Während der Mangel auf frühkindlicher Ebene traumatisierend wirkt, wenn er immer wieder und kumulativ geschieht, nehmen wir den Konsum von all dem Kram, den die Wirtschaft produziert, als selbstverständlich und normal und fühlen uns auch noch stolz auf das, was wir uns da leisten können. In Wirklichkeit spielt der Konsumrausch in vielen Fällen die Rolle eines Traumanarkotikums. Angesichts der Fülle an Dingen, die wir haben könnten, uns aber nur bis zur Erschöpfung unserer Geldbörse oder unseres Kreditrahmens leisten können, werden wir an den emotionalen Mangel unserer Kindheit erinnert. Vor dem Schaufenster oder der Kühlvitrine im Supermarkt können wir eine Mikro-Retraumatisierung („Ich habe zuwenig Liebe, ich bin nichts wert“) erleiden, ohne was davon mitzukriegen, außer einem sehnsuchtsvollen Ziehen und Drängen, einem leisen Habenwollen und einem Spannungsgefühl, sobald sich die oberen Instanzen melden, die auf den Preis und andere unnötige realistische Aspekte aufmerksam machen. Falls sich der Mangeldrang nicht durchsetzt, bleiben wir mit einem Kompromiss sitzen, der Grundkonflikt bleibt aufrecht.
Wir haben in der Kindheit erfahren müssen, dass soziale Bedürfnisse (nach Anerkennung und Liebe) durch Dinge (Essen, Spielzeug …) befriedigt werden. Also haben wir gelernt, dass lebendige Zuwendung durch Dinge ersetzt werden kann. Von früh an hatten wir unter der Erfahrung zu leiden, sehr oft, viel zu oft nicht wie Menschen, sondern wie Dinge behandelt zu werden. Dadurch haben Anteile in uns ihre Lebendigkeit verloren und sind zu unlebendigen Dingen erstarrt. Scheinbar wollen sich Dinge mit Dingen gesellen, Unlebendiges mit Unlebendigem. Folglich verleiben wir uns im Konsumieren Dinge ein, die unser inneres Dingsein bestätigen und verstärken. Wir behandeln uns selber so, wie wir behandelt wurden. Wir bleiben uns selber schuldig, was uns schuldig geblieben wurde: Die Förderung unserer Lebendigkeit. Aktiv vollführen wir diese Form der Misshandlung an uns selbst, was bedeutet, dass wir unsere ursprüngliche Traumatisierung wiederbeleben und vertiefen.
Natürlich sind es unbewusste Mechanismen, die uns dazu verleiten. Wir sind keine Masochisten, die sich selber quälen und daran Lust empfinden. Vielmehr setzt sich unser Leiden fort, nachdem die kurze Befriedigung nach dem Konsum verflogen ist. Aus Unbewusstheit fügen wir uns Verletzungen unserer Innenwelt zu.
Dazu redet uns die Werbung ein, dass all diese Dinge zu unserem letztlichen Nutzen und zur Aufrechterhaltung unseres sozialen Status unabdingbar sind. Die Werbung redet uns Dinge ein, die uns glücklich machen sollen, obwohl das Glück nur im Innen gefunden werden kann.
Offensichtlich führt uns diese Psycho-Logik, die tief in unserer Kultur einbetoniert und durch die Wirtschaft aufgeladen und aufgefettet wird, direkt in die Zerstörung der Ressourcen auf diesem Planeten und damit zur schleichenden Selbstzerstörung der Menschheit.
Es hilft allerdings nicht, den moralischen Zeigefinger zu erheben – sich selbst und anderen gegenüber. Mit Mahnungen und Vorwürfen wird nur die Schamabwehr und darauf aufbauend der innere Widerstand aktiviert. Es genügt, die Bewusstheit auf das eigene Konsumverhalten zu richten: Welche Rolle spielen unerfüllte Bedürfnisse dabei, die durch den Konsumartikel gar nicht befriedigt werden können? Wo bin ich gierig und gestehe mir nicht ein, dass ich ohnehin genug Dinge habe? Wenn ich nach einer Konsumaktion innerlich leer oder missmutig bin: Was könnte sich dahinter als frühes Bedürfnis verbergen? Welche Form von Lebendigkeit vermeide/verhindere ich, wenn ich konsumiere? Welche Folgen kann es haben, wenn ich in diesem Bereich meines Lebens verantwortlich handle?
Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um den Konsum von lebensnotwendigen Dingen. Die Menschen müssen ihre Grundbedürfnisse befriedigen, Hunger, Obdachlosigkeit und Armut sind Skandale, gesellschaftliche und politische Versäumnisse. Es geht auch nicht darum, sich ab und zu etwas Besonderes zu leisten, über die Stränge zu schlagen oder unvernünftig zu konsumieren. Solche Phänomene sind normal und im Rahmen dessen, was eine nachhaltige Wirtschaft aushält.
Es geht hier um den Konsum jenseits der Grundbedürfnisse, um den Drang nach mehr und Vielfältigeres, um die Gier und den Luxuswahn. Es geht um die Bereiche, in denen der Konsum Ersatzbedürfnisse befriedigen soll, und um die dadurch ausgelösten Schleifen der sich steigernder Frustration.
Die Besinnung auf Einfachheit und Bescheidenheit sowie die Fokussierung auf andere Bedürfnisse wie soziale Freundschaftskontakte, Naturerfahrungen und Meditation können uns von den scheinbaren Zwängen der Konsumwelt wegbringen und unsere innere Zufriedenheit auf den Moment richten, in dem wir keine neuen Luxusartikel brauchen, sondern in uns selbst finden, was uns guttut.
Zum Weiterlesen:
Konsumscham und Schamkonsum
Gier und Selbstzerstörung
Das Giersystem im Kapitalismus
Bescheidenheit als Tugend
Wirtschaft ohne Gier?
Das System der Gier
Kultur der Gier
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen