Giuseppe Verdi |
Die ersten beiden Möglichkeiten erscheinen mir als Personifizierungen einer inneren Angst, die uns wegführt davon, dass wir selber Verantwortung mittragen, wie es uns mit den Taten der Wirklichkeit geht, die uns umgibt und mit der wir interagieren. Die letztere Deutung bringt uns näher zu uns selber. Wir erkennen die Angst als unsere Reaktion auf das, was von außen auf uns zukommt. Damit übernehmen wir die Verantwortung für uns selber.
Natürlich müssen wir nicht die Verantwortung für das übernehmen, was uns von außen zugefügt wird: Ein Autofahrer spritzt uns nass, wenn wir am Gehsteig stehen, weil er zu schnell in die Pfütze auf der Straße fährt – dafür ist er selber zuständig, und unser Ärger ist unsere eigene Reaktion darauf. Wenn wir uns von unserem Zorn erfangen haben, können wir vielleicht unseren Blickwinkel weiten und sehen, dass dieser Autofahrer im Stress war und selber an einem Stück Schicksal gelitten hat, was auch immer das war. Damit beruhigt sich unser Inneres und wir können wieder zur Gelassenheit zurückfinden und haben auch unser Herz ein wenig weiter geöffnet (was angeblich auch den angenehmen Nebeneffekt haben soll, dass es unserer Gesundheit zuträglich ist).
Im romantischen Drama schlägt gerne die Macht des Schicksals zu, wie eine Woge des Verderbens, die über alles drüberschwappt. In der gleichnamigen Opernhandlung („La forza del destino“) treffen zwei Männer aufeinander, die nicht voneinander wissen, dass sie verfeindet sind, werden Freunde, erkennen dann aber, wie es das „Schicksal“ will, dass sie, obwohl sie sich gegenseitig das Leben gerettet haben, eigentlich einander nach dem Tod trachten müssen. Das führt dann zum tragischen Ende im Duell. All die fast haarsträubenden Unwahrscheinlichkeiten der Geschichte finden ihre Erklärung im Begriff des Schicksals. Und dessen Macht lässt uns schauern. Denn wir wissen nie, wann und wie es uns erwischen wird.
Wenn etwas geschieht, das über alles hinausgeht, was wir noch fassen können, brauchen wir das Schicksal: Etwas, das uns geschickt wurde, ungebeten und ungefragt. Da können wir nichts dafür, da sind wir aus dem Schneider.
Das Schicksal wird als etwas gezeigt, dem die Menschen nicht entrinnen können. Dabei ist es nicht das Schicksal, das uns unausweichlich im Griff hat; es sind Ereignisse, die uns überfordern und die wir nicht verstehen können, weil sie uns ungerecht, gemein und rücksichtslos erscheinen. Warum gerade ich? Gott als Verantwortlicher für alles taugt für die meisten nicht mehr, dann muss eben ein Schicksal herhalten, um für das Unfassbare einen Verantwortlichen zu haben.
Der russische Schriftsteller Sinowjew schreibt: „Seinem Schicksal kann man nicht entkommen. Wem in die Wiege gelegt worden ist, erhängt zu werden, wird nicht ertrinken.“ Da geht es offensichtlich um den Glauben an die deterministische Macht, mit der von Anfang an bestimmt ist, was bis zum Ende passieren wird. Natürlich ist das Zitat redundant, seine Falschheit kann nie bewiesen werden, denn was in die Wiege gelegt worden ist, zeigt sich erst am Schluss. Das Leben ist jedoch keine Krimihandlung, bei der der Autor zu Beginn schon weiß, wer der Mörder ist, während dem Leser erst am Schluss die Augen aufgehen. In unserem Leben sind wir Schreiber und Leser in einem, und wir wissen nicht einmal, was als nächster Satz in unserem eigenen Roman kommen wird.
Denn es ist nicht das Schicksal, das uns unentrinnbar im Griff hat; es sind Ereignisse, die uns überfordern und die wir nicht verstehen können, weil sie uns ungerecht, gemein und rücksichtslos erscheinen. Warum gerade ich? Warum gerade jetzt? Gott als Verantwortlicher für alles taugt für die meisten nicht mehr, dann muss eben ein Schicksal herhalten, um für das Unfassbare einen Verantwortlichen zu haben.
Was wäre, wenn das Schicksal in unserer Hand liegt? Wenn wir es in die Hand nehmen, liegt es darin. Dann ist unser Leben einfach das, was wir daraus machen: Wie wir mit dem umgehen, was uns widerfährt und wie wir das gestalten, was aus uns herausdrängt. Sobald wir die Ärmel hochkrempeln und die Schäden des Sturmes oder des Hochwassers beseitigen und tun, was zu tun ist, statt darüber zu jammern, was alles zerstört wurde und verloren ist, haben wir die Macht des Schicksals gebrochen und unsere Verantwortung übernommen.
In der erweiterten Sicht der Spiritualität heißt es, dass das Schicksal immer Recht hat. Was immer passiert, soll auch so sein. Das Schicksal ist das, was die Wirklichkeit schickt, in jedem Moment, ob es uns passt oder nicht, ob es uns glücklich macht oder verzweifeln lässt. Jedes Hadern mit dem Schicksal hört auf, weil das Schicksal seine Macht verloren hat, und macht im letzten Schritt der Dankbarkeit Platz, die allem gebührt, was uns das Leben bietet. Uns dafür von Moment zu Moment zu öffnen, ist die größte Wachstumschance, die wir haben. Dann haben wir dem Schicksal jede Macht genommen, und ohne Macht gibt es kein Schicksal. Denn das Schicksal lebt von unserem Erschrecken und Erstarren, von unserer Verzweiflung und Hilflosigkeit.
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