Dienstag, 16. Juni 2015

Der Hochmut in der Selbstverkleinerung

Manchmal drücken wir uns vor der Realität mittels Selbstverkleinerung. Wir trauen uns etwas einfach nicht zu, wir können das nicht, und eigentlich wollen wir das gar nicht. Es handelt sich dabei nicht um Dinge, die andere von uns verlangen oder die wir tun sollten, weil es von uns erwartet wird. Es geht hier vielmehr um Handlungen, die aus unserer kreativen Lebensorientierung entspringen, bei der es um die Verwirklichung von eigenen Lebenszielen geht: Etwas, was wir ganz bestimmt selber wollen. Es hat uns die Idee gleich voll beflügelt und begeistert. Wir haben die ersten Schritte gesetzt, sie sind wie von selbst aus uns geflossen. Wir waren im ungebremsten Schaffensdrang. Dann verebbte dieser plötzlich oder unmerklich-allmählich.

Schließlich ist die Lust am Kreieren verflogen, die Ideen fehlen oder die Kraft ist erschöpft. Und da meldet sich gerne eine Stimme in uns, die sagt: Ich kann das nicht, ich schaffe es nie, ich bin nicht gut genug usw. Sie rechtfertigt die Schaffensblockade, die aufgetreten ist und bringt uns manchmal dazu, das ganze Projekt abzubrechen.

Blockierungen und Widerstände sind Teil von jedem Schaffensprozess. Am Anfang stehen meist enthusiastische Flow-Zustände, die den kreativen Prozess in Gang setzen. Diese Energie ist nicht für die "Mühen der Ebene" geeignet, die irgendwann dazu treten, wenn sich die umgebenden Realitäten in den Ablauf einmischen: Müdigkeit, andere Bedürfnisse, versiegende Ideen, umständliche und mühsame Arbeiten (z.B. Recherchen beim Schreiben eines Sachartikels). Das Nichtwissen um die Unumgänglichkeit dieser Phase im Schaffensprozess kann dazu führen, dass das Projekt an diesem Punkt abgebrochen wird und für immer in einer Schublade verschwindet, aus der es sich zwar immer wieder kleinlaut meldet, aber nie wieder herausgenommen und weiterverfolgt wird. Genausowenig wird es als gescheitert fallengelassen und mental entsorgt, sodass es im Hintergrund wirksam bleibt und am Schaffensgewissen nagt („Du hast doch dieses Projekt noch immer nicht weiterbetrieben…“).

Wissen wir um diesen Aspekt beim Kreieren, so können wir mit ihm kreativ umgehen, solange, bis sich der kreative Fluss wieder Bahn bricht und uns durch die Engstellen hindurch begleitet. Erfahrene Kreatoren haben dafür ihre eigenen Strategien entwickelt und auf ihre individuellen Widerstände angepasst. Manche Künstler z.B. arbeiten konsequent bestimmte Zeiten am Tag, andere legen längere Pausen mit Ablenkung dazwischen ein oder versprechen sich Belohnungen usw.

Das Ego im kreativen Prozess


Möglicherweise dient die Schaffensblockade der Einbeziehung des Egos in den kreativen Prozess: Solange das Flow-Erleben dominiert, ist das Ego abgemeldet, es hat keine Chance gegen die Übermacht des kreativen Stromes. Wenn dieser an Schwungkraft verliert, meldet sich das Ego wieder. Es ist der Hüter des Mittelmaßes, der Gewohnheitszone, und es ist mit Misstrauen gegen Gipfelzustände ausgestattet, die es aus seiner Lethargie reißen.

Deshalb versteckt sich in der scheinbaren Bescheidenheit eine besondere Variante des Hochmutes, der sich insgeheim besser wähnt als die kreative Lebenskraft. Kreativität verlangt die Hingabe an das, was zu tun ist, gleich, ob es leicht geht oder schwerfällt, gleich ob es angenehm ist oder eine Überwindung verlangt. Hingabe an etwas Größeres ist das, was das Ego nicht kann und wovor es die meiste Angst hat. Also sucht es die Selbstverkleinerung als Ausrede: Ich bin ja so klein und unbedeutend, ich kann deshalb nichts Besonderes vollbringen. Ich bleibe bei dem Wenigen, das ich jetzt habe, und dafür habe ich es sicher.

Es will sich wieder in der Komfortzone einrichten und zurücklehnen. Kein Risiko einzugehen ist seine Devise. Lieber eine relative Sicherheit und Bequemlichkeit als Gefahr zu laufen, mehr vom Leben zu bekommen, denn es könnte auch in weniger umschlagen.

Unser Ego durchschauen


Erkennen wir hinter der Blockade unser ängstliches Ego mit seinen gefinkelten Strategien, so fällt es uns leichter, weiterzumachen. Wir besinnen uns darauf, was wir selber wollen, was uns als Idee und Vision beflügelt und vergewissern uns unserer Kraft. Wir haben vieles schon geschafft in unserem Leben, und wir können deshalb auch neue Herausforderungen, wie sie jede Schaffensblockade darstellt, meistern. Das Match heißt Ego gegen kreativen Fluss, und wir sind es, die entscheiden, wer gewinnen soll.

Die Tücken im kreativen Zyklus zu verstehen ist so wichtig wie die kreative Arbeit selbst. Denn was nützen halbfertige Ideen und unvollendete Werke? Jede durchwanderte Schaffenswüste lehrt uns, den Hochmut der Bescheidenheit durch die Bescheidenheit der Hingabe zu ersetzen. Jeder überwundene Widerstand stärkt das Vertrauen in den kreativen Fluss, der immer wieder Überraschendes zutage fördert, wenn wir ihm den Raum und die Zeit lassen, die er dafür braucht.

So ging es mir auch beim Schreiben dieses Blogs, der aus einem Gespräch über das Blogschreiben entstanden ist, das die ersten Absätze schnell gefüttert hat. Bis zur letzten Zeile musste ich einige Durststrecken überwinden, die von Zweifeln benagt waren, ob das Thema genug für einen Blogbeitrag hergibt und ob mir noch ein sinnvoller Abschluss gelingen wird. Nun bin ich am Punkt der Zufriedenheit und Dankbarkeit, dass der Text gelungen ist. Dir als Leser(in) steht natürlich deine eigene Meinung dazu frei. Ich jedenfalls freue mich über alle, die zu diesem Text und durch ihn hindurch bis zu seinem Ende finden.

2 Kommentare:

  1. Was ich beim Lesen dieses Textes wahrgenommen hab ist, dass er mich sehr stark in die Wahrnehmung meiner Emotionen und Gefühle geführt hat. Ich konnte sehr gut in Resonanz mit dem Text und dem Thema sein. Über die angesprochenen Aspekte spannte sich ein Bogen der Neugierde, die aus meiner eigenen Erfahrung im Umgang mit kreativen Prozessen gespeist wurde. Dieses "in Resonanz sein" und sich spüren lässt keinen Raum für den Selbstzweifel und die innere Verengung. Es breitet sich ganz unwillkürlich und mir großer Leichtigkeit aus.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank für diesen poetischen Kommentar, möge dir die Leichtigkeit erhalten bleiben!
      Liebe Grüße
      Wilfried

      Löschen