Als negative Glaubenssätze gelten Wortgebilde, die eine Verleugnung, Verkleinerung oder Abwertung des eigenen Selbst und der eigenen Würde enthalten. Solche Sätze sind immer mit Scham durchtränkt, denn die Schmälerung des Selbstwertes ist immer mit Scham verbunden. Die Scham ist die Wächterin der Würde und meldet sich immer, wenn unsere Integrität in Frage gestellt wird. Sie achtet im Normalfall darauf, dass unser Selbstwert in Balance bleibt.
Allerdings kann sie selber aus der Balance geraten, als Folge von erlittenen und nicht verarbeiteten Demütigungen und Beschämungen im Lauf der Lebensgeschichte. Jede dieser Erfahrungen bildet eine schambesetzte Erinnerung im bewussten oder unbewussten Gedächtnis. Die Scham wird giftig, weil sie sich verdoppelt: Eine Beschämung erlitten zu haben, ist selber beschämend.
Die toxische Scham kann den Selbstwert nicht mehr stärken, sondern untergräbt ihn. Sie wird zur Quelle von Glaubenssätzen, mit denen auf der unbewussten Ebene das Selbst geschwächt und die Schambelastung aufrechterhalten wird. In diesen Fällen wirken diese Sätze wie Katalysatoren der Selbstsabotage, indem sie dazu beitragen, dass der verletzte Selbstwert in allen sozialen Zusammenhängen bestätigt und die Verletzung dadurch verfestigt und vertieft wird, wie im vorigen Blogartikel dargestellt.
Glaubenssätze bewusst machen
Wie werden wir dieses Konglomerat aus schwelenden Schamgefühlen und quälenden Gedankenmustern los?
Ein Weg besteht darin, die Glaubenssätze ins Bewusstsein zu heben. Dann meldet sich die Scham in ihrer ursprünglichen Rolle als Regulatorin des Selbstwertes zurück, aber betätigt sich auch als Verstärkerin der Selbstabwertung. Es wird bewusst, dass im eigenen Inneren eine Macht gegen die eigenen Intentionen und Werte arbeitet, die im Leben schon viele Chancen ruiniert und Fehler verursacht hat. Da stellt sich die sekundäre Scham ein, weil deutlich wird, was man selbst alles vermasselt hat und wie es besser hätte laufen können, wenn der Glaubenssatz schon früher erkannt worden wäre.
Was-wäre-wenn-Spiralen
Wiederum schießt die Scham hier erst recht wieder übers Ziel, denn hier wird eine der typischen Schamspiralen entfesselt, die mit dem Was-wäre-wenn-Gedankenspiel einhergeht. Das Spiel besteht darin, sich für ein Ereignis in der Vergangenheit selbst zu verurteilen und die Schwere des Fehlers dadurch zu verstärken, dass die wünschenswerte Alternative, das Ereignis ohne den eigenen Fehler, herbei fantasiert wird. Hätte ich doch rechtzeitig gebremst, hätte das Auto nicht die Leitplanke geschrammt. Wäre ich rechtzeitig nach Hause gekommen, hätte ich mir die Szene mit meiner Frau erspart. Hätte ich das richtige Kapitel gelernt, hätte ich die Prüfung geschafft.
Für jede Erfahrung unseres Lebens, die nicht mit unseren Wünschen und Vorstellungen übereinstimmt, hat unser Denken eine geglückte Alternative im Angebot, allerdings nur im Reich der Fantasie. Es ist in der Lage, ein makelloses und perfektes Leben zu imaginieren und der Vergangenheit überzustülpen, so als hätte es niemals Fehlhandlungen und Versagensmomente gegeben. Es handelt sich dabei allerdings nur um ein konjunktivisches Leben und um kein reales. Es sind nichts als Denkkonstrukte, die der Gefühlsabwehr dienen. In der Möglichkeitszone herrscht die Scham weiter, die hadernden Selbstanklagen als Ausdruck der darunterliegenden Glaubenssätze gehen weiter und versetzen uns unweigerlich in eine dunkle Missstimmung.
Verantwortung für die Vergangenheit
Was geschehen ist, ist geschehen. Die Scham gilt dem, was nicht unseren eigenen Vorstellungen entsprochen hat, wo wir von unserem Pfad abgewichen sind, wo wir unseren Idealen nicht gefolgt sind. Eigentlich will sie uns aufzeigen, dass wir verstanden haben, dass wir einen Fehler gemacht haben. Denn mit dem Zeigen der Scham wird das Signal der Einsicht in die eigene Fehlerhaftigkeit ausgeschickt, mit dem Ersuchen, dafür von den Mitmenschen Verständnis zu bekommen: „Ich habe einen Blödsinn gebaut, verzeiht mir bitte.“ Der Schritt, die Scham öffentlich zu machen, erfordert Mut, und gelingt nur, wenn genügend Vertrauen in die Umgebung besteht.
Selbstvergebung und Verantwortungsübernahme
Oft aber gibt es gar niemanden mehr, dem wir den Fehltritt offenbaren können und um Verzeihung bitten sollten, weil die Ereignisse schon lange vorbei sind, obwohl sie weiterhin das Denken beschäftigen. Wir selbst sind die Instanz, von der das Vergeben kommen muss. Auch in diesen Fällen braucht es eine bewusste Selbstoffenbarung und Selbstäußerung, das Eingestehen der Unzukömmlichkeiten und der damit verbundenen Schambelastung, vor einem selbst oder vor unbeteiligten empathischen Menschen. Denn solange die aus der Vergangenheit gespeiste Scham im Inneren bleibt, arbeitet sie gegen das Selbst. Die an die eigene Vergangenheit gerichteten Vorwürfe und Infragestellungen fügen jedes Mal eine neue Schamschicht hinzu und bekräftigen die entsprechenden Glaubenssätze. Erst wenn wir erkennen, dass wir unsere Vergangenheit nicht verändern können und dass es an uns liegt, uns unsere Fehler zu verzeihen, löst sich der Bann der selbstauferlegten Scham und der mit ihr verwobenen Glaubenssätze. Wir kommen in Frieden mit unserer Unvollkommenheit.
Es geht also darum, die Verantwortung für das eigene Leben und für jede Szene der Vergangenheit, für alle Erfolge und Misserfolge, Errungenschaften und Fehler zu übernehmen. Fehlleistungen, die mit Verantwortung getragen und verstanden werden, verwandeln sich zu exzellenten Lernchancen. Was wir bewusst zu uns nehmen, wird sich in dieser Form nie mehr wiederholen. Vielmehr wachsen wir durch das Akzeptieren der Fehler und durch die Integration der damit verbundenen Lektionen. Jedes Lernen ersetzt die sinnlosen „Hätte-ich-doch-wäre-ich-doch“-Schleifen im Denken und erschafft neue Realitäten für ein konstruktives Leben.
Schritt für Schritt entmachten wir auf diese Weise die giftige Scham und die damit eingeprägten negativen Glaubenssätze. Die Selbstakzeptanz tilgt die Scham und die Selbststärkung löscht die Glaubenssätze. Deren Ursprünge liegen in einer Vergangenheit, die nicht mehr zu unserer Disposition steht. Francis Bacon hat geschrieben: „Was geschehen ist, ist vorbei und unwiederbringlich, und der Weise hat genug zu tun mit gegenwärtigen und zukünftigen Dingen.“
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