Sonntag, 14. Mai 2017

Sorgen und Planen

Das planende Denken ist eines der wichtigsten Asse, das das Überleben der Gattung Mensch ermöglicht hat. Die Vorwegnahme der Zukunft in der Fantasie ist eine Gabe, die uns erlaubt, langfristige Projekte und komplexere, zeitaufwändige Aufgaben auszuführen. Wir haben die Fähigkeit, mit unserer Vorstellungskraft Bilder von etwas in uns zu erschaffen, das es noch nicht in der Wirklichkeit gibt. Dazu liefert uns das Denken die Informationen über die Schritte, die nötig sind, um das Vorgestellte zur Wirklichkeit machen zu können, sowie über die Ressourcen, die wir für die praktische Umsetzung benötigen.

Ohne Planung können wir unser Wollen nicht zum Leben erwecken, sondern bleiben bei unseren Kopfgeburten stecken. Wir spinnen uns alle möglichen Ideen aus, wie unser Leben besser oder interessanter sein könnte, brauchen aber einen Plan, wenn wir es wirklich besser oder interessanter machen wollen. Das Planen der Zukunft ist also eine Funktion des Wollens, das das Ziel und die Richtung vorgibt.

Planung braucht Flexibilität. Da wir keine Kontrolle und kein zureichendes Wissen über die Zukunft haben, kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Wir bekommen ein elektronisches Teil nicht, das wir für die Maschine brauchen, die wir uns bauen wollen. Eine wichtige Persönlichkeit für eine Veranstaltung sagt uns ab. Wir erkranken und können die Gartenarbeit, die schon dringend getan werden sollte, nicht erledigen. Wir müssen unsere Pläne umkrempeln und an die veränderten Gegebenheiten anpassen. Die Planung ist immer Mittel zum Zweck, und es macht keinen Sinn, an ihr festzuhalten, wenn die Umstände nicht mehr stimmen. Flexibilität heißt, dass die Pläne immer wieder an die Umstände angepasst werden.

Das Planen ist ein anderer Vorgang, mit der Zukunft umzugehen als das Sorgen. Wir planen, weil wir ein Ziel erreichen wollen. Wir sorgen uns, weil wir glauben, dass sich die Zukunft nicht zu unserem Vorteil oder Gefallen entwickeln wird. Das Wollen ist frei von Angst, während Sorgen von Ängsten angetrieben sind. Mit ihrer Hilfe vermeinen wir, die Zukunft beherrschen zu können. Beim Planen gehen wir Schritt für Schritt in die Zukunft hinein und achten auf die Widerstände, die auftauchen und suchen kreativ nach Wegen, um sie zu überwinden. Es können sich zwar Sorgen in das planvolle Manifestieren einmischen, wenn wir z.B. befürchten, dass wir nicht genügend Geld auftreiben können, um ein Projekt zu verwirklichen. Aber sie kommen aus einer anderen Quelle als das vom Wollen eingesetzte Planen.

Wir können uns auch die Quelle der Sorge zunutze machen, indem wir die Angst ausfindig machen, die uns am Verwirklichen unseres Zieles hindern will. Sobald wir wissen, was uns da blockieren möchte, können wir uns überlegen, was uns wichtiger ist: Das Ziel, das wir wollen, weiter zu verfolgen und gegebenenfalls unsere Pläne anzupassen oder der Sorge das Feld überlassen und das Ziel aufzugeben.

Die Besorgnis möchte die Zukunft beherrschen, während sie in Wirklichkeit von ihr beherrscht wird. Das Planen spielt mit der Zukunft, indem es darauf reagiert, was sich Neues und Unvorhergesehenes zeigt. Im Planen sind wir uns bewusst, dass uns die Zukunft immer wieder mit neuen Facetten überraschen kann und dass wir flexibel bleiben müssen, während die Sorge die Zukunft vor allem als Hindernis und Bedrohung sieht.
In der planenden Einstellung gestehen wir der Zukunft die Freiheit zu, uns anzubieten, was immer gerade ist und sein soll.


Wir verfügen über zwei grundverschiedene Modi, um mit unserer Fähigkeit, die Zukunft imaginieren zu können, umzugehen. Und wir haben auch die Fähigkeit, zu erkennen, welcher Modus gerade aktiv ist und wie wir vom einen zum anderen wechseln können. Im einen Fall lassen wir die Zukunft offen und verzichten auf Kontrolle. Wir wollen auf sie Einfluss nehmen, wissen aber, dass das nur in permanenter Interaktion mit der Wirklichkeit, die sich in der Zukunft zeigen wird, möglich ist. Wir stützen uns auf das Vertrauen, dass wir immer wieder Möglichkeiten finden, unsere gestalterischen Impulse einzubringen.


Die Vorsorge


Eine Zwischenstellung zwischen dem planenden und dem besorgten Umgang mit der Wirklichkeit nimmt die Vorsorge ein. Wir wollen dafür sorgen, dass wir auch in der Zukunft über genügend Ressourcen verfügen, um mit den Herausforderungen zurechtzukommen, die sich später einmal stellen können oder könnten. Die Bauern in vorindustrieller Zeit mussten durch die Lagerung der Ernte im Sommer dafür vorsorgen, dass auch im Winter noch Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Wir sorgen z.B. für unser Alter vor, wenn wir weniger leistungsfähig sein werden, indem wir eine Pension ansparen. Wer ein Elektroauto betreibt, sorgt vor, indem er eine Reise so plant, dass die nächste Aufladestation erreicht wird, bevor der Akku leer ist.

Die Vorsorge benötigt also Planung, und sie greift auf Erfahrungen zurück, die sich auf verlässliche Aspekte der Wirklichkeit stützen. Aus Erfahrung wissen wir, dass auf den Sommer der Winter folgt, in dem die Nahrungsmittel knapp werden, und aus den Erfahrungen anderer wissen wir, dass wir im Alter mehr Erholung und Regeneration brauchen und daher weniger leicht Geld verdienen können.

Die Vorsorge stützt sich also auf hochwahrscheinliche Verläufe in der Zukunft. Wir wissen zwar nicht genau, wie sich unser Alterungsprozess auswirken wird, wir wissen aber mit hoher Sicherheit, dass wir altern werden. Die Vorsorge weiß also um die Endlichkeit und Beschränktheit unserer Möglichkeiten, unserer Ressourcen und Fähigkeiten. Während wir in der kreativen Zukunftsplanung neue Räume öffnen wollen, ohne uns von bestehenden Grenzen aufhalten zu lassen, geht es uns beim Vorsorgen darum, die bestehenden Räume in ihrer Begrenztheit zu sichern. Wir wollen die Basis erhalten, auf deren Grundlage die kreative Lebensgestaltung möglich ist, wie z.B. in der Gesundheitsvorsorge. Wir sorgen dafür, dass unser Körper und unser Geist gesund bleiben, damit wir weiterhin unsere Ideen in die Wirklichkeit bringen können.

Doch auch im Vorsorgen kann uns bewusst sein, dass unsere Kontrolle über die Zukunft begrenzt ist und dass wir letztlich nichts in der Hand haben, dass wir, wenn es darauf ankommt, ausgeliefert und unterworfen sind. Denn es gibt einen größeren Zusammenhang, der uns in der Hand hat, indem das vielfältig verschlungene Netz der Zusammenhänge unser Schicksal bestimmt. Gegen die Macht und Wucht dieser übergeordneten Strukturen nimmt sich unser Sorgen, Planen und Vorsorgen nur als ganz bescheidener Versuch der Einflussnahme zum Zweck der Absicherung unseres Überlebens aus. Dennoch gibt es auch letztlich niemanden, der uns diese Aufgaben abnimmt, und wir können dabei mit Klugheit und Weitsicht vorgehen und darauf achten, dass wir uns frei von irrealen Ängsten und damit von unnötigen Sorgen halten.

Zum Weiterlesen:

Die Sorgen von übermorgen
Die großen Sorgen und die Verantwortung

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