Sonntag, 24. Januar 2016

Die Schnuller-Politik

Die österreichische Regierung hat sich auf einen „Richtwert“ für die Aufnahme von Asylanten verständigt. Seither wird gestritten, was das in der Praxis bedeuten soll, ob also der jetzt schon berühmte 37.501 Asylbeantragende von 2016 abgewiesen und seinem weiteren Schicksal überlassen wird, das vermutlich darin besteht, mit dem nächstbesten Schlepper illegal über die Grenze zu kommen.

Es steht also Popularmeinung gegen Rechtsmeinung. Da es Gesetz ist,  Asylsuchende ohne zahlenmäßige Begrenzung aufzunehmen, ist es die Popularmeinung, die dagegen spricht: Die Stimme des „Volkes“, das unter der Angst vor der Übervolkung leidet. Es gibt ja den Spruch, dass die Stimme des Volkes die Stimme Gottes ist, aber ob Gott sich in solche Angelegenheiten einmischt und einer der Seiten Recht gibt, bleibt noch abzuwarten. Dass das Volk Gott die Stimme einfach wegnimmt und an seiner Stelle, also ohne Rücksprache spricht, ist auch nicht immer heilbringend.

Außerdem ist nicht eindeutig, was die Stimme des Volkes ist und wie sie richtig gehört wird. Schließlich besteht das Volk in Österreich aus über acht Millionen Einzelstimmen, die in unterschiedlichen Stimmlagen unterschiedliche Popularmeinungen zum Ausdruck bringen. Also schlägt man die Popularzeitungen auf, die von den meisten gelesen werden, und die schreiben wohl das, was die meisten lesen wollen. Angenommen, die meisten wollen lesen, was sie sowieso denken, oder was sie denken, dass sie denken sollten, braucht man also nur zu lesen, was dort geschrieben steht, und man weiß, worin die verbreitete Meinung besteht.

Wenn also diese Volksmeinung der Meinung ist, dass das Land voll ist von Menschen, dass also niemand mehr Platz hat (außer jener, die geboren werden, denn die sind ja noch klein, und ersetzen außerdem jemanden, der gerade stirbt und groß ist, also geht sich das gut aus mit dem Platz), dann kann auch niemand mehr hereingelassen werden. 


Bei knapp 84 000 km2 Landesfläche haben die 8 Millionen Menschen jeweils 10500 Quadratmeter zur Verfügung. Kommen 37500 Asylanten dazu, verringert sich diese Fläche auf 10 454, d.h. jeder Flüchtling nimmt 0,3 Quadratmeter an Fläche weg, also ungefähr so viel, wie er braucht, um stehen zu können. Das sind also die Dimensionen, die Angst in der Bevölkerung auslösen. Eine Regierung, die die „Nöte der Menschen“ ernstnimmt, muss sich um solche Ängste kümmern und tapfer ein Machtwort sprechen: Genug ist genug.

Da die Menschen noch was Konkreteres hören wollen, und da Zahlen den Eindruck von Konkretheit besonders gut vermitteln können, wird eben eine solche verkündet, ab der es genug ist. So verspricht man, bis zu dieser Zahl die Gesetze zu erfüllen und sie dann nicht mehr zu erfüllen. Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt also nur bis zu dieser Zahl, dann verschwindet sie durch einen Zauberspruch aus den Gesetzbüchern und Rechtsnormen.

Damit kann sich die Bevölkerung beruhigen. Die Regierung hat sich um ihre Ängste gekümmert, die Bürger können wieder ruhig schlafen. Die Überrennung mit fremdländischen Menschen findet nicht statt, oder zumindest nicht in dem Maß, das Angst um den Platz auslösen muss.

Da die rechtliche Situation ungeklärt ist und da es auch zur Sicherheitslage eines Landes gehört, ob und wie sich die Regierung an die Gesetze hält, wird jetzt geprüft, ob oder wie sehr es unrechtmäßig ist, Asylsucher abzuweisen, bloß weil sie eine Nummer zu spät kommen. Es wird wohl rauskommen, dass es ziemlich unrechtmäßig ist, aber bis dahin herrscht Ruhe im Land und im Volk, und das ist ja auch schon etwas wert. Die Österreicher und Österreicherinnen regen sich zwar gerne auf, aber es sollen auch wieder andere Themen zum Zug kommen und nicht dauernd die arme Regierung wegen ihrer „Untätigkeit“ durch den Kakao gezogen werden. Schließlich will jeder, der was tut fürs Land oder meint, was zu tun, wiedergewählt werden. Und dafür sollten wir uns schon über die Schnuller freuen, die da verteilt werden. Nuckeln wir fleißig dran, und alles wird gut.


Und nicht vergessen: Es gibt die Schnuller in zwei Farb- und Geschmacksrichtungen: mehr richtlinienmäßig oder mehr obergrenzenmäßig, je nach Vorliebe.

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