Der deutsche Biologe und Umweltphilosoph Andreas Weber hat in seinen Büchern die Schöpferische oder Erotische Ökologie vorgestellt. Viele seiner Gedankengänge decken sich mit den auf diesen Blogseiten erörterten Gedankengängen und führen sie noch weiter.
Weber geht aus von einer untrennbaren Verschränkung von Materie und Geist, die er als Grundlage des gesamten Kosmos sieht. Er meint: "Es gibt keine Subjektivität, die vom Leib entkoppelt wäre." (AF S. 96) und beruft sich dabei auf den namhaften Gehirnforscher Antonio Damasio, für den der Geist gleichsam eine virtuelle Darstellung des lebenden Körpers ist und die Wurzeln des Mentalen in der Subjektivität des Körpers liegen. Zusammengefasst: "Eine Voraussetzung der Schöpferischen Ökologie besteht darin, dass alles, was wir als Geist beschreiben, vollkommen der Materie angehört - freilich ohne dabei auf die Eigenschaften der ‚bloßen‘ Materie zusammenzuschrumpfen." (AF S. 291) "Lange Zeit galt eine solche Verbindung zwischen Außen (der Biochemie des Körpers) und Innen (unserem subjektiven Erleben) in der Biologie als absurd. Heute aber entdecken Molekularbiologen, wie Gefühle, die reine ‚Innendimension‘ also, sogar das Erbmaterial verändern." (L S. 93)
Wir haben keine Möglichkeit zu einer "objektiven" Wahrnehmung, weil uns die Natur mit Wahrnehmungsorganen ausgestattet hat, die uns die Wirklichkeit so liefern, wie es die Natur als für uns passend bestimmt hat. Wir können daran auch grundsätzlich nichts ändern, weil wir weder unsere Augen und Ohren noch unser Gehirn umbauen können. Wir können uns aber dieser Tatsachen bewusst sein und danach unser Bild der Welt ausrichten - als unweigerlich relativ, aber gerade in dieser Relativität äußerst produktiv. Weber nennt das die zarte Empirie: "In ihr weitet sich das eigene Selbst als Echo des ständig vibrierenden schöpferischen Potenzials, und jedes wirklich wahrgenommene Objekt erschafft ein neues Wahrnehmungsorgan in uns.“ (L S. 104)
Da jedoch die Naturwissenschaften in den vergangenen Jahrhunderten unser Verhältnis zur Welt, insbesondere zur Natur mit dem Anspruch auf Objektivität geprägt haben, haben wir das Bewusstsein entwickelt, über der Natur zu stehen. Damit ist einen Gegensatz zwischen Natur und Kultur erfunden worden. Tatsächlich sind wir nach wie vor und primär Naturwesen, direkt und eng mit den anderen Naturwesen verbunden. Deshalb meint Weber: "Wir müssen die Natur für unsere Seele retten." (AF S. 24)
Als Schüler des Biologen und Systemforschers Francisco Varela, der weithin durch das Buch "Der Baum der Erkenntnis" (zusammen mit Umberto Maturana) bekannt wurde, versteht Weber den Aspekt der Selbstschöpfung (Autopoiesis) des Lebens. Jede Körperzelle betreibt diese Selbstschöpfung, indem sie z.B. in der Lage ist, in einer Sekunde bis zum einem Dutzend von zerstörten DNA-Verbindungen zu reparieren.
Wichtig ist für Weber die Innenperspektive, ohne die wir uns selbst und das Leben nicht verstehen können. Er zitiert in diesem Zusammenhang gerne Rainer Maria Rilke, der den Begriff des "Weltinnenraums" geprägt hat. "ˋSeele' heißt Innerlichkeit, und es ist diese, die wir mit den anderen Wesen gemeinsam haben, in wie geringem Maße auch immer." (AF S. 78)
Deshalb gelangt er zur Auffassung, dass wir mit dem Fühlen (was wir hier den inneren Sinn nennen) an unsere Lebensprozesse heranreichen. "Wenn sich die Physik des Lebens am besten als Gefühl beschreiben lässt, dann ist dieses Gefühl doch zugleich immer mit dem Stoff verkoppelt, aus dem der Organismus besteht. Gefühl ohne Materie ist nicht möglich. Das, was sich uns als Gefühl innerlich zeigt, ist etwas, das mit uns als Körper 'äußerlich' geschieht, denn alles Leben ist immer an den Stoff ausgeliefert." (AF S. 78)
Bei allen biologischen Vorgängen gibt es eine innere Seite, die den "Standpunkt, ein Betroffener zu sein" (AF S. 102) beinhaltet. "Dieser Standpunkt ist symbolisch, das heißt, er stellt den Körper nicht dar wie eine Anzeigetafel den Betriebszustand eines Kraftwerks, sondern übersetzt ihn in Empfindung. ... Empfindung ist die gemeinsame Sprache aller Zellen und aller Wesen, die Sprache der Körper und der Dichter." (Ebd.)
Die Empfindung ist also die unterste Quelle der Information aus dem Bereich der Natur, die intern zu Bewusstsein gelangen kann. Sie ist deshalb das wichtigste Tor zum Unbewussten, das wir in der Psychotherapie nutzen können und nutzen müssen, wenn wir an die Wurzeln von Problemen im vorsprachlichen Bereich gelangen wollen.
Und die Heilung von Symptomen und Krankheiten ist die Wiederherstellung der Einheit: "Denn jede Heilung bedeutet, den ungestörten Fluss wiederherzustellen, der den Stoff des Wesens von Augenblick zu Augenblick ordnet." (AF S. 114)
Weber ist bei seinen Versuchen, die Subjektivität der Natur zu verstehen, auf die Universalität der Sprache und die Grundlagen der inneren oder organischen Kommunikation gestoßen. Er meint, dass die "symbolische Sphäre unseres Inneren sich in einer einzigen universellen Sprache, einer ‚Lingua franca‘ des Körpers, ausdrückt. ... Die Buchstaben dieser Sprache sind kein Text außerhalb der Materie. Sie müssen vielmehr als eine Erscheinungsform der Materie einen emotionalen Wert vermitteln, der für Lebewesen sofort lesbar ist. Das Medium der Gefühle muss demnach emotional geformte Materie sein, denn ohne den Stoff könnte die Sprache der Gefühle nicht erscheinen ... Der Geist ist nichts anderes als der Körper – aber in seiner Bedeutung für den Fortgang des Lebensprozesses. Das Medium ist tatsächlich nichts als Materie – aber es ist so geformte Materie, dass sie für ein Lebewesen unmittelbar und unausweichlich eine existenzielle Bedeutung hat." (AF S. 103-104) "Das Kern-Selbst ist die Bedeutung der körperlichen Prozesse. Es ist ihre stets vorhandene, unablösbare seelische Dimension." (AF S. 100)
Die „Lingua franca“, also die Universalsprache des Lebendigen, ist auf diesen Seiten schon mehrfach postuliert worden – die innere Kommunikation als Grundlage aller Lebensprozesse. Auf dieser Ebene lassen sich Physik und Psychologie verbinden. Weber greift dazu auf die Forschungen von Jaak Panksepp über die Kommunikation der Gefühle zurück: "Hat Panksepp recht, dann gibt es wirklich eine Durchgängigkeit der Formen zwischen dem Physischen und dem Psychischen. Dann verbindet eine Kette von Analogien die Fluktuationen der Moleküle in der Zelle mit neuronalen Mustern, mit der Spannung von Körperhaltungen, der Bedeutsamkeit sprachlicher Ausdrücke und der Vibration musikalischer Themen." (SF S. 108)
Die Welt des Denkens ist nur die Fortsetzung dieses Kontinuums: "Das Abstraktionsvermögen ist das Erbe der Natur in uns. Wir sind selbständig geworden, indem wir die symbolische Funktionsweise unserer Körper nach außen getragen haben - in die Kultur." (AF S. 129)
Doch hat dieser große Bogen auch einen Rücklauf, den wir ernst nehmen müssen: "Aber wenn die archaischen Gesellschaften recht haben und alles Kulturelle in der Tiefe eine Ökologie ist, die uns mit der Natur verbindet, dann vernichtet Naturzerstörung letztlich immer die Gesellschaft. Auch in unserem Fall. Ihr Tod wird sich bloß später zeigen.“ (AF S. 129-130) "Kurzum: Wir müssen Natur bewahren, weil wir sie selbst sind, und wir müssen Natur bewahren, weil sie alles ist, was wir nicht sind." (AF S. 279)
Tiefgründig ist auch die Auseinandersetzung mit dem Tod: Je mehr wir unser Leben steigern wollen, desto mehr laden wir den Tod ein. "Lebenwollen um jeden Preis ruft den Tod - den Tod anderer Menschen, anderer Wesen, die Auslöschung von Sprachen, Ideen und, am schlimmsten, von Möglichkeiten und Freiheitsgraden - beständig hervor." (L S. 80-81) Deshalb ist Egoismus immer selbstschädigend, und das Interesse an der gemeinsamen Lebenserhaltung und Lebenssteigerung ein Grundmerkmal des Lebens. Weber kritisiert auch die Esoterik in diesem Zusammenhang: "Esoterik ist im Übrigen nur eine weitere sehr menschliche Weigerung, den Tod zu akzeptieren, indem man die Kontrolle über alles übernimmt, in diesem Fall durch die Illusion, das Ganze ‚geistig‘ zu durchschauen und beherrschen zu können." (L S. 65)
Einen Weg, den Bezug zur Natur zu wahren, sieht Weber darin, die Poetik mit der Rationalität gleichzusetzen: "Poesie ist nicht die Ausnahme. Poesie ist der Maßstab unserer Rationalität." (AF S. 111) Deshalb sind seine theoretischen Texte in poetische Erzählungen eingebettet. Er benennt diese Vorgangsweise der Wirklichkeitserfassung als poetischen Materialismus: "Poetischer Materialismus heißt, dass der Sinn in die Körper eingeschlossen bleibt und wir ihn nicht extrahieren können, ohne diese Körper zu beschädigen.“ (L S. 211)
Ich hoffe, dieser schmale Überblick über zwei Bücher von Andreas Weber hat Appetit auf mehr gemacht! Seine erotische Ökologie bietet viele Schätze und Einsichten.
Andreas Weber: Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften. Berliner Taschenbuchverlag 2007 (zit. als AF)
Andreas Weber: Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie. München: Kösel 2014 (zit. als L)
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