Donnerstag, 6. August 2020

Politik nach Corona

Die Covid-Krise stellt die Regierenden in der ganzen Welt vor komplexe Herausforderungen. Es gibt ein klares Resumee: Die Krise kann nur gemeistert werden, wenn die Regierenden Experten zuhören. Sie können keine Richtlinien aus ihren Ideologien finden, um diese Krise zu meistern. Denn es gibt keine Ideologie zur Bewältigung einer Pandämie. Ideologien mischen sich allenfalls in die Regelungen der Auswirkungen der Krise: Soll der Staat den Leuten, die ihre Arbeit und ihr Geschäft wegen eines Lockdowns verlieren, unter die Arme greifen oder sie ihrem Schicksal überlassen? Sollen Regeln erlassen werden, um die Gefährdeten zu schützen oder soll jeder machen, was er will? 

Ideologien können sich auch in das Krisenmanagement einmischen, wie das manche Politiker versucht haben: Wir sind die heroischen Einzelkämpfer einer gesunden Rasse und setzen auf die Herdenimmunität, d.h. wir nehmen die Toten in unseren Reihen in Kauf, um dann am Ende als die strahlenden Sieger dazustehen. Oder: Das Virus ist eine Erfindung unserer Gegner, die unsere Wirtschaft treffen wollen, aber es ist viel zu harmlos. Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir machen weiter, als wäre nichts und sind dann die Besseren.  

Mittlerweile ist absehbar, dass diese ideologischen Einmischungen gescheitert sind. Nach den Erfahrungen mit der Unberechenbarkeit des Virus und seiner ganz unterschiedlichen Auswirkungen sind zunehmend mehr und mehr Regierende auf eine Linie eingeschwenkt, nämlich jene, die von der großen Mehrzahl der Experten vorgeschlagen wurde. 

Das Versagen der Populisten


Die Populisten haben auf ganzer Linie versagt, sie konnten nichts beitragen zur Verringerung von Infektionen oder Todesfällen. Populisten sind zumeist Feinde von Expertenwissen, weil sie denken, selber die Experten in allen relevanten Belangen zu sein. Sie sind auch den Wissenschaften gegenüber misstrauisch, weil sie ihren subjektiven, gefühlserzeugten Wirklichkeitsbegriff gegenüber den Wissenschaften inhaltlich nicht verteidigen können. Auf dem ideologisch eingefärbten Wirklichkeitsbegriff mit seinen Freund-Feind-Mustern beruht der ganze Erfolg der populistischen Propaganda. Differenziertere Sichtweisen, wie sie von den Wissenschaften kommen, passen nicht zu den vereinfachten Weltbildern. Deshalb müssen die Wissenschaften diskreditiert werden. Alles, was komplex erscheint, ist verdächtig. 

Populisten verfügen über die Schläue, die ihren Machthunger unterstützt, aber nicht über ein Gespür für Feinheiten und Komplexitäten. Sie müssen sich eine eigene Wirklichkeit erschaffen, denn die „wirkliche“ Wirklichkeit ist differenziert und komplex. Und sie müssen die Erforscher dieser Wirklichkeit bekämpfen, damit sie ihr simples, von Emotionen erzeugtes Realitätsmodell aufrechterhalten können.

Rückkoppelung mit Experten


Dort, wo die Politik Erfolge in Bezug auf die Pandemie verzeichnen kann, stützt sie sich auf Experten aus verschiedenen Gebieten zwischen Medizin, Soziologie und Mathematik, die die relevanten Fakten, Berechnungen und Entscheidungsgrundlagen liefern. Die Verantwortung der Politiker ist es dann, die Entscheidungen zu treffen, aber eben nicht aus irgendeinem Bauchgefühl heraus, sondern in Abstimmung mit denen, die sich in dem betreffenden Bereich am besten auskennen.  

Faktenbasierte Politik ist kein Zauberwort, sondern entspricht der Aufgabe von demokratischen Politikern, Politik im Sinn des Gemeinwohls zu gestalten, also eine größtmögliche Zahl von Interessen und Bedürfnissen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten zu berücksichtigen. Dafür ist der Austausch notwendig, zwischen den Entscheidungsträgern und den Betroffenen sowie mit den Experten, die tiefere Einblicke für bestimmte Sachbereiche mitbringen, also eine dia- oder multilogische Politgesellschaft, eine zuhörende Gesellschaft nach Hanzi Freinacht.  

Wer mit Regierungsmacht ausgestattet ist, braucht sich nicht durch ein Besserwissen auszuzeichnen, sondern durch eine besondere Gabe, die richtigen Fragen an die richtigen Leute zu stellen und das Ganze der Gesellschaft immer im Auge zu behalten. Die Besserwisserei ist ein Hindernis für eine evolvierte Form der Machtausübung. 

Ein Modell für die Zukunft


Das ist ein Modell für die Zukunft: Experten kommen zusammen, die Politiker hören zu, Experten helfen bei der Evaluation des Expertenwissens und bereiten die Entscheidungsgrundlagen auf, mittels derer dann die Politiker entscheiden. Die Folgen der Entscheidungen werden von den Experten evaluiert und die Maßnahmen werden dann notfalls rückgängig gemacht oder verbessert und den veränderten Bedingungen angepasst.  

Österreich hatte durch die Gunst der Umstände die Chance, für einige Monate das Experiment einer Expertenregierung zu erproben. Die Zufriedenheit mit dieser Regierung in der Bevölkerung war hoch, die Abwesenheit von Ideologien als bestimmenden Momenten für die Machtausübung wurde offensichtlich nicht vermisst. Politik, die die Experten gehört hat und hinter sich weiß, genießt offensichtlich mehr Vertrauen als eine, die nur durch perfekte mediale Selbstdarstellung glänzt oder Ideologien vor sich her trägt. 

Die Corona-Zeit könnte ebenfalls als wegweisend in diese Richtung genutzt werden: Die politische Macht in den Dienst einer Problembewältigung mit ausgewogener Berücksichtigung der sachlichen und der sozialen Notwendigkeiten unter Einbeziehung der Wissensressourcen aus den Wissenschaften zu stellen.  

Politik kann es nie allen recht machen, das gelingt uns schon im Kleinen von Familien oft nicht. Auch das zeigt die Corona-Zeit: In einer entwickelten Gesellschaft wird es immer unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen geben. Die oft extrem weit auseinanderliegenden Gefahreneinschätzungen und subjektiven Perspektiven auf das Phänomen dieser Infektion und die starken Emotionen, die davon ausgelöst werden, weisen einerseits darauf hin, dass eine entwickelte Gesellschaft einen weiten Toleranzbereich benötigt, und andererseits, dass sie von ihren Mitgliedern verlangen müsste, die eigene Emotionalität soweit zu kennen, um unterscheiden zu können, ob situationsadäquate Realitätswahrnehmungen möglich sind oder kindliche Erfahrungsmuster die Reaktionskontrolle übernommen haben. 

Der Vorzug von Expertenwissen besteht darin, dass es in der Regel unabhängig von eigenen Interessen und Werthaltungen ist und dass es also einen höheren Objektivitätsgehalt hat als alle anderen Formen des Wissens. Dieses Wissen entsteht in Prozessen permanenter Rückkoppelung und Überprüfung und wird laufend verbessert und weiterentwickelt. Es entzieht sich damit der Verfügungsgewalt von Einzelnen, die immer manipulations- und korruptionsanfällig sind.  

Deshalb braucht auch eine Politik, die die Gesellschaft in einer allen Mitgliedern dienlichen Weise weiterentwickeln möchte, eine Rückkoppelung zu solchen Formen des Wissens. Auch politische Entscheidungen müssen permanent evaluiert werden, nicht nur im Sinn ihrer vordergründigen Popularität oder Akzeptanz, sondern auch im Sinn der Effektivität und Verträglichkeit in Hinblick auf die Gleichheit in der Gesellschaft und auf die Natur im Ganzen.  

Das Virus, das uns in Bann hält, zwingt uns genau dazu. Wenn wir einen Funken unseres Verstandes nutzen, wird er uns nahelegen, diese Form des Politikmachens mit Rückkoppelungen zum Expertenwissen und Zuhören auch für andere Bereiche der Zukunftsgestaltung zu verwenden. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen