Donnerstag, 11. Juli 2024

Was ist Manipulation?

Wir reden viel von Manipulation, oft ohne uns genauer zu überlegen, was eigentlich gemeint ist. Zunächst ist es klar, dass es um eine Form der Beeinflussung geht. A hat eine Absicht, und er will B dazu bringen, sie auszuführen. Statt einfach zu fragen, ob B die Absicht umsetzen möchte, wird die Absicht verschleiert und es wird versucht, B dazu zu bringen, zu glauben, dass es für ihn am besten ist, wenn er die Absicht von B ausführt. Beispiel: A möchte B einen Rasenmäher verkaufen. Er weiß, dass B schon einen Rasenmäher hat und keinen neuen braucht. Also muss er versuchen, B dazu zu bringen, dass er selber glaubt, einen neuen Rasenmäher zu kaufen. Es geht also darum, die Einstellung von B so zu verändern, dass dann das, was A will, von B gemacht wird, so dass B meint, es selber zu wollen, und damit können alle scheinbar zufrieden sein.

Die Beeinflussung von anderen geschieht unter Ausnutzung ihrer Schwachstellen und Unsicherheiten. Die Botschaft soll dort ins Innere eindringen, wo die Wachsamkeit aussetzt oder schlecht ausgebildet ist. Der Manipulator zieht seinen Gewinn aus der  Naivität, Gutgläubigkeit oder Gier der Menschen, indem er sie für seinen Vorteil empfänglich macht.

Wir nutzen für Manipulation auch den Ausdruck „jemandem etwas einreden“. Damit ist gemeint, dass wir mittels der Sprache die eigene Rede in jemand anderen einpflanzen wollen. Wir wollen, dass die andere Person unsere Rede und damit unsere Sichtweise übernimmt und zu ihrer eigenen macht. Sie soll also introjizieren, was wir aufoktroyieren wollen. Damit wird die Grundlage für ein Machtgefälle gelegt, indem B tut, was A will, und dabei meint, es selber zu wollen.

Es gibt beim Manipulator eine Absicht, mit der er die andere Person in eine bestimmte Richtung lenken will. Es gibt dazu einen bewussten Teil, der es für richtig befindet, dass das Objekt der Manipulation genau das tut, was man von ihr will. Es gibt auch einen unbewussten Teil, der spürt, wo die Schwachstelle der anderen Person ist, über die sie erreicht werden kann, sodass sie zustimmt, obwohl sie von sich aus nicht will. Aus der Zusammenarbeit dieser beiden Teile entsteht die Manipulation, die wirklich wird, sobald die Person B in die von A gewünschte Richtung geht und deren Absicht ausführt.

Manipulation durch Werbung

Bei der Werbung und Propaganda ist die Absicht klar und unverblümt, und ebenso sind die Schwachstellen der Menschen bekannt, durch Erfahrung und wissenschaftliche Erforschung. Es gibt viele Untersuchungen, wie Menschen zu bestimmten Einstellungen und über die Einstellungen zu Handlungen gebracht werden können, ohne dass sie es merken. Wir wissen zwar, was die werbetreibenden Unternehmen von uns wollen, schauen uns aber trotzdem ihre Botschaften an und können uns den Einflüssen nicht entziehen, die auf unsere unbewusst ablaufenden emotionalen Muster und Denkvorgänge wirken. Auch wenn wir gerade kein Parfüm kaufen wollen, fühlen wir uns freudig berührt, wenn wir ein trautes Paar sehen, das sich beim Sonnenuntergang liebkost. Wir wissen, dass das alles für einen bestimmten Zweck inszeniert ist, aber wenn wir irgendwann einmal in einem Geschäft die Marke sehen, für die geworben wurde, kann uns das gleiche Gefühl wieder befallen, und, so die Hoffnung der Manipulatoren, wir greifen diesmal zu und schon ist das Parfüm in der Tasche gelandet. Wir denken vielleicht später, dass wir eigentlich etwas ganz anderes einkaufen wollten, aber nun ist es schon zu spät. Die Manipulationsfalle ist zugeschnappt.

Zur Manipulation gehört, dass die beeinflusste Person nicht erkennen soll, dass sie beeinflusst wurde, sondern zur Meinung gelangen soll, dass sie eine bestimmte Ansicht von sich aus vertritt und für richtig empfindet. Es geht also um eine Fremdbestimmung, um Fernsteuerung, die unbemerkt ablaufen soll.

Die Parabel vom kleinen Hänschen

Es gibt Manipulationen, die dem Manipulator nicht bewusst sind. Sie bilden den Quell für alle späteren Manipulationsimpulse. Sie entstehen in der Eltern-Kind-Interaktion, wenn Eltern Erwartungen an die Kinder haben, die sie nicht direkt ausdrücken, weil sie mit Scham behaftet sind, aber die sie auf eine Weise mitteilen, dass die Kinder ein schlechtes Gewissen ausbilden, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Zum Beispiel sagt die Mutter zum Hänschenklein: „Geh nur in die weite Welt hinaus,“ aber ihr Blick drückt ihr großes Leid darüber aus, dass sie verlassen wird. Der kleine Hans geht in die weite Welt, also in seine Autonomie, aber das schlechte Gewissen holt ihn ein, er besinnt sich, weil er spürt, wie traurig die Mutter ist, und kehrt geschwind wieder heim. Vorbei ist es mit der Autonomie, er hat sich der manipulativen Macht der Mutter unterworfen.

Die Mutter „kann nicht anders“, d.h. sie hat keine bewusste Absicht, ihren Sohn zu manipulieren. Scheinbar will sie ja das Beste für ihn. Sie steckt jedoch fest in ihren narzisstischen Besitzansprüchen und übt damit die Macht aus, die ihr in ihr selber fehlt. Wenn der Sohn geht, fällt sie ganz auf sich selbst zurück und merkt, dass sie nichts wert ist. Also muss der Sohn wieder her, um dieses Vakuum zu füllen. Der kleine Hans lernt dabei, dass es keinen direkten Weg zur Erfüllung der Bedürfnisse gibt, sondern dass der immer über Manipulationen führen muss.

NLP und Manipulation

Eine interessante Wendung findet das Thema im NLP. Dort wird die Sache umgedreht: Manipulation gibt es nur, wenn sie von einem Empfänger zugelassen wird. Der augenscheinlich Manipulierte sorgt erst mit seiner Zustimmung dafür, dass der Manipulierende sich manipulierend verhält. Er manipuliert in diesem Sinne den von außen als aktiv gesehenen Manipulator. Wer Manipulation zulässt, macht sie erst zur Manipulation. Manipulation wird damit zu einer alltäglichen Vorgehensweise, die demnach nicht negativ bewertet werden muss. Es handelt sich um Abmachungen mit wechselseitiger Verantwortung.

Formal nachvollziehbar ist, dass es zum Zustandekommen einer Kommunikation immer zwei braucht, so auch bei einer manipulativen Kommunikation. Wenn B auf die manipulative Absicht von A nicht eingeht, entsteht keine Manipulation. Allerdings gehört zur Manipulation die bewusste Absicht zur Manipulation, die darin besteht, B nicht nur zu einer Handlung zu bewegen, z.B. zum Kauf des Rasenmähers, sondern bei ihm eine innere Haltung zu erzeugen, die diesen Kauf als dem eigenen Interesse dienend einschätzt.

Übersehen wird bei dieser Überlegung das Machtgefälle. Der Manipulierende will (bewusst oder unbewusst) der anderen Person seinen Willen aufzwingen. Er sucht einen Weg, auf dem die andere Person nicht merken soll, dass sie überrumpelt wird. Es gibt also immer eine Täuschungsabsicht, und sie markiert den Unterschied zwischen der Manipulation und anderen Formen der Überzeugungsrede. Mit Hilfe der Täuschung soll in die Innenwelt der Adressatin ein fremder Inhalt eingeschmuggelt werden, ohne dass der Schwindel bemerkt wird. Dieser Vorgang kann von beiden Seiten unbewusst ablaufen, wie beim Beispiel vom kleinen Hans, oder bewusst, wie in der Werbung oder bei einem Kundengespräch, bei dem z.B. Nachteile der angebotenen Ware oder Dienstleistung verschwiegen werden, bei dem also Mogelpackungen angepriesen werden. Das bekannte Beispiel sind die Kühlschränke, die an Eskimos verkauft werden.

Dem NLP wird nachgesagt, als Methode manipulativ zu sein und Manipulationstechniken zu lehren. Es gibt NLP-Kurse mit dem Titel: „Manipulieren, aber richtig.“ Ein Buch namens: „Mit NLP manipulieren“ wird folgendermaßen angepriesen: „In diesem Buch erfahren Sie erstmals, wie Sie Menschen mit Hilfe von NLP so manipulieren können, wie Sie es möchten. Mit Hilfe der richtigen NLP Technik lässt sich jeder Mensch marionettenartig so steuern, wie man es möchte. Hierzu bedarf es lediglich der richtigen NLP Technik.“ (Jacobsen, Frank, 2010)

Natürlich sehen das die Vertreter dieser Richtung nicht so und verweisen darauf, dass man mit dem NLP lernen kann, sich nicht manipulieren zu lassen. Das bedeutet aber, man könne nur mit NLP lernen, NLP-basierende Manipulationen zu durchschauen. NLP versucht, Einfluss auf das Unterbewusste des Interaktionspartners zu nehmen, auch ohne dass dieser es bemerkt. Damit liegt es an der ethischen Integrität dessen, der NLP anwendet, ob er mit seinen Techniken andere Menschen zum eigenen Vorteil täuscht oder ob er sie zum Vorteil der angesprochenen Person nutzt. Das NLP stammt ja zu einem gewissen Teil aus der Hypnotherapie (vor allem nach Milton Eriksson), bei der auch direkt auf das Unterbewusste der behandelten Person Einfluss genommen wird. In diesem Rahmen gibt es klare ethische Richtlinien, die die Klienten schützen. Das NLP hat die Anwendungsgebiete der hypnotischen Beeinflussungen auf andere Geschäftsfelder erweitert und wird z.B. in der Wirtschafts- und Politikberatung angewendet. Dort geht es aber um Konkurrenz und schnellen Gewinn unter Umständen auch auf Kosten anderer und nicht um Mitgefühl für Leidenszustände. Wer die Machtaspekte bei der Manipulation ignoriert oder verharmlost, öffnet dem egoistischen Gebrauch der Manipulation Tür und Tor.

Manipulationsuniversen in den sozialen Medien

Wer Unterlegenheitsgefühle, mangelndes Selbstvertrauen oder Angst hat, lässt sich leichter täuschen, ist leicht manipulierbar. Wer als Kind von den Eltern (zumeist unbewusst) manipuliert wurde, ist besonders anfällig für Manipulationen.

Manipulationen haben aber auch deshalb so viel Erfolg, weil es immer schwieriger wird, alle Angebote und Glücksversprechen, die auf uns einprasseln, zu überprüfen. Mit den sozialen Medien haben sich neue Universen der Manipulation geöffnet, in denen jedermann/frau die Manipulationskünste erproben kann, ohne Rücksicht auf irgendwelche ethischen Standards. Medienkompetenz gehört schon längst zu den Grundfähigkeiten im Umgang mit dem Informationsdschungel, dem wir ausgesetzt sind. Wenn wir aber von ungewollten Beeinflussungen frei bleiben wollen, müssen wir die Mühe auf uns nehmen, Faktencheck über Faktencheck durchzuführen.

Gebräuchliche Manipulationstechniken

Es gibt unterschiedliche Manipulationstechniken, die dort wirksam werden, wo es Grenzverletzungen in der Kindheit gegeben hat:

1.   Manipulation durch Wiederholung:
Hier geht es darum, die Botschaft so oft zu wiederholen, bis das Gegenüber „weichgeklopft ist“ und den Widerstand aufgibt. In der Erziehung ist es wichtig, Vorgänge immer wieder zu wiederholen, damit die Kinder lernen können. Wenn aber die Prozeduren, die immer wieder die gleichen sind, dem Kind nicht beim Wachsen helfen, sondern ihm Prügel vor die Füße werfen, wird es keinen kritischen Geist entwickeln.

2.   Manipulation durch Erzeugen von Angst:
Es wird der Eindruck erweckt, dass eine Entscheidung so schnell wie möglich getroffen werden muss, weil sonst ein großer Nachteil entsteht. Die Angst soll das logische und vernünftige Denken abstellen und zu spontanen Handlungen (z.B. Spontankäufen) anleiten.
Das Aufwachsen unter angstgeprägten Umständen macht empfänglich für die Motivation aus Angst.

3.   Manipulation des Denkens:
Ein weites Feld von Möglichkeiten gibt es bei der Beeinflussung der unbewusst ablaufenden Denkvorgänge, z.B. Übertreibungen, Fangfragen oder Faktenverdrehungen. Es werden Aussagen präsentiert, die nicht überprüft werden können, z.B. das Waschmittel wäscht weißer als alle anderen. Kinder, die mit Eltern aufgewachsen sind, die immer rechthatten und rechthaben mussten, merken schwerer, wenn ihre Denkvorgänge beeinflusst werden.

4.   Manipulation des Verhaltens durch Sprache:
Mit der Formulierung: „Man tut etwas (nicht)“ wird suggeriert, dass es sich um eine unumstößliche Norm handelt. Ebenso wirken Aussagen, die als Faktum behaupten, was nur eine Bewertung darstellt: „Es ist unmöglich, sich so zu verhalten.“ Wer mit solchen Mitteln erzogen wurde, neigt dazu, solche Behauptungen für bare Münze zu nehmen und sich danach zu richten.

5.   Manipulation von Informationen:
Informationen brauchen einen Kontext, um Sinn zu machen. Deshalb ist es relativ einfach, den Kontext zu verändern, ohne dass es bemerkt wird, und schon gewinnt die Information eine neue Bedeutung. Z.B. werden Informationen, die dem angepriesenen Produkt zum Nachteil gereichen, als unwichtig bezeichnet, und solche, die das Produkt auszeichnen, als einzig wichtig benannt. Allgemein heißt das, dass Informationen, die der eigenen Sichtweise entgegenstehen, ausgeblendet oder abgewertet, und Informationen, die diese Perspektive unterstützen, herausgestrichen und überbetont werden.
Wer schon als Kind entmutigt wurde, nach dem zu forschen, was die eigenen Normen und Werte sind, wird sich schwertun, sich gegen solche Manipulationen abzuschirmen.

6.   Manipulation von Bedürfnissen:
Unerfüllte Bedürfnisse motivieren uns zum Handeln. Deshalb ist der Zugriff auf die Bedürfnisse bei jeder Manipulation wichtig. Jeder Mensch leidet irgendwo unter einem Mangel, nachdem nie alle Bedürfnisse optimal erfüllt sind. Diesen Mangel aufzuspüren, ist die Kunst der Manipulatorin. Der zweite Schritt besteht darin, das eigene Angebot als perfekte Erfüllung genau dieses Bedürfnisses darzustellen. Viele der Mangelzustände sind emotionaler Natur: zu wenig Aufmerksamkeit, Zuwendung, Mitgefühl und Liebe zu bekommen. Also werden Produkte emotional aufgeladen, sodass sie scheinbar in der Lage sind, emotionalen Mangel auszugleichen. Z.B. suggeriert eine Schokosüßigkeit einen Genuss, der jeden inneren Mangel stillt. Viele, die als Kinder gelernt haben, statt emotionaler Zuwendung mit Nahrungsmitteln oder Medienkonsum abgespeist zu werden, sind anfällig für diese Form der Manipulation.

Zum Weiterlesen:
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Astroturfing - Manipulation vom Feinsten
Die Begrenzung narzisstischer Manipulation
Wird die Demokratie von Manipulatoren gekidnappt?

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