Nur meine Wahrheit heilt
Die meisten monotheistischen Offenbarungsreligionen beruhen auf der die Annahme, dass ihre eigene Heilsbotschaft die einzig richtige sei: Es gibt nur einen Gott, und dieser Gott hat uns seine Wahrheit exklusiv übermittelt, bei den Juden über viele Quellen, bei den Christen über den Sohn Gottes, und im Islam durch einen einzigen auserwählten Propheten. Die Wahrheit und Gewissheit der Glaubensbotschaft, an der die gesamte Sinnstiftung und Deutungsmacht der Religion hängt, ist durch die Exklusivität begründet: Wir, nur wir haben aus erster Quelle erfahren, worum es geht und wie es geht.
Da die Botschaft so eindeutig ist und so direkt übertragen wurde, muss sie allen Menschen zugänglich gemacht werden. Schließlich will ja diese Botschaft dafür sorgen, dass alle Probleme und Sorgen, an denen die Menschen leiden, geheilt werden. Die gute Nachricht (das Evangelium) muss allen zugänglich gemacht werden und alle sollen davon überzeugt werden: Dein alter Glaube ist falsch, nur der neue Glaube gilt, und er gilt, weil das nicht nur irgend eine menschliche, sondern die höchste Instanz selber sagt.
Die Exklusivität und die Gewalt
Wenn du allerdings nicht glaubst, obwohl du weißt, dass du auf Grund der erdrückenden Beweislast und Evidenz glauben müsstest, bist du selber schuld, und bist zugleich eine potenzielle Gefahr, mit deinem vorsätzlichen Unglauben die Glaubenden von ihrem Weg abzubringen. Gefahren müssen bekämpft werden, und schon hat sich die Heilsbotschaft in eine Zerstörungsbotschaft verwandelt. Die Geschichte beginnt sich mit Ketzer- und Atheistenverfolgungen zu füllen, und der Offenbarungsglaube hüllt sich in einen blutdurchtränkten Mantel, bis von der Heilsgeschichte nichts mehr sichtbar ist.
Das Judentum ist dieser Falle entgangen, weil es auf einer zweifachen Exklusivität beruht: die exklusive Offenbarung ergeht an einen exklusiven Empfängerkreis, an die Angehörigen des jüdischen Volkes. Deshalb können die Juden nicht missionarisch werden, sie geben ihren Glauben nur intern, im Rahmen der jüdischen Abstammungsgemeinschaft, weiter.
Im Christentum hat der Apostel Paulus (der ja Jesus selber persönlich nicht kennengelernt hat) den entscheidenden Schritt vollzogen, den Adressatenkreis für die Botschaft des Juden Jesu auf Nichtjuden auszuweiten. Damit wurde jedes Menschenwesen Teil der Zielgruppe für die Botschaft, und mit Hilfe dieser Dynamik konnte das Christentum und in ähnlicher Weise der Islam zu einer Weltreligion werden. Jeder sollte an der exklusiven Erkenntnis teilhaben können.
Der historische Preis war hoch: Einerseits säumen Leichenberge den Expansionskurs der Offenbarungsreligionen, andererseits gehen sie langfristig an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde. Eine Frohbotschaft, die sich dermaßen mit der grausamen Vernichtung von Menschenleben besudelt hat, hat alles Fröhliche und Befreiende eingebüßt und ihre Glaubwürdigkeit verloren. Mühsam versucht sie sich zu retten, indem sie darauf hinweist, dass das Böse, das in ihrem Namen geschehen ist, durch böse Menschen verursacht wurde und nicht durch die gute Botschaft, aber wer soll solchen Ausreden noch Glauben schenken angesichts der Blutspur, die jeder, der Augen hat, sehen kann? Wer Augen hat, der sehe, wir Ohren hat, der höre, heißt es im Evangelium, und gemeint ist die Offenbarung durch Jesus von Nazareth, doch die liegt schon 2000 Jahre zurück, und was seither augen- und ohrenfällig geworden ist, ist die brutale und massive Gewaltausübung, die durch die Ausbreitung der Religion verursacht wurde.
Die Aufklärung des Unreligiösen in der Religion
Zum allgemeinen Bewusstsein gelangten diese Widersprüche mit der Aufklärung, die aufgrund der Ausbreitung von Bildung den Zugang zu den verschiedenen Quellen der Information, über die heiligen Texte hinaus, öffnete. Die im Namen der Religion begangenen Unmenschlichkeiten wurden allgemein bekannt und brachten viele Menschen zum Nachdenken über ihren Glauben. In Europa ging zu dieser Zeit eine ganze Epochen mit innerchristlichen Kriegen zu Ende, weil mehr und mehr Leute verstanden, dass es keinen Sinn macht, wegen dieser oder jener Spielart des Glaubens sein Leben zu geben oder andere Leben zu vernichten. Nach all dem Gemetzel war die Religion als solche in Misskredit geraten, und damit die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern wurde zu einer verzichtbaren Vorliebe oder beliebigen Privatangelegenheit.
Dazu kam noch das 20. Jahrhundert, in dem überdeutlich wurde, dass der europäische Kontinent nach zwei Weltkriegen mit Millionen an Toten, die ihren Ausgang in Europa genommen hatten, die Eigenschaft „christlich“ nachhaltig verspielt hatte. Wer heute noch Europa als christlichen Kontinent bezeichnet, hat all das Unchristliche, was hier im Namen des Christentums begangen wurde, großzügig übersehen oder geflissentlich ignoriert.
Auf diese Weise hat sich in Europa die Trennung von Religion und Staat vollzogen, oder musste sich vollziehen. Das Gemeinwesen, der Rahmen der Zugehörigkeit für alle Staatsbürger, kann nicht mehr mit einer bestimmten Religion identifiziert werden, die allzu viele Personen zwar dem Staat eingegliedert sind, aber nicht einer Religion verbunden sind. Ebenso hat sich die Ethik, die Regeln des guten und sozialverträglichen Handelns, aus der Religion emanzipiert. Damit war die Religion auch im Bereich der Regelsetzung verzichtbar und verlor das Monopol auf das Begründen und Setzen und Kontrollieren von Normen.
Andere Staaten und Kulturkreise haben diese Entwicklung noch nicht oder nicht auf diese Weise durchlaufen. Sie haben noch kein Problem mit der Ineinssetzung von Staat und Religion, weil das schwache Bildungsniveau die Erkenntnis der Ungereimtheiten der Religion hintan hält. So bleiben vielen die Widersprüche zwischen Anspruch und Realität der Religion, die ihren Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch in Frage stellen, unbekannt und undurchleuchtet. In solchen Räumen kann die Religion noch ihre Deutungs- und Sinnmächtigkeit aufrechterhalten und zugleich an der Vertiefung der Widersprüche mitwirken, indem weiterhin im religiösen Dunstbereich Gewalttaten angestiftet, durchgeführt und gerechtfertigt werden.
Die Macht der Widersprüche
Damit sägt allerdings langfristig die Religion an ihrem eigenen Ast, bis er bricht. Widersprüche entfalten eine Macht, die unwiderstehlich ist, über kurz oder über lang. Denn Menschen können nicht gegen sich selbst leben, sie können sich nicht aufspalten in einen ethischen und in einen religiösen Teil, wenn sich beide widersprechen. Entweder werden sie kränker oder sie müssen eine Seite wegkürzen: Die ethische, die sagt, dass die Rechte der Menschen geachtet werden müssen, dann entsteht der religiöse Fanatiker; oder die religiöse, dann entsteht ein religiöser Skeptiker. Lieber sollte uns der letztere sein.
Solange diese Widersprüche in den islamischen Kulturkreisen unter der Decke gehalten werden können, solange also Gewalttaten im Namen der Religion verübt werden können, ohne dass die Angehörigen der Religion in ihrer Gesamtheit aufspringen und dagegen protestieren, solange müssen wir mit der Unsicherheit leben, Opfer solcher unsinniger Gewalttaten zu werden. Aber Anlass zur Hoffnung auf den längeren Atem der Menschlichkeit gibt es immer wieder, z.B. wegen der öffentlichen Demonstration britischer Imame gegen den Terroranschlag in Manchester und gegen jede Rechtfertigung des Terrorismus durch die Religion.
Zum Weiterlesen:
Der Terrorismus und unser Kopf
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