Sonntag, 16. März 2025

Musk: "Empathie - eine Schwäche der westlichen Zivilisation"

Wenn Elon Musk ein Milliardär wäre, der skurrile Dinge von sich gibt, wäre das nicht besonders bedenkenswert. Gegenwärtig ist dieser Mann allerdings nicht nur der reichste, sondern auch einer der mächtigsten Menschen auf dieser Welt, durch die Stellung, die ihm der US-Präsident gegeben hat. Die Einsichten, die er offenherzig teilt, sind aber nicht bloß Privatmeinungen, die man als folgenlose Spinnereien eines verzogenen Rotzers abtun könnte, sondern entsprechen einer Geisteshaltung, die vor allem in den rechten Kreisen weit verbreitet ist, denen er angehört. Es ist übrigens wenig bekannt, dass Musk aus der Ahnenreihe einschlägig vorbelastet ist: Der Großvater mütterlicherseits, Joshua Haldemann, war Anhänger der Herrschaft der Weißen, Rassist und Antisemit. Er hielt Südafrika bis zum Fall des Apartheitregimes für den „Himmel der weißen christlichen Zivilisation“ und pflegte nach Medienberichten Nazi-Traditionen.

In einem Podcast-Gespräch mit Joe Rogan, einem bekannten US-Podcaster, teilte Musk nicht nur die seltsame Theorie, dass die Demokraten daran arbeiteten, so viele Einwanderer ohne Papiere wie möglich ins Land zu holen, damit sie die US-Regierung für immer übernehmen können. „Wenn sie noch vier Jahre hätten, würden sie genug Illegale in den Swing-States legalisieren, um die Swing-States zu Nicht-Swing-States zu machen“, sagte Musk zu Rogan. “Sie wären einfach blaue Staaten. Dann würden sie ... die Präsidentschaftswahl gewinnen; sie würden das Repräsentantenhaus, den Senat und die Präsidentschaft gewinnen.“ Diese Theorie hat deshalb keine Grundlagen, weil Illegal Eingewanderte nicht wählen dürfen. Also handelt es sich um eine Verschwörungstheorie, ein Hauptthema der rechten Propaganda. Leider wird das Gegenteil angebahnt: Die Agitatoren von Trump und Musk arbeiten daran, die Demokratie in den USA zu untergraben und die Gewaltenteilung auszuhebeln, um die Herrschaft der Republikaner auf Dauer zu stellen. 

Was aber noch bedenkenswerter ist, ist Musks Einstellung zur Empathie. Er meint, dass Mitgefühl für den Einzelnen der Gemeinschaft teuer zu stehen kommt. In Hinblick auf den Schritt Kaliforniens, auch Menschen ohne Papiere, die für das einkommensschwache Medi-Cal-Programm in Frage kommen, eine Krankenversicherung anzubieten, meinte er: „Wir haben es mit einer zivilisatorischen selbstmörderischen Empathie zu tun“. Einerseits meint er, dass man sich um andere Menschen kümmern sollte, aber zugleich auch dass die Empathie die Gesellschaft zerstört. „Die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie, die Ausbeutung von Empathie“, sagte Musk. „Dort wird ein Fehler in der westlichen Zivilisation ausgenutzt, nämlich die Empathie-Reaktion.“ Empathie, sagte er, sei zur Waffe gemacht (“weaponized”) worden - offenbar nur eine Waffe gegen die Feinde der Empathie.

Mit krassen sozialen Statusunterschieden und Schlechterstellungen geht ein kollektives Schamgefühl einher. Soziale Strömungen in der Politik, die das Auseinanderdriften zwischen arm und reich sowie zwischen mächtig und ohnmächtig ausgleichen will, geraten im Weltbild von Musk zu Ideologien der schädlichen Übertreibung der Empathie. Es kreuzen sich bei diesem Angriff auf die Empathie rechte und neoliberale Abwertungen von den Schwächeren in der Gesellschaft. Zur neoliberalen Ideologie zählt die Verachtung von jenen, die weniger leisten oder weniger leistungsfähig sind. (Der Maßstab für Leistungen liegt dabei im monetären Erfolg, deshalb gelten z.B. die Leistungen von alleinerziehenden Personen nicht.) Es wird deshalb z.B. Druck ausgeübt, die Arbeitslosenunterstützung möglichst gering zu halten, damit die Betroffenen gedrängt werden, schnellstens wieder Leistungen zu erbringen. In der rechtsgerichteten Propaganda wird der Neid auf jene geschürt, die angeblich für Wenig- oder Nichtstun vom Staat erhalten werden oder im Krankheitsfall Hilfe bekommen. Es soll die Angst geschürt werden, dass einem diese Leute etwas wegnehmen, was einem zustünde. In diese Kerbe schlägt die Angstmache vor Migranten, die ebenfalls als Gefahrenträger für den eigenen Wohlstand dargestellt werden.

Empathie als Grundbedrohung

Musk geht noch weiter: Empathie ist nicht nur eine Schwäche von moralinsauren Linken, sondern sie führt zum Selbstmord der Zivilisation. Sie bedroht also die Grundlagen des menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Sie sei zur Waffe gemacht worden. Aus diesem Bedrohungsbild leuchtet ein, mit welchem Furor Musk die Institutionen des Staates demolieren will, als müsste möglichst schnell alles, was den Bazillus der Empathie in sich trägt wie Entwicklungshilfe- oder Gleichberechtigungsprogramme vernichtet werden.

Diese Besessenheit rührt daher, dass Musk Empathie mit Barmherzigkeit oder Mitmenschlichkeit verwechselt. Empathie impliziert nicht bestimmte Handlungen, sondern bezeichnet einen inneren Zustand, bei dem das Leid anderer Menschen im eigenen Gefühlsleben wahrgenommen wird. Wohl kann die Empathie zu einem Tun führen, aber nicht notwendigerweise. 

Der Hass auf die Empathie, den Musk, stellvertretend für viele Gleichgesinnte, zum Ausdruck bringt, kann nur durch einen Mangel an erfahrener Empathie erklärt werden. Wer nie oder viel zu wenig Mitgefühl für die eigenen Schwächen und Mängel bekommen hat, kann andere Menschen mit Schwächen und Mängeln nur verachten und muss sie aus der Gesellschaft ausschließen oder an den äußersten Rand drängen. Außerdem wird für ihn die Empathie zum gefährlichsten Gift, denn sie trägt dazu bei, dass die Schwachen und Mangelhaften einen geachteten Platz in der Gesellschaft einnehmen können

Das Kapern von Begriffen der Menschlichkeit

Es steht zu befürchten, dass ein Schlüsselbegriff für ein gutes menschlicheres Zusammenleben in Misskredit gebracht wird und damit der Entwicklung Vorschub geleistet wird, deren Fahnenträger mit dem Pathos des heroisierten Empathieverzichts zu Initiatoren von Unmenschlichkeiten werden. Eine in vorhergehenden Blogbeiträgen beschriebene Taktik rechter und rechtsextremer Publizisten und Politiker besteht ja im Aufgreifen von Begriffen mit prosozialem oder emanzipativem Gehalt, die ihrer ursprünglichen Bedeutung entkleidet, umgedeutet und dann gegen die Aufrechterhaltung der Menschlichkeit in Stellung gebracht werden. Eine Gesellschaft, in der die Empathie in Verruf gerät, reißt die Dämme gegen die brutalen Machtkämpfe von schrankenlosen Egoisten nieder. In diesem Zusammenhang wird jetzt häufig Hannah Arendt zitiert: „Der Tod der menschlichen Empathie ist eines der frühesten und deutlichsten Zeichen dafür, dass eine Kultur gerade der Barbarei verfällt.“

Wie es auch bei anderen Begriffen dringlich erforderlich ist, sollten wir alles tun, um die Werte der Mitmenschlichkeit und der gegenseitigen Fürsorge, für die wir die Fähigkeit zur Empathie brauchen, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Wir dürfen uns auf keinen Fall die Begriffe, mit denen wir das Gute vom Bösen unterscheiden, von radikalisierten Propagandisten wegnehmen lassen. 

Zum Weiterlesen:
Der heroisierte Verzicht auf Empathie
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff
Verschwörungstheorien und Realitätstauglichkeit
Taktiken zur Machergreifung

Hier zur Videofassung


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