Ein weiteres Beispiel: Tomi Lahren, eine konservative Politexpertin, sprach auf Fox News über ihre Gedanken zur Immigration: „Man kommt nicht einfach in dieses Land mit geringen Fähigkeiten, geringer Bildung, versteht die Sprache nicht, und will nur deshalb in unser Land, weil jemand sagt, dass das ein nettes Gefühl macht. Das ist es nicht, worauf dieses Land gegründet ist.“
Was sind die historischen Fakten? Frau Lahrens Urgroßmutter lebte 41 Jahre in den Staaten und sprach noch immer deutsch, ihre zweite Urgroßmutter war 10 Jahre hier und konnte kein Englisch.
Mendelsohns erstes Forschungsobjekt war Steve King, ein Kongressabgeordneter aus Iowa, der 2017 sagte: „Man kann eine Kultur nicht mit den Babys von anderen aufbauen.“ Kings Großmutter war 1894 als Vierjährige mit zwei Geschwistern in Ellis Island angekommen.
Dan Scavino, der Social-Media-Direktor im Weißen Haus brachte 2018 seine Einwände gegen die Kettenmigration vor: Familien, die in kleinen Gruppen über die Zeit in ein Land einwandern. Was stellte sich heraus? 1904 war der Bruder seines Urgroßvaters nach Amerika kommen, als erste von einige Scavinos, die dann auf ähnliche Weise aus Italien einwanderten, also eine typische Kettenmigration.
Transgenerationale Heuchelei
An vielen Beispielen konnte Mendelsohn belegen, dass die Hauptargumente, die von den Kritikern der Einwanderung jeweils vorgebracht werden, genau jene sind, unter denen die eigenen Vorfahren zu leiden hatten. Es handelt sich um eine transgenerationale Heuchelei, aus völliger Unbewusstheit über die eigene Geschichte und Genealogie sowie über den Hintergrund des eigenen Ausländerhasses. Es ist niemand für das Schicksal seiner Ahnen verantwortlich und es geht auch nicht darum, Menschen wegen ihrer Familiengeschichte zu bewerten. Im Gegenteil, die Kenntnis der Geschichte relativiert die gegenwärtige Sichtweise und stellt sie in einen erweiterten Kontext, der mit persönlicher Betroffenheit für alle, die aus dieser Geschichte hervorgehen, verbunden ist.
Die Würdigung der eigenen Familiengeschichte könnte zum Verständnis des oft schweren Loses derer, die ein neues Heimatland suchen, beitragen und die gegenwirkende ausländerfeindliche Haltung abschwächen. Derartige Einstellungen wirken sofort unglaubwürdig und zynisch, sobald ihr Hintergrund ans Licht kommt. Die Heuchelei wird offensichtlich mit der Einsicht, dass die eigenen Vorfahren nicht aus Jux und Tollerei, sondern aus zwingenden Gründen auswandern mussten, aber auf eine tolerantere Gesellschaft gestoßen sind als jene, für die die Nachfahren jetzt lautstark eintreten.
Ängste vor Knappheit
Dieser häufig zu beobachtende Reflex beruht auf tiefsitzenden Ängsten, die transgenerational weitergegeben werden. Die ganze Ausländerdebatte wird von Knappheitsgedanken bestimmt: Es ist zu wenig da, und wenn noch mehr kommen, bleibt für jeden noch weniger. Dieses Denken ist Teil des Überlebensprogramms, das unter bedrohlich kargen Umständen entsteht, z.B. bei Menschen, die aus Hunger-, Kriegs- und Armutsgebieten auswandern, um irgendwo ein besseres Leben zu finden. Sie bringen dieses Knappheitsdenken mit und stoßen auf das Knappheitsdenken der Leute im Ankunftsland, die es gerade geschafft haben und die befürchten, dass sie wieder verlieren, was sie gewonnen haben. Die größte Bedrohung geht von denen aus, die jetzt in der gleichen Lage sind, wie man selbst oder die eigenen Vorfahren früher. Deshalb sind die radikalsten Zuwanderungsfeinde häufig die, deren Familie unlängst selber die Zuwanderung gelungen ist.
Das Knappheitskonzept hat das Konkurrenzgefühl zur Folge und damit den Neid auf jene, die mehr haben oder denen es besser geht. Wo Güter oder Lebenschancen scheinbar oder wirklich knapp sind, ist jedes Quäntchen, das der Nachbar mehr hat als man selber, Anlass für Ängste, selber zu kurz zu kommen. Daraus bildet sich dann die Wut auf alles, was da noch an Konkurrenz dazukommt, also auf alle, die neu auf der Bildfläche aufscheinen und das Ausmaß an Ressourcen noch knapper erscheinen lässt.
Die Weitergabe der Beschämung
Dieser Zusammenhang wird durch die transgenerationale Beschämung verschärft, ein psychischer Mechanismus, der im Unterbewusstsein entsteht und weiterwirkt und sich bei denen, die sich etablieren konnten, meistens ins Gegenteil verkehrt: Aus Scham wird anmaßender Stolz. Jeder Zuwanderer ist mit einer Beschämung konfrontiert, die auftritt, wenn man in einem Land Schutz sucht, aber die Sprache nicht spricht, die Kultur nicht kennt, die erforderlichen Kompetenzen nicht hat und als armer und rechtloser Bittsteller auftreten muss. Heutigen Immigranten soll dieses Los erspart bleiben, indem sie gleich gar nicht ins Land gelassen werden und mit ihrem Elend bleiben sollen, wo sie sind. Stolz, es selber geschafft zu haben und auf der sicheren Seite zu sein, die erforderliche Sprache zu sprechen und die Überlegenheit des Eingesessenen zu genießen, kann man sich schnell als Beschützer dieser Errungenschaften aufspielen. Aus der ehemaligen Schwäche wird eine Position der überlegenen Macht gesucht, die sich weit über das Schicksal anderer Menschen stellen kann und auf die Unterlegenen mit Verachtung herabschaut.
Wer als Zuzügler in ein fremdes Land kommt, erlebt auf Schritt und Tritt die Beschämung durch das Nicht-Dazugehören und die damit verbundene Infragestellung der eigenen Identität. Die meisten strengen sich deshalb besonders an, sich diese Zugehörigkeit zu erarbeiten und zu verdienen und dadurch vom Zustand der Beschämung in den des Stolzes zu gelangen. Diese Kräfte wirken als Wachstumsmotor für alle Zuwanderungsländer und sind eines der Geheimnisse für den Wohlstand und die Erfolgsdynamik der USA. Es geht dabei nicht nur um die Wirtschaft, die durch die fleißigen Hände der Zuwanderer angekurbelt wird, sondern auch um die Kultur, in die neue Impulse und Ideen einfließen, was wiederum auf die Wirtschaft im Sinn von Innovationen zurückwirkt.
Wer auf dem Klavier der Emotionen Politik gegen die Immigration macht, sichert sich kurzfristig den Applaus aller Ängstlichen und schadet langfristig dem Land, das er oder sie scheinbar verbessern möchte.
Quellenverweis: Bericht über Jennifer Mendelsohn auf CNN
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