Donnerstag, 18. Juli 2019

Information braucht Materie - und warum das wichtig ist für die Gesellschaft

Was ist Information? Diese Frage steckt hinter den bahnbrechenden Veränderungen, die unsere Lebenswelt und damit auch unser Erleben in der digitalen Epoche in Bann ziehen. Die Beantwortung der Frage kann uns dabei helfen, mit diesen Veränderungen so zurechtzukommen, dass sie im Sinn einer Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen genutzt werden können.

Eine berühmte Definition von Information stammt von Gregory Bateson, der die Information als „Unterschied, der einen Unterschied macht,“ beschrieben hat. Er hat diese Information mit einem Beispiel illustriert: Man kann einem Hund einen Tritt geben, dass der Hund wegfliegt, oder man kann ihm einen Tritt geben, dass er wegrennt. Im ersten Fall gibt die tretende Person die Energie, die den Hund bewegt, im zweiten Fall leistet der Hund seine Bewegung selbst, das heißt, man hat ihm nur Information gegeben, die bewirkt, dass er seine eigene Energie verwendet. Im ersten Fall muss der Hund nichts verstehen, im zweiten Fall muss er verstehen, was ich meine. Er muss also nicht nur seine eigene Energie aufwenden, sondern auch noch interpretieren, wie er das tun soll.

Für den Statistiker ist Information "die Reduzierung von Ungewissheit": Wo es Information gibt, gibt es auch Klarheit. Klarheit entsteht durch Formen, und Formen haben einen Anfang und ein Ende, im Raum und/oder in der Zeit (ein Musikstück z.B.). Information zieht demnach eine Grenze in etwas ein, das vorher grenzenlos (= undefiniert) war. Es ist eine Grenze zwischen einem Innen und einem Außen. Das eine bekommt einen anderen Wert als das andere und wird zu einer Gestalt, die dann begrifflich bezeichnet werden kann, z.B. ein Schwan, der aus einem weißen Fleck in der Entfernung „entstanden“ ist oder ein Klingelton, der die Stille durchbricht.

Daran zeigt sich schon, dass Informationen immateriell sind: Der Unterschied zwischen A und B, zwischen Stille und Lärm, zwischen Gestaltlosigkeit und Gestalt, ist nicht über die Sinne wahrnehmbar und kann auch nicht als Ding vorgefunden werden. Dennoch ist Information Teil jeder Materie – oder in jedem Stückchen Materie enthalten, je nach Ausdrucks- und Sichtweise. Lebewesen sind komplexe Informationsverarbeiter, z.B. Pflanzen, die die Nährstoffe im Boden bewerten und selektiv nutzen. Aber auch die unbelebte Natur enthält Informationen und betreibt Informationsaustausch, z.B. zwischen dem Kern und den Elektronen eines Atoms. 

Die immaterielle Wesensart der Information führt dazu, dass manche Autoren Information und Bewusstsein gleichsetzen. Alles Geistige wird in diesen Bereich eingeordnet, womit die Informationstheorien als Beleg für das Bewusstsein und dessen zentrale Rolle verwendet werden. Ein plumper Materialismus kann jedenfalls die Omnipräsenz der Information nicht erklären. 


Quantenphysik und Informationsmetaphysik


Die Entdeckungen in der Quantenmechanik am Beginn des 20. Jahrhunderts haben dem Informationsaspekt der Wirklichkeit einen Aufschwung gebracht. War vorher vor allem in der Physik die Auffassung vorherrschend, dass es in der Natur nur eindeutig messbare Gesetze gibt, nach denen sie funktioniert, so zeigte sich jetzt, dass im subatomaren Bereich eine „Unschärfe“ vorherrscht und bestimmte Phänomene nur auftreten, wenn sie ein Beobachter beobachtet. 

An diese rätselhaften Erkenntnisse hefteten sich viele Spekulationen, teilweise auch von den Forschern selbst in Gang gesetzt. Ist es so, dass das Universum eigentlich nur Information ist, und dass die Materie nur eine bestimmte Erscheinungsform des Immateriellen darstellt? Bis heute tummeln sich entsprechende Gedankengebilde in verschiedenen Kreisen, besonders auch in den vielfältigen Gefilden der Esoterik, wo der Quantenbegriff seinen festen Platz gefunden hat, wenn auch ohne jeden realen Bezug zu seinem subatomaren Ursprung (vgl. die Blogbeiträge "Quantentheorie und die unsterbliche Seele" und "Die Logik der Photonen und die Quantenwerbung"). Jedenfalls ist immer wieder die Rede davon dass es eine Intelligenz im Universum gibt, eine moderne Version von Gott, die Ordnung schafft und die vor und jenseits der Natur existiere. Die Informationsgesellschaft mit ihrem ungeheuren Ausmaß an bits, also an den kleinsten Informationseinheiten, die sich in einem unvorstellbar rapidem Ausmaß tagtäglich vermehren, hat diesen Modellen zusätzlichen Auftrieb verschafft. Es dreht sich alles nur noch um Information, und deren Überfluss kann kaum mehr bewältigt werden. Es gibt niemanden mehr, die die Datenmenge verarbeiten könnte, als Individuum oder als Kollektiv. Da kann man sich wohl denken, dass es doch ein Mastermind, eine Meisterintelligenz dahinter geben muss, die die Fäden in der Hand hält. Es beschäftigt uns in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob nicht eines nicht allzu fernen Tages die Informationsgiganten mit ihrer sich selbst programmierenden Superintelligenz überhaupt die Herrschaft über die fehlerhaften und unzuverlässigen Menschen übernehmen werden, ob sie also selber die Rolle der universalen Steuerinstanz spielen werden.


Die Widerlegung des Primats der Information


Davon abgesehen, haben wir es in Bezug auf die Materie-Information-Frage mit reinen Gedankenspielen zu tun, die wenig zum Verständnis der Wirklichkeit beitragen, denn wenn es eine derartige Intelligenz gäbe, verfügen wir über keinerlei Möglichkeiten, ihre Existenz zu belegen. Die Wirklichkeit, die wir selber sind und mit der wir es zu tun haben, ist Natur oder aus Natur gemacht worden. Da kommt keine Superintelligenz vor. In diese Wirklichkeit gibt es die unterschiedlichsten Formen von Materie, und überall ist Information eingewoben. 

Die Theoretiker des Informationsprimats, also der Vorherrschaft der Immaterialität über die Materialität, behaupten dazu noch, dass es eine von Materie unabhängige Geistigkeit gibt, dass also die Information vor der Materie kommt, sowohl zeitlich als auch in Bezug auf die Wirklichkeitsprägung. Diese Auffassung gilt aber mittlerweile als wissenschaftlich widerlegt. Der Physiker Rolf Landauer hat 1961 den theoretischen Beweis dafür erstellt, dass Information immer eine materielle Grundlage benötigt. Ein Forscherteam konnte 2012 den praktischen Nachweis der Theorie erbringen. Ohne Materie gibt es keine Information: Jedes Informationsbit braucht einen physischen Speicher und benötigt Energie, um nicht zu verschwinden.

Damit ist klar, dass der Slogan „It from bit“ (das Sein stammt aus der Information) logisch und praktisch ausgeschlossen ist. Wir müssen uns in unserem Drang nach Universaltheorien bescheiden und unsere Aufmerksamkeit darauf richten, wie wir das Zusammenspiel von Materie und Information besser verstehen können, statt uns über Spekulationen zu streiten, bei denen es um nicht viel mehr geht als persönlichen Geschmack und individueller Denkvorliebe. 

Alle Theorien, die Information und Bewusstsein gleichsetzen, sind von dieser Einschränkung mitbetroffen. Es geht sich nicht aus, dem Bewusstsein eine Priorität und eine Überlegenheit über die Materie anzuhängen. Vielmehr müssen wir nüchtern zugeben, dass wir über keine Erfahrungen von Bewusstsein ohne Materie verfügen. Wie jede Cloud, auf der Informationen gespeichert werden, auf Servern gespeichert ist und alle geistigen Gehalte spurlos verschwinden, wenn der Server kaputt geht, so sind auch all unsere inneren Vorgänge, von banalen Gedanken bis zu hochfliegenden Gedanken und erhebenden Erfahrungen auf ein funktionierendes Nervensystem in einem gesunden Körper abhängig.


Die Propaganda der Beliebigkeit und die Manipulation


Der Wissenschaftler und Publizist Paul Mason weist in seinem Buch: Helle, lichte Zukunft" auf einen weiteren bedenkenswerten Zusammenhang hin. Mit der Annahme einer von Materie unabhängigen Information wird das Modell der Kausalität obsolet, das den Aufstieg der modernen Wissenschaften möglich gemacht hat. Die Erforschung der Ursache-Wirkung-Phänomene ist die Grundlage aller technologischen Maschinen, die die Menschen hervorgebracht haben. Sie ist auch die Grundlage für das Vertrauen in den Wissenschaften. Es geht um die Kausalzusammenhänge, die von allen nachvollzogen werden können, die sich damit beschäftigen und die in der materiellen Welt funktionieren, also die erwünschten Wirkungen erzielen, indem sie z.B. ein Auto starten und einen Computer hochfahren.

Wenn wir nun die Phänomene der Quantenphysik aus dem subatomaren Bereich verallgemeinern, in denen das Ursache-Wirkungsprinzip nicht mehr ausreicht, dann können wir zur Annahme kommen, dass es in der Wirklichkeit als ganzer keine Kausalphänomene gibt, sondern nur mehr Informationsflüsse, die die Wirklichkeitserfahrung zusammenstellen. Es gibt also keine äußere Wirklichkeit, sondern nur interne Konstruktionen, Informationskonglomerate, die sich in jedem Individuum unterschiedlich zusammenfügen, sodass es keinen Standpunkt mehr gibt, der in Bezug auf eine äußere Realität Objektivität behaupten kann.

Wenn dem so wäre, ist die Rede von „alternativen Fakten“ nicht mehr ein Verweis auf Lügen und Fantasien, sondern eine Aussage über die Wirklichkeit wie jene, die sich auf äußere Beobachtung und Messung beruft. Es gibt keinen Gegenhalt gegen mutwillige und bösartige Manipulationen, sondern wer gerade die Macht in der Gesellschaft innehat, bestimmt, was wirklich ist und was nicht, was Faktum ist und was Fiktion.


Die Wachheit der Vernunft und die menschliche Freiheit


Deshalb handelt es sich nicht um eine akademische Debatte, ob die Information getrennt und unabhängig von der Materie existiert. Vielmehr wirkt die Festlegung auf eine der möglichen Denkalternativen auf die Weise, wie wir die Wirklichkeit erleben und wie wir miteinander umgehen. 

Mason schreibt: „Nimmt man die irrationale Vorstellung hinzu, das Universum sei ein »großer Gedanke« (Jeans) und die Realität werde »berechnet«, so erhält man nicht nur einen neuartigen Idealismus, sondern auch ein ideologisches Fundament für die Annahme, der Mensch sei machtlos, zur Freiheit unfähig und in einer illusorischen Welt gefangen. Die neue wissenschaftliche Metaphysik ist eine der wichtigsten Stützen jenes Antihumanismus,  der die Ideologien des 21. Jahrhunderts durchdringt. Wenn die Information der physischen Welt vorausgeht und die Menschheitsgeschichte nichts anderes als Software ist, die »sich selbst berechnet«, gleicht unsere Lage jener der Menschen in dem Film Jason und die Argonauten: Jede unserer Entscheidungen ist in Wahrheit von den Göttern vorherbestimmt, die uns wie Spielsteine auf einem Brett bewegen. Es hat keinen Sinn, die menschliche Freiheit oder Handlungsmacht zu verteidigen." (Mason S. 172, 173)

Und weiter: „Wenn der neue, digitale Idealismus recht hat, ist der Humanismus lediglich eine Form von Nostalgie. Wenn wir die Wahrheit gestützt auf unsere Sinneswahrnehmungen gegen Fake News verteidigen wollen, wenn wir den Neoliberalismus durch ein System ersetzen wollen, das sämtlichen menschlichen Bedürfnissen genügen kann, dann müssen wir die Vorstellung von einem menschlichen Wesen verteidigen, das – vorbehaltlich der historischen Umstände – zu eigenständigem Denken und Handeln fähig ist. Oder wie es die Philosophen ausdrücken: Wir müssen die Freiheit verteidigen.“

Die Verteidigung der Freiheit und der Würde des Menschen ist gerade in Zeiten der Nivellierung der Wahrheitsansprüche und der Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion, wie sie die Inflationen des Informationszeitalters nach sich ziehen, gefordert. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen von den abergläubischen Verbreitern von zusammenfantasierten Weltbildern und Theorien, die eindrucksvoll klingen, aber oft nur auf Sand gebaut sind. Vielmehr geht es darum, unsere kritische Vernunft und unsere Sinne wach zu halten und mit ihrer Hilfe unsere Meinungen, Theorien und Wirklichkeitskonstruktionen immer wieder zu überprüfen, in uns selbst, in unseren Mitmenschen und in den Angeboten der Informationsgesellschaft. 

Das Hochhalten eines kritischen Humanismus ist kein Luxus, dem wir uns hingeben, wenn wir nichts Wichtigeres zu tun haben, sondern ist ähnlich dringend wie der Einsatz für den Klimaschutz – und beides hängt sehr eng miteinander zusammen. Mit giergeleiteten Irrationalismen und ideologiegetränkten Theorien zerstören wir unser demokratisches Gemeinwesen und dazu noch die Biosphäre des Planeten. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, die die Werte der Menschlichkeit konsequent vertritt und auf der Basis abgesicherten wissenschaftlichen Wissens die notwendigen Maßnahmen für das Überleben der Menschheit setzt.

„Hannah Arendt hat 1951 geschrieben, die idealen Subjekte des totalitären Staates seien nicht die überzeugten Nationalsozialisten oder Kommunisten, sondern Menschen, die unfähig seien, »Tatsachen als Tatsachen zu verstehen und Wahrheit von Lüge zu unterscheiden«, Menschen, »die sich auf ihre Erfahrungen nicht mehr verlassen wollen, weil sie sich mit ihnen in der Welt nicht mehr zurechtfinden können«.“ (Mason S. 139)

Literatur: Paul Mason: Klare, lichte Zukunft. Frankfurt: Suhrkamp 2019

Zum Weiterlesen:
Quantentheorie und die unsterbliche Seele

Die Logik der Photonen und die Quantenwerbung

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