Samstag, 17. Juni 2023

Über das Leben mit Widersprüchen angesichts der Klimakrise

Die Klimakrise hält allen einen Spiegel vor. Unsere moderne Lebensweise kommt mit all ihren Aspekten auf den Prüfstand. Nachdem klar ist, dass es diese Lebensweise ist, die die Erderwärmung mit all ihren bekannten und unbekannten Konsequenzen nach sich zieht, ist jede/r gefordert, seinen/ihren Beitrag zur Treibhausgasemission zu überdenken. Es gibt den ökologischen Fußabdruck als Abschätzungs- und Berechnungsmöglichkeit, wie hoch der eigene Anteil an der Klimafehlentwicklung ist. Er wird in gha gemessen: Ein „gha“ entspricht einem Hektar weltweit durchschnittlicher biologischer Produktivität, etwa für Ackerbau, Holzwirtschaft, Energiegewinnung. Bei fossilen Energieträgern wird die Fläche errechnet, die nötig ist, um die bei der Verbrennung entstehenden Emissionen von Kohlendioxid durch Wälder und Ozeane zu binden, ohne das Klima zu gefährden (Quelle).  Er liegt in Österreich bei 6 gha (Europäischer Durchschnitt 4,8 gha). Dieser Wert bedeutet, dass wir mit dem Vierfachen dessen leben, was uns dieser Planet zur Verfügung stellt, Tendenz steigend. Wir leben also so, als hätten wir noch drei weitere Planeten zur Verfügung, nachdem wir unseren abgewirtschaftet haben. Ohne mit der Wimper zu zucken, leben die meisten von uns in einer unbekümmerten Selbstverständlichkeit, als ob es kein Morgen und keine Verantwortung für die Zukunft gäbe.  

Diese Sorglosigkeit gelingt uns nur dann, solange wir uns nicht mit dem beschäftigen, was uns die Wissenschaften schon lange auf den Tisch gelegt haben, was wir uns die Nachrichten präsentieren und was wir selber an Klimaveränderungen wahrnehmen. Wir brauchen in diesem Fall eine dicke Haut zur Immunisierung gegen das Offenkundliche und zum Verdrängen unserer Zuständigkeit. Wenn wir hingegen zur Kenntnis nehmen, wie es um die Welt steht, erkennen wir sofort, in welchen Widersprüchen wir durch unsere Lebensweise stecken – in die wir uns immer tiefer verstricken wie die Fliege, die mit jeder Flügelbewegung von immer mehr Spinnenfäden umfangen wird, die ihr schließlich das Leben kosten. 

Es gibt verschiedene Abwehrformen gegen diese unangenehme Selbstprüfung, die mit Schamgefühlen konfrontiert. Auf diese verhängnisvollen Zusammenhänge bin ich schon in den vorigen Blogartikeln eingegangen. Sie haben alle mit Selbsttäuschungen und Illusionen zu tun. 

Die Unvermeidbarkeit von Widersprüchen 

Selbst wenn wir wissen, was es zu wissen gibt, und das Wissen ernstnehmen, können wir nicht immer so leben, wie es für das Überleben der Menschheit wichtig wäre. Wir sind Wesen mit den verschiedensten Bedürfnissen, Interessen und Werten auf den verschiedensten Ebenen. Die Klimafrage ist nur eine von ihnen, obgleich in einem bestimmten Sinn die wichtigste. Aber sie steht in Konkurrenz mit anderen Ebenen und bekommt deshalb im inneren Abstimmungsprozess nicht immer die oberste Priorität. Es scheint immer wieder akutere Probleme zu geben, die zuerst angegangen werden sollten. Die Klimakrise mit ihren langsamen Verläufen und ihren punktuell wahrnehmbaren Auswirkungen zieht da häufig den Kürzeren. Also fahren wir mit dem Auto, weil es schneller geht, obwohl sich der Weg auch klimafreundlicher bewältigen ließe, wir uns aber die Zeit nicht nehmen oder glauben, sie nicht zu haben.  

Aus der Theorie der kognitiven Dissonanz wissen wir, dass wir sehr ungern mit uns selbst im Widerspruch sind. Die Theorie besagt, dass wir Entlastungsgründe erfinden, wenn wir merken, dass unser Handeln nicht mit unseren Werten übereinstimmt. Wir wollen in Übereinstimmung mit unseren Werten leben, sonst meldet sich die Scham. Gelingt uns das nicht, neigen wir zu Selbsttäuschungen, um die innere Spannung und das Schamgefühl in uns abzuschwächen. Beispielsweise wissen wir, dass das Fliegen umweltschädlich ist. Dennoch wollen wir aus irgendwelchen Gründen an einen fernen Ort gelangen und entscheiden uns für den Flug und gegen unsere umweltbezogene Werthaltung. Um die Dissonanz mit uns selber aushalten zu können, schwächen wir sie ab, indem wir uns z.B. vergegenwärtigen, was wir alles für die Umwelt tun, oder indem wir uns einreden, dass wenn nicht wir fliegen würden, jemand anderer unseren Platz einnähme, was dann wieder aufs Gleiche hinausliefe. Oder wir weisen darauf hin, dass andere viel mehr als wir selber das Flugzeug nutzen usw. Natürlich sind all diese Argumente Ausreden, mit denen wir uns vor unserer eigenen Verantwortung drücken. Aber es sind Selbsttäuschungen, die die kognitive Dissonanz in uns selber verringern. Es ändert sich nichts an der Realität und an dem Schaden, den wir anrichten, nur das schlechte Gewissen wird schwächer. 

Widerspruchsbewusstsein 

Die Dissonanzreduktion, also die Verringerung der inneren Spannung zwischen unserem Tun und unseren Werten, erfolgt durch Selbstmanipulation. Wir lügen uns in unsere eigene Tasche, und das ist fatal, weil wir auf diese Weise unser umweltschädliches Verhalten weiter betreiben. Wir entkommen dieser Selbsttäuschung, die meist unbewusst und automatisch abläuft, indem wir uns der Widersprüche stellen und Verantwortung übernehmen, statt uns Ausreden zurechtzulegen. Sobald uns die Widersprüche bewusst werden, in die wir uns verstricken, ist nicht alles verloren. Denn wir spüren die Schamlast, die darin besteht, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden und mit den eigenen Idealen im Konflikt zu sein. Wir nehmen diese Last auf unsere Schultern.  Sie wirkt wie ein Stachel im Fleisch und motiviert uns, ein andermal mit mehr Achtsamkeit auf die Bedürfnisse der Natur zu handeln. Wir stellen uns der Scham, statt sie wegzudrängen, und nehmen das Leid auf uns: das Leid, das wir der Natur und zukünftigen Generationen zufügen und das das Leben anderer und zukünftiger Menschen belastet, ohne dass wir billige Ausflüchte suchen uns mit Scheinargumenten aus unserer Verantwortung herausreden. 

Wenn wir erkannt haben, dass ein widerspruchsfreies Leben gar nicht möglich ist, fällt es uns leichter, uns selbst in unserer Widersprüchlichkeit anzunehmen. Wir sind nie zu hundert Prozent mit uns selber in Übereinstimmung, und es wäre ein perfektionistischer Anspruch, eine solche absolute Authentizität jemals zu erreichen. Unsere innere Widersprüchlichkeit ist eine Facette unserer Fehleranfälligkeit, unserer Unvollkommenheit.  

Das heißt nicht, dass wir uns auf unseren Widersprüchen ausruhen und unsere Diskrepanzen kultivieren sollten, um uns vor der Verantwortung zu drücken, die mit jedem handeln verbunden ist. Es geht vielmehr darum, die Spannungsfelder, die wir durch unser Handeln aufbauen, bewusst anzuerkennen und daraufhin die Kraft zu mobilisieren, die wir brauchen, um diese Spannungen zu verringern und unser Handeln mehr unseren Werten und Idealen anzunähern.  

Wir leben in Umgebungen, die auf hohen Ressourcenverbrauch ausgelegt sind. Damit ist es uns unmöglich, völlig klimaneutral zu leben. Wir können nur das Maß bestimmen, nach dem wir die Umwelt belasten und für uns selber entscheiden, wieweit wir aus diesen Zusammenhängen aussteigen wollen, im Bewusstsein, damit den Widersprüchen nicht zur Gänze zu entkommen, aber die implizite Schambelastung ein Stück zu verkleinern.  

Wir können vielleicht als Einzelne eine klimaneutrale Lebensweise verwirklichen, indem wir auf Auto- und Flugreisen verzichten und unsere Lebensmittel weitgehend selber produzieren, unsere Kleidung selber herstellen usw. Allerdings befinden wir uns dann in einer privilegierten Position, denn nur wenige könnten sich eine derartige Form der autarken Subsistenzwirtschaft leisten. Nicht einmal in unseren Breiten stünde genug fruchtbares Land zur Verfügung, dass alle auf derartigem Niveau ihren Lebensunterhalt sichern könnten. 

Sobald wir irgendwo einkaufen, wirken wir schon mit am exzessiven Ressourcenverbrauch der globalisierten Wirtschaft. Beinahe jede Form von Konsum, außer vielleicht der Einkauf beim benachbarten Bauern, ist belastet von energieintensiver Herstellung, Verbrauch von knappen Rohstoffen und Transportaufwand. Wenn dazu noch unsoziale Arbeitsbedingungen in weniger entwickelten Ländern kommen oder Materialen verwendet werden, die mit umweltverschmutzenden Methoden gewonnen werden, sind wir mitbeteiligt an der Klimakrise. 

Das Leben mit Ambivalenzen

Mit Ambivalenzen leben, Widersprüche aushalten, ohne sie wegzukürzen oder schönzureden, gibt eine besondere Kraft, die gerade angesichts einer sich mehr und mehr verbreiteten Hilflosigkeit und Ignoranz notwendig ist. Das andere ist, dass wir diese Kraft dafür brauchen, uns so weit als möglich zu informieren, unseren Konsum so weit wie möglich zu reduzieren und die Nachhaltigkeit in jede Konsumhandlung mit höchster Priorität versehen. Nur die Übernahme unserer persönlichen Verantwortung verhilft zur uns zu unserer Würde, zugleich folgt daraus genau das, was wir, und nur wir beitragen können, um die Überlebensfähigkeit der Menschheit zu sichern. 

Zum Weiterlesen:
Privileg Flugreisen
Pubertärer Wachstumswahn und die Klimakrise
Die Wissenschaftsskepsis und das Versagen der Klimapolitik
Realoptimismus angesichts der Klimakrise

 


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