Dienstag, 13. Dezember 2011

Das System der Gier

In der erste Phase der gegenwärtigen Finanzkrise war der Begriff „Gier“ in aller Munde und das Bild eines Finanzhais in den Köpfen, der besessen von den Zahlen, die sich auf seinem Konto häufen, vor den Bildschirmen sitzt und mit Aktienpaketen jongliert, deren reale Inhalte ihm völlig egal sind – ob es sich um Waffen, Reis oder Gummibärlis handelt. Und der, wenn er durch seine Spekulationen seine Firma ruiniert hat und durch die von ihm ausgelösten Turbulenzen am Finanzmarkt Millionen Anleger um ihr Geld gebracht hat, mit einem „Bonus“ belohnt wird, dessen Höhe bei jedem Durchschnittsverdiener Schwindelgefühle auslöst.
Gier als individuelle Triebkraft im kapitalistischen System hat ruinöse und desaströse Auswirkungen auf das Ganze – Einzelne werden so reich, dass sie sich Hubschrauber und Ferieninseln kaufen können, auf Kosten anderer, die ihr sauer verdientes Geld verlieren, ihr Haus verkaufen müssen und statt dessen in der Garage oder im Wohnwagen leben müssen oder auf der Straße landen. Und die neoliberale Rechtfertigung dieses Wahnsinnsystems lautet dann, dass die einen eben clever sind und die anderen zu doof. Allerdings: Sobald alle clever sind, bricht das System zusammen. Und wenn einer, der zuerst zu den Cleveren zählt, einmal einen Fehler macht und abstürzt, ist er plötzlich auch doof und verdient sein Schicksal.
Es ist ein anonymer Markt, der Gott der Liberalen, der die Lebensschicksale zuteilt. Und die einen „fahren nach Paris, die anderen nur nach Schruns-Tschagguns“, wie es bei Josef Hader heißt. Die einen, die ein Stück der Mechanismen am Markt durchschauen und für sich nutzen können, sind die Begünstigten, die anderen, die das nicht schaffen oder wollen, müssen die Nachteile in Kauf nehmen. Oder: Die einen, die die vom Markt geforderte Gier und Rücksichtslosigkeit aufbringen, werden von ihm belohnt, die anderen, die noch Skrupel und Moral haben, können schauen, wo sie bleiben.
Diese Fragen wurden diskutiert, nachdem vor drei Jahren die Zocker, Banker und Spekulanten als die Schuldigen an den Bankzusammenbrüchen und Pleiten identifiziert und angeklagt wurden. Wie man hörte, bestand für viele der Missetäter die einzige „Strafe“ in noch fetteren Boni.
Laut wurde der Ruf nach „Regulierungen“ des Finanzmarktes, um die Wirtschaft vor unkontrollierbaren Kaskaden und Lawinen abzusichern, wie sie die Welt nach dem Börsenkrach von 1929 ins Chaos stürzten. Die komplizierten Geschäfte, bei denen z.B. auf zukünftige Entwicklungen gewettet und auf Wetten gewettet und auf gewettete Wetten gewettet wird, und diese Wetten weiterverkauft und versteigert werden usw. sollten einer Kontrolle unterworfen werden. Dann kreißten ächzend die Berge und heraus kam eine Maus…
Die entfesselte Gier als seuchenartiges Massenphänomen an den Börsen und deren Derivaten, löst riesige Erschütterungen im Finanzsektor aus. Im Sog dieser Katastrophen brechen die strukturellen Schwierigkeiten im staatlichen Schuldenmanagement vieler Länder auf. Außerdem wird offensichtlich, dass ein gemeinsamer Währungsraum ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik nicht funktionieren kann.
Es zeigte sich weiters, dass die Staaten fest in die Finanztransaktionsspiele eingeflochten waren. Im Abwärtsstrudel wurde ihnen dann verdeutlicht, dass sie keine gleichrangigen Mitspieler sind, sondern dass ihnen die Rolle der ohnmächtige Zuschauer eingeräumt wird, deren Schicksal in einer Arena entschieden wird, in der anonyme Gestalten nach undurchschaubaren Regeln kämpfen. Was immer man tut, kann zum Gewinnen oder Verlieren beitragen, ohne dass das die Staatslenker im Vorhinein wissen können.
Allenthalben Opfer, nirgendwo Täter, und die Retter, die mit ihren Ratschlägen auftauchen, verschwinden auch gleich wieder, wenn es um die Umsetzung geht, so taumelt die Finanzwirtschaft dahin, während die anderen Bereiche der Wirtschaft, in denen es um die Produktion von Gütern und Dienstleistungen geht, weiter funktionieren und sogar in bescheidenem Ausmaß wachsen.
Soweit mein Eindruck von den ersten Wellen dieser Krise. Jeder, der diese Vorgänge nutzen möchte, um sich selber in den Spiegel zu schauen, hat ein wunderbar breitgefächertes Angebot um das Zentrum der Gier. Wo finde ich in meinem Leben die Muster des gierigen Anhäufens, der rücksichtslosen Durchsetzung meiner Interessen, des Zynismus angesichts des Elends, der Habsucht, was Dinge und Geld betrifft, der Verdinglichung meines Inneren und meiner Sozialbeziehungen? Wie würde mein Leben ausschauen, wenn ich ohne diese Muster lebe, worauf müsste ich verzichten und was wäre der Gewinn?
Der nächste Blog wird sich mit dem Thema - Vertrauen - in Zusammenhang mit der Krise beschäftigen.

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