Freitag, 25. April 2014

Der Gutmensch und das Gute im Menschen

Gutmenschen haben einen schlechten Ruf. Wir trauen ihnen nicht wirklich über den Weg, denn der Verdacht hält sich hartnäckig, dass sie hinter der Maske ihrer Lammfrömmigkeit besondere Boshaftigkeit verstecken. Ein Hauptzweck der Schreibwut von Friedrich Nietzsche scheint in der Entlarvung des Bösen im scheinbar Guten, bzw. in der abgründigen Bosheit im plakativ Guten zu liegen.

Hier ein paar Zitate des Philosophen, der sich selbst als „bei weitem der furchtbarste Mensch, den es bisher gegeben hat", bezeichnet hat:

"Vielleicht gab es bisher keine gefährlichere Ideologie, keinen größeren Unfug in psychologicis als diesen Willen zum Guten: man zog den widerlichsten Typus, den unfreien Menschen groß, den Mucker" (Friedrich Nietzsche, Aus dem Nachlaß. Werke in drei Bänden: III, S. 798)

"Unsre Gebildeten von heute, unsre »Guten« lügen nicht - das ist wahr; aber es gereicht ihnen nicht zur Ehre! Die eigentliche Lüge, die echte resolute »ehrliche« Lüge (über deren Wert man Plato hören möge) wäre für sie etwas bei weitem zu Strenges, zu Starkes; es würde verlangen, was man von ihnen nicht verlangen darf, dass sie die Augen gegen sich selbst aufmachten, dass sie zwischen »wahr« und »falsch« bei sich selber zu unterscheiden wüssten." (Zur Genealogie der Moral - Was bedeuten asketische Ideale? Nr. 19)

„Die Existenz-Bedingung der Guten ist die Lüge -: anders ausgedrückt, das Nicht-sehn-Wollen um jeden Preis, wie im Grunde die Realität beschaffen ist, nämlich nicht derart, um jederzeit wohlwollende Instinkte herauszufordern, noch weniger derart, um sich ein Eingreifen von kurzsichtigen gutmütigen Händen jederzeit gefallen zu lassen." (Ecce Homo - Warum ich Mensch bin. Nr. 4)

Das demonstrativ zur Schau getragene Gutsein dient einer moralischen Überheblichkeit, die häufig durch ein strenges Selbstregime gerechtfertigt und aufrechterhalten wird. Das Vorbild, das sich der Gutmensch selbst abringt, wird das anderen vor die Nase gehalten. So sollen die anderen auf ihre Mangelhaftigkeit und Schlechtigkeit aufmerksam gemacht und Schuldgefühle in ihnen wachgerufen werden. Das ist der Lohn für die Kasteiungen, die sich der Gutmensch auferlegt.

Hierher passt die Figur von Professor Lindner im „Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil. Von ihm heißt es: „Überhaupt verwandelte Lindner schlechthin alles, womit er in Berührung kam, in eine sittliche Forderung" (1051). Folglich bekommt er ironisch den Titel „der Tugut".

Zu all dem verkündet Bert Brecht spöttisch: "Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht/gut/schlau/anspruchsvoll genug." (In der Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens aus der Dreigroschenoper). In keiner Weise reicht der Mensch für das Leben, das immer mehr von ihm fordert, als er in seiner Beschränktheit zusammenbringt.


Kleine Ethik des Guten


Was ist denn nun das "wirkliche", "echte", "eigentliche" Gute am Menschen? Gibt es so etwas überhaupt? Sobald wir etwas Gutes tun, um unseren Mitmenschen zu signalisieren, dass wir gute Menschen sind, rutschen wir gleich in die Kategorie der Selbstsüchtigen. "Tue Gutes und sorge dafür, dass jeder davon erfährt," ist eben ein Slogan für den großzügigen Sponsor, der sich erwarten kann, dass seine Großzügigkeit seiner eigenen Brieftasche am meisten bringt. Folgerichtig wird er nur solange Gutes tun, solange der geschäftliche Gewinn gegeben ist.

Wenn ich also Gutes tue, um mit dieser Tat etwas (oder sogar mehr) Gutes für mich selber einzuheimsen, ist zwar meine Tat gut, aber nicht meine Motivation. Die Welt wird auf der einen Seite in Stück besser, weil z.B. ein Waisenhaus gebaut wird, und sie wird auf der anderen Seite ein Stück schlechter, weil jemand das Gute für das Aufpolieren des eigenen Egos missbraucht.

Das Gute, das geschieht, wenn es guttut, Gutes zu tun, ist die beste Verwirklichung unseres Selbst. Es gelingt uns, wenn wir uns ganz auf den Moment des Geschehens beziehen und weniger auf uns als Handelnde schauen, als vielmehr auf das, was durch uns hindurch abläuft. Wir sind es ja nicht selber, die uns gut machen, sondern etwas Tiefes in uns meldet sich, das sich durch uns hindurch vollzieht.

Es gibt Gutes, das wir tun, weil es für uns selber im Moment das Beste ist, was wir tun können. Wir tun es für uns genauso, wie wir es für die andere Person tun, aber wir tun es nicht für uns, weil wir nach einem zusätzlichen Gewinn trachten, sondern weil es sich für uns selber als stimmig anfühlt. Es ist also in sich selber lohnend, und wenn wir den Lohn gleich im Tun bekommen und anerkennen, brauchen wir keinen Zusatznutzen. Unser Handeln ist dann nicht von der Erwartung auf einen zukünftigen Ausgleich gesteuert (auch nicht nach einem solchen in einem Jenseits oder in einem weiteren Leben). Es ist in sich selbst und mit sich selbst zufrieden und erfüllt. Wenn wir merken, dass wir bis zum Rand voll sind, fordern wir nichts dazu, und wir sind frei von Erwartungen.

Nicht einmal ein erwartbarer Dank ist in irgendeiner Weise eine Voraussetzung für unser Handeln. Wenn wir etwas für das, was wir getan haben, zurückbekommen, ist das etwas Gutes, das uns der andere Mensch gibt, und nicht etwas, das unserer Handlung erst den Gewinn gibt. Der Dank der beschenkten Person schließt den sozialen Zirkel, weil damit die Person, die Gutes empfangen hat, in keiner Schuld bleibt, sodass wir uns frei und gleich, auf Augenhöhe, begegnen können.

Selbstlosigkeit ist dann keine Tugend, sondern ein Fließen aus unserem Sein, aus dem, was wir eigentlich, oder im tiefsten unserer Seele sind. Damit sind wir nicht in einem Zirkel von Geschäft und Gegengeschäft verstrickt, sondern bleiben ganz mit dem Tun und Geschehen im Moment verbunden, an dem wir uns erfreuen und das wir genießen, unabhängig von dem, was als nächstes und übernächstes darauf folgen wird oder nicht.

Wir nehmen dabei auch keine Haltung oder Rolle ein, wir spielen nicht den Gutmenschen, weil unser Handeln aus dem Moment entspringt und im nächsten Moment wieder in sich zusammenfällt. Es ist schon wieder verschwunden, denn etwas anderes hat seinen Platz eingenommen. Unser Handeln hinterlässt keine sichtbaren Spuren, keine Duftmarken in der Landschaft. Wir brauchen keinen Nachruhm und keine protzigen Grabmäler, keine Straßen und Plätze, die nach uns benannt werden, und keine Gedenkgottesdienste. Wir gehen in Freiheit und Leichtigkeit von einem Moment in den nächsten.

Diese Form des Guten hat nichts mit Leistung gemeinsam, es ist keine Tugend, die wir uns gegen die schier übermächtigen Befehle unserer Triebe abringen müssen, sondern Ausdruck dessen, was wir im Innersten wollen. Wir sind so gebaut, dass wir einander Gutes tun wollen, und deshalb tut uns das selber gut. Wir nutzen die Systeme in unserem Gehirn, die für Verständigung, Empathie und Mitgefühl zuständig sind, und deren Verwendung setzt zugleich Glückshormone und -botenstoffe frei. Damit belohnen wir uns unmittelbar selbst durch unser gutes Handeln. Wir brauchen uns nur diesen Zusammenhang, den uns unsere menschliche Natur zur Verfügung gestellt hat, bewusst zu machen, dann können wir uns leicht von den äußerlichen Belohnungserwartungen lösen, die den Sinn unseres Handelns an zukünftige Ereignisse knüpfen. Damit ist die Sinngebung unseres Tuns ganz unserer Kontrolle entzogen. Statt dessen können wir den Sinn der Handlung in ihr selbst erleben und aus ihr heraus annehmen, sobald wir anerkennen, dass wir uns selber Gutes tun, indem wir anderen Gutes tun.

Wir sind dann in Übereinstimmung mit uns selbst. Offenbar ist es so, dass wir nur ganz mit uns eins sein können, wenn wir gut mit anderen Menschen verbunden sind. Und gut sind wir mit ihnen verbunden, wenn wir ihnen Gutes tun und vermeiden, ihnen Schaden und Leid zuzufügen.


Anderen zu schaden, schadet uns selber


Haben wir dagegen jemandem Schaden zugefügt, kann es uns damit nicht gut gehen. Es verschafft höchstens uns eine kurzzeitige Befriedigung. Der Betrüger mag sich am Erfolg seiner Täuschung und dem Gewinn, den er daraus gezogen hat, erfreuen. Doch zugleich leidet er an dem Schaden, den er angerichtet hat, ob er das für sich selbst spüren mag oder nicht. Kein Mensch kann durch Leid, das er anderen zufügt, zu Entspannung und innerem Frieden finden. Gleich ob Strafen für ein verbrecherisches Handeln drohen oder die Aufdeckung äußerst unwahrscheinlich ist, bleibt ein Stress, eine innere Anspannung, weil das eigene Handeln aus einer Angst entsprungen ist und diese Angst nicht auflöst. Dazu kommt, dass der Täter, wie unbewusst auch immer, mit seinem Opfer verbunden ist und dieser Verbindung nicht entrinnen kann. Er wird nie wieder frei, außer das Opfer vergibt ihm und es kommt zu einer Wieder-Gutmachung.

Deshalb gehört es auch zum guten Leben, denen, die uns geschadet und verletzt haben, zu vergeben, damit befreien wir uns und auch den Täter von einer Last der Vergangenheit. Und auch hier ist es wieder so, dass wir eine Vergebung nicht deshalb zustande bringen, weil wir ein guter Mensch sein wollen, sondern weil sich unser Inneres von einer Last befreien will und aus dieser Kraft den Schritt tun kann. Wir können uns also nicht zu einer Vergebung zwingen, wenn wir noch grollen und unsere Wunden spüren. Erst wenn die innere Heilung erfolgt ist, ergibt sich natürlich der Weg zur Vergebung.

Hier kommen wir noch einmal zurück zum Gutmenschen. Er ist in ein Netz von selbstbezüglichen Erwartungshaltungen verstrickt, die aus einem inneren Mangel stammen. Unerfüllte Bedürfnisse aus der eigenen Kindheit werden umgemünzt in ein angepasstes Verhalten, das die Belohnung und Befriedigung aus einem angestrengten ausdauernden Gutsein-Wollen erzwingen will. Seine guten Handlungen dienen also der Füllung der eigenen Bedürftigkeit.


Das Gute und die innere Freiheit


Wir verstehen jetzt, dass es beim Tun des Guten nicht auf die Pose ankommt, auf die äußere Haltung. Das Gute kann nur aus innerer Freiheit entspringen. Eine gute Handlung liegt gar nicht in unserer Macht, sondern sie geschieht von selber, wenn wir uns im Zustand dieser inneren Freiheit befinden.

Was wir tun können, ist, immer wieder nach Wegen zu suchen, uns aus den Fängen der Selbstbezüglichkeit zu lösen. Dann sind wir weder gut noch schlecht genug für diese Welt, sondern sind ein Teil ihres Wirkungsnetzes, das aus seinen untergründigen Quellen immer wieder das Wachsen von Kreativität und innerer Freiheit speist.

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