Samstag, 3. Juni 2023

Die Schwäche der Demokratie angesichts der ökologischen Herausforderungen

Die Form der Demokratie, wie sie in den meisten westlichen Ländern praktiziert wird, ist nur sehr eingeschränkt dafür geeignet, die komplexen Herausforderungen der Klimakrise zu meistern. Diese Regierungsform „belohnt“ kurzfristig wirksame Maßnahmen, die bestimmte Wählergruppen begünstigen, enthält aber nur wenige Anreize für das Verfolgen langfristiger Strategien, die aktuell viel Geld kosten und deren Nutzen erst in fernerer Zukunft eintreten wird. Bei den nächsten Wahlen, die nach vier und fünf (in manchen Staaten in viel kürzeren Intervallen) stattfinden, honorieren die Wähler den für sie unmittelbar spürbaren Gewinn und nicht das Gefühl, dass für die nächste oder übernächste Generation etwas Gutes geschehen ist oder zumindest Schaden abgewendet wurde. Deshalb ist die politische Rhetorik voll von Ausreden und Selbsttäuschungen, vom Wecken illusionärer Hoffnungen und vom Verharmlosen der erwartbaren und der schon sichtbaren Folgen der Schädigungen der Erdatmosphäre. Kein Politiker wagt es, vom Ernst der Lage zu reden, obwohl allgemein bekannt ist, dass der Schaden nicht mehr abgewendet, sondern nur abgemildert werden kann; niemand will von künftigen Katastrophen hören oder jemanden wählen, der davon redet. Kein Politiker kann Wähler gewinnen, der die Menschen darauf vorbereitet, sich künftig mit verringerten Lebensmöglichkeiten zu begnügen. Vielmehr wird versprochen und versprochen, was nicht eingehalten werden kann, mit der Hoffnung, dass die Leute, sobald sie gewählt haben, vergessen werden, was ihnen verheißen wurde. 

Also wird nur allgemein mittels leerer Lippenbekenntnisse der Eindruck erweckt, dass ein paar Anpassungen des Systems (ein bisschen weniger Plastikverbrauch, ein bisschen mehr E-Mobilität usw.) und die zukünftige Technologieentwicklung dafür ausreichen würden, dass unser Leben ohne jede Einschränkung weitergehen wird und der Wohlstand beständig weiter steigen wird. Die Politiker täuschen sich selbst und ihre Wähler, die ihnen ihrerseits wieder zugutehalten, dass sie getäuscht werden. Auf diese Weise sprechen sich die Politiker selbst frei von der Verantwortung, die sie als Gesetzgeber hätten, langfristig für das zukünftige Wohl der Staatsbürger zu sorgen. Die Leute freuen sich über Ausreden, weil sie ihr Leben nicht ändern müssen, und die Politiker sind froh, weil sie keinen Mut für unpopuläre Maßnahmen aufbringen müssen. Beide Seiten sind insgeheim erleichtert, weil sie sich der Scham nicht stellen müssen, die mit dem Versäumen der Verantwortungsübernahme verbunden ist, sondern sich gegenseitig versichern, dass alles ja nicht so schlimm ist und auch nicht so bald schlimmer werden wird, dass es also keinen Grund für Schamgefühle gibt.

Das Ausspielen von Problembereichen

Viel Energie wird in den politischen Debatten damit vergeudet, Problemzonen gegeneinander auszuspielen. Es sind Kurzsichtigkeiten, die Formen der Schamabwehr darstellen: Armut gegen Klimaschutz (wir müssen zuerst die Armut bekämpfen, dann können wir uns um das Klima kümmern), Wirtschaftswachstum gegen Klimaschutz, Flüchtlingspolitik gegen Klimaschutz, Friedensstiftung gegen Klimaschutz etc. Je nach parteipolitischer Präferenz wird das eine oder das andere Thema benutzt, um die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zurück zu reihen. Wir verstehen schon längst, dass die Klimaveränderung vor allem die sozial Schwächeren treffen wird, dass die Verknappung von Ressourcen zu Kriegen führen wird, dass das Wirtschaftswachstum die Klimafrage verschärft und dass Klimanotstände Flüchtlingsströme auslösen werden. Alles ist miteinander verflochten, und die Schädigungen, die wir den Systemen der Natur zufügen, stehen im Zentrum. Denn alle anderen Bereiche sind betroffen, wenn wir ihnen die Lebensgrundlagen entziehen.

Erst das Annehmen der Scham ermöglicht die Einsicht, dass alle Themen untereinander zusammenhängen. Jeder der politischen Krisenbereiche ist mit Schaminhalten verknüpft, und ohne diese emotionalen Gewichte anzusprechen und öffentlich zu machen, wird es in keinem der Themen zu nachhaltigen Lösungen kommen. Andererseits hat die Klimathematik den Rang einer Metakrise, die alle anderen Politikbereiche verschärft – oder, wenn es dort zu zielführenden Maßnahmen käme – erleichtert. Die Konzentration aller Kräfte auf die Schadensbegrenzung durch die Erderwärmung würde alle anderen Konfliktfelder entlasten. 

Die unentbehrliche Demokratie

Doch bei aller Mangelhaftigkeit der Demokratie in Hinblick auf die Problematik der Klimaveränderung und vieler anderer ökologischer Problemzonen verfügen wir über keine bessere Regierungsform. Manche, die eine Ökodiktatur fordern, übersehen, dass Diktaturen zu Korruption und zum Machtmissbrauch neigen und dass es im Belieben der jeweiligen Diktatoren liegt, ob sie sich für die Natur einsetzen oder nicht. Es gibt immer wieder Beispiele von Politikern, die mit liberalen Ideen angetreten sind und dann, sobald sie an der Macht waren, nur mehr illiberale Gesetze erlassen haben. Ähnlich könnten Leute, die mit ökologischen Sprüchen die Macht erringen, diese dann mit gegenteiligen Maßnahmen absichern. Statt nach „starken Männern“ zu rufen, sollten wir danach trachten, die Demokratie mit Instanzen, die für die Nachhaltigkeit zuständig sind, zukunftsfit zu machen.

Dazu gehören demokratisch besetzte Einrichtungen, die alle gesetzlichen Initiativen in Bezug auf die Auswirkungen zur Erderwärmung bewerten und z.B. Ausgleichsmaßnahmen einfordern, wenn bestimmte Gesetzesvorhaben zu einer negativen Klimabilanz führen. Das  Ziel müsste sein, dass der Überverbrauch von Ressourcen eingedämmt wird und nur mehr Maßnahmen eingeführt werden dürfen, die klimaneutral sind. Die Kreislaufwirtschaft, die unser Überleben als Menschheit auf diesem Planeten sichern könnte, kann nur demokratisch eingeführt und kontrolliert werden. 

Demokratie der Nachhaltigkeit

Es ist für eine Änderung der demokratischen Strukturen im Sinn einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik notwendig, dass mehr und mehr Menschen erkennen, wie zentral und fundamental die Bedrohung der Lebensbasis durch die Schädigungen der Umwelt und der Erdatmosphäre ist. Es muss das Problembewusstsein in der Bevölkerung steigen, bis eine genügend große Mehrheit das Bewältigen der ökologischen Probleme als Priorität erkannt hat, bis sehr vielen klar geworden ist, dass hier die Schlüsselstelle liegt, um die sich alles dreht und an der angesetzt werden muss. Dafür brauchen wir eine solide und breit aufgestellte Bildung, vernunftgeleitete Diskurse und viel kritische Aufklärungsarbeit, ein Durchbrechen verschiedener Ideologien und Verschwörungsmythen, ein Überwinden der Wissenschaftsskepsis und –feindlichkeit und ein Ernstnehmen der sichtbaren Folgen der Erderwärmung, die wir überall auf der Welt beobachten können. Wir brauchen auch den Mut, uns den Herausforderungen zu stellen und mit Gewohnheiten zu brechen und unsere Lebensweise den Umständen anzupassen. Diesen Mut gewinnen wir, wenn wir uns den unangenehmen Scham- und Schmerzgefühlen stellen, individuell und kollektiv. 

Zum Weiterlesen:

Klimakrise und kollektive Scham
Pubertärer Wachstumswahn und die Klimakrise
Die Wissenschaftsskepsis und das Versagen der Klimapolitik
Realoptimismus angesichts der Klimakrise


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