Montag, 14. Dezember 2015

Astroturfing - Manipulation vom Feinsten

Astroturfing ist eine Methode der Manipulation und der systematischen Erzeugung von Desinformation, von der sich alle Diktatoren viel abschauen könnten. Sie lanciert Informationen so, als ob sie von Basisbewegungen und –organisationen vor allem im NGO- und Non-Profit-Bereich ausgingen, während sie in Wirklichkeit von Geschäftsinteressen gesteuert sind. Damit sollen die Informationen mehr Glaubwürdigkeit erhalten und Meinungen gesteuert werden. Dazu zählt auch die Nutzung von Computerprogrammen, die es ermöglichen, sich Unmengen von Identitäten zu geben, sodass die eigene Meinung wie eine Massenbewegung erscheint. Die eigene wirkliche Identität verschwindet in der Anonymität dahinter.

Der Begriff bedeutet so viel wie „Kunstrasenbewegung“, in Anspiel darauf, dass spontane Basis-(=grassroot)-initiativen vorgetäuscht werden.

Die New York Times wiesen in einem Artikel darauf hin, dass bezahlte Konsumentenberichte bei potenziellen Kunden Vertrauen erwecken. Ein Drittel der Konsumentenberichte im Internet sollen gefälscht sein, sodass es schließlich schwierig wird, zwischen öffentlichen und vorfabrizierten Meinungen zu unterscheiden.
Ein Beispiel aus der politischen Szene ist die Tea-Party-Bewegung in den USA, die mit allen Wassern des Astroturfing gewaschen ist.

Die US-amerikanische Aufdeckungsjournalisting Sharyl Attkisson beschreibt in einem Youtube-Video ein paar Beispiele zu den Aktivitäten dieser Kreise. 


Attacken auf Nachrichtenorganisationen, die Nachrichten publizieren, die sie nicht mögen, gegen Whistleblowers, Journalisten, die versuchen, das aufzudecken. Sie bringen Mengen an kontroversiellen Informationen in Umlauf, sodass jeder, der sich näher mit einer Sache beschäftigen will,  irgendwann das Handtuch wirft und aufgibt. Sie stellen bezahlte Studien als valide dar und machen es möglichst schwer, die Wahrheit zu entdecken.

Nach Sharyl Attkisson ist mittlerweile auch Wikipedia von Astroturf durchseucht. Scheinbar kann jeder Einträge auf Wikipedia machen, um neue Inhalte darzustellen oder Fehler in bestehenden Artikeln auszubessern. Tatsächlich wird alles, was in Wikipedia erscheint, von anonymen Kontrolleuren überwacht.

Ein berühmtes Beispiel ist die Geschichte des Schriftstellers Philipp Roth. Er fand auf einer Wikipedia-Seite ein falsches Faktum in Bezug auf die Inspiration zu einem Charakter eines seiner Bücher und wollte das korrigieren. Was auch immer er probierte, die Korrektur wurde jedes Mal rückgängig gemacht. Mit viel Mühe kam er schließlich an die Person heran, die für die Korrekturen zuständig ist, und dort wurde ihm erklärt, dass er keine vertrauenswürdige Person sei – für seine eigene Lebensgeschichte. 


Wikipedia


Auch im Bereich der Medizin, wo Wikipedia den Eindruck erweckt, auf dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu sein, ist Vorsicht geboten. Eine wissenschaftliche Studie in den USA hat Wikipedia-Artikel mit der wissenschaftlichen Diskussion (peer-reviewed Publikationen in Fachmedien) des jeweiligen Themas verglichen und fand heraus, dass in 90% der Fälle der Wikipedia-Artikel im Widerspruch zur Forschung stand.

Wir müssen also damit rechnen, dass es vor allem in den Bereichen, wo es um viel Geld geht, und das ist der Gesundheitsbereich, bezahlte Manipulatoren gibt, die die Interessen der Pharma-Konzerne in den sozialen Medien vertreten und im Hintergrund von Wikipedia arbeiten. Wann immer massive Kampagnen in bestimmten Bereichen des Gesundheitsfeldes lanciert werden, die sich dann über Facebook und Twitter verbreiten, können es Meinungsmacher sein, die damit in die Taschen ihrer Arbeitgeber arbeiten. Bekanntlich ist auch die Google-Suchfunktion mit entsprechender Expertise in bestimmte Richtungen lenkbar, und wer dafür Leute bezahlt, hat das Geld sicher gut investiert.

Sollten wir aufhören, das Internet für Informationsgewinnung zu nutzen, wo doch alles durchseucht ist von Lüge, Manipulation und bewusster Irreführung? Auch die Informationen, die ich in diesem Artikel weitergebe, stammen aus dem Internet, und ich kann meine Meinungen dazu auch nur über das Medium mehr Menschen mitteilen. Es folgt daraus nur, dass wir Information nie mit dem Kontext verwechseln sollten, in dem sie erscheint. Jede Information gewinnt aus dem Kontext ihre Relevanz. Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Kontexte zu überprüfen, immer wieder und vor allem dann, wenn uns eine Information wichtig ist, z.B. wenn es um unsere eigene Gesundheit geht. 


Pharma ...


Attkisson weist auch darauf hin, dass es in solchen Fragen nicht immer hilfreich ist, „Arzt oder Apotheker“ zu konsultieren. Denn auch die Experten im Gesundheitswesen haben nur eine beschränkte Kontrolle über die Kontexte der Informationen, die sie weitergeben. Sie können angesichts der Fülle der Symptome, die Menschen haben können, nicht in jedem Fall am aktuellen Stand der medizinischen und pharmakologischen Forschung sein und die Fachdiskussionen zu diesen Themen mitverfolgen. Vielmehr kann es sein, dass sie sich in vielen Fällen auf das verlassen, was ihnen der von einer Pharmafirma bezahlte Experte auf einer Konferenz erzählt. Wenn sie dazu noch ein nettes Angebot der Firma kriegen, die den Konferenzbesuch samt Urlaubspaket finanziert, kann man nicht ausschließen, dass solche Verlockungen die Verschreibung der Medikamente beeinflusst. Opfer dieser Kontextunschärfen sind dann die Patienten, die u.U. Medikamente schlucken, deren Hauptwirkungen auf keinen wissenschaftlichen Beweisen beruhen und deren  Nebenwirkungen verharmlost und beschönigt sind.

Ein weiteres, fast absurd anmutendes Beispiel berichtet Attkisson:  Vor einigen Jahren wurde ein Forschungsbericht einer nationalen Schlafstiftung, einer Non-Profit-Organisation, mit dem Ergebnis publiziert, dass die USA ein Land mit epidemischer Schlaflosigkeit sei, ohne davon zu wissen. Die Studie ging durch alle Medien, ohne kritische Hinterfragung. Die Recherche zeigte, dass die Schlafstiftung und die Studie von einer Pharmafirma finanziert war, die gerade dabei war, ein neues Schlafmittel auf den Markt zu werfen. 

Die Aufgabe von Astroturfern ist es, Mythen zu produzieren. Sie machen das z.B. mit dem Trick, gegenteilige Ansichten als Mythen darzustellen. Niemand will einem Mythos aufsitzen, jeder will so wiff sein und die Manipulation durchschauen. Aber gerade darin können wir der Mystifizierung verfallen  und noch der Meinung sein, zu denen zu gehören, die alles besser durchschauen.

Ein möglicher Trost könnte sein, dass uns in Europa all diese haarsträubenden Berichte weniger betreffen. Schließlich geht es in den USA bekanntlich um nichts anderes als um das Geschäft und um die Profitmaximierung. Und hier in Europa gelten ja auch noch andere Werte, die mit Redlichkeit und Unbestechlichkeit zu tun haben. Wenn Geschäftsinteressen hinter politischen oder kulturellen Initiativen ruchbar werden, kann das bei uns noch einen Skandal auslösen. Aber möglicherweise ist das inzwischen auch nur ein romantischer Irrglaube.


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