächstes darauf folgen wird oder nicht.

Wir nehmen dabei auch keine Haltung oder Rolle ein, wir spielen nicht den Gutmenschen, weil unser Handeln aus dem Moment entspringt und im nächsten Moment wieder in sich zusammenfällt. Es ist schon wieder verschwunden, denn etwas anderes hat seinen Platz eingenommen. Unser Handeln hinterlässt keine sichtbaren Spuren, keine Duftmarken in der Landschaft. Wir brauchen keinen Nachruhm und keine protzigen Grabmäler, keine Straßen und Plätze, die nach uns benannt werden, und keine Gedenkgottesdienste. Wir gehen in Freiheit und Leichtigkeit von einem Moment in den nächsten.

Diese Form des Guten hat nichts mit Leistung gemeinsam, es ist keine Tugend, die wir uns gegen die schier übermächtigen Befehle unserer Triebe abringen müssen, sondern Ausdruck dessen, was wir im Innersten wollen. Wir sind so gebaut, dass wir einander Gutes tun wollen, und deshalb tut uns das selber gut. Wir nutzen die Systeme in unserem Gehirn, die für Verständigung, Empathie und Mitgefühl zuständig sind, und deren Verwendung setzt zugleich Glückshormone und -botenstoffe frei. Damit belohnen wir uns unmittelbar selbst durch unser gutes Handeln. Wir brauchen uns nur diesen Zusammenhang, den uns unsere menschliche Natur zur Verfügung gestellt hat, bewusst zu machen, dann können wir uns leicht von den äußerlichen Belohnungserwartungen lösen, die den Sinn unseres Handelns an zukünftige Ereignisse knüpfen. Damit ist die Sinngebung unseres Tuns ganz unserer Kontrolle entzogen. Statt dessen können wir den Sinn der Handlung in ihr selbst erleben und aus ihr heraus annehmen, sobald wir anerkennen, dass wir uns selber Gutes tun, indem wir anderen Gutes tun.

Wir sind dann in Übereinstimmung mit uns selbst. Offenbar ist es so, dass wir nur ganz mit uns eins sein können, wenn wir gut mit anderen Menschen verbunden sind. Und gut sind wir mit ihnen verbunden, wenn wir ihnen Gutes tun und vermeiden, ihnen Schaden und Leid zuzufügen.


Anderen zu schaden, schadet uns selber


Haben wir dagegen jemandem Schaden zugefügt, kann es uns damit nicht gut gehen. Es verschafft höchstens uns eine kurzzeitige Befriedigung. Der Betrüger mag sich am Erfolg seiner Täuschung und dem Gewinn, den er daraus gezogen hat, erfreuen. Doch zugleich leidet er an dem Schaden, den er angerichtet hat, ob er das für sich selbst spüren mag oder nicht. Kein Mensch kann durch Leid, das er anderen zufügt, zu Entspannung und innerem Frieden finden. Gleich ob Strafen für ein verbrecherisches Handeln drohen oder die Aufdeckung äußerst unwahrscheinlich ist, bleibt ein Stress, eine innere Anspannung, weil das eigene Handeln aus einer Angst entsprungen ist und diese Angst nicht auflöst. Dazu kommt, dass der Täter, wie unbewusst auch immer, mit seinem Opfer verbunden ist und dieser Verbindung nicht entrinnen kann. Er wird nie wieder frei, außer das Opfer vergibt ihm und es kommt zu einer Wieder-Gutmachung.

Deshalb gehört es auch zum guten Leben, denen, die uns geschadet und verletzt haben, zu vergeben, damit befreien wir uns und auch den Täter von einer Last der Vergangenheit. Und auch hier ist es wieder so, dass wir eine Vergebung nicht deshalb zustande bringen, weil wir ein guter Mensch sein wollen, sondern weil sich unser Inneres von einer Last befreien will und aus dieser Kraft den Schritt tun kann. Wir können uns also nicht zu einer Vergebung zwingen, wenn wir noch grollen und unsere Wunden spüren. Erst wenn die innere Heilung erfolgt ist, ergibt sich natürlich der Weg zur Vergebung.

Hier kommen wir noch einmal zurück zum Gutmenschen. Er ist in ein Netz von selbstbezüglichen Erwartungshaltungen verstrickt, die aus einem inneren Mangel stammen. Unerfüllte Bedürfnisse aus der eigenen Kindheit werden umgemünzt in ein angepasstes Verhalten, das die Belohnung und Befriedigung aus einem angestrengten ausdauernden Gutsein-Wollen erzwingen will. Seine guten Handlungen dienen also der Füllung der eigenen Bedürftigkeit.


Das Gute und die innere Freiheit


Wir verstehen jetzt, dass es beim Tun des Guten nicht auf die Pose ankommt, auf die äußere Haltung. Das Gute kann nur aus innerer Freiheit entspringen. Eine gute Handlung liegt gar nicht in unserer Macht, sondern sie geschieht von selber, wenn wir uns im Zustand dieser inneren Freiheit befinden.

Was wir tun können, ist, immer wieder nach Wegen zu suchen, uns aus den Fängen der Selbstbezüglichkeit zu lösen. Dann sind wir weder gut noch schlecht genug für diese Welt, sondern sind ein Teil ihres Wirkungsnetzes, das aus seinen untergründigen Quellen immer wieder das Wachsen von Kreativität und innerer Freiheit speist.