Mittwoch, 1. März 2023

Alles zu seiner Zeit: Über die Ungeduld in der Therapie

Immer wieder hören wir von Klienten, dass sie sich schnellere Veränderungen bei ihren problematischen Verhaltensmustern und Gefühlsabläufen wünschen. Sie wären gerne nach ein paar Stunden frei von allen Zwängen und Störungen und beklagen die Langsamkeit der inneren Entwicklung. Wir kriegen dadurch manchmal als Therapeuten den Eindruck, dass sie mit uns und dem, was wir ihnen anbieten, unzufrieden sind und machen uns selbst dann einen Druck, um schneller bessere Resultate zu erzielen. 

Es ist verständlich, dass Menschen ihre Leidenszustände so schnell wie möglich loswerden wollen. Jede Form von Leiden belastet und macht unglücklich und erzeugt verständlicherweise die Ungeduld, das Schwierige und Bedrückende möglichst schnell wieder loszuwerden. Deshalb besteht die Erwartung an die Therapeuten oder andere, die Linderung und Heilung anbieten, zügig und sicher Abhilfe zu verschaffen. 

Seelenreparatur?

Oft steckt eine Einstellung dahinter, die die eigene Seele wie ein defekt gewordenes Gerät sieht, das man in eine Werkstatt bringt, wo es vom Experten repariert wird. Diese Einstellung, die die eigene Seele zum leblosen Objekt macht, ist selber Teil des Problems. Denn es zeigt, wie weit sich jemand von sich selbst und seinem Inneren entfernt hat. Es ist aber nicht weiter verwunderlich, dass sich solche Meinungen bilden, weil sie sehr weit verbreitet sind. Wer ein Problem hat, sucht sich einen Fachmann oder eine Fachfrau, und diese haben dann die Verantwortung, dass das Problem gelöst wird. 

Zurück zur Lebendigkeit

Die Aufgabe der Therapie liegt vor allem darin, die Natur der eigenen Seele kennenzulernen. Sie ist eben kein Ding, sondern etwas sehr Lebendiges. Sie hat ihre eigene Zeitstruktur, die sich von dem unterscheidet, was unser flottes oder hektisches Denken vorgeben möchte. Die seelischen Abläufe sind viel langsamer als die in unserem Kopf. Das ist der erste Grund, warum die Heilung auf der seelischen Ebene Zeit braucht, nämlich genau die Zeit, die es braucht, und nicht die, die unser ungeduldiges Denken einfordert. Der zweite Grund ist ebenso offensichtlich: Was sich über Jahre und Jahrzehnte in unsere Seele eingegraben hat, kann nicht von heute auf morgen einfach verschwinden. Unsere Seele muss umlernen, neue Sichtweisen erwerben, alte Gewohnheiten aufgeben usw. Und jedes neue Lernen erfordert Zeit; wir haben auch nicht sofort Rad fahren oder schwimmen können, sondern haben Zeit gebraucht, bis wir diese Tätigkeiten ohne nachzudenken ausführen konnten. Reaktionsmuster, die wir im Lauf unserer Kindheit erworben haben, haben sich fest in den Netzwerken unseres Gehirns etabliert, weil sie oft und oft in unserem Leben wiederholt und dadurch gefestigt wurden. Aus jeder Verletzung und Traumatisierung sind solche Bahnungen in unserem Gehirn entstanden, die eine so große Bedeutung erlangt haben, weil sie in extrem bedrohlichen Situationen gebildet wurden. 

Veränderung und Widerstand

Daraus folgt der dritte Grund: Es gibt gegen jede Änderung Widerstände. Schließlich hat alles, woran man sich gewohnt hat, so lästig und störend es sein mag, auch seine Vorteile. Die Themen, mit denen wir in der Therapie arbeiten, sind Überlebensstrategien, die wir in der Kindheit erworben haben, um unter emotional fragilen Umständen über die Runden zu kommen. Sie haben also einmal unser Überleben gesichert. Das weiß unser Unterbewusstsein und will sie deshalb nicht so mir nichts dir nichts hergeben. Unsere Seele verfügt über ausgesprochen konservative Seiten. Je mehr Ungemach in unserem Leben passiert ist, desto stärker sind diese Seiten ausgeprägt. Sie wollen das, was einmal funktioniert hat, nicht aufgeben und glauben, dass es auch für alle zukünftigen Herausforderungen geeignet ist. Jeder Widerstand gegen Veränderung bremst das Tempo der Heilung. Wie wir wissen, können Widerstände nicht einfach ignoriert oder durchbrochen werden. Vielmehr müssen sie beachtet und für ihren langjährigen Dienst anerkannt werden. Dann jedoch gilt es, sie zu überwinden und ihnen keine Bedeutung mehr zuzumessen. Erst dann ist es möglich, die Gefühle, die mit den ursprünglichen Prägesituationen verbunden sind, zuzulassen, durchzufühlen und auszudrücken. Dafür braucht die Seele viel Zeit, Qualitätszeit, die mit Bewusstheit und Achtsamkeit begleitet wird und die am besten mit jemandem verbracht wird, der eine bedingungslose Zuwendung und Präsenz anbieten kann und der auch die notwendige Geduld aufbringt. 

Der Bann der Schnelligkeit

Ein weiterer Aspekt, der bei der Ungeduld der Menschen in Bezug auf ihre therapeutischen Fortschritte mitspielt, ist die in unserer Gesellschaft wirksame Beschleunigung: Alles soll immer schneller und schneller gehen. Im Maß dieser Beschleunigung wächst unsere Ungeduld. Wir gehen nicht mehr ins Geschäft nebenan zum Einkaufen, weil das viel mehr Zeit braucht, als wenn wir mit ein paar Klicks online bestellen, und rechnen auch dann mit einer Lieferung innerhalb kürzester Frist. Wenn es mal länger dauert, wechseln wir gleich den Anbieter. Wie an anderem Ort ausgeführt, gelingt es in Österreich nicht, Tempo 100 auf Autobahnen einzuführen, weil die Entschleunigung so viele irrationale Ängste hervorruft. Das Immer-Schneller-Werden-Müssen hat etwas Zwanghaftes und Suchterzeugendes. Wir reden ja auch vom Rausch der Geschwindigkeit, ohne dabei zu erkennen, wie das Schnelle immer mehr das Langsame verdrängt, in unser aller Leben. 

Wir leben eben in einer Zeit, die von Ungeduld geprägt und durchdrungen ist. Zeit ist Geld, je schneller etwas geht, desto mehr Geld kann damit gemacht werden. Es ist eine ökonomische und maschinelle Zeit, die uns bis in unser Unterbewusstsein hinein beeinflusst und die der Seelenzeit entgegengesetzt ist. Es ist eine Zeit, die von vorgegebenen und anonymen Anforderungen bestimmt ist, und nichts mit der Natur und ihren Rhythmen, in die auch unsere Seelen eingebunden sind, zu tun hat. 

Entschleunigung

Diese Seele in ihrer Natürlichkeit wiederzufinden, ist das Ziel des therapeutischen Bestrebens. Als Therapeuten sind wir gefordert, diese Zielrichtung immer im Blick zu behalten. Selber können wir, so gut wir es vermögen, unsere eigene Seele in ihrer Zeitform einbringen und der Klientin dabei helfen, aus der Beschleunigung der Welt auszusteigen und sukzessive langsamer und damit bedächtiger zu werden. Achtsamkeit ist untrennbar mit Entschleunigung verbunden.  

Erwartungen der Therapeuten

Doch auch als Therapeuten sind wir nicht frei vom Bann des Beschleunigungs- und Geschwindigkeitswahns. Auch wir kennen die Ungeduld mit Klienten und ihren Widerständen. Wir vermeinen ja schon zu wissen, wohin sie kommen sollten und was es dafür braucht, dass sie dort hinkommen. Wir sehen sie in unserem geistigen Auge vor uns, ruhig und gelassen, reflektiert und einsichtig, ohne Jammern und Selbstanklagen, befreit von düsteren Stimmungen und Beziehungsproblemen. Und doch kommen sie jede Woche mit gleichen oder ähnlichen Klagen, mit gleichen oder ähnlichen Gemütszuständen. Wir merken zwar gewisse Fortschritte, aber sie gehen für unser Empfinden viel zu langsam vonstatten. Vielleicht zweifeln wir dabei an unseren eigenen Künsten, vielleicht spielt auch eine unterschwellige Abwertung der Klienten mit. 

Solche oder ähnliche Gedanken sind menschlich, allzu-menschlich. Sie spiegeln die mächtige Wirkung des sozialen Umfelds wider, der sich auch reflektierte und selbsterfahrene Menschen nicht vollständig entziehen können. Diese Gedanken und die damit verbundenen Gefühle gehören aber nicht zur professionellen Haltung, die wir für diesen Beruf brauchen. Deshalb ist es wichtig für das therapeutische Arbeiten, sich die Ängste bewusst zu machen, die hinter dem Impuls zum Antreiben der Heilarbeit stecken. Dann können wir solche regressiven Anteile durch die Haltung des Vertrauens ersetzen. Diese besagt, dass es nicht an unseren Egos liegt, den Verlauf und die Dauer des Heilungsprozesses zu bestimmen, sondern an dem, was da heilen soll, also an der Seele. Wir vertrauen ihr den Prozess der Gesundung an und nehmen unsere engen und selbstbezogenen Vorstellungen, die von unbewussten Ängsten und Schamgefühlen gelenkt werden, zurück. 

Wenn uns also als Therapeuten solche Gedanken und Gefühle bewusst werden, liegt es an uns, die Gelegenheit beim Schopf packen, und dann besinnen wir uns auf unsere Seele, auf ihr unendliches Potenzial und ihre unerschöpfliche Tiefe und auf ihre ganz eigene Entwicklungsgeschwindigkeit. Damit können wir der Klientin das Vertrauen zu ihrer eigenen Seele weitergeben und ihr damit zur Geduld mit sich selbst verhelfen. Das ist der Nährboden für seelisches Wachstum und für nachhaltige Heilungsprozesse: Alles zu seiner Zeit. 

Zum Weiterlesen:
Geduld ist die Tugend der Glücklichen
Geduld: Sich dem Leben anvertrauen

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