Dienstag, 31. Oktober 2017

Vom Ende der Wachstumsgesellschaft und von der Verfeinerung der Einfachheit

Wir gehen davon aus, dass unsere Wirtschaft wachsen muss, damit unser Wohlstand gesichert und gesteigert werden kann. Das entspricht unserer Lebenserfahrung, die von der Wohlstandsepoche seit dem 2. Weltkrieg geprägt ist. Was wir dabei weniger bedenken, ist die historische Tatsache, dass die wachstumsorientierte Ökonomie ein relativ kurzzeitiges und bisher einzigartiges Modell in der langen Menschheitsgeschichte darstellt. Mit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert haben sich zunächst die westeuropäischen Gesellschaften aus der agrarischen Subsistenzwirtschaft, die über 10 000 Jahre Bestand hatte, herausbewegt. Manchmal wird dieses Ausbrechen aus einer über lange Zeiträume bewährten Wirtschaftsform mit dem Take-Off eines Flugzeuges verglichen, allerdings startet hier ein Flugzeug, das nie wieder zur Ausgangsbasis zurückkehren kann.

Frühere Wirtschaftsweisen haben sich beständig am Rand des Mangels bewegt, periodisch auftretender Hunger und kurze Lebenserwartung waren Teil dieses zyklischen Wirtschaftens. Das Überleben der Menschheit konnte in diesem Rahmen gesichert und einer dünnen Oberschicht ein Luxusleben gewährt werden. Kam es zu Krisen, wie z.B. durch Kriege, Schlechtwetter oder Epidemien, wurde es auch für die Oberschicht eng. Mit solchen Krisen regulierte sich das System wieder zurück auf ein niedriges Niveau, das sich langsam bis zur nächsten Krise steigerte.

Das Abheben der Wirtschaft aus den Zyklen der Subsistenz hat zu unvorstellbaren Veränderungen im Leben vieler, wenn nicht aller Menschen geführt. Aus weiten Bereichen der Welt sind Hunger und tödliche Epidemien verschwunden, und große Teile der Gesellschaft in den hochindustrialisierten Ländern führen einen Lebensstil, der in seinen Möglichkeiten bei weitem den des Hochadels in vormoderner Zeit übertrifft. Wir haben uns eine behagliche Lebensform erschaffen, die weitgehend frei von elementaren Risiken ist, ein gewisses Maß an sozialem Ausgleich zulässt und sich die Bildung für alle auf die Fahnen geschrieben hat. Wir haben es im Winter warm und im Sommer kühl. Wir können nahezu jeden Punkt auf der Erde besuchen, wenn wir darauf Lust haben. Wir verfügen über elektronische Geräte, die uns an allen Informationen teilhaben lassen, die uns interessieren. Wir erarbeiten uns diesen Wohlstand mit wesentlich weniger körperlicher Anstrengung als die vormodernen Bauern und Handwerker aufbringen mussten, um ihr Überleben zu sichern.

Deshalb haben wir Wachstum und Fortschritt als positive Qualitäten unserer Gesellschaft verinnerlicht. Es ist Teil unserer scheinbar unverzichtbaren Normalitätsvorstellungen: Wir fühlen uns sicher und vertrauen der Zukunft, wenn wir immer mehr und mehr Güter und Finanzen anhäufen können. Naiverweise halten wir es für normal, dass das materielle Wachstum weitergeht, ins Unendliche. 

Wenn wir uns jedoch ernsthaft mit der Nachhaltigkeitsdebatte auseinandersetzen, die uns seit dem Bewusstmachen der Grenzen des Wachstums beschäftigt und durch die Signale des Klimawandels drängend geworden ist, können wir die Vorstellung eines unendlichen Wachstums schwerlich aufrecht erhalten. Obwohl die meisten Politiker und auch nichtpolitischen Zeitgenossen trotz eines peripheren Problembewusstsein jegliche Auswirkung auf ihre Entscheidungen und Verhaltensweisen vermeiden, muss der Zeitpunkt kommen, an dem die Idee des Wachstums verabschiedet werden wird. Denn die stetig wachsende Wirtschaft hat die Probleme wegen des ständig wachsenden Ressourcenverbrauches erzeugt und sich damit sukzessive die eigene Grundlage abgegraben. 

Wir sind an dem Punkt angelangt, von dem aus das notwendige Ende des Wachstums unübersehbar am Horizont erscheint, ohne dass es uns schon an den Kragen geht. Wir verhalten uns so, dass wir zum Horizont schauen und sagen: „Ja schlimm, das schaut gar nicht gut aus.“ Und dann wenden wir uns wieder unseren Geschäften und Konsumgewohnheiten zu und verdrängen dabei, wie uns diese dem gefürchteten Horizont näher bringen. Wie nahe müssen wir kommen, dass wir zumindest eines aufgeben: Die Idee, dass materielles Wachstum selbstverständlich ist und uns zusteht, gewissermaßen einklagbar von den Politikern, denen wir unsere Stimmen geben?

Einstellungsänderungen ohne Verhaltensänderungen sind leer


Diese Einstellung gilt es dringend zu ändern. Wenn wir unsere Vernunft verwenden, können wir die Schädlichkeit dieser Normalitätsannahme in Bezug auf die globalen Lebensgrundlagen erkennen und uns eines Besseren besinnen. Eine solche Einstellungsänderung genügt aber nicht, solange wir nicht unser Verhalten anpassen. 

Denn Einstellungen, also Gedankenwelten, die die Endlichkeit der Ressourcen berücksichtigen, gibt es in den Köpfen vieler Menschen, die zugleich eine Lebensweise führen, die in die gegenteilige Richtung weist. Sie sitzen im Fernstreckenflug nach ihrer Urlaubsdestination in einem weit entfernten tropischen Land und alterieren sich über die Politiker, die es zulassen, dass Menschen neben dem Hotel verhungern, in welchem sie sich am Swimming Pool entspannen wollen. Sie erkennen die Hintergründe von Wetterkapriolen und Naturkatastrophen, suchen aber die Ursachen in chinesischen Hochöfen statt im eigenen so unbedeutenden Verhalten. Erst mit der konsequenten Änderung unserer Handlungen nehmen wir unsere Verantwortung wahr und setzen die Unterschiede, mit denen wir uns von der Zone der Zerstörung in die Zone der Bewahrung bewegen.

Konkret bedeutet das zu beginnen, zumindest einmal für uns selber unseren Wohlstand zurückzufahren, indem wir auf überflüssigen und neurotischen Konsum verzichten, indem wir unsere Bedürfnisse reflektieren und unsere Notwendigkeiten neu definieren.

Es heißt nicht, dass wir uns asketischen Zwängen unterwerfen müssen, indem wir auf alle Freuden, Schönheiten und Genüsse verzichten und uns mittels Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen einschränken und kasteien. Vielmehr geht es darum, unsere durch die Konsum- und Werbewirtschaft konditionierten Gewohnheiten in Relation zu unseren genuinen inneren Bedürfnissen und zu den Perspektiven einer Welt mit endlichen und schrumpfenden Ressourcen zu setzen. Wir halten also der blinden und profitgierigen Propaganda des ungehemmten Verbrauchens, die sich tief in unsere unbewussten Motivationsmechanismen eingefressen hat, unsere Vernunft und unsere achtsame Innensicht entgegen und 
wählen diese zu den Regenten unseres Tuns.

Damit bereiten uns darauf vor, uns in einer Welt einzurichten, in der jeder genug hat, um ein gutes Leben zu leben, ohne dass der Umwelt mehr entnommen wird als in sie zurückfließt. Den Maßstab für die Güte des Lebens müssen wir dafür von außen nach innen zurückverlegen, Fremdbestimmung in Selbstbestimmung verwandeln und dabei in unserer Wertewelt materiellen Besitz und gutes Leben entkoppeln. Bescheidenheit bekommt einen neuen Geschmack: Statt dem Verzicht auf die Überfülle geht es um die Verfeinerung des Einfachen.

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