Montag, 2. Dezember 2024

Was macht aggressive Politiker attraktiv?

In vielen demokratischen Ländern des globalen Nordens sind die rechten und rechtsextremen Parteien im Vormarsch. Was dabei auffällt ist, dass die Politiker dieser Parteien mit aggressiven Botschaften Wähler ansprechen und für sich gewinnen können. Um die Themen, die dabei angesprochen werden, nehmen sich auch andere Parteien an. Vor allem rechtskonservative Parteien fahren einen harten Kurs in der Migrationsfrage, verschärfen andauernd die Regelungen für Flüchtlinge und Asylsuchende, und doch verlieren sie ihre Wähler an die noch weiter rechts positionierten Parteien, die sich eine aggressive Rhetorik erlauben. Rechtskonservative haben ihre Wählerschaft auch in Bevölkerungsgruppen, die von Hassparolen abgeschreckt werden und müssen sich deshalb in ihrer Ausdrucksweise mäßigen. Der einzige Unterschied besteht also im Ausmaß der Aggression, das an die Öffentlichkeit gebracht wird. Es ist zwar zu beobachten, dass einzelne rechtskonservative Politiker in die Wortwahl der Rechtsextremen verfallen, doch werden sie dann meistens von ihrer Partei zurückgepfiffen. Die extremeren Politiker können dagegen hasserfüllte Wutreden halten, im Bewusstsein, dass sie ihren Anhängern aus dem Bauch reden, also deren Aggressionen in Worte fassen und in der Öffentlichkeit verbreiten. Wenn jemand anderer die eigene Wut, für die man sich vielleicht selbst schämt, ausdrückt (oder auskotzt), ist man entlastet und fühlt sich zugleich in der eigenen Aggressivität bestätigt und gerechtfertigt. 

In Wahlbefragungen geben z.B. Wähler der FPÖ an, dass sie allein dieser Partei zutrauen, die Missstände, die es gibt oder die sie erleben, abzustellen und bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Es handelt sich dabei offensichtlich um ein Bauchgefühl, weil die Lösungen, die die österreichische Rechtspartei anbieten kann, entweder nicht durchführbar sind (weil sie der Verfassung oder EU-Regeln widersprechen) oder von anderen Parteien genauso oder ähnlich vertreten werden, und weil in den Bundesländern und Gemeinden, wo die Blauen mitregieren, die Zustände auch nicht besser sind. Aber die aggressive Wortwahl der Rechtspartei vermittelt offenbar vielen Wählern die Zuversicht, dass „endlich etwas geschieht“: Da packt wer zu und zieht die Sache durch. Wer auf den Tisch hauen kann, wird auch alles, was einen stört, abstellen. Die eigene mangelhafte Tatkraft und das eigene Ohnmachtsgefühl werden an die starken Männer da oben übertragen, die es dann mit ihrer Durchschlagskraft richten sollen. 

Aggressionen machen Angst, sie versprechen aber auch Abhilfe gegen die Angst. Ohne Zugang zum Gefühl der Wut sind wir ohnmächtig und schwach. Wut ist allerdings niemals konstruktiv. Mit zu viel Aktivierung wird sie immer gewalttätiger und neigt schließlich zur Zerstörung. 

Allzu viele weiße US-Männer wählen keine Frau, und schon gar nicht eine Farbige. Denn sie haben Angst um die Privilegien aus ihrer Männlichkeit und ihrer rassischen Überlegenheit. Nur ein weißer Mann an der Macht kann ihre Ängste beruhigen und ihre Vormachtstellung absichern. Die toxische Mischung aus Patriarchalismus, Autoritätshörigkeit und Aggression habe ich schon an anderer Stelle besprochen.

Die Wut auf „das System“

Die Aggression der rechten Demagogen richtet sich immer wieder gegen abstrakte und anonyme Gestalten wie „das System“. Dieses wird so mächtig und so böse dargestellt, dass es nur einen sinnvollen Weg geben kann, eben dieses System zu zerstören. Und das geht nach der Logik der Revolutionen nur mit Gewalt. Verschwörungsmythen werden genutzt, um diese geheimnisvolle Bedrohung noch mehr aufzublasen.

Alle Rechtsparteien, die an die Macht gekommen sind, haben allerdings „das System“ nie zerstört, sondern im Gegenteil dazu ausgenutzt, um die eigenen Taschen zu füllen. Das Orban-System in Ungarn, das Vorbild für viele Rechtsextreme bis in die USA, ist von systematischer Korruption gekennzeichnet. In Österreich war die FPÖ in diesem Jahrhundert zweimal in der Regierung; die zahlreichen Korruptionsprozesse aus diesen Zeiten (2000 – 2013 und 2017-2019) beschäftigen bis heute die Gerichte.

Aggression als Reaktion auf Komplexität

Schon Alexander der Große hat den komplexen gordischen Knoten nicht durch besonnenes Erforschen und Experimentieren ausgelöst, sondern mit einem Gewaltakt durchschlagen. Die „Männer der Tat“ sind es, die vielen Wählern Hoffnung geben, die sich durch die steigende Komplexität der Welt und der Gesellschaft überfordert fühlen. Donald Trump hat in der Zeit seiner ersten Präsidentschaft kaum Erfolge nachzuweisen, sowohl was die Einwanderung in die USA als auch was die Wirtschaft und den Lebensstandard anbetrifft, und er hat weltpolitisch sehr viel Unsicherheit erzeugt und damit viele Konflikte angeheizt. Aber sein großspuriges und wutdurchtränktes Reden erweckt bei vielen den Eindruck, dass hier jemand bereit ist, die Dinge mit Tatkraft anzugehen, ohne Rücksicht auf Konventionen und Widerstände, ohne sich um die Details zu kümmern, ja sogar, ohne sich um die Wahrheit oder die Gesetze zu scheren. Es ist nicht wichtig, ob die Vorschläge, der er vorgebracht hat, sinnvoll oder zielführend sind; es geht um den emotionalen Eindruck von einem Menschen, der keine Scham kennt und deshalb zu jeder Tat und Schandtat bereit ist. 

Wenn das eigene Leben unüberschaubar oder unkontrollierbar erlebt wird, wenn man sich selber nicht mehr hinaussieht, weil es keine einfachen Lösungen gibt, kommt jemand gerade recht, der selbstbewusst auftritt und seine Vereinfachungen und Falschinformationen lauthals und immer wieder in die aggressionsgeile Medienwelt hinaus posauniert. Je öfter und je eindringlicher etwas gesagt wird, desto wahrer und hilfreicher erscheint es, vor allem, wenn eine innere Deutungsnot besteht. Der Demagoge wird zum Heilsbringer, zum Retter vor allem Übel. Viele Trumpwähler sagen, dass sie zwar die Wortwahl ihres Idols nicht schätzen, aber dennoch meinen, er wäre als einziger in der Lage, für ein besseres Leben zu sorgen. Diese Einschätzung stammt weder aus der Rationalität noch aus einem Wirklichkeitsbezug, weil sie auf einer emotionalen Ebene getroffen wird. Eine rationale Bewertung der Lösungskompetenz und emotionalen Stabilität des Kandidaten müsste zu dem Schluss führen, dass gerade diese Person aufgrund von massiven Persönlichkeitsdefiziten im hohen Maß ungeeignet ist, die Position des mächtigsten Mannes der Welt einzunehmen. Doch treffen Menschen im Allgemeinen keine rationalen Entscheidungen, auch und gerade nicht, wenn sie ihre Stimme bei einer Wahl abgeben. Entscheidungen werden unbewusst in den emotionalen Zentren unseres Gehirns getroffen. Die Rationalität mischt sich nachher ein, indem sie Gründe für die Entscheidung liefert. 

Die Verbreitung der Gewaltsprache

Viele Wähler wählen ja die Rechtsparteien nicht, weil sie so aggressiv auftreten. Es scheint sich die Bevölkerung in den demokratischen hochentwickelten Ländern in zwei Lager abzuspalten: Die einen, denen die Aggressivität in der Politik Angst macht und die sich dafür schämen, und die anderen, die in ihr den einzigen Weg in die Zukunft sehen. Wer auf diese Form der Aggressivität anspricht, verspricht sich von Gewaltlösungen mehr als von abgewogenen und auf unterschiedliche Situationen abgestimmte Maßnahmen. 

Während in den früheren Jahren der Nachkriegszeit die aggressiven Töne in der Politik verpönt waren – allen hallten die menschenverachtenden Propagandareden der Nationalsozialisten in den Ohren nach –, begann sich die Szene in den letzten vierzig Jahren langsam zu verschieben. Immer mehr Gewaltsprache schleicht sich in die politische Debatte ein, und die Leute gewöhnen sich dran. Sie wird Teil des Wortschatzes und zunehmend als normal empfunden. Auf diese Weise werden immer mehr rhetorische Keulen eingeführt und angewendet, und es entsteht eine unheilvolle Dynamik der Aufladung mit immer schärferen Waffen. Irgendwann ist der Schritt zur manifesten Gewalt nicht mehr weit, wie beim Sturm des aufgehetzten rechtsradikalen Mobs auf das Kapitol am 6.1.2021.

Einen wichtigen Beitrag zu der Gewaltaufladung stellt die Verrohung durch die sozialen Medien in den letzten zwanzig Jahren dar. Mit Verrohung ist einerseits ein höherer Grad an Aggression gemeint und andererseits ein höherer Grad an Vereinfachung. Vereinfachte Aggression ist der direkte Weg zur Gewalt. Feindbilder, die die Gewaltbereitschaft steigern, beruhen immer auf vereinfachenden Verallgemeinerungen. Solche plumpen Konstrukte werden von den Demagogen erzeugt und durch die sogenannten sozialen Medien vervielfältigt. 

Von einer ausgleichenden zu einer machtbesessenen Politik

Damit verschiebt sich das öffentliche Gewicht immer mehr vom Überwiegen einer ausgleichenden Erwartung an die Politik zu der Einstellung, dass Politik in Konfrontation und aggressiven Durchsetzung von Machtinteressen besteht. Offenbar wollen immer mehr Menschen, dass nur ihre eigenen Interessen von der Politik befördert werden und verlieren die Sicht auf das Ganze einer Gesellschaft, die nur zusammenhalten kann, wenn möglichst viele Interessen berücksichtigt werden.

Diese Verschiebung bedeutet auch, dass die Rechtsparteien  die anderen Parteien längerfristig dazu zwingen, den gleichen Ton anzuschlagen, mit gleicher Münze zu bezahlen, sobald sie an der Macht sind. Sie zahlen scheinbar nur drauf, wenn sie eine ausgleichende, möglichst viele Teile der Bevölkerung erreichende, also auf eine demokratische Politik verfolgen. Denn viele Wähler und Wählerinnen honorieren nicht das, was ihnen eine ausgewogene Politik gebracht hat, sondern schauen auf das, was ihnen noch immer fehlt oder noch immer zu wenig an materieller Zuwendung oder emotionaler Sicherheit ist. 

Diese Entwicklung, die die Demokratie immer mehr aushöhlt, kann nur umgedreht werden, indem immer mehr Menschen die Gefühlsdynamiken hinter ihrem Wahlverhalten reflektieren und sich nicht mehr von aggressiven Parolen beeindrucken lassen. Zur staatsbürgerlichen Reife gehört auch, dass die Vernunft eine wichtige Rolle bei der Wahlentscheidung spielen muss: Die rationale Einschätzung der politischen Ideen der einzelnen Parteien in Hinblick auf die eigene Lebenssituation, aber auch auf die ganze Gesellschaft, deren Teil jede*r ist.

Zum Weiterlesen:
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