Dienstag, 20. Juni 2017

Beklagen – selbsterzeugte Gehirnwäsche

Ein Zitat aus unbekannter Quelle sagt: “Das Heute dafür zu verwenden, um das Gestern zu beklagen, macht das Morgen um nichts besser."

Die Wissenschaftler unterscheiden Typen beim Klagen und Jammern. Da gibt es den Dampfablasser, eine unzufriedene Person, die dauernd ihre Klagen auf die Umwelt verteilt, aber keine Lösungen hören will, wie toll auch immer diese wären. Dann gibt es die Sympathiesucher, die das Motto verbreiten, dass es einem selbst immer schlechter geht als den anderen, wofür man sich ausreichend Trost erwarten kann. Die chronischen Jammerer, die also in einem Zustand des Klagens leben, sind grübelnde Wiederkäuer – sie fixieren sich auf ein Problem und beklagen sich immer wieder darüber. Sie pflegen ihre Sorgen und verschlimmern durch das ständige Klagen ihren Zustand noch weiter.

Beklagen erzeugt Beklagen


Die Hirnforschung spricht von erfahrungsabhängiger Neuroplastizität und meint damit, dass das, was wir dauernd denken, unser Gehirn so verformt, dass wir das Gleiche umso öfter wie von selber denken. Die berühmte Phrase dazu lautet: „neurons that fire together, wire together“ (Neuronen, die gemeinsam feuern, schließen sich zusammen). Beim repetitiven Denken lernt das Gehirn, die gleichen Neuronen immer gleichzeitig zu aktivieren. Ein zu beklagendes Objekt in der äußeren Wirklichkeit wird angeklagt, und durch das Wiederholen der Klage wird das Objekt untrennbar mit der Klage verbandelt, sodass wir gar nicht mehr an das Objekt (den Menschen) denken können, ohne dass die Klagen aufsteigen, bis schließlich auch alle ähnlichen Objekte die Klagereaktion auslösen können.

Übrigens haben die sozialen Medien, z.B. facebook dieses Prinzip übernommen und in ihre Algorithmen übersetzt, und deshalb werden wir auch dort mit ähnlichen Nachrichten gefüttert, sobald wir etwas geliked haben. Unser Nervensystem ebenso wie unser virtuelles Sozialsystem erzeugt zwecks Vereinfachung und Ökonomisierung stereotype Strukturen, die unser Denken und unsere Wirklichkeitsauffassung prägen. Die Realität wird in vorgefärbte Bilder verwandelt, und wir befinden uns in einer Blase, die wir für die Wirklichkeit halten. Wir sehen alles grau oder rosa, was wir schon mal grau oder rosa beleuchtet haben, und es wird grauer und stärker rosa, je öfter wir das wiederholen.

Über das Beschweren


Manchmal beschweren wir uns, wenn uns Übles widerfährt. Das ist ja auch wichtig, damit andere Menschen ihr Verhalten verbessern können. Aber das Wort ist verräterisch: Das Beschweren beschwert uns, vor allem dann, wenn wir es mit nachträglichem Klagen verbinden: Ach, wie gemein, ach, wie schlimm, ach, wie unmöglich sind die anderen Menschen, ach, wie ungerecht meint es das Schicksal mit mir, ach, wie boshaft straft mich das Karma usw. Auf diese Weise machen wir unser Leben schwerer und denken dabei, dass es das Leben ist, das so auf uns lastet. Aber, auch wenn es uns weniger passt, wir beschweren uns selber.

Die Klagereaktion


Jedes Beklagen zeugt neue Klagen. Denn wir binden uns an Negatives, an das, was uns nicht passt. Schon sind wir Verbündete dessen, was wir am liebsten loswerden würden. Unser Gehirn  verstärkt die Einprägung, die Spuren des Negativen verdichten sich. Selbst die scheinbare Entlastung durch das Dampfablassen, das wir nach ausgiebigem Jammern erleben mögen, hinterlässt Nachwirkungen in unserem Wahrnehmungsapparat, der nach einstellungskonformen Objekten sucht und sie in jedem Objekt findet, dem sich die Maske überziehen lässt, die zum Jammern motivieren.

Wir ersetzen die konstruktive Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit durch automatisierte Reaktionen, wenn wir den reflexiven Hiatus, die achtsame Unterbrechung zwischen der Wahrnehmung und ihrer Bewertung vergessen. Wir beginnen, die Wahrnehmung mit ihrer Bewertung zu verwechseln und meinen konsequenterweise, dass die Realität, z.B. die anderen Menschen, die Ursache für unsere beklagenswerten Zustände sind und nicht unsere Bewertungen. Wir bauen uns ein standardisiertes Weltbild auf, das sich mit jeder Klage selbst bestätigt. Mehr und mehr werden wir zur Robotern, die zwar lernfähig sind, aber immer wieder nur für das Verfestigen des Gleichen.

Das Üben der Achtsamkeit


Wie kommen wir heraus aus dieser Form der Selbstverkapselung, der Selbstdestruktion, die sogar Suchtcharakter annehmen kann? Bei der Anwendung der Achtsamkeit auf die Gewohnheiten des Klagens verlangsamt sich der Reaktionsmechanismus, indem er bewusst verfolgt wird. Was läuft gerade ab im eigenen Denken und Reden? Diene ich mir und der Welt damit oder nicht?

Damit können wir zwischen dem Außenreiz und seiner inneren Verarbeitung eine Unterbrechung einbringen, die uns klar macht: wir sind es jetzt gerade, die einen Aspekt der Außenwelt nicht so akzeptieren können, wie er eben ist. Stattdessen hängen wir ihm ein hässliches oder schädliches Mäntelchen um und beschweren uns gleich über seine Unansehnlichkeit und Widrigkeit. Wir haben wieder etwas zum Beklagen.

Mit der Achtsamkeit ertappen wir uns selbst: Wir haben den Blödsinn selber angestellt, über den wir uns so lautstark beklagen. Wir sind es, die damit aufhören können, sofort, jetzt, in diesem Moment. Und wir sind es ganz allein, die den Schlüssel in der Hand haben, wenn es darum geht, ob wir in einer schrecklichen oder in einer annehmlichen Welt leben.

Das Üben der Dankbarkeit


Wir können nicht zugleich klagen und dankbar sein. Das Klagen bezieht sich auf etwas, das wir aus unserem Leben entfernen wollen, während das Danken etwas meint, was bleiben und sich vermehren soll. Also ist das Üben der Dankbarkeit ein Gegenmittel gegen das Klagen und Jammern. Wofür kann ich jetzt gerade dankbar sein? Was gibt mir jetzt gerade Grund für Freude an meinem Leben? Sobald ich mich in diese Richtung orientiere, hört meine klagende Einstellung zum Leben auf. Unser Gehirn lernt neue Regelkreise und freut sich daran. Von allem, woran es sich freut, will es mehr. Es spielt dabei keine Rolle, ob wir uns über einen Lottogewinn, einen Sonnenstrahl zwischen den Wolken oder über eine besondere Wolkenformation freuen und diese Freude mit Dankbarkeit verbinden. Wir brauchen nichts Exorbitantes, nicht einmal Überraschendes, um Dankbarkeit zu üben. Es genügt, das Augenscheinliche in seiner Besonderheit zu sehen und damit besonders zu würdigen.

Mit der Einstellung der Dankbarkeit unterbrechen wir unsere Reaktionsmuster, die uns zum Klagen und Jammern verleiten. Wir verbinden uns aktiv mit der Wirklichkeit, indem wir sie bewusst anschauen, ihr also unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Gleich zeigt sich diese Außenwelt in anderer Gestalt, präsentiert sich für uns mit anderen Facetten, und plötzlich erkennen wir, dass sie uns mag. Wenn wir gemocht werden – worüber sollen wir dann noch klagen?

Dieser Text ist durch einen Artikel von Annie Wood motiviert, der hier nachgelesen werden kann.

Hier zu Information und Anmeldung für den nächsten Achtsamkeitskurs.

Zum Weiterlesen:
Dankbarkeit - die hohe Schule der Lebenskunst

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