Emotionale Erpressung kommt in allen Formen von Beziehungen vor: in Liebesbeziehungen ebenso wie in Arbeitsverhältnissen, in Eltern-Kind-Beziehungen, Freundschaften usw. Auch wenn es zunächst so ausschaut, als wäre der Erpresser der Bösewicht, funktioniert emotionale Erpressung nur, wenn das Opfer mitspielt. Bei beiden Seiten sind es frühkindliche Erfahrungen, die die jeweiligen Verhaltensweisen prägen, also nur in den seltensten Fällen ist es einem Erpresser bewusst, was er macht, vielmehr nimmt er an, dass er gar keine andere Wahl hat, als Druck auszuüben. Ebenso meint das Opfer, dass es keine andere Möglichkeit hat, als dem Druck nachzugeben, um Schlimmeres zu verhindern.
Vier Typen von emotionalen Erpressern
Der Bestrafer: Er lässt sein Opfer genau wissen, was er will und mit welchen Konsequenzen es zu rechnen hat, wenn es sich nicht fügt. Er kann seine Rolle aggressiv oder still und verschlossen vor sich hin brütend ausüben, doch ist die Wut, wenn die eigenen Forderungen nicht erfüllt werden, direkt auf das Opfer gerichtet.
Der Selbstbestrafer: Er richtet seine Drohungen gegen sich selbst und malt seinem Opfer aus, was er sich alles antun wird, wenn er nicht bekommt, was er will.
Der Leidende: Er besitzt ein Talent für Schuldzuweisungen und für das Erzeugen von Schuldgefühlen. Er verlangt von seinem Opfer, dass es herausfindet, was er will. Er geht davon aus, dass immer der andere dafür sorgen muss, dass die eigenen Wünsche erfüllt werden.
Der Verführer: Er stellt seinen Beziehungspartner vor Tests und verspricht ihm etwas Wunderbares, wenn er die Aufgaben besteht.
Allen Typen gemeinsam ist die Vorgangsweise, bei der Durchsetzung eigener Bedürfnisse mit Konditionalsätzen zu arbeiten: Wenn du A nicht tust, wird B passieren. Oder: Nur wenn du A tust, wird C passieren. Mit Bedingungen wird der Handlungsspielraum der anderen Person eingeengt, sie hat nur die Möglichkeit, zuzustimmen oder abzulehnen.
Sechs typische Phasen der emotionalen Erpressung
1. Forderung
Ein Beziehungspartner äußert einen Wunsch, von dem er nicht abweicht und dessen Erfüllung er unbedingt erreichen will. Damit wird der Wunsch zu einer Forderung. Meistens wird der Wunsch so dargestellt, dass er auch dem Beziehungspartner entgegenkommt und für die Beziehung unabdingbar ist.
2. Widerstand
Der andere Beziehungspartner reagiert mit Widerstand, weil er sich überrumpelt, übergangen oder missachtet fühlt.
3. Druck
Der erpressende Beziehungspartner erhöht den Druck, indem er z.B. immer wieder mit dem Thema anfängt und darauf insistiert, dass der eigene Wunsch erfüllt werden muss. Es kann zu Abwertungen kommen wie: „Was bist du für ein egoistischer Partner“. Unbewusst wird gehofft, dass damit im Partner Schuldgefühle erweckt werden können, die diesen zur Erfüllung der eigenen Forderung motivieren. Eine weitere Strategie besteht darin, den Partner mit anderen Personen zu vergleichen, die so agieren, wie es der Erpresser von seinem Opfer verlangt, oder die die gleichen Werte und Ziele wie der Erpresser vertreten.
4. Drohungen
Wenn der Widerstand im Sinn des Nicht-Eingehens auf die Forderung weiter besteht, werden Konsequenzen angedroht. Drastisch wird ausgemalt, was passieren könnte, wenn der Wunsch, der zur Forderung geworden ist, nicht erfüllt wird.
5. Unterwerfung
Manche Partner reagieren dann mit Nachgeben, bleiben aber dann in einem häufig unbewussten Ressentiment. Sie nehmen ihre Willenskraft zurück, um Frieden in der Partnerschaft zu haben. Allerdings ist dieser brüchig.
6. Wiederholung
Nach dem Erfolg gibt der erpressende Beziehungspartner Ruhe, und der andere freut sich über die Harmonie, obwohl ein unterschwellig ungutes Gefühl bleibt. Der Erpresser hat gesehen, wie er seine Ziele durchsetzen kann. Sein Partner hat verstanden, wie das Muster aus Forderung, Druck und Drohung schnell beendet werden kann: Durch Unterwerfung und Aufgeben. Damit ist der Wiederholung Tür und Tor geöffnet.
Die emotionale Atmosphäre
Jeder Mensch kennt die emotionalen Zustände von Angst, Verpflichtung und Schuld. Wir haben die unterschiedlichsten Ängste, die aber im Kern mit Beziehungen zu tun haben, weil wir als kleine Kinder von Beziehungen abhängig waren und Ängste entwickelt haben, die uns davor warnen sollten, dass wir diese Beziehungen aufs Spiel setzen. Daraus entwickelt sich später das Pflichtbewusstsein, das seine konstruktiven Seiten hat, weil wir für die Menschen in unserer Umgebung Verantwortung übernehmen müssen. Schuldgefühle erinnern uns an Fehler, die uns unterlaufen sind, an Situationen, die wir gerne rückgängig machen würden.
Im Allgemeinen können wir mit diesen Gefühlen gut umgehen, doch im Fall der emotionalen Erpressung werden diese Gefühle in den Dienst des Beziehungsstreites gestellt. Forward schreibt: „Erpresser drehen die Lautstärke hoch, dröhnen ihr Opfer so zu, dass es wider besseren Wissens fast zu allem bereit ist, um diese Gefühle wieder auf ein normales Maß zurückzuschrauben, so unwohl fühlt es sich. Ihr Nebel aus Angst, Pflicht- und Schuldgefühlen löst Reaktionen aus, die fast so automatisch sind wie das Zuhalten der Ohren mit den Händen, sobald eine Sirene kreischt. Das Opfer hat wenig Gelegenheit nachzudenken und vermag nur zu reagieren – darin liegt der Schlüssel wirkungsvoller emotionaler Erpressung. Wenn Erpresser ihr Opfer unter Druck setzen, dann ist zwischen dem Auftreten des Gefühls von Unbehagen und dem Erleichterung schaffenden Handeln praktisch keine Pause.
Auch wenn es sich nur so anhört, als handle es sich um einen gut durchdachten Prozess, schaffen die meisten Erpresser den Nebel aus Angst, Pflicht- und Schuldgefühlen doch, ohne dass es ihnen selbst bewusst wird.“ (S. 58)
Anmerkung: Im englischen Original ergeben die Anfangsbuchstaben von fear, obligation und guilt das Wort „fog“.
Wie Erpresser mit Ängsten arbeiten:
Tu die Dinge so, wie ich es will, und ich werde dich nicht verlassen, dich nicht abwerten, dich nicht anschreien, usw. (S. 59)
Sätze, die das Pflichtgefühl ansprechen:
• Eine gute Tochter sollte Zeit mit ihrer Mutter verbringen.
• Ich arbeite Tag und Nacht für diese Familie, und das Geringste, was ich von dir erwarten kann, ist, dass du da bist, wenn ich nach Hause komme.
• Ehre deinen Vater (und gehorche!).
• Der Chef hat immer Recht. (S. 66)
Ein Beispiel für die Schuldgefühl-Dynamik:
1. Ich teile einer Freundin mit, dass ich heute Abend nicht mit ihr ins Kino gehen kann.
2. Sie regt sich auf.
3. Ich fühle mich schrecklich und bin davon überzeugt, dass es meine Schuld ist, dass sie sich aufregt. Ich fühle mich als schlechter Mensch.
4. Ich sage meine anderen Verabredungen ab, damit wir zusammen ins Kino gehen können. Sie fühlt sich besser, und ich fühle mich besser, weil sie sich besser fühlt. (S. 72)
Emotionale Erpressung beenden
Das Erpressungsopfer muss in sich den Nebel aus Angst, Verpflichtung und Schuld auflösen. Im Lauf der Kindheit sind diese Gefühlsmuster als Überlebensstrategien entstanden; im Erwachsenenalter führen sie in die Erpressungsfalle. Wenn an die Stelle der Ängste die Kraft der Selbstbehauptung tritt, wenn Pflichtbewusstsein durch Verantwortung und Schuldgefühle durch Selbstannahme ersetzt werden, wenn also der erwachsene Realitätssinn die Oberhand über die Gefühlsmuster aus der Kindheit gewinnt, hat der Erpresser keine Chance mehr. Entweder gibt er seine Strategie auf oder das Opfer beendet die Beziehung.
Literatur: Susan Forward, Donna Frazier: Emotionale Erpressung. Wenn andere mit Gefühlen drohen. München: Goldmann Verlag 2000
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