Die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion |
In Zeiten der allgemeinen Verunsicherung haben
Verschwörungstheorien Hochsaison. Sie bieten die einfache Erklärung für das
Komplizierte und versprechen damit eine Sicherheit. Denn die bösen Akteure
hinter den furchterregenden Ereignissen werden benannt, und es entsteht die
Illusion, dass sie damit auch kaltgestellt sind.
Wer immer sich mit der Situation in Syrien und im Irak auch
nur am Rand auseinandersetzt, erkennt, dass diese Konflikte deshalb so
langwierig sind und unlösbar erscheinen, weil sie viele Akteure mit
unterschiedlichen und widersprechenden Interessen auftreten. Alle diese
Gruppierungen haben ihre Unterstützer, die ihnen Waffen und sonstige Versorgung
zukommen lassen. Sie unterscheiden sich in ihrer ethnischen, religiösen
und/oder ideologischen Ausrichtung sowie durch unterschiedliche Traditionen und
Gruppenbildungen (warlords). Teilweise bekämpfen sie sich untereinander,
teilweise haben sie Hauptgegner, teilweise kämpfen sie gegen alle, um mehr
Einfluss und Macht zu gewinnen.
Innerislamisch gehen die Konflikte auf die Frühzeit (7.
Jahrhundert) zurück, als sich Sunniten und Schiiten voneinander distanzierten.
Bis heute sind diese Konflikte weder theologisch noch realpolitisch geklärt
oder bereinigt. Dazu kommen unterschiedliche Interpretationen, wie Moslems mit
Andersgläubigen umgehen sollen und wie die Rechtslehre auszulegen sei. All dies
gibt Anlass zu Identitätsbildungen, die sich krasser voneinander unterscheiden müssen
als es für einen Außenstehenden einsichtig wäre, ähnlich wie jemand, der kein
Christ ist, schwer verstehen kann, ob Jesus Gott wesensähnlich oder
wesensgleich ist, ob in der Kommunion der Leib Christi oder nur dessen
symbolische Vertretung gereicht wird usw.
Dazu kommen die wiederum unterschiedlichen Interessen der
Nachbarländer und dazu noch jene der größeren und großen Mächte. Im Ganzen hat
diese unübersichtliche Gemengelage dazu geführt, dass ein schier unendliches
Ausmaß an Konfliktpotenzialen entstanden ist, zwischen denen die Masse der dort
lebenden Menschen, die sich keiner der vielfältigen Orientierungen zugehörig fühlen,
sondern ein Leben in Frieden leben wollen, zerrieben werden und nur überleben
können, wenn sie fliehen.
Die Vereinfacher haben für alles eine Erklärung und
identifizieren die Drahtzieher hinter all den Ereignissen. Z.B. wird behauptet,
dass der CIA (in Kombination mit dem israelischen Geheimdienst) mit seinen geheimen
Machenschaften hinter den Aufständen gegen Assad, hinter der Gründung der IS und
hinter den Anschlägen in Paris steckt, dass also Israel und die USA ihre eigene
Feinde produzieren, die sie dann bekämpfen können, damit die Waffenerzeuger ungehindert
ihre Milliarden scheffeln können und die Kriegsmaschinerie in Gang bleibt usw.
Der Fantasie ist keine Grenze gesetzt, und wenn sie mit dem
verantwortungsvollen Ernst des Wissenden verkündet wird, denken sich viele, da
muss schon was dran sein. Die Quellen für diese überlegenen Einsichten werden
nicht oder nur vage benannt: Aus Geheimdienstkreisen stamme das Wissen, so als
ob diese Personen bei den diversen Besprechungen dabei gewesen wären und jetzt
überall im Internet frei verkünden können, was sie dort gehört haben.
Was braucht es zu einer Verschwörungstheorie? Es braucht
einen ideologischen Kern: Etwas, das immer stimmt, immer schon so war und immer
so sein wird, z.B. dass es einen geheimen Kreis von Mächtigen und Reichen gibt,
die die Welt beherrschen wollen, damit sie mächtig und reich bleiben und mächtiger
und reicher werden. Das ist außer Frage gestellt. Da geheim, weiß niemand
davon, außer eben den Aufdeckern, die in diese Geheimnisse hineinschauen
können. Früher war dieser geheime Kreis das „Weltjudentum“ oder die Freimaurer,
jetzt werden manchmal die „Bilderberger“ genannt.
Um den ideologischen Kern herum werden die Fakten so
interpretiert und angeordnet, dass sie immer den Kern bestätigen. Daesch verfügt
über amerikanische Waffen, also ist es klar, dass die Amerikaner Daesch aufgebaut
haben. Da sie den sogenannten islamischen Staat jetzt bekämpfen, ist klar,
welches Spiel eigentlich gespielt wird. Die Fantasie bildet also die
assoziativen Ketten, sodass alle Fakten lückenlos ins Konzept eingepasst werden
und es bestätigen.
Dann braucht es noch eine paranoide Absicherung des ganzen
Theoriegebäudes, die darin besteht, dass jeder, der es kritisch betrachtet oder
in Frage stellt, als Agent oder gehirngewaschener nützlicher Idiot des Bösen
erkannt wird, und damit bestätigt sich die Theorie durch jede Kritik selbst.
Nicolas Hénin, der 10 Monate in ISIS-Gefangenschaft
verbracht hat, berichtet, dass seine Gefängniswärter ausgeprägte Paranoiker
waren, gefangen in einem Weltbild, das alles auf den entscheidenden Endkampf
zwischen „Gut“ und „Böse“ zusteuern sieht. Was immer passiert, bestätigt, dass
sie am richtigen Weg sind. Sie wissen, wo das Böse und wo das Gute ist. Wie jeder
andere Verschwörungstheoretiker auch.
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