In diesen Zeiten ist häufig von der Krise der Demokratie die Rede. In immer mehr Staaten oder Teilstaaten werden rechtsgerichtete Regierungen installiert, denen der Erhalt und die Förderung der Demokratie kein Anliegen ist, die vielmehr die demokratischen Institutionen und Errungenschaften schwächen wollen, um ihren Machterhalt zu sichern. Diese Gruppierungen gebärden sich zwar als die Garanten für Sicherheit, aber untergraben gleichzeitig den Hauptgaranten der politischen und sozialen Sicherheit, die moderne Demokratie mit ihren beständig verbesserten Mechanismen der Kontrolle der Macht und des inneren Ausgleichs zwischen verschiedenen Interessensgruppen.
Die Zustimmungswerte zur Demokratie gehen zurück (in
Österreich stärker als in Deutschland), auch wenn diese Regierungsform noch
immer weit vor allen anderen bevorzugt wird. Die Zustimmung zu autoritären
Regierungsformen liegt in Österreich je nach Fragestellung zwischen 10%, die
strikt eine autoritäre Führung wollen, und 43%, die einen “starken Mann” an der
Spitze attraktiv finden. Mit 10 % an rechtsgerichteten Wählergruppen kann jede
Demokratie zurande kommen; doch je höher dieser Prozentsatz steigt, desto
größer ist die Gefahr für eine autoritäre Wende.
Das Modell mit den Institutionen der Gewaltentrennung und
des Interessenausgleichs in Zusammenhang mit unabhängigen und kritischen öffentlichen
Medien hat sich über die letzten beiden Jahrhunderte ausgebildet und ständig
verbessert. Es hat wesentlich zur stabilen und friedlichen Entwicklung in der
überwiegenden Zahl der westlichen Länder beigetragen. Ein Charakteristikum der
Demokratie besteht darin, dass sie selber der Gegenstand demokratischer
Diskussion ist, denn sie muss beständig an die sich veränderten Bedingungen der
Gesellschaft angepasst werden. Ihre Grundlagen, die Rechtsgleichheit, die
Verfassungstreue und die allgemeine politische Willensbildung, dürfen dabei nie
außer Acht gelassen werden. Damit soll verhindert werden, dass eine
demokratisch gewählte Regierung die Demokratie selber aus den Angeln heben
kann, ähnlich wie es 1933 in Deutschland und Österreich passiert ist.
Krisenstimmung und Demokratieskepsis
Das bekannte Modell der Führungsstile besagt, dass
autoritäre Führungen effektiver sind, wenn akute Krisen bewältigt werden müssen.
Ein Haus brennt, und der Hauptmann der Feuerwehr gibt die Befehle, die sofort
befolgt werden. Eine demokratische Willensabstimmung braucht viel Zeit, die im Notfall
nicht gegeben ist. Es muss schnell gehandelt werden, um eine Katastrophe
abzuwenden, und lange Beratungen, bei denen jedes Für und Wider abgewogen wird,
verzögern das Handeln, unter Umständen, bis es zu spät ist.
Soweit die Theorie. In der demokratischen Praxis ist für
Notfälle die gewählte Regierung zuständig, die dann ad hoc Maßnahmen
beschließen kann. Reichen dafür Verordnungen nicht aus, braucht es also
Gesetze, so muss die Volksvertretung mit einbezogen werden, aber auch alle
anderen Maßnahmen unterliegen der demokratischen Kontrolle, die manchmal erst
nachträglich schlagend wird wie z.B. bei den Corona-Maßnahmen.
Bei vielen Menschen entsteht dennoch der Eindruck, dass die
demokratischen Institutionen zu schwach sind, um Krisen effektiv zu bewältigen.
Sie verallgemeinern die Einsichten aus dem Modell der Führungsstile, die aus
überschaubaren Krisensituationen gewonnen wurde, und wenden es auf komplexe
Krisen an. Deshalb verbreitet sich in Zeiten, die als krisenhaft erlebt werden,
der Wunsch nach einer starken und autoritären Führung, mit der Hoffnung, dass diese
den Krisen eine schnelle Abhilfe verschaffen könne.
Nahezu alle Krisen unserer Zeit können freilich gar nicht
von einzelnen Personen abgewendet werden, weil sie aus einer Unmenge von Ursachen
und Zusammenhängen entstanden sind. Es gibt keine noch so geniale Führungspersönlichkeit,
die dafür nachhaltige Lösungen umsetzen könnte. Selbst nationale Regierungen
sind überfordert, weil sie nur Maßnahme für das eigene Staatsgebiet treffen
können, die Probleme aber oft länderübergreifend sind und isolierte Maßnahmen die
Schwierigkeiten in übergeordneten Systemen verschärfen können. Auch wenn viele
Führungspersönlichkeiten für sich reklamieren, gewissermaßen die ultimativen Retter
für alle Nöte zu sein, produzieren sie als Folge wenig durchdachter Maßnahmen in
der Regel mehr zusätzliche Krisen. Oft versuchen sie, kurzfristig wirksame
Lösungsversuche durchpeitschen, deren Konsequenzen nicht mitbedacht werden.
Küchenphilosophie
Wir unterliegen als Menschen immer wieder der Tendenz,
einfache Alltagssituationen mit Situationen zu vergleichen, die eine hohe
Komplexität aufweisen, und Lösungsansätze, die im überschaubaren Raum der
kleinen Welt funktionieren, eins zu eins auf Großgebilde zu übertragen, mit der
Erwartung, dass sie dort genauso effektiv sind. Komplexität verunsichert,
Vereinfachung gibt uns eine scheinbare Sicherheit. Das ist ein häufiger
Fehlschluss. Bei komplexen Themen finden wir nur zu den sinnvollen Lösungen,
wenn wir uns in die Komplexität vertiefen und für Lösungsansätze die
“Schwarmintelligenz” nutzen, also das Zusammenwirken verschiedener Personen
(Experten und Laien) und Institutionen. Solche Vorgänge brauchen mehr Zeit, die
aber sinnvoll genutzt ist, weil sie profunde, abgesicherte und nachhaltig
wirksame Lösungsschritte ermöglicht. Solche Vorgänge sind nur in einem
demokratischen Rahmen möglich.
Es ist wiederum dem Beschleunigungsmodus, der die moderne Gesellschaft prägt, geschuldet, dass demokratische Entscheidungsprozesse in Misskredit geraten. Wir erwarten, dass Probleme, die auftreten, möglichst schnell gelöst werden, und wir werden ungeduldig, wenn die Entscheidungen lange Zeit brauchen. Meistens glauben wir, sofort besser zu wissen, was gut ist, und verstehen nicht, was das lange Palavern soll. Auch hier überschätzen wir häufig unsere eigenen Fähigkeiten im komplexen Denken und wir glauben, wir bräuchten nur die Einsichten unseres Hausverstandes auf übergreifende Zusammenhänge anwenden, ohne dass wir es für nötig erachten, die Unterschiede an Komplexität zu berücksichtigen. Es ist, als ob wir mit einem Rezept aus einem Kochbuch das Hungerproblem in der Welt lösen wollten.
Der Nationalismus als Trumpfkarte
Verschärft wird die Demokratieuntergrabung durch die nationalistische
Karte. Viele Politiker, die ursprünglich aus einer liberalen Richtung kommen
(z.B. V. Orban oder D. Trump), haben erkannt, dass der Nationalismus eine
Trumpfkarte liefert, mit der es relativ leicht ist, an die Macht zu kommen und
sie zu behalten. Der Nationalismus appelliert an ein abstraktes Wir-Gefühl, das
den Menschen Sicherheit suggeriert; allerdings ein Wir, das
in Opposition oder Feindschaft zu einem fremden Wir steht, das als feindlich
oder bedrohlich dargestellt wird.
Hereinnahme statt Ausgrenzung
Demokratische Reife besteht dagegen darin, die Andersheit der anderen anerkennen und gelten lassen zu können. Die Diversität der Ansichten, Meinungen, Lebensorientierungen, kulturellen Prägungen usw. hat in einer Demokratie einen Platz und eine wichtige Bedeutung, die dazu führt, dass schwache Positionen gefördert werden. Pluralität und gegenseitige Akzeptanz sind der Nährboden für die Kreativität und Resilienz von Gesellschaften; Ausgrenzungen und Aggressionen gegen Minderheiten oder Schwächere destabilisieren den gesellschaftlichen Zusammenhalt und steigern die allgemeine Unsicherheit und Angst.
Zur Demokratie gehört die Inklusion, zum Nationalismus
die Exklusion, das Ausschließen alles dessen, was bestimmten vordefinierten
Kriterien nicht entspricht. Der Nationalismus ist rückwärtsgewandt, weil die Identifikation
mit einer Nation kein Lösungspotenzial für irgendeine der aktuellen Krisen
liefern kann. Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zusammenarbeit über die
Grenzen von Nationalstaaten hinaus. Sie kann nur dann in eine gute Richtung
führen, wenn diese Kooperation auf demokratischen Grundsätzen beruht, also
inklusiv und nicht exklusiv ist. Es sollte uns langsam deutlich werden, dass
wir die Zukunft nur meistern, wenn wir alle mitanpacken und uns gemeinsam
anstrengen, über alle urtümlichen Grenzen hinweg und jenseits aller Hoffnungen
auf einen starken Mann als Erlöser. Jede der Krisen, unter denen wir leiden,
ist eine Menschheitskrise; lösen kann sie nur die Menschheit.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle Möglichkeiten des
Zusammenwirkens stärken und all den Bestrebungen, die die Lösungen in
veralteten Modellen und rückwärtsgewandten Ideologien suchen, entgegenzutreten
und sie an der Machtübernahme zu hindern. Die Demokratie muss streitbar sein,
wenn sie weiterbestehen will, und sie muss ihre Gegner benennen und in die
Schranken weisen. Die Demokratie ist niemand anderer als wir selber, soweit wir
uns zu ihr bekennen.
Zum Weiterlesen:
Demokratie und Gefühle
Das Ego in der Medien-Demokratie
Die Verharmlosung von Diktatoren und die Demokratie
Soziopathie und die Folgen für die Demokratie
Wird die Demokratie von Manipulatoren gekidnappt?
Nationalismus und Opferstolz
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